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Feindbilder begraben

von Olaf Weber, Weimar

Heute ist eine besondere, die letzte Zeit. Die Atom- und automatischen Waffen, die scharfen Viren, die toxischen Kettenreaktionen der Geheimdienste warten nur manchmal. Sie erlauben uns nicht, das Maß der vergifteten Natur an die Zukunft zurückzugeben. Der Mensch muss besonders werden, freundlich.

Die Zerstörungskräfte un-intelligenter Systeme stehen an der Schwelle eines nun wirklich „totalen“ Krieges. Sie  sind  nur noch dem Zufall unterstellt, der sich grinsend und unbekümmert gibt.

Seit morgen sind wir zur Kooperation verpflichtet. Freies Denken steht nun gegen die Ideologien der Nationalflaggen, der Religions- und der Hautfarben, an denen sich die Menschheit nicht mehr erheitern sollte. Es ist verboten, die natürlichen Unterschiede im Menschsein zu öffentlichem Hass, zu Aufrüstung und Krieg aufzutürmen. Doch die ökonomischen und politischen Eliten haben sich in ihrer Unwirklichkeit eingebunkert, dort pflegen sie ihre Feindschaften.

Pazifisten (Kriegsgegner) kritisieren die Militaristen im eigenen Land. Deshalb schauen meine Freunde und ich auf Deutschland und die NATO. Dagegen verhalten sich Bellizisten (Kriegsbefürworter) genau umgekehrt. Sie suchen den Schuldigen nie im eigenem, sondern stets im anderen Lager. Immerfort neue Feindbilder erfindend – so befördern sie die Eskalationsspiralen, die kleinen Krisen, die großen Kriege.

Wir brauchen weder strategische Feinde noch unverbrüchliche Freunde, gute Nachbarn, das reicht. Im Vergleich zwischen den USA und Russland ist es nicht plausibel, weshalb das eine Land unser Freund, das andere unser Feind sein solle: Die autoritären Gesichter, der Rassismus, Superreiche da, Oligarchen dort, Kaltes und Zerstörendes allerorts (natürlich überall auch Ermutigendes). Welche Gesichter und welche Formen der Mangel an Menschlichkeit aber hat, ist angesichts der Gefahr (4 vor 12) nicht erheblich. Erheblich wäre das Gewaltlose. Und das Feindlose.

Es ist gut: Deutschland und Europa haben nach schrecklichen Verirrungen einiges an Zivilgesellschaft und Rechtsstaatlichkeit gewonnen. Doch der kriegerische und würdelose Zustand der Welt hat viel mit westlicher Arroganz zu tun, die immer noch koloniale Züge trägt und von oben herabschaut. So erlauben sich unsere geschäftstüchtigen Regierungen „Die Menschenrechte“ wie eine Monstranz voranzutragen, sobald es darum geht, einem geostrategischen Konkurrenten zu schaden. Schade um diese Menschenrechte.

Niemand spreche also von Menschenrechten und Frieden, wenn er oder sie zugleich Feindbilder pflegt, wenn er oder sie militärische Aufrüstung betreibt oder gar reale Kriege führt. Immer ist die Lüge sehr nahe am Krieg. Und dass man den Geheimdiensten gar nichts glauben darf, kann man nur ahnen. Und was die Demokratie betrifft – sie müsste von wirtschaftlicher Macht entkoppelt werden, um Demokratie zu werden.

Nach der Logik und dem geltenden Völkerrecht darf sich keine Regierung in ein Land einmischen, von deren Bevölkerung sie nicht gewählt wurde. Die Versuche, woanders einen „Regime Change“ herbeizuführen, bringt meist neue Gewalt und  schwächt die Selbstheilungskräfte eines Volkes (wie in Syrien, Libyen und woanders geschehen). Es wäre effektiver, friedlicher und historisch gerechter, wenn alle Regierungen auf die eigenen Defizite schauen, statt mit dem Finger auf andere zu zeigen. Die Transformation der menschlichen Beziehungen zur sozialen Freundlichkeit wird wohl nur in einer behutsamen und gerechten Weltinnenpolitik gelingen.

Die Bellizisten spielen mit zweierlei Maß, das eine wird an den Freund, das andere an den Feind angelegt. So erscheint der Freund freundlich, der Feind feindlich. In dieser Pose lassen sich zum Beispiel die USA gern gegenüber China ablichten – ein ermüdendes und falsches Bild, das es möglicherweise auch umgekehrt gibt.

Das wichtigste Menschenrecht ist das Recht, nicht getötet zu werden. Das Leben eines russischen Oppositionellen ist aber der Hungerstreik einer kurdischen Journalistin in einem türkischen Gefängnis. Und das Leben eines Bootsflüchtlings ist das eines Afroamerikaners auf einer Straße von Harlem. Es passiert so viel, doch wer schuldig ist und bestraft wird, bestimmen auf merkwürdige Weise die an Einfluss Reichen.

Der Krieg hinterlässt seine Folgen im Namen des Siegers. Die schlimmsten völkerrechtswidrigen, also Angriffskriege (wurden neben vielen groben Einmischungen in innere Angelegenheiten) nicht von Diktaturen, sondern leider von Demokratien, den USA und ihren Verbündeten, geführt – vgl. Afghanistan, Irak und Libyen, die Millionen Opfer zu beklagen haben. Es sollte keine Kriege und keine Trophäen mehr geben – auch deshalb nicht,  damit die Geschichte nicht mehr von den Siegern geschrieben werden kann.

Militaristen haben eine unendliche Phantasie, sie erfinden immer neue Feindbilder. Der deutsch/amerikanische Wissenschaftler Wernher von Braun kam zu einer späten, aber tiefen Einsicht: „Wir werden ein im Weltraum basiertes Waffensystem erschaffen. Zuerst werden die Russen als der Feind betrachtet werden… Dann werden Terroristen zum Feind bestimmt… Dann wird man Verrückte aus der Dritten Welt und bestimmte gefährliche Nationen zum Feind bestimmen… Der nächste Feind werden Asteroiden sein, und gegen Asteroiden werden wir erneut im Weltraum basierte Waffen bauen… Die letzte Karte, die ausgespielt werden soll, werden Aliens oder Außerirdische sein. Wir werden diese Waffensysteme gegen Aliens erschaffen und alles davon wird eine große Lüge sein!“ (im Gespräch mit Dr. Carol Rosin, 1974)

Fazit:

  1. Feindbilder und Kriegsbeile könnten schon morgen in aller Frühe begraben werden, doch unter dem Strand ist die Lüge – und das Eis.
  2. Den kalten Krieg beendet man nicht, indem man unliebsame Diktatoren stürzt, sondern indem man ihn beendet.

Antwort auf die Erklärung von Franziska Brantner

„Grüne vernetzte Außenpolitik in einer Welt voller Unordnung“


Dr. Franziska Brantner ist Sprecherin für Europapolitik sowie Parlamentarische Geschäftsführerin der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Liebe Franziska,

vielen Dank für deinen sehr interessanten und komplexen Text.

Du hast den Text als Debattenbeitrag bezeichnet. Ich sehe neben vielem Interessanten auch Problematisches und will mich der Kürze halber darauf konzentrieren.

Du beschreibst vor allem die Einbindung Deutschlands in das europäische Projekt. Das ist wichtig, zumal die Wertegemeinschaft mit den USA und der Atlantikbrücke der Bevölkerung kaum noch vermittelbar ist. Europa braucht mehr Eigenständigkeit, ja, aber in einer globalen Welt. Die Klimakatastrophe und die Corona-Pandemie verweisen auf den zunehmend globalen Charakter der anstehenden Probleme, das hast du zwar auch beschrieben, aber wir sollten daraus andere oder weiterreichende Schlüsse ziehen. Europa soll nicht ein weiterer Player im Konkurrenzkonzert der Großmächte werden, sondern etwas ganz Anderes, ein Ort, der Solidarität selbst vorlebt und Frieden, gegenseitigen Respekt und Kooperation in die Welt hinausstrahlt.

Ich möchte nur 2 Themen herausgreifen:

1. Russland. Es herrscht immer noch ein feindseliger Blick auf Russland, der nicht gerechtfertigt ist. Ich kann nicht erkennen, dass die innere Verfassung Russlands gegenüber Ungarns oder den USA so verschieden ist, dass wir nicht im Sinne der internationalen Kooperation mit Putin ausgezeichnet zusammenarbeiten könnten und das ist dringend geboten. Demokratie darf nicht als Verhinderungsargument gelten, wenn es um Frieden, auch nur um Kooperation geht, zumal die Demokratie überall unvollkommen ist.

Wir hören tagtäglich, Putin wolle den Westen spalten und seine Politik sei aggressiv und verbrecherisch. Aber ist es nicht sogar umgekehrt? Beim genauen Hinschauen ist die Politik der USA und also der NATO und des Westens nämlich ungleich aggressiver. Wir zerbomben 18 Jahre lang das kleine Afghanistan, weil sich dort einer der Feinde der USA aufhalten würde, doch die Terroristen sind vor allem Produkte der eigenen westlichen Politik. Die Kriege gegen Afghanistan, den Irak und Libyen kosteten Hunderttausende von Leben und es blieben Millionen Verwundete und Vertriebene zurück. Unsere Meinungsbildner und auch Politiker, Grüne eingeschlossen, tun so, als ob es dafür keine Schuldigen oder nur den einen, Putin, gäbe.

Auch die Flüchtlingsströme, die nun auf dem Weg nach Europa sind und Putin in die Schuhe geschoben werden, gehen klar auf das historische Kriegskonto der USA zurück. Die Destabilisierung des Iraks und Syriens ist eine direkte Folge gewaltsamer Interventionen der NATO, auf direkte Weise im Irak und auf indirekte in Syrien (Kriegsverbrechen gab es leider auf allen Seiten, vgl. Idlib und Mossul). Es gab trotz der, für Arabien vergleichsweise entwickelten Zivilgesellschaft in Syrien, Proteste gegen die Regierung. Es gab aber auch geopolitische Gründe, die die CIA schon seit den 50er Jahren und dann immer wieder veranlasste, auf den Sturz der syrischen Regierungen hinzuarbeiten (vgl. den obligatorischen Aufsatz von Robert F. Kennedy im Anhang). Kriegsverbrechen – das sind Verbrechen innerhalb des Verbrechens – sind natürlich zu ahnden wie die Verursacher eines Krieges selbst.

