Feindbilder begraben

von Olaf Weber, Weimar

Heute ist eine besondere, die letzte Zeit. Die Atom- und automatischen Waffen, die scharfen Viren, die toxischen Kettenreaktionen der Geheimdienste warten nur manchmal. Sie erlauben uns nicht, das Maß der vergifteten Natur an die Zukunft zurückzugeben. Der Mensch muss besonders werden, freundlich.

Die Zerstörungskräfte un-intelligenter Systeme stehen an der Schwelle eines nun wirklich „totalen“ Krieges. Sie  sind  nur noch dem Zufall unterstellt, der sich grinsend und unbekümmert gibt.

Seit morgen sind wir zur Kooperation verpflichtet. Freies Denken steht nun gegen die Ideologien der Nationalflaggen, der Religions- und der Hautfarben, an denen sich die Menschheit nicht mehr erheitern sollte. Es ist verboten, die natürlichen Unterschiede im Menschsein zu öffentlichem Hass, zu Aufrüstung und Krieg aufzutürmen. Doch die ökonomischen und politischen Eliten haben sich in ihrer Unwirklichkeit eingebunkert, dort pflegen sie ihre Feindschaften.

Pazifisten (Kriegsgegner) kritisieren die Militaristen im eigenen Land. Deshalb schauen meine Freunde und ich auf Deutschland und die NATO. Dagegen verhalten sich Bellizisten (Kriegsbefürworter) genau umgekehrt. Sie suchen den Schuldigen nie im eigenem, sondern stets im anderen Lager. Immerfort neue Feindbilder erfindend – so befördern sie die Eskalationsspiralen, die kleinen Krisen, die großen Kriege.

Wir brauchen weder strategische Feinde noch unverbrüchliche Freunde, gute Nachbarn, das reicht. Im Vergleich zwischen den USA und Russland ist es nicht plausibel, weshalb das eine Land unser Freund, das andere unser Feind sein solle: Die autoritären Gesichter, der Rassismus, Superreiche da, Oligarchen dort, Kaltes und Zerstörendes allerorts (natürlich überall auch Ermutigendes). Welche Gesichter und welche Formen der Mangel an Menschlichkeit aber hat, ist angesichts der Gefahr (4 vor 12) nicht erheblich. Erheblich wäre das Gewaltlose. Und das Feindlose.

Es ist gut: Deutschland und Europa haben nach schrecklichen Verirrungen einiges an Zivilgesellschaft und Rechtsstaatlichkeit gewonnen. Doch der kriegerische und würdelose Zustand der Welt hat viel mit westlicher Arroganz zu tun, die immer noch koloniale Züge trägt und von oben herabschaut. So erlauben sich unsere geschäftstüchtigen Regierungen „Die Menschenrechte“ wie eine Monstranz voranzutragen, sobald es darum geht, einem geostrategischen Konkurrenten zu schaden. Schade um diese Menschenrechte.

Niemand spreche also von Menschenrechten und Frieden, wenn er oder sie zugleich Feindbilder pflegt, wenn er oder sie militärische Aufrüstung betreibt oder gar reale Kriege führt. Immer ist die Lüge sehr nahe am Krieg. Und dass man den Geheimdiensten gar nichts glauben darf, kann man nur ahnen. Und was die Demokratie betrifft – sie müsste von wirtschaftlicher Macht entkoppelt werden, um Demokratie zu werden.

Nach der Logik und dem geltenden Völkerrecht darf sich keine Regierung in ein Land einmischen, von deren Bevölkerung sie nicht gewählt wurde. Die Versuche, woanders einen „Regime Change“ herbeizuführen, bringt meist neue Gewalt und  schwächt die Selbstheilungskräfte eines Volkes (wie in Syrien, Libyen und woanders geschehen). Es wäre effektiver, friedlicher und historisch gerechter, wenn alle Regierungen auf die eigenen Defizite schauen, statt mit dem Finger auf andere zu zeigen. Die Transformation der menschlichen Beziehungen zur sozialen Freundlichkeit wird wohl nur in einer behutsamen und gerechten Weltinnenpolitik gelingen.

Die Bellizisten spielen mit zweierlei Maß, das eine wird an den Freund, das andere an den Feind angelegt. So erscheint der Freund freundlich, der Feind feindlich. In dieser Pose lassen sich zum Beispiel die USA gern gegenüber China ablichten – ein ermüdendes und falsches Bild, das es möglicherweise auch umgekehrt gibt.

Das wichtigste Menschenrecht ist das Recht, nicht getötet zu werden. Das Leben eines russischen Oppositionellen ist aber der Hungerstreik einer kurdischen Journalistin in einem türkischen Gefängnis. Und das Leben eines Bootsflüchtlings ist das eines Afroamerikaners auf einer Straße von Harlem. Es passiert so viel, doch wer schuldig ist und bestraft wird, bestimmen auf merkwürdige Weise die an Einfluss Reichen.

Der Krieg hinterlässt seine Folgen im Namen des Siegers. Die schlimmsten völkerrechtswidrigen, also Angriffskriege (wurden neben vielen groben Einmischungen in innere Angelegenheiten) nicht von Diktaturen, sondern leider von Demokratien, den USA und ihren Verbündeten, geführt – vgl. Afghanistan, Irak und Libyen, die Millionen Opfer zu beklagen haben. Es sollte keine Kriege und keine Trophäen mehr geben – auch deshalb nicht,  damit die Geschichte nicht mehr von den Siegern geschrieben werden kann.

Militaristen haben eine unendliche Phantasie, sie erfinden immer neue Feindbilder. Der deutsch/amerikanische Wissenschaftler Wernher von Braun kam zu einer späten, aber tiefen Einsicht: „Wir werden ein im Weltraum basiertes Waffensystem erschaffen. Zuerst werden die Russen als der Feind betrachtet werden… Dann werden Terroristen zum Feind bestimmt… Dann wird man Verrückte aus der Dritten Welt und bestimmte gefährliche Nationen zum Feind bestimmen… Der nächste Feind werden Asteroiden sein, und gegen Asteroiden werden wir erneut im Weltraum basierte Waffen bauen… Die letzte Karte, die ausgespielt werden soll, werden Aliens oder Außerirdische sein. Wir werden diese Waffensysteme gegen Aliens erschaffen und alles davon wird eine große Lüge sein!“ (im Gespräch mit Dr. Carol Rosin, 1974)

Fazit:

  1. Feindbilder und Kriegsbeile könnten schon morgen in aller Frühe begraben werden, doch unter dem Strand ist die Lüge – und das Eis.
  2. Den kalten Krieg beendet man nicht, indem man unliebsame Diktatoren stürzt, sondern indem man ihn beendet.

Von einem Besuch bei Lothar Kühne habe ich (fast) keine Erinnerung (2019)

von Olaf Weber

„Ein Faulsein, welches nicht den inhaltserfüllten Drang zur Arbeit erweckt, ist keine Muße, sondern sinnlos vergammeltes Leben.“ Diesen Satz Lothar Kühnes hatte ich vor langer Zeit meiner etwa 10-jährigen Tochter erzählt, sie ist heute über 50 und kann ihn immer noch aufsagen. Was er heute mit dem bedingungslosen Grundeinkommen gemein hat, darüber streiten wir uns trefflich. Ich sage: Nichts, sie sagt: Tun.

Ich weiß auch nicht, wo dieses Zitat bei Kühne zu finden ist, aber irgendwo muss es stehen. Ich habe es jetzt nicht gefunden, bin inzwischen blind.

Aber ich will mich gern an eine Begegnung mit Lothar Kühne erinnern, die einzige, die es gab. Ich weiß aber nicht mehr das Datum. Ich erinnere mich auch nicht mehr an den Inhalt des Gespräches, ebensowenig an den Ort. Es war ein unspektakuläres Bauwerk hinter der Humboldt-Universität. Ich habe also außer der Gewissheit, dass es stattgefunden hat, keine Erinnerungen an dieses Gespräch – aber vielleicht doch an etwas, das mir damals unbedeutend erschien, sich mir heute aber gedanklich vordrängt: das Ambiente.

Zum wissenschaftlichen Hintergrund: Ich fühlte mich in Weimar der Berliner Ästhetik-Schule („Ästhetik heute“) verbunden. Als Kühnes Buch „Gegenstand und Raum“ (1981) erschien, musste ich es natürlich sofort durchforsten. Ich habe das Exemplar noch heute mit Hunderten von Anmerkungen in meinem Bücherregal. Es versetzte unserem Weimarer semiotisch-psychologischen Ansatz (Architektur als Kommunikationsmittel, 1974) eine interessante, aber auch schwierige gesellschaftspolitische Dimension.

