Archiv der Kategorie: 07 Kunst und Kultur

Rahmen auf Sockel (Dresdner Leiste) (2003)

Rahmen auf Sockel
Zu den „Simultanen Perspektiven“ der Künstlergruppe Kooperative Kunstpraxis (Jens Herrmann, Wolfram Höhne und Andreas Paeslack)

Seitdem es moderne Kunst gibt, versucht sie, vom Sockel herunter zu steigen, doch es gelingt ihr nicht. Das hat Gründe. Ein Blick in die Vorgeschichte zeigt uns um 1900 einen Künstler, dem das Repräsentationsgehabe der alten Feudal- und der neuen Bürgerschicht unerträglich geworden war. Zusammen mit ihrem Machtanspruch hatten „die da oben“ auch die Kunst mit auf den Sockel hinauf gezogen. Dort war es dem Künstler zwar bequem und saturiert, doch auch abgehoben und irgendwie atmosphärisch verdünnt. Von diesem Sockel wieder herunterzukommen, das hieß, auf den Boden zurück zu kehren, das wurde als gleichbedeutend empfunden mit einer neuen Einheit von Kunst und Leben. Weiterlesen

Inszenierte Lomografie – Zwei Kunstprojekte in Brasilien

Olaf Weber/Katja Weber

Inszenierte Lomografie – Zwei Kunstprojekte in Brasilien

Eine Reise nach Brasilien im November 2001 bildet den Anlass für zwei gemeinsame Kunstprojekte vor Ort. „Inszenierte Lomografie“ ist eine doppelte Fotoserie mit zwei Kameras. Die eine Kamera nimmt in einem strengen Zeitraster (alle 2 Stunden) die sich gerade bietenden Motive auf, die Zweite versucht nach Gehör (weil der Fotograf fast blind ist) die Fotografien dieser Motive einzufangen. „Presseschau – ein Souvenierprojekt“ ist eine Collage aus dem wirren Zeitungsangebot eines jeden Tages.
Weiterlesen

Kulturstadt – Wie weiter? (1999/2001)

Kulturstadt – wie weiter? Auf das timing kommt es an.
1999

Wenn das Kulturstadtjahr ein Erfolg war und wenn es aus den erfolgreichen Kunstfesten hervorgegangen ist, so soll es im Jahr danach auch wieder dorthin zurückkehren. Weimar ist Gegenstand einer inszenierten Stimmungsdemokratie, nach der Kauffmann erst Gespenst (Rollplatz), dann Guru (das schöne Spektakel), dann Gangster (Geldverschwender) und nun wieder Guru (der Verletzliche) sein soll. Ich bin auch verletzt, weil so viel zerredet wird, viele sind verletzt. Ist das wichtig? Wichtig ist, daß die vielen Schuldigen an dem Dilemma jetzt in der Einsicht zusammenstehen sollen: Kaufmann muß das Kunstfest 2000 machen. Das war doch ohnehin eine Angelegenheit der Logik, denn mitten im Kulturstadtjahr und angesichts der unsicheren Stadt- und Landtagswahlen hat die einzige Entscheidung von Stadt, Land und Kauffmann nur heißen können: Weitermachen. Im Frühjahr des kommenden Jahres könnten wir dann alle gemeinsam entscheiden, ob wir auch nach 2000 die bewährten Kauffmannschen Festspiele wollen oder ob mal etwas anderes passieren soll. Auf das timing kommt es an! Weiterlesen

Verein zur Verlängerung des Jahres 1999 (1999)

Prof. Dr. Olaf Weber, Weimar
Prof. Elise Clark, New York
Prof. Dr. Charles Newton, Sidney

Im Dezember 1999
PRESSEMITTEILUNG über die Gründung des „Vereins zur Verlängerung des Jahres 1999“

In letzter Minute geben die o.g. Gründungsmitglieder die Initiative für einen internationalen „Verein zur Verlängerung des Jahres 1999“ bekannt. Ziel dieses Vereins ist es, das Jahr 1999 zeitlich so zu strecken, dass es erst dann endet, wenn sein historischer Sinn und die privaten Erwartungen an dieses Jahr erfüllt sind. Die Defizite betreffen alle Bereiche: Die Politik, die Wirtschaft, die Kultur und Kunst … sowie das Leben jedes Einzelnen, besonders der Unterzeichneten. Weiterlesen

Menschen und Tiere aus Weimar. Zur Goethe-Gartenhaus-Kopie (1999)