Wenn wir die Diplomatie der Amerikaner und Russen im Nahen Osten vergleichen, kommen wir zu einem interessanten Ergebnis. Die Diplomatie der USA folgt nicht erst seit „America First“ dem alten Grundsatz von „Teile und Herrsche“. Das ist die Einteilung der Welt in gut und böse, in Freund und Feind. Zum Beispiel ist Saudi-Arabien ein Freund, der Iran ein Feind, Türkei ein Freund, Syrien ein Feind, Israel der Freund und Palästina der Feind. Die Interessen können sich zeitweise auch verschieben, das Freund-Feind-Schema aber bleibt und so ein Verfahren ist immer kriegstreibend.

Erstaunlich ist es, dass Russland unter seinem Außenminister Lawrow tatsächlich mit allen diesen Ländern enge Beziehungen unterhält. Es ist ihm gelungen, mit allen reden zu können und das ist die Voraussetzung dafür, sehr schwierige Interessen zum Ausgleich zu bringen. Sicher ist, dass Russland dabei eigene Interessen verfolgt, aber diese Diplomatie enthält auch ein gewichtiges Potential zum Frieden, das uns wichtig sein müsste.

Kommen wir nach Europa zurück. In merkwürdiger Vergesslichkeit der hunderttausenden Toten, Verwundeten und Vertriebenen in Afghanistan und dem Irak wird ein unblutiges Ereignis zum Ausgangspunkt für den Ausschluss Russlands aus der Europäischen Gemeinschaft: Die Besetzung der Krim. Und man tut so, als hätte dieses Ereignis keine Vorgeschichte (ein alter Trick der Geschichtsfälscher). Wir wissen aber, dass der Frieden nur innerhalb einer Friedensordnung aufrechterhalten oder gebrochen werden kann. Die Friedensordnung in der postkommunistischen Ära wurde durch den 2plus4-Vertrag definiert. Und der Geist dieses Vertrages wurde durch das „gemeinsame Haus Europa“ (Gorbatschow) versinnbildlicht. Was aber dann kam war die Zerstörung dieser Friedensordnung durch die Besetzung immer mehr Zimmer und Etagen dieses Hauses, also durch das Vorrücken der NATO an die Grenzen Russlands. Diese Erweiterung der westlichen Welt nach Osten war zwar nicht völkerrechtswidrig, aber sie zerstörte grundlegend das friedensbewahrende Gleichgewicht in Europa.

2. Frieden. Es gibt den konservativen Friedensbegriff, der Sicherheit durch Stärke definiert. Das bedeutet Aufrüstung und also mehr Unsicherheit, weil die eigenen Waffen und die des Feindes immer heimtückischer und schrecklicher werden. Es gibt einen anderen Friedensbegriff, der Frieden durch Vertrauen und Abrüstung definiert. Das ist der Begriff der Friedensbewegung, auf den wir Grünen uns besinnen sollten. Man kann nicht über Außenpolitik sprechen, ohne die Rüstung zu erwähnen. Das Militär dient heute nur noch den Diktaturen zur Unterdrückung des eigenen und den Imperialisten zur Unterdrückung fremder Völker. Wir sollten um keinen Cent die Ausgaben für Rüstung erhöhen, sondern eine solche Außenpolitik betreiben, die es erlaubt, das Militär und die Militärausgaben zu verringern. Im Übrigen gibt es keine mit Zahlen belegte Begründung dafür, die Überrüstung der NATO noch weiter voranzutreiben.


Nun komme ich noch auf eine konkrete Aussage von dir, du schreibst:

„Wenn wir wollen, dass Trump uns auf Augenhöhe behandelt, dann müssen wir uns auf Augenhöhe bewegen. Das bedeutet auch unseren eigenen Kontinent geopolitisch ordnen zu können, unsere Militärfähigkeiten optimieren und ein eigenständiger Akteur zu werden.
Wie stehen wir zu Abschreckungsstrategien? Welche benötigen wir? Wie sorgen wir dafür, dass wir die Eskalationsspirale dominieren und nicht Putin, Erdogan oder Xi Jin-ping?“

Aber wie wollen wir mit den USA auf Augenhöhe kommen? Doch nicht, indem wir auf Militärausgaben in Höhe von 780 Mrd. Dollar kommen? Oder indem wir eine weltweit operierende Interventionsarmee schaffen, die von ihrer Bestimmung her völkerrechtswidrig handeln muss? Oder weshalb sollten wir überhaupt Eskalationsspiralen dominieren, wo es darum geht, endlich Entspannung einzuleiten, also zu de-eskalieren?

Und dein Vorschlag bedeutet auch, dass wir gegenüber einem Verbündeten innerhalb der NATO ein Abschreckungspotential aufbauen sollten. Ein Teil der NATO steht also gegen einen anderen Teil? Das ist doch eine katastrophale Erhöhung der Unordnung, die du in deiner Überschrift kritisierst. Außerdem ist das französische Atompotential gegenüber dem der USA und Russlands so verschwindend klein, dass es in dem Europa ohne Russland zu einer gewaltigen atomaren Aufrüstung kommen müsste, damit Europa gleichzieht.

Liebe Franziska, wir sollten alles tun, um Feindbilder abzubauen und keine neuen Feindbilder zuzulassen. Es ist gut, den beschränkten nationalen Begriff auf einen europäischen Begriff zu erweitern. Wir sollten dabei Russland einbeziehen und darüber hinaus – durch Klimawandel und Corona zusätzlich getrieben – nun endlich global denken und handeln. Und das ohne eine neue Militarisierung, sondern im Gegenteil, durch Abrüstung.

Mit freundlichen grünen Grüßen,

Olaf

Prof. Dr. Olaf Weber, Weimar

Corona, die Krone der Krankheit

Im letzten Jahr war es der Klimawandel, der unsere Aufmerksamkeit auf ein globales Thema gelenkt hatte, jetzt ist es eine Pandemie, die sich in rasender Geschwindigkeit über uns ausbreitet. Der zeitliche Zusammenhang ist ein kausaler: Das Ungleichgewicht von Mensch und Natur hintertreibt die allgemeinste Gesundheit. Zwar bekommt immer der Einzelne, wie der empfindsame Rentner, überhaupt der Unschuldige, das Fieber und die Lungenentzündung. Doch das Leiden kommt von einer vielfach erkrankten Welt. Corona ist eine soziale Krankheit, die ins Medizinische mutiert ist.

Man sagt, dass Covid19 eine Grippeerkrankung sei, aber sie ist sehr viel aggressiver als die gewohnte. Um diese Aggressivität geht es, sie scheint die eigentliche Krankheit zu sein. Sie entspricht der anmaßenden Überheblichkeit, mit der unsere Zivilisation mit der Natur umgeht und auch der Arroganz gegenüber Nachbarn und Fremden. Zu viel Gewalt und Hetze durchdringen die große und die private Welt, als dass diese gesund bleiben könnten.

Im Unterschied zu früheren Krisen treffen die Klimakatastrophe und die Corona-Pandemie zwar immer noch die Armen und die ärmsten Länder am stärksten, aber zum ersten Male sind die Wirkungen so global, dass auch wir Wohlstandsbürger des Westens und Nordens von solchen Krisen mit voller Wucht getroffen werden. Das birgt immerhin die Chance in sich, dass ein gewisses geistiges und materielles Potential bereitgestellt wird, das wenigstens oberflächliche Lösungen ermöglicht.

Überrascht sehen wir, dass Tausende von Milliarden von Euros plötzlich für das Stopfen von Finanzlöchern zur Verfügung stehen. Das bedeutet aber überhaupt nicht, dass die konservativen Verkrustungen unserer Gesellschaft aufbrechen würden. Es ist im Gegenteil mehr als fraglich, ob unter den herrschenden Bedingungen der Konkurrenzwirtschaft und der Nationalstaatlichkeit das Notwendigste für Klimaschutz, für Schulen, für Entwicklungshilfe in Afrika oder für Friedensarbeit getan werden kann. Es wird wohl nicht möglich sein, das gestörte Immunsystem unseres sozialen Organismus unter den Bedingungen eines technischen Wachstumswahns zu reparieren, zumal dann nicht, wenn er einem ökonomischen und digitalen Diktat untersteht. Vergleiche die Vereinnahmung des Individuums im Programm der Industrialisierung 4.0.

Olaf Weber

Initiative „Welt ohne Waffen“ Weimar

Wahrheit ist der Weg zum Frieden

„Dabei dürfe man keinesfalls Lüge gegen Lüge setzen. Man müsse mit der „durchschlagenden Kraft der Vernunft, mit der wirklich unideologischen Wahrheit dem entgegenarbeiten“ (Theodor W. Adorno)

Die Selbstdarstellung des Militärs, ihrer politischen und medialen Vertreter ist grundsätzlich verlogen. Der Zivilgesellschaft kann das Militär nur lügnerisch entgegen treten, weil die Menschen kein natürliches Interesse am Krieg haben.

Das Bedürfnis nach Sicherheit ist nachvollziehbar, doch wird es von der Militärpropaganda in eine Akzeptanz für das Militärische umgedeutet. Die Militärstrategen behaupten, mehr Militär würde mehr Sicherheit bedeuten. Logisch ist aber, dass die weltweite Ansammlung von gefährlichen Waffen immer größere Risiken in sich birgt. Das „Gleichgewicht des Schreckens“, also Der Frieden durch gegenseitige Abschreckung, ist spätestens im Zeitalter von Cyberkriegen nicht mehr vertretbar. Die sogenannten intelligenten und autonomen Waffen enthalten die kriminellen Potentiale zu furchtbaren Attacken gegen die Zivilgesellschaft, ähnlich den geächteten ABC-Massenvernichtungswaffen.