Wie wir wissen, kritisierte Kühne in Bezugnahme auf  Marx immer wieder das Marktförmige der  Gestaltung. Aber in der Praxis musste diese Kritik zu Kontroversen führen. Denn die architektonische Postmoderne folgte im Westen zwar zwangsläufig dem Marktgeschehen, doch der Dekorationalismus in der DDR war nicht rühmlicher, folgte nur anderen Triebkräften. Die Dekors an den Plattenbauten waren nur oberflächliche Verhübschungen, mit denen das Fehlen sozialräumlicher, kultureller und technologischer Vielfalt kaschiert werden musste. Ich glaube, dass Lothar Kühne an diesem Widerspruch zugrunde ging. Später erzählte mir Heinz Hirdina, den ich sehr mochte, von Lothar Kühnes Freitod. Er sagte aber, dieser hätte testen wollen, was er unter extremen Bedingungen aushalten konnte. Ich glaubte natürlich nicht, dass es ein Test war.

Also ich kam mit einem Kollegen eines Tages zu Kühne. Bruno Flierl hatte uns freundlicherweise miteinander bekannt gemacht. Wie gesagt, ich weiß nicht wann und wo es war. Irgendwie standen wir plötzlich in einem mittelgroßen Raum mit vielen Stühlen, vor allem  an den Wänden, vielleicht ein Wartezimmer für Studierende. Aber es konnte auch ein Zwischenlager für Möbel sein, die der Hausmeister aus dem Heizungskeller geholt hatte, um sie noch einmal „aufzumöbeln“. Kaum ein Stuhl glich einem anderen. Man sah ihnen die erlebten Jahrzehnte ihres Gebrauchtseins an, eben die Gebrauchsspuren, die moderne Möbel nicht vertragen können. Farben gab es nach meiner Erinnerung nicht, auch nichts Textiles, keine Vorhänge oder anderes Gewirkte.

Das war natürlich nicht das Vorzimmer eines Direktors, auch nicht das erwartete Bild vom Büro eines sozialistischen Hochschullehrers, aber was war es dann? War es das bloß zufällig Entstandene, also das „Ungestaltete“? Ich bin heute davon überzeugt: Das war ein programmatisches Gesellschaftsmodell in der Gestalt eines Raumes.

Irgendwann ging die Tür zum Nebenzimmer auf und einige Studierende kamen heraus. Kühne lud uns hinein, indem er selber wieder in den Raum zurücktrat. Ein hagerer und blasser, eher großer  Mann, glaube ich, mit einer Brille und schütteren Haaren, natürlich kein Anzug, sondern ein unauffälliger Pullover. Alles ohne erkennbare ästhetische Intentionen. Auch hier drängten sich die Möbel nicht vor, sie blieben auch nicht nur Hintergrund, sie waren abwesend. Erst auf den zweiten oder dritten Blick musste das Ungestaltete des Raumes als Wesenhaftes auffallen. Es war mir keinesfalls unangenehm, aber ich spürte auch nichts von der „Neuen Intimität“ der funktionalen Gestaltung, von der ich bei Kühne gelesen hatte.

Ich konnte das damals alles weder mit Kommunismus noch mit Funktionalismus in einen gültigen Zusammenhang bringen. Wie gesagt, ich kann mich nicht mehr an den Inhalt unseres Gespräches erinnern. Ich weiß nicht mehr, welche der markanten Sätze von Kühne damals gesprochen wurden. Im Kopf waren damals natürlich viele. Ich weiß aber noch, dass mir diese beiden Begriffe und dann noch ihr schicksalhaftes Zusammentreffen in einem einzigen Satz („Der Funktionalismus ist das Gestaltungsprinzip des Kommunismus“) ungeheuerlich groß und deshalb auch beängstigend vorkamen.

Ich habe damals über Funktionalismus viel nachgedacht. Das Bild schien mir einleuchtend, dass die Form der Funktion folgt, doch in welchem Abstand? Das war die entscheidende Frage. Die Distanz kann sehr, sehr knapp sein, dann sind sie fast identisch, aber zwischen Form und Funktion kann sich auch eine lange Leine befinden. Dann kann sich einiges an Kulturellem und Subjektivem dazwischen schieben, das die „Verhältniseigenschaft der Gegenstände“ (Kühne) mitbestimmt. Als es später darum ging, eine eigenständige „Funktion der Form“ (1994), die sich nicht cartesianisch bestimmen lässt, aber wirkmächtig ist, zu begründen, fehlte Kühnes provozierender und korrigierender Intellekt.

Kühne bedeutet für mich noch eine andere Assoziation. Das Verhältnis von Sinnlichkeit und gestalterischer Enthaltsamkeit kam mir später nochmal nahe, als ich den utopischen Roman eines DDR-Schriftstellers las, der wegen des zugespitzten asketischen Ideals sehr spannend war: Auf einem Hochplateau in Südosteuropa versammelten sich Menschen in einer visionären Stadt, deren gegenständliche Umwelt durch technische Erfindungen und die Abwesenheit von allem Marktförmigen und Modischen äußerst reduziert war. Es blieb in meiner Erinnerung die Frage offen, ob mit der Reduktion der (falschen) Reize auch das subjektive sinnliche Erleben eingeschränkt war – oder ob es sich gerade unter diesen Bedingungen entfalten konnte.

Leider ist meine Kenntnis über Autor, Titel und Erscheinungsjahr  dieses Romans so spärlich wie die Erinnerung an das Wann, Wo und Was meines Besuches bei Kühne. Die Leserin und der Leser möge mir verzeihen, dass ich in diesem kleinen Aufsatz nur Unkonkretes mitzuteilen hatte. Und da erlaube ich mir auch noch in die Runde zu Fragen: Wer kennt den erwähnten Roman und seinen Autoren? Ich würde es mir gern noch einmal in literarischer Erinnerung an diesen wichtigen Lothar Kühne vorlesen lassen.

Veröffentlicht in: Berliner Debatte Initial, 2/30. Jg. 2019, Die Ästhetik des Kommunismus- Lothar Kühne. Seite 73/74

Antwort auf die Erklärung von Franziska Brantner

„Grüne vernetzte Außenpolitik in einer Welt voller Unordnung“


Dr. Franziska Brantner ist Sprecherin für Europapolitik sowie Parlamentarische Geschäftsführerin der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Liebe Franziska,

vielen Dank für deinen sehr interessanten und komplexen Text.

Du hast den Text als Debattenbeitrag bezeichnet. Ich sehe neben vielem Interessanten auch Problematisches und will mich der Kürze halber darauf konzentrieren.

Du beschreibst vor allem die Einbindung Deutschlands in das europäische Projekt. Das ist wichtig, zumal die Wertegemeinschaft mit den USA und der Atlantikbrücke der Bevölkerung kaum noch vermittelbar ist. Europa braucht mehr Eigenständigkeit, ja, aber in einer globalen Welt. Die Klimakatastrophe und die Corona-Pandemie verweisen auf den zunehmend globalen Charakter der anstehenden Probleme, das hast du zwar auch beschrieben, aber wir sollten daraus andere oder weiterreichende Schlüsse ziehen. Europa soll nicht ein weiterer Player im Konkurrenzkonzert der Großmächte werden, sondern etwas ganz Anderes, ein Ort, der Solidarität selbst vorlebt und Frieden, gegenseitigen Respekt und Kooperation in die Welt hinausstrahlt.

Ich möchte nur 2 Themen herausgreifen:

1. Russland. Es herrscht immer noch ein feindseliger Blick auf Russland, der nicht gerechtfertigt ist. Ich kann nicht erkennen, dass die innere Verfassung Russlands gegenüber Ungarns oder den USA so verschieden ist, dass wir nicht im Sinne der internationalen Kooperation mit Putin ausgezeichnet zusammenarbeiten könnten und das ist dringend geboten. Demokratie darf nicht als Verhinderungsargument gelten, wenn es um Frieden, auch nur um Kooperation geht, zumal die Demokratie überall unvollkommen ist.

Wir hören tagtäglich, Putin wolle den Westen spalten und seine Politik sei aggressiv und verbrecherisch. Aber ist es nicht sogar umgekehrt? Beim genauen Hinschauen ist die Politik der USA und also der NATO und des Westens nämlich ungleich aggressiver. Wir zerbomben 18 Jahre lang das kleine Afghanistan, weil sich dort einer der Feinde der USA aufhalten würde, doch die Terroristen sind vor allem Produkte der eigenen westlichen Politik. Die Kriege gegen Afghanistan, den Irak und Libyen kosteten Hunderttausende von Leben und es blieben Millionen Verwundete und Vertriebene zurück. Unsere Meinungsbildner und auch Politiker, Grüne eingeschlossen, tun so, als ob es dafür keine Schuldigen oder nur den einen, Putin, gäbe.

Auch die Flüchtlingsströme, die nun auf dem Weg nach Europa sind und Putin in die Schuhe geschoben werden, gehen klar auf das historische Kriegskonto der USA zurück. Die Destabilisierung des Iraks und Syriens ist eine direkte Folge gewaltsamer Interventionen der NATO, auf direkte Weise im Irak und auf indirekte in Syrien (Kriegsverbrechen gab es leider auf allen Seiten, vgl. Idlib und Mossul). Es gab trotz der, für Arabien vergleichsweise entwickelten Zivilgesellschaft in Syrien, Proteste gegen die Regierung. Es gab aber auch geopolitische Gründe, die die CIA schon seit den 50er Jahren und dann immer wieder veranlasste, auf den Sturz der syrischen Regierungen hinzuarbeiten (vgl. den obligatorischen Aufsatz von Robert F. Kennedy im Anhang). Kriegsverbrechen – das sind Verbrechen innerhalb des Verbrechens – sind natürlich zu ahnden wie die Verursacher eines Krieges selbst.