Menschen und Tiere aus Weimar – eine groteske Geschichte

1. Als ich aufblickte, sah ich zwei dicke Wolken heransegeln. Die eine blieb über Goethes Gartenhaus hängen, die andere über der Kopie. Da liegt Verdunkelungsgefahr vor, dachte ich, aber die Kopie war hellwach und sprach: – Ich bleibe hier. Ich muß hier bleiben, denn das Original wird erst zum Original durch die Kopie. Weiterlesen

Einmal noch Aufstieg und Fall (1999)

Olaf Weber
Einmal noch: Aufstieg und Fall

Neben der Ablehnung der von Daniel Buren entworfenen Rollplatz-Gestaltung durch eine desinformierte Weimarer Öffentlichkeit war der DDR-Teil der Ausstellung „Aufstieg und Fall der Moderne“ sicherlich der skandalöse Höhepunkt des Kulturstadtjahres. In der Mediengesellschaft braucht jedes enorme Kulturereignis offenbar solche Aufsehen erregenden Effekte. Doch war der Ausstellungsteil „Offiziell – Inoffiziell“ nicht nur späktakulär, sondern auch ein vorwärtsweisender Impuls? Er war es nicht. Ich will ein paar Gedanken aneinander reihen. Weiterlesen

Die Imitation der virtuellen Kopie. Das 2. und 3. Gartenhaus (1999)

Olaf Weber
DIE IMITATION DER VIRTUELLEN KOPIE –
Das zweite und dritte Gartenhaus

Das zweite Gartenhaus des Dichters hat die Frage aufgeworfen, was denn heute noch Original, was Kopie sei. Was ist auch Imitation, was ist Authentisches, was Virtuelles? Das doppelte Häuschen steht zwar da und ist zu betreten, doch nicht die Besucherkapazität, sondern die Frage, was wir von dem, was wir wahrnehmen noch glauben können, ist des Hauses Kern. Im Überdenken unserer herkömmlichen Vorstellung von „echt“ und „unecht“ rühren wir an Grundlagen der Wahrnehmung in unserer medialisierten Welt. Weiterlesen

DER GAU (1999)

Olaf Weber
„DER GAU“

Heißt das Ding nun Karl-Marx-Platz oder Gauforum oder ist der Platz eine Allee, die Carl-August-Allee? Namen sind Glückssache, Babys wissen das. Auch der Name eines Platzes passt selten zu dem Raum, den er markiert. „Adolf-Hitler-Platz“ war einst bestens für den Platz, doch der Platz nicht für Weimar und der Name nicht für Menschlichkeit geeignet. Was also tun mit diesem namenlosen Ungetüm, das die Gemüter erhitzt? Weiterlesen

Huren (1998)

Huren

Daß der Humandenker Eberhard Haufe auf seine alten Tage der bürgerlichen Scheinmoral auf den Leim gehen muß! Schade, schade, traurig. Daß es die käufliche Liebe in dieser unserer Sauber-Gesellschaft so maßlos und geschmacklos gibt, liegt daran, daß alles Käufliche so maßlos und geschmacklos zu haben ist. In die schöne Cranachstraße paßt sie nicht schlechter als anderswohin, zumal gerade der Verweis auf die Künstler-Avantgarde, die dort einst zuhause war, eher eine gewisse Affinität zum Hurenmilieu vermuten ließe. Nicht an der sogenannten Ehre von Kandinsky und Feininger sei gekratzt, aber das Anliegen der revoltierenden Künstler war es gerade, die lügnerischen Fesseln der herrschenden Moral zu sprengen. Deshalb suchten viele von ihnen die Nähe zu den Frauen, die freier dachten und doch so ausgebeutet wurden.

Wenn Stadtpolitik in dem Sumpf heutiger Prostitution überhaupt etwas unternehmen kann, dann wäre es der Versuch, dieses Milieu zu entkriminalisieren, das heißt, den Zusammenhang von Prostitution und Gewalt zu unterbinden. An erster Stelle müßte also der Schutz der Huren vor Zuhältern, anderen Herren und der kriminellen Vermarktung stehen, an zweiter die Überführung dieses Berufes in ein wirklich qualifiziertes Gewerbe. Ob dabei die soziale Kontrolle durch neugierige Nachbarn in den Toleranzzonen wirklich nützt, will ich auch bezweifeln. Wir sollten nach neuen Lösungen für ein menschheitsgeschichtliches Problem suchen – wohl wissend, daß die Formen der Prostitution ein Spiegel der ganzen Gesellschaft sind.

(in Thüringer Landeszeitung, 9.8.1998)