Die Kriegsrhetorik verbreitet Falschinformationen über diese oder jene Konfliktseite und ist deshalb schon kriegstreibend, aber sie besteht auch in der Verfälschung oder Unterschlagung grundsätzlicher Elemente des Völkerrechts und der Geschichte des jeweiligen Konfliktes. Hier einige Beispiele.

  1. Jedes Land hat das Recht, sich zu verteidigen. Angriffskriege oder die Bedrohung fremder Staaten widersprechen aber klar dem Völkerrecht. Dieser wichtige Unterschied wird von den Fürsprechern militärischer Lösungen gern unterschlagen, es wird dann von „guten“ oder „schlechten“ Kriegen gesprochen. So sind die Versuche zu verstehen, die völkerrechtswidrigen Kriege in Afghanistan, dem Irak, Libyen oder andere Interventionen mit absurden Vergleichen (etwa dem Krieg der Alliierten gegen Hitler zu begründen.
  2. Das außergerichtliche Töten (von Zivilisten wie auch von feindlichen Soldaten) ist unvereinbar mit den Menschenrechten, denn das fundamentalste Menschenrecht ist das auf Leben. Deshalb versuchen die Befürworter von militärischen Aktionen, das Grauen des Krieges zu verschleiern und die allgemeine Rechtslosigkeit im Kriege zu vertuschen, zugleich  aber mittels des Krieges oder der Kriegsdrohung ihre eigenen Weltordnungspläne durchzusetzen.
  3. Das Militär braucht zu seiner Legitimation und die Rüstungsindustrie für neue Aufträge gefährlich anmutende Gegner, diese können in Ermanglung wirklicher Feinde auch als bloßes Zerrbild dämonisiert werden. Übertreibende, einseitige  oder lügnerische Bewertungen jedweder Konfliktpartei sind immer kriegsfördernd.
  4. Polizei und Militär haben unterschiedliche Funktionen. Eine rechtsstaatlich operierende Polizei hat die Aufgabe, die wahrscheinlichen Rechtsverletzer einem Richter zuzuführen, während das Militär den nationalistischen und imperialen Interessen dient. Die Verfechter des Militärs versuchen deshalb, diese Unterschiede von Militär und Polizei zu verwischen und das Militär als Friedensstifter im Konfliktfall anzubieten.
  5. Die Strategie des Militärs ist es, die Legitimation seiner kriegerischen Aktionen aus einer vermeintlichen moralischen Überlegenheit der  eigenen Ordnung herzuleiten. Das sind überkommene Gebräuche des Rassismus, des Kolonialismus und Imperialismus. Um den Gegner zu verteufeln, die eigene Seite aber moralisch zu erhöhen, ist es dabei üblich, für Freund und Feind unterschiedliche Maßstäbe anzulegen
  6. Die Ursachen und die Genese von Konflikten werden von den herrschenden Meinungsbildnern verfälscht und verkürzt dargestellt. Zum Beispiel in Bezug auf die strategischen Interessen Russlands und der USA auf der Krim. Und es ist absurd, dass unter dem Begriff „Terrorismus-Bekämpfung“ auch die Geburt von Al-Qaida wie auch die des „Islamischen Staates“ zählen, denn beide sind von den USA sowohl erschaffen als auch bekämpft worden.

Wir stellen fest, dass die gelenkte Öffentlichkeit (der Mainstream) in Deutschland bezüglich Krieg und Frieden nicht wahrheitsgemäß berichtet. Die Medien wirken durch ihre asymmetrische Berichterstattung und ihre allgemeine Parteinahme für den „Westen“ oder für die Aufrüstung konfliktfördernd und friedensgefährdend. Dafür stehen viele Fakten, hier nur zwei:

Die US-Militärausgaben sind 10mal, die der NATO insgesamt 16mal höher als die Russlands. Die seit 1990 geführten völkerrechtswidrigen Kriege mit ihren Millionen Toten, Verletzten und Vertriebenen  gehen fast ausschließlich auf das Konto des Westens, die ebenfalls völkerrechtswidrige Annexion der Krim forderte dagegen (fast) keine Menschenleben. In der Öffentlichkeit wird aber eine militärische Überlegenheit und Aggressivität Russlands behauptet.

Gegen diese und viele weitere Formen der Kriegspropaganda müssen die Friedensaktivisten das Kredo von Marcuse setzen: Die unideologische Suche nach der Wahrheit. Eine noch so begründete Sympathie für eine der Konfliktparteien darf niemals das aggressive Verhalten einer der Seiten fördern oder rechtfertigen. Die Parteinahme für den Frieden geht vor alle anderen Interessen.

Die Politik der USA, der europäischen Union, Russlands, Chinas und aller anderen Staaten beurteilen wir nach ihrer militärischen Überrüstung, ihrer oft fehlenden Kooperationsbereitschaft und ihrem aggressiven Handeln. Wenn wir aber kritisieren, so zuerst die Verantwortlichen in Deutschland, weil unsere Wirkmöglichkeiten hier am größten sind  und das Fingerzeigen auf andere meist dazu dient, von den eigenen Fehlern abzulenken.

Die Wahrheit ist der beste Weg zum Frieden. Pazifisten müssen Wahrheitssucher sein.  

Olaf Weber, Initiative „Welt ohne Waffen“ Weimar

Mit einem einzigen frischen Sprung 

Pazifismus ist eine Politik „for Future“

Wir befinden uns an einer Bruchstelle zur Zukunft. Im Laufe der Jahrmillionen haben die Menschen immer Natur zerstört, es gab auch immer Herrschaft und es gab immer Gewalt. Wenn sich aber skrupellose Gier solcher Mittel bedient, welche die gesamte Zivilisation gefährden, dann ist das verantwortungslose Besessenheit. Der lang unwidersprochene Grundsatz, dass Kriege einen quasi natürlichen Zustand darstellen, kann nicht mehr gelten.

Wir gefährden unsere Zukunft durch irreversible Eingriffe in die Natur und unbeherrschbare Technologien. Wir zerstören zweitens mit der Kluft zwischen einem unverschämten Reichtum und einer erbärmlichen Armut die sozialen und kulturellen Grundlagen der globalen Zivilisation. Und schließlich stehen die modernen autonomen und atomaren Waffen bereit, alles höhere Leben auf der Erde zu vernichten. Wir sind damit beschäftigt, uns dreifach aufzugeben.

Es wird eine harte Zäsur. Wir überschreiten gerade den Rubikon eines vernunftgeleiteten Tuns. Das Limit ist dreimal erreicht, die Grenzen der geschundenen Ökosysteme, der sozialen Verwerfungen und der militärischen Aufrüstung sind überschritten. Es kann uns nur noch eine Umkehr retten: Rücknahme der globalen Erwärmung, der sozialen Erkaltung und der militärischen Überhitzung.

Der Klimawandel und das Artensterben haben es inzwischen bis in die Schlagzeilen der Medien geschafft. Über die anderen Themen, eine Umverteilung des Reichtums und eine substantielle militärische Abrüstung, wird aus naheliegenden Gründen viel geschwiegen. Carl von Ossietzkys Satz hat nichts an Aktualität verloren: „Der Krieg ist ein besseres Geschäft als der Friede“.

Die schweren ökologischen und sozialen Probleme begünstigen militärische Konflikte, wie umgekehrt das Militär und der Krieg die ökologischen und sozialen Probleme verschärfen. Man kann feststellen, dass Gesellschaften, die unter Friedlosigkeit leiden, auch nach außen eine riskante Sicherheitslogik vertreten, die von Feindbildern, Abschreckung, Eskalation und der Durchsetzung eigener Interessen geprägt ist.

Der Zeitpunkt einer wahrscheinlichen Klimakatastrophe kann wissenschaftlich eingekreist werden und der Moment, an dem eine soziale Lawine losbricht, kündigt sich über längere Zeiträume an. Eine atomare Katastrophe aber kann sofort und völlig überraschend über uns hereinbrechen, denn die atomare Uhr steht bei drei vor Zwölf. Der Krieg ist also die unmittelbarste und verheerendste Gefahr.

Bereits am ersten Tag eines Krieges stürzt die Zivilisation in den höllischen Abgrund. Der Krieg setzt die meisten Grundrechte und vor allem das Recht auf körperliche Unversehrtheit und Leben außer Kraft. Krieg ist das größte Verbrechen und die größte Gesetzlosigkeit, Krieg und Menschenrechte sind gegensätzliche Begriffe. Krieg ist staatlich organisierter Terror. Auch die Vorbereitung zu einem Verbrechen ist strafbar, auch Aufrüstung ist ein Verbrechen.

Es liegt im Wesen  des Militärs, dass Unschuldige getötet werden, denen keine individuelle Schuld nachgewiesen wird und dass nicht mal der Versuch eines solchen Nachweises unternommen werden kann. Das Militär schießt auf Uniformen, doch die Kugeln treffen die meist unschuldigen Menschen, welche darin stecken. Eine solche Hinnahme außergerichtlichen Tötens ist völlig unakzeptabel. Hinzu kommen die sogenannten Kollateralschäden, dass sind die ganz normalen Morde, denn 90 Prozent aller Menschen, die in bewaffneten Konflikten seit 1945 ihr Leben verloren haben, waren Zivilisten. Militär gehört abgeschafft, Soldat ist kein Beruf für Menschen.

Die heuchlerisch betriebene „menschenrechtsbasierte Außenpolitik“ hat sich in den meisten Fällen als militärische Interventionsstrategie zugunsten des Hegemon erwiesen und steht der Absicht entgegen, Demokratie und Freiheit wirklich zu befördern. „Humanismus“ als Kriegsgrund schwächt die offene Gesellschaft sowohl bei den Kriegsführenden als auch bei den Leidenden. Krieg hemmt somit auch die Selbstheilungskräfte eines jeden Volkes. Er ist heute ein imperiales Projekt, bei welchem der sogenannte Weltpolizist nach Gutdünken in fremde Gärten einsteigt und darin wildert.