Wenn wir die Diplomatie der Amerikaner und Russen im Nahen Osten vergleichen, kommen wir zu einem interessanten Ergebnis. Die Diplomatie der USA folgt nicht erst seit „America First“ dem alten Grundsatz von „Teile und Herrsche“. Das ist die Einteilung der Welt in gut und böse, in Freund und Feind. Zum Beispiel ist Saudi-Arabien ein Freund, der Iran ein Feind, Türkei ein Freund, Syrien ein Feind, Israel der Freund und Palästina der Feind. Die Interessen können sich zeitweise auch verschieben, das Freund-Feind-Schema aber bleibt und so ein Verfahren ist immer kriegstreibend.

Erstaunlich ist es, dass Russland unter seinem Außenminister Lawrow tatsächlich mit allen diesen Ländern enge Beziehungen unterhält. Es ist ihm gelungen, mit allen reden zu können und das ist die Voraussetzung dafür, sehr schwierige Interessen zum Ausgleich zu bringen. Sicher ist, dass Russland dabei eigene Interessen verfolgt, aber diese Diplomatie enthält auch ein gewichtiges Potential zum Frieden, das uns wichtig sein müsste.

Kommen wir nach Europa zurück. In merkwürdiger Vergesslichkeit der hunderttausenden Toten, Verwundeten und Vertriebenen in Afghanistan und dem Irak wird ein unblutiges Ereignis zum Ausgangspunkt für den Ausschluss Russlands aus der Europäischen Gemeinschaft: Die Besetzung der Krim. Und man tut so, als hätte dieses Ereignis keine Vorgeschichte (ein alter Trick der Geschichtsfälscher). Wir wissen aber, dass der Frieden nur innerhalb einer Friedensordnung aufrechterhalten oder gebrochen werden kann. Die Friedensordnung in der postkommunistischen Ära wurde durch den 2plus4-Vertrag definiert. Und der Geist dieses Vertrages wurde durch das „gemeinsame Haus Europa“ (Gorbatschow) versinnbildlicht. Was aber dann kam war die Zerstörung dieser Friedensordnung durch die Besetzung immer mehr Zimmer und Etagen dieses Hauses, also durch das Vorrücken der NATO an die Grenzen Russlands. Diese Erweiterung der westlichen Welt nach Osten war zwar nicht völkerrechtswidrig, aber sie zerstörte grundlegend das friedensbewahrende Gleichgewicht in Europa.

2. Frieden. Es gibt den konservativen Friedensbegriff, der Sicherheit durch Stärke definiert. Das bedeutet Aufrüstung und also mehr Unsicherheit, weil die eigenen Waffen und die des Feindes immer heimtückischer und schrecklicher werden. Es gibt einen anderen Friedensbegriff, der Frieden durch Vertrauen und Abrüstung definiert. Das ist der Begriff der Friedensbewegung, auf den wir Grünen uns besinnen sollten. Man kann nicht über Außenpolitik sprechen, ohne die Rüstung zu erwähnen. Das Militär dient heute nur noch den Diktaturen zur Unterdrückung des eigenen und den Imperialisten zur Unterdrückung fremder Völker. Wir sollten um keinen Cent die Ausgaben für Rüstung erhöhen, sondern eine solche Außenpolitik betreiben, die es erlaubt, das Militär und die Militärausgaben zu verringern. Im Übrigen gibt es keine mit Zahlen belegte Begründung dafür, die Überrüstung der NATO noch weiter voranzutreiben.


Nun komme ich noch auf eine konkrete Aussage von dir, du schreibst:

„Wenn wir wollen, dass Trump uns auf Augenhöhe behandelt, dann müssen wir uns auf Augenhöhe bewegen. Das bedeutet auch unseren eigenen Kontinent geopolitisch ordnen zu können, unsere Militärfähigkeiten optimieren und ein eigenständiger Akteur zu werden.
Wie stehen wir zu Abschreckungsstrategien? Welche benötigen wir? Wie sorgen wir dafür, dass wir die Eskalationsspirale dominieren und nicht Putin, Erdogan oder Xi Jin-ping?“

Aber wie wollen wir mit den USA auf Augenhöhe kommen? Doch nicht, indem wir auf Militärausgaben in Höhe von 780 Mrd. Dollar kommen? Oder indem wir eine weltweit operierende Interventionsarmee schaffen, die von ihrer Bestimmung her völkerrechtswidrig handeln muss? Oder weshalb sollten wir überhaupt Eskalationsspiralen dominieren, wo es darum geht, endlich Entspannung einzuleiten, also zu de-eskalieren?

Und dein Vorschlag bedeutet auch, dass wir gegenüber einem Verbündeten innerhalb der NATO ein Abschreckungspotential aufbauen sollten. Ein Teil der NATO steht also gegen einen anderen Teil? Das ist doch eine katastrophale Erhöhung der Unordnung, die du in deiner Überschrift kritisierst. Außerdem ist das französische Atompotential gegenüber dem der USA und Russlands so verschwindend klein, dass es in dem Europa ohne Russland zu einer gewaltigen atomaren Aufrüstung kommen müsste, damit Europa gleichzieht.

Liebe Franziska, wir sollten alles tun, um Feindbilder abzubauen und keine neuen Feindbilder zuzulassen. Es ist gut, den beschränkten nationalen Begriff auf einen europäischen Begriff zu erweitern. Wir sollten dabei Russland einbeziehen und darüber hinaus – durch Klimawandel und Corona zusätzlich getrieben – nun endlich global denken und handeln. Und das ohne eine neue Militarisierung, sondern im Gegenteil, durch Abrüstung.

Mit freundlichen grünen Grüßen,

Olaf

Prof. Dr. Olaf Weber, Weimar

Corona, die Krone der Krankheit

Im letzten Jahr war es der Klimawandel, der unsere Aufmerksamkeit auf ein globales Thema gelenkt hatte, jetzt ist es eine Pandemie, die sich in rasender Geschwindigkeit über uns ausbreitet. Der zeitliche Zusammenhang ist ein kausaler: Das Ungleichgewicht von Mensch und Natur hintertreibt die allgemeinste Gesundheit. Zwar bekommt immer der Einzelne, wie der empfindsame Rentner, überhaupt der Unschuldige, das Fieber und die Lungenentzündung. Doch das Leiden kommt von einer vielfach erkrankten Welt. Corona ist eine soziale Krankheit, die ins Medizinische mutiert ist.

Man sagt, dass Covid19 eine Grippeerkrankung sei, aber sie ist sehr viel aggressiver als die gewohnte. Um diese Aggressivität geht es, sie scheint die eigentliche Krankheit zu sein. Sie entspricht der anmaßenden Überheblichkeit, mit der unsere Zivilisation mit der Natur umgeht und auch der Arroganz gegenüber Nachbarn und Fremden. Zu viel Gewalt und Hetze durchdringen die große und die private Welt, als dass diese gesund bleiben könnten.

Im Unterschied zu früheren Krisen treffen die Klimakatastrophe und die Corona-Pandemie zwar immer noch die Armen und die ärmsten Länder am stärksten, aber zum ersten Male sind die Wirkungen so global, dass auch wir Wohlstandsbürger des Westens und Nordens von solchen Krisen mit voller Wucht getroffen werden. Das birgt immerhin die Chance in sich, dass ein gewisses geistiges und materielles Potential bereitgestellt wird, das wenigstens oberflächliche Lösungen ermöglicht.

Überrascht sehen wir, dass Tausende von Milliarden von Euros plötzlich für das Stopfen von Finanzlöchern zur Verfügung stehen. Das bedeutet aber überhaupt nicht, dass die konservativen Verkrustungen unserer Gesellschaft aufbrechen würden. Es ist im Gegenteil mehr als fraglich, ob unter den herrschenden Bedingungen der Konkurrenzwirtschaft und der Nationalstaatlichkeit das Notwendigste für Klimaschutz, für Schulen, für Entwicklungshilfe in Afrika oder für Friedensarbeit getan werden kann. Es wird wohl nicht möglich sein, das gestörte Immunsystem unseres sozialen Organismus unter den Bedingungen eines technischen Wachstumswahns zu reparieren, zumal dann nicht, wenn er einem ökonomischen und digitalen Diktat untersteht. Vergleiche die Vereinnahmung des Individuums im Programm der Industrialisierung 4.0.