Zur Zeit treibt alles auseinander: die Religionen, die politischen Feindbilder, die ökonomischen und geopolitischen Interessen. Und es steigen: die Rechtsverletzungen, die Kriegstoten und Vertriebenen, die Militärausgaben und die Kriegspropaganda. Und es sinken: das Vertrauen und die Sicherheit.

In Zeiten, in denen Verstand und Verantwortung regieren würden, könnte die Kriegsgefahr mit einigen als selbstverständlich erscheinenden Maßnahmen verringert werden: 1. Durch eine Reduzierung der Kriegsgründe, also eine Angleichung der Lebensstandards und die  Verminderung wirtschaftlicher Ungleichheiten, 2. durch internationale Verträge entlang des Völkerrechts sowie vertrauensbildende Maßnahmen und 3. durch eine technische Unfähigkeit zum Krieg, also durch Abrüstung.

Aber die Kriegstreiber aller Länder entwickeln viel Phantasie bei der Schaffung von Konflikten und Feindbildern. Die Aufrüstung im eigenen Land wird stets mit der Überrüstung woanders begründet, aber dort gibt es dieselben Scheinargumente, nur in die andere Richtung. Diesen Profiteuren des Krieges, die einem eisigen Machtkartell angehören, ohne sich verabredet zu haben, ist es gelungen, eine große und weltweite Bewegung für Abrüstung und Frieden zu verhindern. Aber die meisten Zivilisten wünschen nicht nur sich, sondern auch dem Nachbarn keinen Krieg. Wenn wir Demokratie hätten, würden die Waffen schweigen. Wenn die Macht vom Volke ausginge, wie es im Grundgesetz steht, würde ab- statt aufgerüstet werden.

Kriege beginnen immer mit den gemeinsten Lügen. „Seit 5:45 Uhr wird zurückgeschossen.“ Dieser Satz ist auch heute für alle Militaristen das bewährte Muster. Sie schießen immer nur zurück – aber schon vorher. Geheimdienste und Kriegsgewinnler werden nicht müde darin, immer neue Varianten dieses Tricks zu erfinden. Sie müssen weiter lügen, um den Friedenswillen der Menschen zu brechen. In den Kriegsministerien aller Länder sind Tausende von PR-Managern beschäftigt. Sie verengen das Denken zu einem schmalen Meinungskorridor, in dem das Sicherheitsbedürfnis der Nachbarn ausgeblendet wird. Übrig bleiben die Hetzbilder der feindlichen „Monster“, die schon wegen ihrer „Hässlichkeit“ zum Abschuss freigegeben werden müssen.

Die Umfragen in Deutschland zeigen, dass nach Meinung der Bevölkerung die Sicherheit nicht durch weitere Aufrüstung, sondern durch Abrüstung und Entspannung zu gewinnen sei (vgl. Ergänzung 4). Es ist anzunehmen, dass ähnliche Ergebnisse auch bei Umfragen in anderen Ländern der Welt zu beobachten sind. Die Bundesregierung und (fast) alle anderen Staaten dieser Welt betreiben aber eine entgegengesetzte Politik: Sie setzen weiter auf Feindbilder und Aufrüstung. Es  macht den Anschein, dass sich das Friedensbedürfnis der Menschen nirgends, also in keiner Diktatur und in keiner Demokratie, durchsetzen kann. Es scheinen andere Kräfte zu wirken.

Gegen die nationalistischen Kriege gibt es ein Rezept. Es muss endlich die weltweite Unmündigkeit überall, in Bangladesch wie in Deutschland, in Tansania wie in China und den USA, überwunden werden. Friedfertigkeit und Abrüstung werden nur als ein großes kreatives Fest gelingen, wenn es von den Völkern selbst organisiert wird. Die Befreiung vom Militär ist eine wirkliche Emanzipation: Sie kann gewaltige solidarische Kräfte freisetzen und befreit letztlich auch die Soldaten von ihrem schmutzigen Handwerk.

Wir müssen es tun: Auf einem langen Weg zum Pazifismus …


Ergänzung 1: Das Reichtumsgefälle

In Russland besaßen im vergangenen Jahr die reichsten drei Prozent fast 90 Prozent des gesamten Geldvermögens. Acht von zehn Familien hatten dagegen Probleme, die aus ihrer Sicht nötige Mindestmenge an Produkten zu kaufen. Die drastische Ungleichheit in dem Land ist ein riesiges Hemmnis für die Entwicklung von Wirtschaft und Demokratie. Die Oligarchen und Superreichen sind allerdings das Produkt einer Freundschaft von Boris Jelzin mit Helmut Kohl. Den Neoliberalismus haben die Russen importiert. Das Vermögen in Deutschland ist ebenfalls sehr ungleich verteilt, das sagen offizielle Statistiken. (1) 45 Deutsche besitzen so viel wie die ärmere Hälfte der Bevölkerung. Über viele Jahre verfehlt Deutschland die UNO-Ziele zur Reduktion der Einkommensungleichheit, den Gini-Koeffizient. Und die meisten Milliardäre leben mittlerweile neben den USA in China.

Auch bei den Wirtschaftsbossen gibt es Bedenken über die negativen Auswirkungen dieses Reichtumsgefälles. Der milliardenschwere Gründer der größten Hedgefonds-Gesellschaft Ray Dalio schreibt in einer Streitschrift: „Der Kapitalismus sei der beste denkbare Motivator, funktioniere aber für die Mehrheit in Amerika nicht mehr.“ Als Investor sehe er, dass „das Geld sich an der Spitze staut“ – zu viel für die wenigen, zu wenig für die vielen. Dalio schreibt von „sich selbst verstärkenden Spiralen: aufwärts für die Besitzenden, abwärts für die Besitzlosen“. Das sprenge „nicht nur den sozialen Zusammenhalt, sondern wirke auf Dauer auch unproduktiv“. Er befürchtet, dass in den kommenden Jahren keine Koalition zwischen „Kapitalisten und Sozialisten“ gelinge, um gerechtes Wachstum zu sichern, „sodass irgendeine Art von Revolution kommen wird, die praktisch jedem schadet“. (2)


Ergänzung 2: Das Verschwinden des Völkerrechts

Jede Regierung sollte nur die Wirkmächtigkeit über dasjenige Volk besitzen, vom dem sie gewählt wurde. Die Iraker, die Afghanen, die Libyer oder die Syrier haben nicht den US-amerikanischen Präsidenten gewählt und er ist von diesen nicht legitimiert worden, sich in ihre Angelegenheiten einzumischen, am wenigsten militärisch. Das Völkerrecht erlaubt keine aggressiven Akte gegen andere Staaten. Wenn überall die gleichen Maßstäbe angelegt würden, so würde sich zeigen: Die Wahrheit steht auf der Seite des Friedens. Das heißt auch, die Annexion der Krim durch Russland und die der palästinensischen und syrischen Gebiete durch Israel sind vergleichbar, aber nicht gleichwertig.

Der wichtigste pazifistische Maßstab ist die schauerliche Zahl der Toten, Verwundeten und Vertriebenen eines Krieges, also das reale Grauen. Die Millionen Kriegsopfer der letzten 30 Jahre können mit Recht der unipolaren Weltordnung angelastet werden. Und diese Feststellung ist keineswegs Antiamerikanismus, sondern ein wichtiger Erkenntnisschlüssel zum Frieden. Nach dem Untergang des Ostblocks ist keine regelbasierte Welt von Gleichen entstanden, statt dessen haben die USA und die NATO immer dreister ihre Macht zur Durchsetzung eigener Interessen genutzt. Sie haben das Völkerrecht am meisten gebrochen.

Aus friedenspolitischer Sicht ist es ungerechtfertigt, dass der Westen eine moralische Überlegenheit für sich beansprucht. Das zeigt sich auch an Details, zum Beispiel an der entwürdigenden Weise, wie mit gefängnisinsassen umgegangen wird, oder an der Tötung des gebrechlichen Osama bin Laden, der von fünf schwerbewaffneten und mit kugelsicheren Westen geschützten US-Soldaten nicht gefangen genommen und einem Gericht zugeführt, sondern erschossen wurde (2011). Dem Märchen von der moralischen Überlegenheit widerspricht aber vor allem die Tatsache, dass die derzeitigen Hauptfeinde der USA , nämlich China und der Iran, die letzten 200 Jahre unter ausländischen Mächten zu leiden gehabt und selber, im Gegensatz zu den USA, keine Angriffskriege geführt haben.

Jimmy Carter, der einzige US-Präsident, unter dem die Vereinigten Staaten keinen Krieg geführt haben, hat die Kriegslust seines Landes kürzlich scharf kritisiert. Die USA könnten sich laut Carter an China ein Beispiel nehmen. Die USA seien das kriegerischste Land der Welt, sagte Carter in seiner Sonntagsschule in der Maranatha Baptist Church im US-Bundesstaat Georgia. Trump sei derzeit darüber besorgt, dass China die USA wirtschaftlich überholen könnte. „Ich habe das Verhältnis zu China 1979 normalisiert. Wissen Sie, wie oft China seit 1979 Krieg gegen jemanden geführt hat? Niemals! Und wir sind im Krieg geblieben“, so der ehemalige demokratische Staatschef. In den 242 Jahren ihres Bestehens als Staat hätten die USA lediglich 16 Jahre lang keinen Krieg geführt, betonte Carter. Dass die USA das kriegsfreudigste Land seien, sei die Folge des US-Drucks auf andere Staaten, amerikanische Prinzipien zu übernehmen. Die lange Friedenszeit habe es China erlaubt, sein Wirtschaftswachstum voranzutreiben. „Wie viele Meilen Schnellverkehrsbahn haben wir in diesem Land?“ fragte Carter. China habe etwa 29.000 Kilometer Schnellverkehrsbahn, während Washington etwa drei Billionen US-Dollar fürs Militär ausgegeben habe. (3) Es ist offensichtlich so, dass die Kosten sich eminent verteuern, wenn sich ein Land statt auf seinem eigenen Territorium auf einen weit entfernten und auf Kosten anderer Völker, zum Beispiel am Hindukusch, verteidigen will.


Ergänzung 3: Die Militärausgaben und Kriegskosten in schwindliger Höhe

Für den völkerrechtswidrigen Irak-Krieg, dem Sündenfall im Nahen Osten, hatte die US-Administration 50-60 Mrd. Dollar kalkuliert. Doch am Ende dürften sich die Gesamtkosten auf drei Billionen Dollar allein für die USA summieren. Die Kosten der anderen Kriegsteilnehmer sowie des Irak sind da noch nicht mitgerechnet, geschweige denn die darauf folgende Destabilisierung Syriens und des ganzen Nahen Ostens. Eine kaum glaubliche Summe. Doch das ist längst nicht alles. Das Watson Institute for International and Public Affairs zeigt in seinem Projekt Costs of War, dass seit 9/11 die Ausgaben für den Krieg gegen den Terror sich auf eine noch weit höhere Summe belaufen: fast sechs Billionen US-Dollar. (4)

Das Stockholmer Friedensforschungsinstitut SIPRI hat kürzlich seinen jährlichen Bericht zu den Militärausgaben 2018 weltweit veröffentlicht. Unangefochten auf Platz 1 stehen die USA mit 649 Mrd. Dollar, das liegt nur knapp unter der Summe der Militärausgaben der acht darauffolgenden Länder zusammen. Auf Platz 2 steht China mit 250 Mrd. Dollar. Dann folgen Saudi-Arabien (67,6 Mrd. Dollar) und Indien (66,5 Mrd. Dollar). 63,8 Mrd. Dollar gab Frankreich im vergangenen Jahr für sein Militär aus und steht damit vor Russland (61,4 Mrd. Dollar). Mit 50 Mrd. Dollar Rüstungsausgaben steht Großbritannien nach Russland auf Platz 7. Deutschland überholte mit einem Anstieg um 1,8 Prozent auf 49,5 Mrd. Dollar Japan und liegt damit nun an weltweit achter Stelle. (5)


Ergänzung 4: Des Volkes Stimme fordert: Demokratie

In einer (nicht repräsentativen) Blitz-Umfrage der Initiative „Welt ohne Waffen“ anlässlich der „Woche der Demokratie“ im Deutschen Nationaltheater Weimar gab es am 09.02.2019  bemerkenswerte Antworten von Kulturinteressierten auf folgende Fragen:

Sehen Sie gegenwärtig eine militärische Bedrohung Deutschlands?
90 %   nein          10 %   ja         

Sind Sie für die Erhöhung oder für die Verringerung der Militärausgaben?
12 %   Erhöhung          88 %   Verringerung

Soll Deutschland den UN-Atomwaffen-Verbotsvertrag jetzt unterzeichnen?
97 %   ja          3 %   nein

Befürworten Sie den Austritt Deutschlands aus der NATO?
44 %   ja          56 %   nein

Können Sie sich eine stufenweise Auflösung des Militärs vorstellen, wenn alle Staaten mitmachen?
88 %   ja          12 %   nein

Ähnliche Ergebnisse sind auch bei anderen deutschlandweiten Umfragen zu verzeichnen. Die Friedensnobelpreisträgerin ICAN (Internationale Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen) berichtet unter Berufung auf eine von ihr in Auftrag gegebene repräsentative Umfrage, dass sich für die Entfernung der US-Atomwaffen aus Deutschland eine deutliche Mehrheit von 67 Prozent der Bundesbürger aussprechen. Außerdem fordern 68 Prozent der Befragten die Bundesregierung auf, den UN-Atomwaffenverbotsvertrag zu unterzeichnen. (6)

Die öffentliche Meinung ist also längst friedensbewegt. Noch eine Umfrage: Es  halten 82 Prozent der Menschen in Deutschland Friedensförderung für „lebensnotwendig“, 70 Prozent fordern höhere Investitionen zu diesem Zweck. (7)


Quellen: 

(1) Russlands Reichtum – in den Händen weniger, Oxi, 12.04.2019.

(2) Arvid Kaiser, Wall-Street-Milliardäre rufen nach der Sozialdemokratie, manager magazin, 09.04.2019.

(3) Ex-Präsident Jimmy Carter nennt USA das kriegerischste Land der Welt, Sputnik, 20.04.2019.

(4) Ulrich Teusch, Privatisierung der amerikanischen Kriege, Telepolis, 03.04.2019.

(5) Russland investiert weniger ins Militär als Frankreich, Ostexperte, 30.04.2019.

(6) https://www.icanw.de/wp-content/uploads/2019/04/2019-04_YouGov-Ergebnisse_de.pdf

(7) Philipp Rotmann und Sarah Brockmeier, Die Friedensbewegung hat sich verirrt, taz, 25.03.2019.

Prof. Dr. Olaf Weber

Initiative „Welt ohne Waffen“ Weimar

“Solidarität, Nächsten- und Feindesliebe sind überlebenswichtig für die Menschheit“

25aus der Thüringer Landeszeitung vom 25.07.2017, ein Interview mit Prof. Dr. Olaf Weber von Gerlinde Sommer

Professor Weber aus Weimar will mit seiner Initiative erreichen, dass zum 1. Januar 2050 eine Welt ohne Waffen und Frieden für alle möglich wird

Olaf Weber, Jahrgang 1943 und gebürtiger Dresdner, setzt sich für Frieden ein. Der vormalige Professor für Ästhetik an der Bauhaus-Universität Weimar beschäftigt sich seit seinem Ruhestand ab 2009 zunehmend mit pazifistischen Argumenten. 2013 gründete er in Weimar „Welt ohne Waffen“. Jetzt legt er mit dieser Initiative den „Weimarer Friedensappell 2017“ vor.

Wer genau steht hinter diesem Appell, Professor Weber?

Die Initiative „Welt ohne Waffen“ aus Weimar. Sie ist eine Partei-unabhängige Diskussions- und Aktionsgruppe zur Förderung des Friedensgedankens.

Warum sammeln Sie keine Unterschriften?

Wir haben darauf verzichtet, Unterstützerlisten zu sammeln, weil wir kein kurzfristiges politisches Ziel verfolgen. Der Friedensappell will aufklärend wirken, er ist deshalb vor allem ein Aufruf, den Frieden wieder denken zu lernen.

Wie wollen Sie Bürger, Politiker und vor allem Unternehmer, die am Krieg verdienen, für Ihren Appell gewinnen?

Deutschlandweit sprechen wir die Bürger und Politiker durch die Medien und durch soziale Netzwerke an. In Weimar verteilen wir unsere kleine illustrierte Broschüre mit dem Titel „Abrüstung jetzt“. Wir drucken sie schon in zweiter Auflage. Zwischen der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung und den meisten Politikern herrscht eine Kluft. Viele Menschen erleben mit Unverständnis und Wut die Welle einer neuen Aufrüstung. An den Politikern wäre es, nun endlich von der Konfrontation auf Kooperation umzuschalten und Sicherheit nicht durch Aufrüstung, sondern durch weltweite und kontrollierte Abrüstung und friedliche Mittel der Konfliktbewältigung zu schaffen. Die Rüstungsindustrie werden wir mit unseren Argumenten sicher nicht erreichen.

Frieden ist mehr als die Abwesenheit von Krieg. Was kennzeichnet Frieden? 

Das Schweigen der Waffen in Kriegsgebieten, die Reduzierung der Waffenexporte und das Abschmelzen der Atomwaffen wäre schon der halbe Frieden. Der ganze Frieden ist noch eine Utopie, aber eine solche, die nach unserer Meinung in 30 bis 40 Jahren erreichbar wäre. Nur Diktatoren brauchen das Militär zur Machterhaltung nach innen – und nach außen brauchen es nationalistische Regierungen zur Absicherung von Rohstoffen und Märkten. Alle anderen würden auf Militär gut verzichten können. Auch für die Abwehr von Terroristen sind Panzer und Kriegsschiffe völlig ungeeignet.

Wollen Sie das Schlaraffenland?

Frieden ist ein lebendiger Zustand des solidarischen Miteinander, zu ihm gehören auch Widersprüche und Konflikte, in gewisser Weise sogar Gewalt – und deshalb auch eine Polizei, welche vermeintliche Kriminelle und Terroristen vor Gericht ziehen kann. Selbst wenn der Frieden kein Schlaraffenland wäre, können wir uns aber angesichts der Schrecklichkeit der heutigen Waffen und der riesigen Probleme, die zu bewältigen sind, keinen Krieg mehr leisten.

Wie schätzen Sie die aktuelle Situation ein?

Die ersten Kriege im noch jungen 21. Jahrhundert hatten bereits über 1 Million Tote und die Destabilisierung ganzer Regionen zur Folge. Die militärischen oder geheimdienstlichen Interventionen in Afghanistan, dem Irak, Libyen, Syrien, der Ukraine u.a. fanden keineswegs im Auftrag der jeweiligen Völker statt. Sie schadeten massiv deren Gemeinwohl, lähmten deren Selbstheilungskräfte und reduzierten Entwicklungsmöglichkeiten. Nun kommen die Kriege in Form von Terrorismus zu den Interventionsmächten zurück. Die gegenwärtige Entwicklung lässt erwarten, dass die nächsten Kriege in den Hinterzimmern der Macht schon vorbereitet werden. Es ist für die Friedensbewegung nicht ausreichend, den militärischen Katastrophen nachzulaufen und dabei immer nur das schlimmste Leid lindern zu können.

Was müsste getan werden?

Besser als Nothilfen wäre eine starke Krisenprävention. Wir richten deshalb den Blick auf eine weltweite Friedenspolitik, in deren Zentrum keine gewaltsamen Interventionen und auch kein militärischer Schutz, sondern zivile Sicherheitsstrukturen und eine Vertrauen stiftende, weltweite Abrüstung stehen. Wir fordern von allen Regierungen das Menschenrecht auf Frieden zu achten.