Olaf Weber

Initiative „Welt ohne Waffen“ Weimar

Einreichungen für den 3. Volkswettbewerb „Theaterplatz Weimar“

Unter diesem Link finden Sie die Einreichungen für den 3. Volkswettbewerb zur Umgestaltung des Theaterplatzes in Weimar:

https://drive.google.com/drive/folders/1U1he5YtJzektupxtZGTnw8q_2QzqM0NS?usp=sharing

Hier außerdem ein Link zu Bildern von der Ausstellungseröffnung (zu Ihrer Verwendung):

https://drive.google.com/drive/folders/1TuCSR8AWsZ8JUYs-rbMbH_b49kdza29j

Fotograf: Thomas Müller

Wahrheit ist der Weg zum Frieden

„Dabei dürfe man keinesfalls Lüge gegen Lüge setzen. Man müsse mit der „durchschlagenden Kraft der Vernunft, mit der wirklich unideologischen Wahrheit dem entgegenarbeiten“ (Theodor W. Adorno)

Die Selbstdarstellung des Militärs, ihrer politischen und medialen Vertreter ist grundsätzlich verlogen. Der Zivilgesellschaft kann das Militär nur lügnerisch entgegen treten, weil die Menschen kein natürliches Interesse am Krieg haben.

Das Bedürfnis nach Sicherheit ist nachvollziehbar, doch wird es von der Militärpropaganda in eine Akzeptanz für das Militärische umgedeutet. Die Militärstrategen behaupten, mehr Militär würde mehr Sicherheit bedeuten. Logisch ist aber, dass die weltweite Ansammlung von gefährlichen Waffen immer größere Risiken in sich birgt. Das „Gleichgewicht des Schreckens“, also Der Frieden durch gegenseitige Abschreckung, ist spätestens im Zeitalter von Cyberkriegen nicht mehr vertretbar. Die sogenannten intelligenten und autonomen Waffen enthalten die kriminellen Potentiale zu furchtbaren Attacken gegen die Zivilgesellschaft, ähnlich den geächteten ABC-Massenvernichtungswaffen.

Die Kriegsrhetorik verbreitet Falschinformationen über diese oder jene Konfliktseite und ist deshalb schon kriegstreibend, aber sie besteht auch in der Verfälschung oder Unterschlagung grundsätzlicher Elemente des Völkerrechts und der Geschichte des jeweiligen Konfliktes. Hier einige Beispiele.

  1. Jedes Land hat das Recht, sich zu verteidigen. Angriffskriege oder die Bedrohung fremder Staaten widersprechen aber klar dem Völkerrecht. Dieser wichtige Unterschied wird von den Fürsprechern militärischer Lösungen gern unterschlagen, es wird dann von „guten“ oder „schlechten“ Kriegen gesprochen. So sind die Versuche zu verstehen, die völkerrechtswidrigen Kriege in Afghanistan, dem Irak, Libyen oder andere Interventionen mit absurden Vergleichen (etwa dem Krieg der Alliierten gegen Hitler zu begründen.
  2. Das außergerichtliche Töten (von Zivilisten wie auch von feindlichen Soldaten) ist unvereinbar mit den Menschenrechten, denn das fundamentalste Menschenrecht ist das auf Leben. Deshalb versuchen die Befürworter von militärischen Aktionen, das Grauen des Krieges zu verschleiern und die allgemeine Rechtslosigkeit im Kriege zu vertuschen, zugleich  aber mittels des Krieges oder der Kriegsdrohung ihre eigenen Weltordnungspläne durchzusetzen.
  3. Das Militär braucht zu seiner Legitimation und die Rüstungsindustrie für neue Aufträge gefährlich anmutende Gegner, diese können in Ermanglung wirklicher Feinde auch als bloßes Zerrbild dämonisiert werden. Übertreibende, einseitige  oder lügnerische Bewertungen jedweder Konfliktpartei sind immer kriegsfördernd.
  4. Polizei und Militär haben unterschiedliche Funktionen. Eine rechtsstaatlich operierende Polizei hat die Aufgabe, die wahrscheinlichen Rechtsverletzer einem Richter zuzuführen, während das Militär den nationalistischen und imperialen Interessen dient. Die Verfechter des Militärs versuchen deshalb, diese Unterschiede von Militär und Polizei zu verwischen und das Militär als Friedensstifter im Konfliktfall anzubieten.
  5. Die Strategie des Militärs ist es, die Legitimation seiner kriegerischen Aktionen aus einer vermeintlichen moralischen Überlegenheit der  eigenen Ordnung herzuleiten. Das sind überkommene Gebräuche des Rassismus, des Kolonialismus und Imperialismus. Um den Gegner zu verteufeln, die eigene Seite aber moralisch zu erhöhen, ist es dabei üblich, für Freund und Feind unterschiedliche Maßstäbe anzulegen
  6. Die Ursachen und die Genese von Konflikten werden von den herrschenden Meinungsbildnern verfälscht und verkürzt dargestellt. Zum Beispiel in Bezug auf die strategischen Interessen Russlands und der USA auf der Krim. Und es ist absurd, dass unter dem Begriff „Terrorismus-Bekämpfung“ auch die Geburt von Al-Qaida wie auch die des „Islamischen Staates“ zählen, denn beide sind von den USA sowohl erschaffen als auch bekämpft worden.

Wir stellen fest, dass die gelenkte Öffentlichkeit (der Mainstream) in Deutschland bezüglich Krieg und Frieden nicht wahrheitsgemäß berichtet. Die Medien wirken durch ihre asymmetrische Berichterstattung und ihre allgemeine Parteinahme für den „Westen“ oder für die Aufrüstung konfliktfördernd und friedensgefährdend. Dafür stehen viele Fakten, hier nur zwei:

Die US-Militärausgaben sind 10mal, die der NATO insgesamt 16mal höher als die Russlands. Die seit 1990 geführten völkerrechtswidrigen Kriege mit ihren Millionen Toten, Verletzten und Vertriebenen  gehen fast ausschließlich auf das Konto des Westens, die ebenfalls völkerrechtswidrige Annexion der Krim forderte dagegen (fast) keine Menschenleben. In der Öffentlichkeit wird aber eine militärische Überlegenheit und Aggressivität Russlands behauptet.

Gegen diese und viele weitere Formen der Kriegspropaganda müssen die Friedensaktivisten das Kredo von Marcuse setzen: Die unideologische Suche nach der Wahrheit. Eine noch so begründete Sympathie für eine der Konfliktparteien darf niemals das aggressive Verhalten einer der Seiten fördern oder rechtfertigen. Die Parteinahme für den Frieden geht vor alle anderen Interessen.

Die Politik der USA, der europäischen Union, Russlands, Chinas und aller anderen Staaten beurteilen wir nach ihrer militärischen Überrüstung, ihrer oft fehlenden Kooperationsbereitschaft und ihrem aggressiven Handeln. Wenn wir aber kritisieren, so zuerst die Verantwortlichen in Deutschland, weil unsere Wirkmöglichkeiten hier am größten sind  und das Fingerzeigen auf andere meist dazu dient, von den eigenen Fehlern abzulenken.

Die Wahrheit ist der beste Weg zum Frieden. Pazifisten müssen Wahrheitssucher sein.  

Olaf Weber, Initiative „Welt ohne Waffen“ Weimar

Einladung zur Ausstellung „Volkswettbewerb Theaterplatz Weimar“

Anfang des Jahres wurde zum Ausklang der „Woche der  Demokratie” am 10.02.2019 im Gropius-Pavillon der nun schon dritte Volkswettbewerb ausgerufen. Er gilt in diesem Jahr einer möglichen Umgestaltung des Theaterplatzes.

Die eingegangenen Arbeiten wurden inzwischen gesichtet und für die Ausstellung aufbereitet. Nun können sie der Öffentlichkeit präsentiert und der Stadt  Weimar übergeben werden.  Die Weimarer Bevölkerung ist eingeladen, das Experiment „Raum für  Demokratie” aktiv zu begleiten und mit zu gestalten. 

Vom 26.09.–13.10. werden Die Ideen im Rahmen des internationalen Symposiums zur Architekturvermittlung und Bundeskongress der Kunstpädagogik „Denkraum.Bauhaus“ ausgestellt.

An alle Interessierten geht die Einladung zur Vernissage dieser Ausstellung, die am Do. 26.9. um 18 Uhr  im Foyer der Uni-Bibliothek, Steubenstraße 6, stattfindet. Schirmherr der Ausstellung zum Volkswettbewerb ist der Thüringer Kulturminister und Chef der Staatskanzlei, Prof. Dr. Benjamin-Immanuel Hoff, der mit allen Beteiligten die Ausstellung eröffnet.  Im Anschluss soll es Gelegenheit geben, über die Ideen mit den Teilnehmern, Interessierten und Initiatoren ins Gespräch zu kommen.

Am Sonntag 29.9. um 14 Uhr  findet die symbolische Übergabe der Ideen des „Volkswettbewerbs zum Theaterplatz”  an die Stadt Weimar statt. Der Oberbürgermeister  der Stadt, Peter Kleine, wird ab 14 Uhr vor Ort mit den Teilnehmerinnen und Initiatorinnen des Wettbewerbs zu Fragen der  Stadtentwicklung diskutieren.

Die dritte Einladung gilt dem Termin der Vernissage. Am Sonntag, den 13.10. um 17 Uhr soll ein Resümee gezogen werden und ein Ausblick auf künftige Formen der  Demokratisierung von Stadtentwicklung gewagt werden. Auch zu diesem Gespräch sind alle Interessierte in das Foyer der Uni-Bibliothek eingeladen.