Es klingt utopisch, wenn Sie eine weltweite Demilitarisierung fordern…

Aber die Hinwendung zum Frieden ist sofort und überall machbar. Wir brauchen eine politische Kehrtwende von der weiteren Zuspitzung der Krisen zu ihrer Entspannung, von der Konfrontation zur Kooperation und von der weiteren Aufrüstung zur kontinuierlichen und vollständigen Abrüstung. Nur eine solche „pazifistische Revolution“ macht auch kleine Abrüstungsschritte glaubwürdig. Selbstverständlich wird es den allgemeinen Frieden nicht schon morgen geben. Aber die vollständige und globale Demilitarisierung sollte ähnlich dem deutschen Atomausstieg mit einem Zieldatum verbunden werden. Wir halten es für möglich, dass zur Jahrhundertmitte der weltweite Abrüstungsprozess abgeschlossen sein kann, so dass der 1. 1. 2050 als erster Tag einer militärfreien Welt gelten könnte.

Was genau verbirgt sich hinter der Demilitarisierung?

Die Abschaffung aller Waffen und anderen Vorhaltungen zum Kriege, die Auflösung der militärischen Verbände und Kriegsministerien ist nur die äußere Seite der Demilitarisierung. Der Frieden beginnt im Kopf, er beginnt als Befreiung von konstruierten Feindbildern. In unser Denken und Fühlen, in unsere Sprache und Kultur hat sich Gewalt in verschiedenen Formen eingenistet. Wir sollten sie zusammen mit den Rüstungen und Waffen ablegen. Eine Kultur des Friedens, eine neue Streitkultur und Friedenslogik sind nötig. Abrüstung ist eingebettet in den Umbau unserer Weltordnung zu einem universellen Humanismus. Zum friedlichen Leben gehört eine neue Art des globalen Wirtschaftens, Verteilens und Lebens, die von einer ökologischen und sozialen Verantwortung getragen wird.

Gehen Sie und Ihre Mitstreiten davon aus, dass der Mensch im Kern kein Krieger sein will?

Der Krieg ist kein Naturzustand. Die Menschen sind immer zum Kriege getrieben oder verführt worden, immer aber wurden sie betrogen. Unsere Visionen bilden nur eine Hoffnung zum Frieden, sie sind noch nicht der reale Weg. Wir wissen aber, dass Frieden auch ein innerer Zustand des Menschen ist, der durch das Bestreben nach Ausgleich und Würde zu friedlichem Verhalten befähigt. Empathie, Solidarität  und Vertrauen, Nächsten- und Feindesliebe sind nicht nur friedensstiftende Fähigkeiten des Menschen, sie sind auch lebenswichtig, sie tun einfach gut.

Wer den Friedensappell unterstützen will, kann eine Mail schreiben an: kontakt@weltohnewaffen.de

Lesen Sie den kompletten Aufruf der Initiative unter www.tlz.de/friedensappell

Rede zur Eröffnung der Kampagne „Abrüstung Jetzt“

Rede zur Eröffnung der Kampagne „Abrüstung Jetzt“ in der Ausstellung Bertha von Suttner am 08.05.2017 im Hauptbahnhof Weimar

Eine wirklich gute Idee erkennt man daran, dass ihre Verwirklichung von vornherein ausgeschlossen erscheint. – Albert Einstein

Und wir haben eine wirklich gute Idee, das ist die Idee von einer Welt ohne Krieg. Diese Idee ist nicht neu, sie ist wahrscheinlich so alt wie der Schrecken der Kriege selbst. Und es gibt große Vorbilder wie unsere wunderbare Ausstellung über Bertha von Suttner zeigt. Aber die Menschheit hat sich in  einer Art geistiger Trägheit (oder Fremdbestimmung) daran gewöhnt, dass es Kriege gibt und geben wird. Jeder Mann und jede Frau hofft aber darauf, dass sie woanders stattfinden.

Gerade in diesen Wochen und Monaten brauen sich die Wolken neuer Konflikte zusammen und hören wir von neuen gewaltigen Rüstungsprojekten. Und  jede einzelne militärische Intervention und jeder einzelne Aufrüstungsschritt bringt nicht ein mehr, sondern ein weniger an Sicherheit und Frieden. Wir sind davon überzeugt, dass das Militär abgeschafft werden muss. Denn es wird Kriege geben, solange es Militär gibt.

Sorgen wir nicht nur für weltweite Abrüstung in den Kasernen und Arsenalen, sondern auch für die Abrüstung in unseren Köpfen, denn dort hat sich Militärisches in vielen Formen eingenistet. Wir haben wenig Kompetenz zum Handeln, aber wir haben die Kompetenz, Abrüstung und Frieden zu denken.  So können wir uns wenigstens geistig befreien – als Vorausleistung für wirkliche Abrüstung und Frieden.

Auf nur wenigen Seiten geben wir in unserem Friedensappell diese Denkanstöße. In der Vergangenheit sind kleine Abrüstungsschritte immer wieder durch neue Rüstungen vernichtet worden. Wir setzen deshalb aufs Ganze. Wir wollen die vollständige weltweite kontrollierte und kreative Abrüstung. Wir setzen ein Datum: Bis zur Jahrhundertmitte kann die Welt militärfrei sein. Der 1. Januar 2050 wäre dann der erste Tag eines globalen Friedens.

Wir bieten einen Aktionsplan, der die ungeheure Komplexität des Demilitarisierungsprozesses ahnen lässt. Unter 7 Kapiteln sind über 30 Stichpunkte aufgelistet. Die vielfältigen Probleme sollten uns aber nicht erschrecken, sondern ermutigen, an irgend einer Stelle anzufangen. Wahrscheinlich können selbst die kleinsten Teile dieses Planes nur unter enormen Aufwand durchgesetzt werden. Denken wir nur an ein solches Vorhaben wie, „Frieden als Schulfach“ in deutschen Schulen einzuführen.

Verehrte Damen und Herren, liebe Anwesende, nehmen Sie unsere kleine Anleitung zum Frieden mit. Helfen Sie dabei, das Militär loszuwerden. Schließen Sie sich uns an, Unterschreiben Sie den Weimarer Friedensappell.

Beginnen wir endlich mit Abrüstung und zwar: Jetzt!

Olaf Weber

Dringlicher Strategiewechsel in Syrien

3Der Westen hat  im vorderen Orient die falschen Bündnispartner. Nach dem Irak-Krieg arbeitet die US-Regierung seit 2009 daran, auch in Syrien die Regierung auszuwechseln (1). Aber „regime change“ ist völkerrechtswidrig und die Auswahl der missliebigen Regierungen erfolgte vom Standpunkt der Menschenrechte willkürlich, aus geopolitischen, also wirtschaftlichen Gründen aber sehr zielgerichtet. So kam es, dass nicht das feudalistische Saudi-Arabien und die Öl-Emirate, sondern das laizistische Syrien mit einem entwickelten Mittelstand, gutem Bildungs- und Gesundheitswesen in das Visier der Geheimdienste und Militärstrategen geriet.

Die harte Hand des Assad-Regimes, die sich nicht nur gegen Islamisten richtete und die angedeuteten Interessen anderer Staaten führten in Syrien zu einem schrecklichen Krieg, der unmöglich den Interessen des syrischen Volkes entsprechen konnte. Doch Bürgerkriege beginnen oft versteckt und langsam, Gewalt entwickelt sich in Eskalationsspiralen.  Die Waffen sind zunächst unsichtbar, Gewehre, Maschinenpistolen, Panzer und Flugzeuge sind die Stationen zu mörderischen Kriegen. Am Ende sind ganze Städte ausgelöscht, Hunderttausende gestorben und Millionen vertrieben.

Der Kampf um Aleppo war hoffentlich das Ende der Falschheit. Alle beteiligten Mächte (Russen, Iraner, Türken, Saudis, US-Amerikaner, Europäer, Deutsche . . .), die ihre Interessen am syrischen Volke abgearbeitet haben, sollten ihre Politik neu ausrichten. Wir brauchen einen doppelten Strategiewandel in der internationalen Syrien-Politik.

  1. Der Wechsel der politischen Strategie vom Feindbild Assad zur Bekämpfung des Islamismus.

Die Bundesregierung sollte nicht mehr einen Regierungssturz in Syrien anstreben, sondern ein koordiniertes Vorgehen der USA und Russlands unterstützen, um den Einfluss aller islamistischen Gruppierungen, die inzwischen 90 Prozent der militärischen Gegner Assads ausmachen,  zurückzudrängen. Deutschland sollte eine massive Entwicklungspolitik für Syrien mit seiner ambitionierten Flüchtlingshilfe von 2015/16 verbinden. Syrien, Deutschland  und die Flüchtlinge brauchen gleichermaßen diese Perspektive.

  1. Der Wechsel von militärischen Strategien zur zivilen Konfliktbearbeitung.

Der Kampf gegen die Islamisten sollte vorrangig nicht-militärisch geführt werden. Die militärischen Strategien gegen Terroristen haben sich als unbrauchbar erwiesen, es ist wirksamer und nachhaltiger, sie mit politischen, wirtschaftlichen, kulturellen und sozialen Interventionen zu bekämpfen. Syrien könnte zu einem Exempel friedlicher Konfliktbewältigung und Nachsorge werden. Es gibt ein großes und ungenutztes Arsenal von Mitteln des Peacekeeping, das auch unter Bedingungen aggressiver Ideologien wirksam sein kann (2). Versöhnungskonferenzen, so schwer sie sein werden, müssen den Vorzug vor Kriegsverbrecherprozessen, die auch nötig sind, haben.

Syrien hat das Potential, den Wiederaufbau seiner Städte mit dem Modell eines gelingenden Friedens nach innen und außen zu verbinden. Ob es genutzt wird, liegt zur Zeit weniger an den Syriern als an der übrigen Welt.