Julia Heinemann
Olaf Weber

Mit einem einzigen frischen Sprung 

Pazifismus ist eine Politik „for Future“

Wir befinden uns an einer Bruchstelle zur Zukunft. Im Laufe der Jahrmillionen haben die Menschen immer Natur zerstört, es gab auch immer Herrschaft und es gab immer Gewalt. Wenn sich aber skrupellose Gier solcher Mittel bedient, welche die gesamte Zivilisation gefährden, dann ist das verantwortungslose Besessenheit. Der lang unwidersprochene Grundsatz, dass Kriege einen quasi natürlichen Zustand darstellen, kann nicht mehr gelten.

Wir gefährden unsere Zukunft durch irreversible Eingriffe in die Natur und unbeherrschbare Technologien. Wir zerstören zweitens mit der Kluft zwischen einem unverschämten Reichtum und einer erbärmlichen Armut die sozialen und kulturellen Grundlagen der globalen Zivilisation. Und schließlich stehen die modernen autonomen und atomaren Waffen bereit, alles höhere Leben auf der Erde zu vernichten. Wir sind damit beschäftigt, uns dreifach aufzugeben.

Es wird eine harte Zäsur. Wir überschreiten gerade den Rubikon eines vernunftgeleiteten Tuns. Das Limit ist dreimal erreicht, die Grenzen der geschundenen Ökosysteme, der sozialen Verwerfungen und der militärischen Aufrüstung sind überschritten. Es kann uns nur noch eine Umkehr retten: Rücknahme der globalen Erwärmung, der sozialen Erkaltung und der militärischen Überhitzung.

Der Klimawandel und das Artensterben haben es inzwischen bis in die Schlagzeilen der Medien geschafft. Über die anderen Themen, eine Umverteilung des Reichtums und eine substantielle militärische Abrüstung, wird aus naheliegenden Gründen viel geschwiegen. Carl von Ossietzkys Satz hat nichts an Aktualität verloren: „Der Krieg ist ein besseres Geschäft als der Friede“.

Die schweren ökologischen und sozialen Probleme begünstigen militärische Konflikte, wie umgekehrt das Militär und der Krieg die ökologischen und sozialen Probleme verschärfen. Man kann feststellen, dass Gesellschaften, die unter Friedlosigkeit leiden, auch nach außen eine riskante Sicherheitslogik vertreten, die von Feindbildern, Abschreckung, Eskalation und der Durchsetzung eigener Interessen geprägt ist.

Der Zeitpunkt einer wahrscheinlichen Klimakatastrophe kann wissenschaftlich eingekreist werden und der Moment, an dem eine soziale Lawine losbricht, kündigt sich über längere Zeiträume an. Eine atomare Katastrophe aber kann sofort und völlig überraschend über uns hereinbrechen, denn die atomare Uhr steht bei drei vor Zwölf. Der Krieg ist also die unmittelbarste und verheerendste Gefahr.

Bereits am ersten Tag eines Krieges stürzt die Zivilisation in den höllischen Abgrund. Der Krieg setzt die meisten Grundrechte und vor allem das Recht auf körperliche Unversehrtheit und Leben außer Kraft. Krieg ist das größte Verbrechen und die größte Gesetzlosigkeit, Krieg und Menschenrechte sind gegensätzliche Begriffe. Krieg ist staatlich organisierter Terror. Auch die Vorbereitung zu einem Verbrechen ist strafbar, auch Aufrüstung ist ein Verbrechen.

Es liegt im Wesen  des Militärs, dass Unschuldige getötet werden, denen keine individuelle Schuld nachgewiesen wird und dass nicht mal der Versuch eines solchen Nachweises unternommen werden kann. Das Militär schießt auf Uniformen, doch die Kugeln treffen die meist unschuldigen Menschen, welche darin stecken. Eine solche Hinnahme außergerichtlichen Tötens ist völlig unakzeptabel. Hinzu kommen die sogenannten Kollateralschäden, dass sind die ganz normalen Morde, denn 90 Prozent aller Menschen, die in bewaffneten Konflikten seit 1945 ihr Leben verloren haben, waren Zivilisten. Militär gehört abgeschafft, Soldat ist kein Beruf für Menschen.

Die heuchlerisch betriebene „menschenrechtsbasierte Außenpolitik“ hat sich in den meisten Fällen als militärische Interventionsstrategie zugunsten des Hegemon erwiesen und steht der Absicht entgegen, Demokratie und Freiheit wirklich zu befördern. „Humanismus“ als Kriegsgrund schwächt die offene Gesellschaft sowohl bei den Kriegsführenden als auch bei den Leidenden. Krieg hemmt somit auch die Selbstheilungskräfte eines jeden Volkes. Er ist heute ein imperiales Projekt, bei welchem der sogenannte Weltpolizist nach Gutdünken in fremde Gärten einsteigt und darin wildert.

Zur Zeit treibt alles auseinander: die Religionen, die politischen Feindbilder, die ökonomischen und geopolitischen Interessen. Und es steigen: die Rechtsverletzungen, die Kriegstoten und Vertriebenen, die Militärausgaben und die Kriegspropaganda. Und es sinken: das Vertrauen und die Sicherheit.

In Zeiten, in denen Verstand und Verantwortung regieren würden, könnte die Kriegsgefahr mit einigen als selbstverständlich erscheinenden Maßnahmen verringert werden: 1. Durch eine Reduzierung der Kriegsgründe, also eine Angleichung der Lebensstandards und die  Verminderung wirtschaftlicher Ungleichheiten, 2. durch internationale Verträge entlang des Völkerrechts sowie vertrauensbildende Maßnahmen und 3. durch eine technische Unfähigkeit zum Krieg, also durch Abrüstung.

Aber die Kriegstreiber aller Länder entwickeln viel Phantasie bei der Schaffung von Konflikten und Feindbildern. Die Aufrüstung im eigenen Land wird stets mit der Überrüstung woanders begründet, aber dort gibt es dieselben Scheinargumente, nur in die andere Richtung. Diesen Profiteuren des Krieges, die einem eisigen Machtkartell angehören, ohne sich verabredet zu haben, ist es gelungen, eine große und weltweite Bewegung für Abrüstung und Frieden zu verhindern. Aber die meisten Zivilisten wünschen nicht nur sich, sondern auch dem Nachbarn keinen Krieg. Wenn wir Demokratie hätten, würden die Waffen schweigen. Wenn die Macht vom Volke ausginge, wie es im Grundgesetz steht, würde ab- statt aufgerüstet werden.

Kriege beginnen immer mit den gemeinsten Lügen. „Seit 5:45 Uhr wird zurückgeschossen.“ Dieser Satz ist auch heute für alle Militaristen das bewährte Muster. Sie schießen immer nur zurück – aber schon vorher. Geheimdienste und Kriegsgewinnler werden nicht müde darin, immer neue Varianten dieses Tricks zu erfinden. Sie müssen weiter lügen, um den Friedenswillen der Menschen zu brechen. In den Kriegsministerien aller Länder sind Tausende von PR-Managern beschäftigt. Sie verengen das Denken zu einem schmalen Meinungskorridor, in dem das Sicherheitsbedürfnis der Nachbarn ausgeblendet wird. Übrig bleiben die Hetzbilder der feindlichen „Monster“, die schon wegen ihrer „Hässlichkeit“ zum Abschuss freigegeben werden müssen.

Die Umfragen in Deutschland zeigen, dass nach Meinung der Bevölkerung die Sicherheit nicht durch weitere Aufrüstung, sondern durch Abrüstung und Entspannung zu gewinnen sei (vgl. Ergänzung 4). Es ist anzunehmen, dass ähnliche Ergebnisse auch bei Umfragen in anderen Ländern der Welt zu beobachten sind. Die Bundesregierung und (fast) alle anderen Staaten dieser Welt betreiben aber eine entgegengesetzte Politik: Sie setzen weiter auf Feindbilder und Aufrüstung. Es  macht den Anschein, dass sich das Friedensbedürfnis der Menschen nirgends, also in keiner Diktatur und in keiner Demokratie, durchsetzen kann. Es scheinen andere Kräfte zu wirken.

Gegen die nationalistischen Kriege gibt es ein Rezept. Es muss endlich die weltweite Unmündigkeit überall, in Bangladesch wie in Deutschland, in Tansania wie in China und den USA, überwunden werden. Friedfertigkeit und Abrüstung werden nur als ein großes kreatives Fest gelingen, wenn es von den Völkern selbst organisiert wird. Die Befreiung vom Militär ist eine wirkliche Emanzipation: Sie kann gewaltige solidarische Kräfte freisetzen und befreit letztlich auch die Soldaten von ihrem schmutzigen Handwerk.