Olaf Weber

Initiative „Welt ohne Waffen“ Weimar

www.weltohnewaffen.de

 

(1) siehe: Robert F. Kennedy, Jr. vom 23.02.2016 in „politico.eu“
Quelle: http://www.nachdenkseiten.de/?p=32213

(2) FRIEDENSPLAN FÜR SYRIEN: EINE ARGUMENTATIONSHILFE. Bund für soziale Verteidigung (BSV)
Quelle: http://bit.ly/2gJ1YW3

Eine Welt ohne Militär ist möglich!

Der Erfinder des Dynamits Alfred Nobel sprach nach dem Friedenskongress 1892 in Bern zu seiner Freundin, der Friedensaktivistin Baronin Berta von Suttner: „Meine Fabriken werden vielleicht dem Krieg noch früher ein Ende machen als Ihre Kongresse. An dem Tag, da zwei Armeekorps sich gegenseitig in einer Sekunde werden vernichten können, werden wohl alle zivilisierten Nationen zurückschaudern und ihre Truppen verabschieden.“ Leider hatte er Unrecht: Die „zivilisierten“ Nationen sind nicht erschaudert, das Militär wurde nicht verabschiedet. Trotz der Atomwaffen, der Raketen, Kampfbomber und Drohnen ist der trügerische Glaube an die Abschreckungskraft von Rüstung noch immer intakt. Und das, obwohl der moderne Krieg die Grenzen des Ethischen längst überschritten hat und die Geschichte zeigt, dass Militär die Sicherheit nicht erhöht, sondern vermindert. – Mit diesen Worten leitete kürzlich Olaf Weber einen Beitrag über die von Ihm begründete Initiative „Welt ohne Waffen“ aus Weimar ein. Mit ihm sprach Jens Wernicke.

Herr Weber, wenn Sie eine „Welt ohne Waffen“ fordern, ist das sicher vielen sympathisch, wird manchen jedoch gleichwohl illusorisch erscheinen: Wir sind doch alle bedroht und permanent „in Gefahr“ – durch Russland, den Terror und so vieles mehr… Und in dieser Situation fordern Sie, die Waffen niederzulegen?

Jede Waffe gerät in die falschen Hände, weil sie zum Zwecke des Tötens angefasst wird. Die Gefahr geht nicht von Russland, nicht von der Türkei oder den USA aus, sondern vom Militär. DAS Militär und das militärische Denken haben sich in Eintracht mit anderen konfliktfreudigen Kräften selbst ermächtigt, obwohl sie gegenüber dem sozialen, kulturellen und ökologischen Zustand der Gesellschaft nur Negativbilanzen aufzuweisen haben. Auch in der Außenpolitik gilt eine angebotene Hilfe als konterminiert, sobald das Militär einbezogen wird.
Militär existiert nur im Widerschein eines anderen Militärs, lebt aber auf Kosten der Zivilgesellschaft. Die militärischen Eliten gehören ein und derselben Clique an, teilen aber des Krieges wegen die immer gleichen Soldaten in Freunde und Feinde. Die eigentliche Front befindet sich also nicht zwischen den Völkern, sondern zwischen dem Militär und den Machtpolitikern einerseits und der zivil Gesellschaft andererseits – und das über den ganzen Globus hinweg.
Und es hat sich gezeigt, dass man das Militär nicht wirklich einhegen kann. Es reduziert allein durch seine Existenz den Willen zu energischen diplomatischen Lösungen, es zermürbt den Frieden. Das ist einer der Gründe, weshalb Militär nicht mehr ins 21. Jahrhundert passt. Es ist atavistisch, gehört abgeschafft.

Aber bei all den „humanitären Katastrophen“ weltweit – da müssen wir, muss Deutschland doch, wie es so schön heißt, „Verantwortung übernehmen“… Oder etwa nicht?

Verantwortung heißt, die Menschenrechtspolitik mit dem Frieden zu verbinden. Akute Bedrohungen durch internationale Verbrecherbanden könnten durch eine starke UN-Menschenrechtspolizei aufgelöst werden. Dabei könnten Verdächtige mit Hilfe von nicht-tod-bringenden Waffen einem Gericht zugeführt werden – so, wie es in zivilisierten Gesellschaften üblich ist.
Es ist anzunehmen, dass es solche kriminellen Akte auch künftig geben wird. Sie bleiben aber unterhalb der Schwelle von Kriegen, wenn sie nicht durch militärische Handlungen wie Waffenlieferungen oder Interventionen befeuert werden.
Aus den Diktaturen Iraks, Saudi-Arabiens, Syriens, Jordaniens und anderen sind immer Menschen geflohen, ich kenne seit Jahrzehnten mehrere davon. Aber das war noch kein Krieg. Der völkerrechtswidrige Krieg der USA gegen den Irak war dann der Urknall für die Destabilisierung der ganzen Region. Als Hauptschuldiger dieser Menschheitskatastrophe wird sicher ein Name in die Geschichtsbücher eingehen: Georg W. Bush. Und die britischen und die französische Regierung wollten in Libyen an Dummheit und Arroganz nicht nachstehen. Die Entstehung von Al Qaida, ISIS und anderen gewalttätigen Organisationen war zwar durch langanhaltende gesellschaftliche Verwerfungen vorbereitet, doch der Flächenbrand mit Hunderttausenden Toten und Millionen Flüchtlingen ist das Ergebnis der leider wenig einfühlsamen Politik des Westens.
Dazu passt auch die terroristische Art der Kriegsführung gegen den Terrorismus: Mit Flugzeugen, Raketen und Drohnen wird auf Verdacht getötet. Es werden keine Gefangenen gemacht, die später vor einem anerkannten Gericht die Suche nach Wahrheit und Gerechtigkeit erleichtern könnten. Somit wird auch kein künftiger Versöhnungsprozess vorbereitet.

Das bedeutet, der zunehmende Interventionismus vor allem des Westens sowie seine sogenannte „Schutzverantwortung“ sind was genau für Sie?

Schlechte Selbstdarstellungen. Der Raum im Norden Afrikas und des Nahen Ostens hatte des Öles wegen schon lange nichts mehr mit den schönen Geschichten aus „Tausend und eine Nacht“ zu tun. Doch was macht es für einen Sinn, einige dieser leidenden Völker auch noch mit Krieg zu bestrafen? Zumal solche, die trotz despotischer Regime ein relativ reiches zivilgesellschaftliches Leben entwickelt hatten und laizistische Staaten waren – wie Irak, Syrien und Libyen?
Es ist offensichtlich, dass die Auswahl der bekämpften Diktatoren nach Menschenrechtskriterien sehr zufällig, aus geopolitischen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten hingegen sehr zielgerichtet erfolgte. Ziel der NATO war es offenbar, ungehörige durch hörige Despoten abzulösen und dabei die Freundschaft zu den alten Folterregimen in Saudi-Arabien und Ägypten zu festigen oder wiederherzustellen. Lediglich in Tunesien konnte das Volk einigermaßen frei von äußerer Intervention seine Revolution durchführen. Also: Der Versuch eines gewaltsamen Regierungswechsels durch Interventionen ist nicht ohne Grund völkerrechtswidrig.

Gewalt ist also niemals eine Lösung, außer vielleicht…?

Außer zuzeiten einer Revolution oder bei einem individuellen Tyrannenmord. Ich lehne Gewalt grundsätzlich ab, aber in einer Revolution stürzt das Volk selber seine Regierung. Es hat dafür seine Gründe, seine eigene Kultur, seine Traditionen und Ziele – und es kann selbstbestimmt über das Ende entscheiden.
Dagegen ist eine Intervention eine äußere Gewalt, die fadenscheinige, wenn auch hehre Ziele behauptet, jedoch stets scheitert, weil sie fremd ist und eben militärisch daher kommt. Und das Schlimmste: Sie zerstört die Selbstheilungskräfte eines Volkes. Nur behutsame Eingriffe könnten nachhaltig sein und unterschiedliche Entwicklungsniveaus respektieren.
Und es gibt kaum einen Bürgerkrieg, an dem nicht ausländische Kräfte die inhärente Entwicklung zu verfälschen suchen. Stellvertreterkriege sind infame Verbrechen an einem Volke. In ihnen kommt eine verhängnisvolle Eigenschaft von Militär und Geheimdiensten zum Ausdruck: Sie überschätzen ihre Möglichkeiten und verbreiten Illusionen über ein schnelles glückliches Ende, die dann zu Katastrophen führen. So wurde etwa die Destabilisierung von Irak, Libyen und Syrien verantwortungslos eingeleitet, ohne die grauenhaften Folgen einer solchen Politik in die Kalkulation einzubeziehen. Friedensfachleute hätten anders gedacht, gefühlt und gehandelt.
Neben den wirtschaftlichen Hintergründen gibt es innenpolitische Motive für Interventionen. Irgendwo wird Krieg geführt, um im eigenen Lande die nächste Wahl zu gewinnen. Das ist ein besonders infamer Kriegsgrund – zumal dann, wenn die militärische Aktion offiziell unter dem Etikett von Menschenrechten und Demokratie geführt wird.

Weshalb Sie auch ganz grundlegend für eine „Welt ohne Waffen“, zu der Sie auch auf der Gründungsveranstaltung des Petra-Kelly-Kreises referierten, werben… Wie genau aber sollte das gehen – und warum vernimmt man etwa die Forderung nach einer grundsätzlichen Abschaffung des Militärs nirgends im Land?