Wir müssen es tun: Auf einem langen Weg zum Pazifismus …


Ergänzung 1: Das Reichtumsgefälle

In Russland besaßen im vergangenen Jahr die reichsten drei Prozent fast 90 Prozent des gesamten Geldvermögens. Acht von zehn Familien hatten dagegen Probleme, die aus ihrer Sicht nötige Mindestmenge an Produkten zu kaufen. Die drastische Ungleichheit in dem Land ist ein riesiges Hemmnis für die Entwicklung von Wirtschaft und Demokratie. Die Oligarchen und Superreichen sind allerdings das Produkt einer Freundschaft von Boris Jelzin mit Helmut Kohl. Den Neoliberalismus haben die Russen importiert. Das Vermögen in Deutschland ist ebenfalls sehr ungleich verteilt, das sagen offizielle Statistiken. (1) 45 Deutsche besitzen so viel wie die ärmere Hälfte der Bevölkerung. Über viele Jahre verfehlt Deutschland die UNO-Ziele zur Reduktion der Einkommensungleichheit, den Gini-Koeffizient. Und die meisten Milliardäre leben mittlerweile neben den USA in China.

Auch bei den Wirtschaftsbossen gibt es Bedenken über die negativen Auswirkungen dieses Reichtumsgefälles. Der milliardenschwere Gründer der größten Hedgefonds-Gesellschaft Ray Dalio schreibt in einer Streitschrift: „Der Kapitalismus sei der beste denkbare Motivator, funktioniere aber für die Mehrheit in Amerika nicht mehr.“ Als Investor sehe er, dass „das Geld sich an der Spitze staut“ – zu viel für die wenigen, zu wenig für die vielen. Dalio schreibt von „sich selbst verstärkenden Spiralen: aufwärts für die Besitzenden, abwärts für die Besitzlosen“. Das sprenge „nicht nur den sozialen Zusammenhalt, sondern wirke auf Dauer auch unproduktiv“. Er befürchtet, dass in den kommenden Jahren keine Koalition zwischen „Kapitalisten und Sozialisten“ gelinge, um gerechtes Wachstum zu sichern, „sodass irgendeine Art von Revolution kommen wird, die praktisch jedem schadet“. (2)


Ergänzung 2: Das Verschwinden des Völkerrechts

Jede Regierung sollte nur die Wirkmächtigkeit über dasjenige Volk besitzen, vom dem sie gewählt wurde. Die Iraker, die Afghanen, die Libyer oder die Syrier haben nicht den US-amerikanischen Präsidenten gewählt und er ist von diesen nicht legitimiert worden, sich in ihre Angelegenheiten einzumischen, am wenigsten militärisch. Das Völkerrecht erlaubt keine aggressiven Akte gegen andere Staaten. Wenn überall die gleichen Maßstäbe angelegt würden, so würde sich zeigen: Die Wahrheit steht auf der Seite des Friedens. Das heißt auch, die Annexion der Krim durch Russland und die der palästinensischen und syrischen Gebiete durch Israel sind vergleichbar, aber nicht gleichwertig.

Der wichtigste pazifistische Maßstab ist die schauerliche Zahl der Toten, Verwundeten und Vertriebenen eines Krieges, also das reale Grauen. Die Millionen Kriegsopfer der letzten 30 Jahre können mit Recht der unipolaren Weltordnung angelastet werden. Und diese Feststellung ist keineswegs Antiamerikanismus, sondern ein wichtiger Erkenntnisschlüssel zum Frieden. Nach dem Untergang des Ostblocks ist keine regelbasierte Welt von Gleichen entstanden, statt dessen haben die USA und die NATO immer dreister ihre Macht zur Durchsetzung eigener Interessen genutzt. Sie haben das Völkerrecht am meisten gebrochen.

Aus friedenspolitischer Sicht ist es ungerechtfertigt, dass der Westen eine moralische Überlegenheit für sich beansprucht. Das zeigt sich auch an Details, zum Beispiel an der entwürdigenden Weise, wie mit gefängnisinsassen umgegangen wird, oder an der Tötung des gebrechlichen Osama bin Laden, der von fünf schwerbewaffneten und mit kugelsicheren Westen geschützten US-Soldaten nicht gefangen genommen und einem Gericht zugeführt, sondern erschossen wurde (2011). Dem Märchen von der moralischen Überlegenheit widerspricht aber vor allem die Tatsache, dass die derzeitigen Hauptfeinde der USA , nämlich China und der Iran, die letzten 200 Jahre unter ausländischen Mächten zu leiden gehabt und selber, im Gegensatz zu den USA, keine Angriffskriege geführt haben.

Jimmy Carter, der einzige US-Präsident, unter dem die Vereinigten Staaten keinen Krieg geführt haben, hat die Kriegslust seines Landes kürzlich scharf kritisiert. Die USA könnten sich laut Carter an China ein Beispiel nehmen. Die USA seien das kriegerischste Land der Welt, sagte Carter in seiner Sonntagsschule in der Maranatha Baptist Church im US-Bundesstaat Georgia. Trump sei derzeit darüber besorgt, dass China die USA wirtschaftlich überholen könnte. „Ich habe das Verhältnis zu China 1979 normalisiert. Wissen Sie, wie oft China seit 1979 Krieg gegen jemanden geführt hat? Niemals! Und wir sind im Krieg geblieben“, so der ehemalige demokratische Staatschef. In den 242 Jahren ihres Bestehens als Staat hätten die USA lediglich 16 Jahre lang keinen Krieg geführt, betonte Carter. Dass die USA das kriegsfreudigste Land seien, sei die Folge des US-Drucks auf andere Staaten, amerikanische Prinzipien zu übernehmen. Die lange Friedenszeit habe es China erlaubt, sein Wirtschaftswachstum voranzutreiben. „Wie viele Meilen Schnellverkehrsbahn haben wir in diesem Land?“ fragte Carter. China habe etwa 29.000 Kilometer Schnellverkehrsbahn, während Washington etwa drei Billionen US-Dollar fürs Militär ausgegeben habe. (3) Es ist offensichtlich so, dass die Kosten sich eminent verteuern, wenn sich ein Land statt auf seinem eigenen Territorium auf einen weit entfernten und auf Kosten anderer Völker, zum Beispiel am Hindukusch, verteidigen will.


Ergänzung 3: Die Militärausgaben und Kriegskosten in schwindliger Höhe

Für den völkerrechtswidrigen Irak-Krieg, dem Sündenfall im Nahen Osten, hatte die US-Administration 50-60 Mrd. Dollar kalkuliert. Doch am Ende dürften sich die Gesamtkosten auf drei Billionen Dollar allein für die USA summieren. Die Kosten der anderen Kriegsteilnehmer sowie des Irak sind da noch nicht mitgerechnet, geschweige denn die darauf folgende Destabilisierung Syriens und des ganzen Nahen Ostens. Eine kaum glaubliche Summe. Doch das ist längst nicht alles. Das Watson Institute for International and Public Affairs zeigt in seinem Projekt Costs of War, dass seit 9/11 die Ausgaben für den Krieg gegen den Terror sich auf eine noch weit höhere Summe belaufen: fast sechs Billionen US-Dollar. (4)

Das Stockholmer Friedensforschungsinstitut SIPRI hat kürzlich seinen jährlichen Bericht zu den Militärausgaben 2018 weltweit veröffentlicht. Unangefochten auf Platz 1 stehen die USA mit 649 Mrd. Dollar, das liegt nur knapp unter der Summe der Militärausgaben der acht darauffolgenden Länder zusammen. Auf Platz 2 steht China mit 250 Mrd. Dollar. Dann folgen Saudi-Arabien (67,6 Mrd. Dollar) und Indien (66,5 Mrd. Dollar). 63,8 Mrd. Dollar gab Frankreich im vergangenen Jahr für sein Militär aus und steht damit vor Russland (61,4 Mrd. Dollar). Mit 50 Mrd. Dollar Rüstungsausgaben steht Großbritannien nach Russland auf Platz 7. Deutschland überholte mit einem Anstieg um 1,8 Prozent auf 49,5 Mrd. Dollar Japan und liegt damit nun an weltweit achter Stelle. (5)


Ergänzung 4: Des Volkes Stimme fordert: Demokratie

In einer (nicht repräsentativen) Blitz-Umfrage der Initiative „Welt ohne Waffen“ anlässlich der „Woche der Demokratie“ im Deutschen Nationaltheater Weimar gab es am 09.02.2019  bemerkenswerte Antworten von Kulturinteressierten auf folgende Fragen:

Sehen Sie gegenwärtig eine militärische Bedrohung Deutschlands?
90 %   nein          10 %   ja         

Sind Sie für die Erhöhung oder für die Verringerung der Militärausgaben?
12 %   Erhöhung          88 %   Verringerung

Soll Deutschland den UN-Atomwaffen-Verbotsvertrag jetzt unterzeichnen?
97 %   ja          3 %   nein

Befürworten Sie den Austritt Deutschlands aus der NATO?
44 %   ja          56 %   nein

Können Sie sich eine stufenweise Auflösung des Militärs vorstellen, wenn alle Staaten mitmachen?
88 %   ja          12 %   nein

Ähnliche Ergebnisse sind auch bei anderen deutschlandweiten Umfragen zu verzeichnen. Die Friedensnobelpreisträgerin ICAN (Internationale Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen) berichtet unter Berufung auf eine von ihr in Auftrag gegebene repräsentative Umfrage, dass sich für die Entfernung der US-Atomwaffen aus Deutschland eine deutliche Mehrheit von 67 Prozent der Bundesbürger aussprechen. Außerdem fordern 68 Prozent der Befragten die Bundesregierung auf, den UN-Atomwaffenverbotsvertrag zu unterzeichnen. (6)

Die öffentliche Meinung ist also längst friedensbewegt. Noch eine Umfrage: Es  halten 82 Prozent der Menschen in Deutschland Friedensförderung für „lebensnotwendig“, 70 Prozent fordern höhere Investitionen zu diesem Zweck. (7)


Quellen: 

(1) Russlands Reichtum – in den Händen weniger, Oxi, 12.04.2019.

(2) Arvid Kaiser, Wall-Street-Milliardäre rufen nach der Sozialdemokratie, manager magazin, 09.04.2019.

(3) Ex-Präsident Jimmy Carter nennt USA das kriegerischste Land der Welt, Sputnik, 20.04.2019.

(4) Ulrich Teusch, Privatisierung der amerikanischen Kriege, Telepolis, 03.04.2019.

(5) Russland investiert weniger ins Militär als Frankreich, Ostexperte, 30.04.2019.

(6) https://www.icanw.de/wp-content/uploads/2019/04/2019-04_YouGov-Ergebnisse_de.pdf

(7) Philipp Rotmann und Sarah Brockmeier, Die Friedensbewegung hat sich verirrt, taz, 25.03.2019.

Prof. Dr. Olaf Weber

Initiative „Welt ohne Waffen“ Weimar

Aufruf zum Ideenwettbewerb Theaterplatz Weimar

3. Volkswettbewerb 2019

Weimar lebt im Spannungsfeld von Tradition und  Gegenwart, manchmal auch im Vorgriff auf die Zukunft. In der Geschichte Weimars gab es immer wieder wichtige Phasen der Erneuerung. Sie haben sich stets auch am Theaterplatz abgebildet. Dieser Platz europäischer Kultur ist im Jahre der Weimarer Republik nicht nur das Zentrum der deutschen Geschichte,  er bleibt auch ein wichtiger Platz des alltäglichen Lebens seiner Bewohner und Touristen. Er war immer ein Ort der Vielfalt und der Widersprüche. Heute ist er etwas in die Jahre gekommen, es fehlt ihm an Strahlkraft, an Innovationen und Visionen.

Es gibt zur Zeit keine Initiativen der Stadt Weimar für einen Umbau des Theaterplatzes.  Die Ansiedelung des „Hauses der Weimarer Republik“ an diesem Ort Verstehen wir aber als Aufforderung, auch eine mögliche Umgestaltung dieses Platzes demokratischer als gewöhnlich zu organisieren. Es hat sich gezeigt, dass im Rahmen einer Erweiterten demokratischen Mitbestimmung Leien mit interessanten Ideen helfen können, bestehende Stillstände zu überwinden. Das ist die positive Kraft von Nicht-Fachleuten, die vor allem im Vorfeld eigentlicher Umgestaltungen  inspirierende Impulse geben können.

Wir wollen diesen Platz auch ohne Planungshoheit mit Mut, Heiterkeit und Kreativität in Frage stellen. Phantasie und Einfühlung sind gefragt. Die Organisatoren dieses Wettbewerbes sind nicht der Meinung, dass die neoklassizistische Fassade des Nationaltheaters nur deshalb weiterhin als Kulisse für das Goethe-Schiller-Denkmal dienen muss, weil sie schon millionenfach dazu gedient hat. Alles, auch Blumenbeete und Freiflächen stehen zur Disposition, Der gesamte Platz ist zu befragen, seine Atmosphäre, seine Raumbegrenzungen, seine Details. Was könnte auf dem Platz  passieren, was nicht? Welches Nutzungsangebot fehlt? Was für ein Platz braucht das alltägliche Theater, wie ehren wir große Schriftsteller? Wie kann ein öffentlicher Platz inspirieren? Was heißt hier Willkommenskultur?

Alle sind aufgerufen, neue und möglichst unkonventionelle Ideen für den Theaterplatz zu entwickeln, Diese Ideen und Visionen müssen keine fertigen Architekturentwürfe sein, sondern möglichst unkonventionelle Anregungen, die in Skizzen, Papier- und Knetmodellen, in Beschreibungen  (auch Versen), Fotomontagen, animierten Bildern oder mit beliebig anderen Mitteln angedeutet werden. Alles ist erlaubt, nur Phantasie ist Pflicht.

Der Ideenwettbewerb ist ein öffentlicher, doch kein offizieller Wettbewerb. Er ist eigentlich gar kein Wettbewerb, sondern ein kulturelles Engagement für Weimar.  Wie so oft, werden gute Ideen nicht oder schlecht bezahlt. Trotzdem werden die „interessantesten“ Beiträge auf eine besondere Weise prämiert. Die Jury wird von den Teilnehmern selbst als auch von Studierenden und Dozenten der Bauhaus-Universität gebildet.

Bis Anfang April ist Zeit, die Ideen zu entwickeln und in eine entsprechende Form zu bringen. Bitte unbedingt Name, Vorname, Adresse und E-Mail-Adresse angeben, evtl. telefon-Nummer (wer möchte, kann aber auch anonym bleiben).

Die Entwürfe können bis spätestens 15. April an die Poststelle der Bauhaus-Universität Weimar, …abgegeben oder eingeschickt werden oder per E-mail an unten stehende Adressen gesendet werden.

In den darauf folgenden Wochen und Monaten werden Die Ergebnisse durch Studierende der Bauhaus-Universität analysiert und weiterentwickelt.  Im September werden sie in der Uni-bibliothek in einer umfassenden Ausstellung präsentiert.

Prof. Dr. Olaf Weber, Architekturtheoretiker 

Julia Heinemann, Architektin, Künstlerin, Kunstpädagogin

Nachfragen an:

olaf.weber@uni-weimar.de

Julia.heinemann@uni-weimar.de

Weimar, im Februar 2019

Über das Geistige in der Architektur

Die Transkription des Bauhauses in ein Museum

von Olaf Weber

Ein Gebäude besteht neben Stein, Holz, Stahl und Glas auch aus rhetorischen Figuren. Wenngleich die Häuser massiv und dauerhaft sind, so ist doch Architektur vor allem etwas Labiles und Immaterielles. Ein Haus kann zu uns sprechen. Und wir können das zu Stein gewordene Geistvolle genießen und wiederum interpretieren.

Das geht so weit, dass die massiven Balken und Pfeiler, Treppen und Kellergewölbe verhindern müssen, dass schöne Architektur zur Poesie wird. Die Stadt ist ein Text, der in seiner Omnipräsenz einen vergänglichen Raum in einer unnatürlichen Sprache artikuliert. Schauen wir uns an, welchen Text das Bauhaus-Museum spricht.

Realität. Die ästhetischen Beschlüsse der Architekten sind oft isoliert, fremdbestimmt und marginalisiert. So hat nicht die Architektin Heike Hanada, sondern haben die Beschlüsse der Finanzausschüsse, die Autoren diverser Rechnungen und Paragraphen, natürlich auch eine Jury und die herrschende Baukultur und vor allem der geistig-kulturelle Zustand Weimars die Fundamente des Bauwerkes gelegt.

Vor diesem Anspruch und Hintergrund betrachten wir nun die Ideengeschichte des neuen Bauhaus-Museums in Weimar, zunächst durch einen kurzen Rückblick auf die Geschichte einer langwierigen Planung, wobei leider ein permanenter Mangel an konzeptionellem Vorlauf auffällt. 

Verortung. Seit der Wiedervereinigung war klar, dass Weimar ein (neues) Bauhaus-Museum braucht. Als aber plötzlich (20 Jahre danach) eine Finanzspritze aus Berlin kam, traf diese die Stadt, die Klassik-Stiftung und die Bauhaus-Universität völlig unvorbereitet. Danach wurde fast ausschließlich über einen möglichen Standort diskutiert.

Am Gründungsort hatte die Uni keine Reservefläche für das Museum bereit gehalten, so dass abstruse Vorschläge aufkamen, zum Beispiel die inzwischen unter Denkmalschutz stehende DDR-Mensa abzureißen oder dem Museum für das Staatliche Bauhaus ein teilprivatisiertes Museum am Hotel „Elephant“ zu verordnen (Public-Private-Partnership). Die Klassik-Stiftung als künftiger Nutzer wollte einen zentralen Ort am Zeughof, damit die Besucher beim Stadtrundgang das Bauhaus-Museum auf keinen Fall verfehlen. Der Stadtrat favorisierte aber im Interesse des Stadtganzen einen Standort abseits der klassischen Zentren. Damit wurde der Überkonzentration des Tourismus auf das mittelalterliche Stadtzentrum durch ein Ausweichen auf seinen Rand klug entgegen gewirkt.

Das bedeutete, dass die Gestalt des Neubaus nicht mehr dem ästhetischen Anpassungsdruck des historischen Kontextes ausgesetzt war. Nun war die Gestalt des künftigen Museums wieder offen. Doch am Rande des Weimarhallenparkes wurde das Wesentliche des Standortes offenbar: Das Bauhaus-Museum musste eine Antwort auf die politisch herausfordernde Sprache des „Gauforums“ finden.