Ich plädiere tatsächlich für das Projekt einer völlig militärfreien Welt, es ist realistisch. Der Krieg ist im Jahrhundert der Menschenrechte völlig deplatziert. Dafür zwei Hauptargumente: Das Militär steht außerhalb unserer Zivilisation, weil es auf Verdacht tötet, ohne dass die individuelle Schuld des Opfers nachgewiesen wurde. Es steht auch außerhalb der ansonsten alles beherrschenden Ökonomie: Die Kosten der immensen Schäden werden ihm nicht angerechnet. Zur ethischen Haltlosigkeit gesellt sich also die praktische Unvernunft. Das Militär ist völlig ineffizient, wenn es darum geht, die Sicherheit zu erhöhen oder Menschenrechte durchzusetzen. Es verhindert im Krieg und stört im Frieden die Entwicklung der Zivilgesellschaft.
Dagegen können globale Systeme wechselseitiger Sicherheit unter dem Dach der Vereinten Nationen das Militär als Sicherheitsfaktor überflüssig und als Sicherheitsrisiko unschädlich machen. Voraussetzung für die Einleitung eines De-Militarisierungsprozesses wäre dabei die Hinwendung zum Interessenausgleich, wären Perspektivübernahme und ambitionierte Verhandlungen.
Das ist außerhalb des herrschenden Mainstreams eigentlich selbstverständlich. Die lange pazifistische Tradition und die vielen Abrüstungsinitiativen der letzten Jahrzehnte waren trotzdem nicht erfolgreich. Trotz kleiner Schritte zur Rüstungskontrolle, trotz minimaler Abrüstung an dieser und jener Waffengattung und kleinen Teststopps geht die Aufrüstung frech und ungehemmt weiter. Der militärisch-industrielle Komplex legitimiert sich dabei nach jedem Einsatz neu, indem er das Gemetzel als Sieg des Guten über die zum Bösen stilisierten Gegner verkauft.
Die gründliche Entmilitarisierung auch des Denkens ist daher der Hauptweg zum Frieden. Der neue Pazifismus muss aufs Ganze gehen. Deshalb schlagen wir vor, dass alle personellen, materiellen, strategischen und ideologischen Vorhaltungen zum Kriege beseitigt werden. Der Ausstieg aus militärischer Logik und konfrontativem Denken wird diesen irreversiblen Prozess beschleunigen, der letztlich zur militärfreien Welt führen kann.
„Aufs Ganze gehen“ verweist auch auf den globalen Charakter der De-Militarisierung. Sicherheit kann durch weltweite Netze verstärkt werden, doch kann Abrüstung auch regional und in unterschiedlichen Geschwindigkeiten erfolgen. Abrüstung kann so zu einem großen kreativen und freudvollen Fest der Völker werden. Es geht schon heute darum, die Bilder eines gerechten Friedens denen des ungerechten Krieges entgegenzustellen. Was wir als „Sicherheit“ wahrnehmen, soll es dann nicht auf dem Friedhof, sondern im wirklichen Leben geben.
Der globale und ganzheitliche Ansatz eines neuen Pazifismus sollte mit einem konkreten Ausstiegsszenarium verbunden werden. Ähnlich dem Ausstieg aus der Atomkraft sollte ein Endtermin verhandelt werden, zu dem Kriege allein deshalb nicht mehr stattfinden können, weil es kein Militär mehr gibt. Ich könnte mir das Jahr 2055 als erstes militärfreies vorstellen. Es macht dabei Sinn, die Abrüstung von einer Realutopie her zu denken und die konkreten nächsten Schritte aus dem Potential der unmittelbaren Gegenwart abzuleiten.

Und wieso glauben Sie, dass das diesmal funktionieren würde?

Der Abrüstung stehen freilich ungeheure Partikularinteressen gegenüber. Von der Rüstungsindustrie über Machtpolitiker bis zu allen Arten von Ganoven gibt es Leute, die von der Gewalt leben, darunter viele gewinnbringende Medien. Aber 90 Prozent der Weltbevölkerung wollen keine Kriege mehr. Ich hoffe, dass sich diese Mehrheit auch einmal in der Realpolitik verwirklichen kann. Und ich hoffe inbrünstig, dass nicht erst eine unvorstellbare Katastrophe zum pazifistischen Umdenken führt, sondern ein guter Prozess der Aufklärung und allgemeinen Emanzipation.
Die Demilitarisierung der Welt hat keine Zeit. Am Horizont sind schon die düsteren Wolken von Verteilungskämpfen um Rohstoffe und Absatzmärkte bei gleichzeitig steigender Weltbevölkerung zu erkennen. Ohne Militär wird die Menschheit diese Probleme friedlich lösen müssen und dürfen. Und die Ersparnisse durch Abrüstung können den Problemdruck mindern.

Können Sie mit dieser Utopie im Kopf vielleicht Vorschläge für eine Lösung der gegenwärtigen humanitären Krisen entwickeln? Hier und heute, in der Gegenwart…

Wenn der Krieg einmal ausgebrochen ist, kann man nur auf die Bremse treten, also versuchen, die Spirale der Gewalt zurückzuschrauben. Alle Beteiligten müssen erkennen, dass ein Setzen auf Sieg die absolute Katastrophe bedeuten würde. Ich wüsste auch niemanden, der ihn verdient hätte. Und auf allen Seiten gibt es große Anhängerschaften, die nicht vernachlässigt werden dürfen. Zum Beispiel haben die meisten Binnenflüchtlinge erstaunlicher Weise in dem von Assad gehaltenen Gebieten Schutz gesucht. Und selbstverständlich gehören auch Anhänger des Islamischen Staates in eine Nachkriegsordnung.
Es gibt nur die Wahl zwischen Konfrontation oder Ausgleich. Eine De-Eskalation funktioniert nur durch energische und phantasievolle Verhandlungen. Statt weiter auf Verachtung und Demütigung des Gegners zu setzen, anstatt dem simplen militärischem Freund-Feind-Denken zu folgen, müssen Brücken gebaut werden, Das Denken muss „entfeindet“ werden. Das kann man tun, indem man genau hinschaut. Dann sind die verschiedenen Methoden des Tötens von Menschen – ob durch Macheten oder Raketen – nicht so verschieden. Dann ähneln sich auch die vielen Einmischungen zugunsten dieser oder jener Bürgerkriegspartei.
In unseren Medien sind aber die Kämpfer von ISIS die größten Verbrecher und Bomberpiloten haben die saubersten Westen. Es werden Kontraste erzeugt, die es in der Wirklichkeit des Krieges nicht gibt. Die vermeintlichen Kontraste in der Wahrnehmung der militärischen Verbrecher abbauen, heißt deshalb, zur Entfeindung beitragen. Und die Unterschiede zwischen den dem Westen zugeneigten und abgeneigten Diktatoren als nicht relevant betrachten heißt, einen Kriegsgrund weniger anzuerkennen.
Am Verhandlungstisch sollten besser alle ihre schmutzigen Hände unter dem Tisch lassen, sonst kommt es nicht zu ernsthaften Verhandlungen. Schuldfragen sollten jetzt nicht im Vordergrund stehen, später müssen Kriegsverbrecher und Brandstifter selbstverständlich bestraft werden.
Der soeben erfolgte Eintritt russischer Kampfbomber in den Syrienkrieg wird die Zahl der unschuldig getöteten Soldaten und Zivilisten weiter erhöhen, denn die Russen treffen nicht besser als die Amerikaner. Ich könnte dieser Intervention nur dann etwas Gutes abgewinnen, wenn dadurch ein irgend gearteter Endsieg verhindert und die Beteiligten zum Kompromiss gezwungen würden. Aber wird der Westen seine Strategie aufgeben, erst den IS, dann Assad zu besiegen? Das Festhalten an diesem Kriegsziel würde nämlich das Machtvakuum und das Chaos in Syrien vollenden und der angestrebte Systemwechsel würde wohl zu irakischen, libyschen, oder ägyptischen zuständen führen. Das sollte dem syrischen Volk erspart bleiben.
Die unakzeptable Erweiterung der Kriegsakteure könnte aber im hoffnungsvollen Falle bedeuten: Sofortige Verhandlungen über eine Zukunftslösung, die Kontinuität und Wandel in Syrien gleichermaßen enthält.
Endlich reden US-Amerikaner und Russen miteinander. Es fällt ihnen aber schwer, zum wirklichen Kriegsende einzuladen. Ob sie vorhaben, den eigentlichen Souverän, das entrechtete syrische Volk, über seine Zukunft bestimmen zu lassen, wird sich erst erweisen. Man vernimmt schon wieder das alte Kolonialdenken vom Aufteilen.
Das Tragische in dieser Welt der Gewalt ist, dass hinter der aktuellen Schadensbegrenzung schon die nächste Kriegsgefahr lauert. Die Bundesregierung hält nicht mal ihre Selbstverpflichtung ein, keine Waffen in Spannungsgebiete zu liefern. Dabei wäre es geboten, schon heute die zukünftigen Spannungsgebiete mit Waffen zu verschonen. Statt Krise auf Krise zu setzen, statt den Katastrophen und Niederlagen hinterherzulaufen, statt immer nur die Feuerwehr zu rufen, sollten endlich die Brandursachen untersucht und beseitigt werden. Abrüstung wäre ein wesentliches Ergebnis.

Was kann ich und können andere aktuell denn konkret tun, um Ihre Utopie zu unterstützen?

Wir können uns selbst aufklären und an den Mainstream-Medien vorbei positive Bilder einer militärfreien Welt entwerfen. Es wird allerdings notwendig sein, diese Welt mit einer Abkehr vom Wachstumsfetisch und einer neuen Demokratie zu verbinden, in der sich wieder Mehrheitsinteressen abbilden können.
Wir propagieren in Weimar mit unserer Initiative „Welt ohne Waffen“ eine radikale Realutopie, die sich natürlich nur über die Machtzentren durchsetzen lässt. Aber In der Provinz und in der Beschränkung auf eine der vielen Aspekte der Abrüstung kann sich auch ein Schein der großen Lösung spiegeln.
Viele lokale, aber vernetzte Aktionen können enorm viel ausrichten, wenn sie nicht in der Kleinheit verharren. Befreien wir Stück für Stück uns und unsere Nachbarn von Lethargie und Angst, denn wir bilden die Mehrheit.

Ich bedanke mich für das Gespräch.

Dieses Interview wurde erstmalig veröffentlicht in „Nachdenkseiten“ am 6.10.2015