Das Geistige. Nun stellte sich heraus, was nicht stattgefunden hatte. Es fehlte eine ausführliche Diskussion um den Sinn eines solchen Museums, um  den geistigen Gehalt des Bauwerkes, um den Typus, um die Symbolkraft, um Ausdruck und Wirkung des neuen Gebäudes. Die Frage nach dem architektonischen Typus hätte die Diskussion belebt und bewirkt, dass der Geist des Bauhauses oder seiner Neugeburt doch noch Gegenstand des architektonischen Diskurses geworden wäre.

Der Bauherr hatte seine Vorstellung vom Museum und sein ästhetisches Credo nur ungenügend definiert. Im Ergebnis eines Wettbewerbes von 2011/12 wurden 536 Entwürfe aus aller Welt eingereicht, die in den meisten Fällen dem Text der Ausschreibung folgten, aber wenig dem Anspruch des Bauhauses entsprachen.

Sollte der Neubau ein möglichst unspektakulärer Sachbau werden, sollte er in seinem Habitus an die Moderne der 20er Jahre erinnern, sollte er unsere heutige Zeit ausdrücken oder gar einen Blick in die Zukunft wagen, wie es seinerzeit das Bauhaus versuchte? Letzteres hätte eine Diskussion über den Avantgardismus heute oder über die Zukunft in unserer Gegenwart erfordert. Es hätte eine Transkription des Bauhaus-Experiments in eine gegenwärtige Utopie bedeutet. Das waren offene und unbeantwortete Fragen an Weimar.

Die Ästhetik. Das Bauhaus verstehen heißt, das Bauhaus neu denken. Gropius hatte damals die erreichbaren progressiven Tendenzen seiner Zeit aufgegriffen und ihnen ein Programm und einen Namen gegeben: Bauhaus. Das Bauhaus wollte den Schwulst der Kaiserzeit durch eine sachliche Gestaltung vernichten. Aber die Reduktion auf elementares Gestalten war nur der Anfang, Ziel war der Aufbau einer neuen Grammatik, einer neuen architektonischen Formensprache. Dieser Versuch war aus historischen Gründen abgebrochen und nie wieder im Geiste des Bauhauses aufgenommen worden. Heute wäre das Bauhaus natürlich allen technischen Neuerungen offen. Es würde mit dem digitalen Potential experimentieren und neue ästhetische Körper, Räume und Oberflächen produzieren. Der „White cube“ war lediglich eine Folie, in der sich die Experimente spiegeln konnten.

Öffentlicher Disput und Mitbestimmungsmodelle. Die Demokratisierung der Gesellschaft war 1919 in eine neue Phase getreten, in die Weimarer Republik. Am Bauhaus wirkte sich die Novemberrevolution von 1918 durch eine soziale und internationalistische, auch weibliche Orientierung aus, aber noch nicht durch eine breite Demokratisierung des Produktionsprozesses von Architektur und Design. Direkte Demokratie und Mitbestimmungsmodelle spielten damals keine Rolle, sie wären aber heute in der Planung eines Museums dieser Avantgarde unbedingt nötig gewesen, damit zunächst ein historisches und philosophisches Modell, später ein architektonischer und künstlerischer Entwurf hätte gelingen können.

Der ökologische Aspekt. Bei Gründung des Bauhauses schien das Verhältnis des Menschen zur Natur noch in Ordnung zu sein. Die natürlichen Formen sollten damals mit den Abstraktionen der Artefakte vor allem eine ästhetische Balance bilden. Es ist keine Spekulation zu behaupten, dass das Bauhaus heute ein Ort des ökologischen Radikalismus wäre. Es wäre deshalb eine selbstverständliche Vorgabe gewesen, den Erinnerungsort an diese Avantgarde als Null-Energie-Haus zu konzipieren. 

Der politische Standort. Das Bauhaus wurde schon bald nach der Gründung von einer kleinbürgerlichen Schicht mit volkskonservativen und nationalistischen Parolen vertrieben. Die Rolle einer Avantgarde für das immer wieder sich erneuernde Weimar wurde von diesen Kräften völlig verkannt. Aus diesem Denkraum könnte der Eindruck entstehen, dass das Bauhaus nach einem Alterungsprozess von 100 Jahren endlich nach Weimar zurückkehren darf – nun aber als Wirtschaftsfaktor der Tourismusbranche. Diesem Eindruck muss durch anhaltende Akte der Wiedergutmachung entgegengewirkt werden.

Der Standort des neuen Bauhaus-Museums verortet den historischen Kontrast zum Nationalsozialismus unmittelbar. Das Museum befindet sich in direkter Nachbarschaft zur autoritären Herrschaftsarchitektur des „Gauforums“. Aus dieser Nähe entstand die Notwendigkeit, den historischen Sieg der Moderne über die NS-Architektur ästhetisch zu interpretieren – die vielleicht schwierigste Herausforderung des Standortes. Ich komme gleich noch einmal darauf zurück.

Resümee. Konnte man erwarten, dass ein Museum, das 100 Jahre nach der Gründung des Bauhauses geplant und diesem gewidmet ist, das Bauhaus quasi in seine Zukunft, also in unsere Gegenwart hinein fortsetzt? Ja, es wäre möglich gewesen und das Bauhaus verlangt aus meiner Sicht nach einer experimentellen Architektur als Hülle für seine avantgardistischen Ideen und Relikte.

Aber die von Staat, Stadt und Stiftung gebildeten Voraussetzungen für ein Bauhaus-Museum waren trotz rasanter globaler Umbrüche eher konservativ. Die Architektin hat einen soliden Entwurf geliefert, dessen Reize und Qualitäten wahrscheinlich in der inneren Raumgestaltung liegen. Die ausgestellten Zeugnisse programmatischer Ideen und 100-jähriger Erfindungen dominieren aber klar über die bauliche Hülle, die aus einem sauberen Baukörper mit einer schönen Schriftbanderole und einem postmodernen Portal besteht.

Weimar ist um eine Attraktion reicher. Aber der Entwurf für einen so hohen Zweck hätte Weimars kulturelle Tradition und seinen Erneuerungswillen herausfordern müssen. Um das zu verdeutlichen, will ich doch einmal – entgegen allen Gepflogenheiten – das Urteil der Jury ignorieren und auf einen vergessenen Entwurf zurückschauen, der die Gelegenheit bietet, über Architektur in einer Höhe zu philosophieren, der unserem Thema angemessen wäre.

Es ist der Wettbewerbsbeitrag von Zaha Hadid, einer weltbekannten und hoch dekorierten Architektin. Ich greife ihn heraus, weil er das Bauen der 20er Jahre technisch und ästhetisch weit übersteigt und zugleich zur Nazi-Architektur den größtmöglichen Abstand hat. Deshalb könnte er am besten ausdrücken, was Avantgarde an diesem Standort bedeutet. Ihre Arbeit hat wenig Beachtung gefunden, obwohl ihr radikal-moderner Entwurf den stärksten Ausdruckswert besitzt und in seinem spielerischen Habitus eine doppelte Innovation enthält. Es ist die freieste Avance an das Bauhaus und zugleich die kühlste Absage an den Bierernst des benachbarten monströsen „Gauforums“. Hadids Entwurf dominiert über das Gauforum nicht durch Höhe, sondern durch den größtmöglichen Kontrast zu ihm: durch Heiterkeit und Lebendigkeit. Eine allseitig gewölbte und fließende (parametrische) Kunstform mit ökologisch interessanten Lichtschächten – vielleicht gepaart mit den optisch-kinetischen Apparaten des ungarischen Bauhäuslers Moholy-Nagy. Und dieser Entwurf hätte vielleicht nach erneuter Überarbeitung im Dialog mit dem Geist von Gropius einen Bilbao-Effekt haben können, also zur exklusiven Hülle für einen exklusiven Inhalt werden können.

Nach dem offiziellem Wettbewerb und dem fehlenden 1. Preis gab es in Weimar noch einen bemerkenswerten Impuls: Ein Volkswettbewerb zum Bauhaus-Museum und ein diesbezüglicher Aufruf: „Die Ideen sind frei. Ein Manifest für die Stadt“. Innerhalb von 10 Tagen wurden aus der Bevölkerung 25 unkonventionelle Ideen für ein Bauhaus-Museum eingereicht. Es zeigte sich, dass so genannte Laien erstaunlich frische Bilder für Bauwerke entwickeln können. Es gibt offensichtlich eine Kraft des Dilettantismus, die in den Frühphasen eines Entwurfes helfen könnte, manche Denkschablonen des Systems „Architektur“ zu überwinden. Die Initiatoren des Volkswettbewerbs versuchten mit dieser unkonventionellen Aktion ein Moratorium zu erreichen, um unter kühneren Prämissen neue Denkansätze für das Bauhaus-Museum zu initiieren, leider zu spät und ohne Erfolg. Aber auch das gehört zur Erzählung über das Geistige in der Architektur.

Weimar, Januar 2019

Veröffentlicht in: Palmbaum, Heft 1, 2019 (Heft 68)