Archiv der Kategorie: 04 Architektur- und Designtheorie ab 1990

Von einem Besuch bei Lothar Kühne habe ich (fast) keine Erinnerung (2019)

von Olaf Weber

„Ein Faulsein, welches nicht den inhaltserfüllten Drang zur Arbeit erweckt, ist keine Muße, sondern sinnlos vergammeltes Leben.“ Diesen Satz Lothar Kühnes hatte ich vor langer Zeit meiner etwa 10-jährigen Tochter erzählt, sie ist heute über 50 und kann ihn immer noch aufsagen. Was er heute mit dem bedingungslosen Grundeinkommen gemein hat, darüber streiten wir uns trefflich. Ich sage: Nichts, sie sagt: Tun.

Ich weiß auch nicht, wo dieses Zitat bei Kühne zu finden ist, aber irgendwo muss es stehen. Ich habe es jetzt nicht gefunden, bin inzwischen blind.

Aber ich will mich gern an eine Begegnung mit Lothar Kühne erinnern, die einzige, die es gab. Ich weiß aber nicht mehr das Datum. Ich erinnere mich auch nicht mehr an den Inhalt des Gespräches, ebensowenig an den Ort. Es war ein unspektakuläres Bauwerk hinter der Humboldt-Universität. Ich habe also außer der Gewissheit, dass es stattgefunden hat, keine Erinnerungen an dieses Gespräch – aber vielleicht doch an etwas, das mir damals unbedeutend erschien, sich mir heute aber gedanklich vordrängt: das Ambiente.

Zum wissenschaftlichen Hintergrund: Ich fühlte mich in Weimar der Berliner Ästhetik-Schule („Ästhetik heute“) verbunden. Als Kühnes Buch „Gegenstand und Raum“ (1981) erschien, musste ich es natürlich sofort durchforsten. Ich habe das Exemplar noch heute mit Hunderten von Anmerkungen in meinem Bücherregal. Es versetzte unserem Weimarer semiotisch-psychologischen Ansatz (Architektur als Kommunikationsmittel, 1974) eine interessante, aber auch schwierige gesellschaftspolitische Dimension.

Wie wir wissen, kritisierte Kühne in Bezugnahme auf  Marx immer wieder das Marktförmige der  Gestaltung. Aber in der Praxis musste diese Kritik zu Kontroversen führen. Denn die architektonische Postmoderne folgte im Westen zwar zwangsläufig dem Marktgeschehen, doch der Dekorationalismus in der DDR war nicht rühmlicher, folgte nur anderen Triebkräften. Die Dekors an den Plattenbauten waren nur oberflächliche Verhübschungen, mit denen das Fehlen sozialräumlicher, kultureller und technologischer Vielfalt kaschiert werden musste. Ich glaube, dass Lothar Kühne an diesem Widerspruch zugrunde ging. Später erzählte mir Heinz Hirdina, den ich sehr mochte, von Lothar Kühnes Freitod. Er sagte aber, dieser hätte testen wollen, was er unter extremen Bedingungen aushalten konnte. Ich glaubte natürlich nicht, dass es ein Test war.

Also ich kam mit einem Kollegen eines Tages zu Kühne. Bruno Flierl hatte uns freundlicherweise miteinander bekannt gemacht. Wie gesagt, ich weiß nicht wann und wo es war. Irgendwie standen wir plötzlich in einem mittelgroßen Raum mit vielen Stühlen, vor allem  an den Wänden, vielleicht ein Wartezimmer für Studierende. Aber es konnte auch ein Zwischenlager für Möbel sein, die der Hausmeister aus dem Heizungskeller geholt hatte, um sie noch einmal „aufzumöbeln“. Kaum ein Stuhl glich einem anderen. Man sah ihnen die erlebten Jahrzehnte ihres Gebrauchtseins an, eben die Gebrauchsspuren, die moderne Möbel nicht vertragen können. Farben gab es nach meiner Erinnerung nicht, auch nichts Textiles, keine Vorhänge oder anderes Gewirkte.

Das war natürlich nicht das Vorzimmer eines Direktors, auch nicht das erwartete Bild vom Büro eines sozialistischen Hochschullehrers, aber was war es dann? War es das bloß zufällig Entstandene, also das „Ungestaltete“? Ich bin heute davon überzeugt: Das war ein programmatisches Gesellschaftsmodell in der Gestalt eines Raumes.

Irgendwann ging die Tür zum Nebenzimmer auf und einige Studierende kamen heraus. Kühne lud uns hinein, indem er selber wieder in den Raum zurücktrat. Ein hagerer und blasser, eher großer  Mann, glaube ich, mit einer Brille und schütteren Haaren, natürlich kein Anzug, sondern ein unauffälliger Pullover. Alles ohne erkennbare ästhetische Intentionen. Auch hier drängten sich die Möbel nicht vor, sie blieben auch nicht nur Hintergrund, sie waren abwesend. Erst auf den zweiten oder dritten Blick musste das Ungestaltete des Raumes als Wesenhaftes auffallen. Es war mir keinesfalls unangenehm, aber ich spürte auch nichts von der „Neuen Intimität“ der funktionalen Gestaltung, von der ich bei Kühne gelesen hatte.

Ich konnte das damals alles weder mit Kommunismus noch mit Funktionalismus in einen gültigen Zusammenhang bringen. Wie gesagt, ich kann mich nicht mehr an den Inhalt unseres Gespräches erinnern. Ich weiß nicht mehr, welche der markanten Sätze von Kühne damals gesprochen wurden. Im Kopf waren damals natürlich viele. Ich weiß aber noch, dass mir diese beiden Begriffe und dann noch ihr schicksalhaftes Zusammentreffen in einem einzigen Satz („Der Funktionalismus ist das Gestaltungsprinzip des Kommunismus“) ungeheuerlich groß und deshalb auch beängstigend vorkamen.

Ich habe damals über Funktionalismus viel nachgedacht. Das Bild schien mir einleuchtend, dass die Form der Funktion folgt, doch in welchem Abstand? Das war die entscheidende Frage. Die Distanz kann sehr, sehr knapp sein, dann sind sie fast identisch, aber zwischen Form und Funktion kann sich auch eine lange Leine befinden. Dann kann sich einiges an Kulturellem und Subjektivem dazwischen schieben, das die „Verhältniseigenschaft der Gegenstände“ (Kühne) mitbestimmt. Als es später darum ging, eine eigenständige „Funktion der Form“ (1994), die sich nicht cartesianisch bestimmen lässt, aber wirkmächtig ist, zu begründen, fehlte Kühnes provozierender und korrigierender Intellekt.

Kühne bedeutet für mich noch eine andere Assoziation. Das Verhältnis von Sinnlichkeit und gestalterischer Enthaltsamkeit kam mir später nochmal nahe, als ich den utopischen Roman eines DDR-Schriftstellers las, der wegen des zugespitzten asketischen Ideals sehr spannend war: Auf einem Hochplateau in Südosteuropa versammelten sich Menschen in einer visionären Stadt, deren gegenständliche Umwelt durch technische Erfindungen und die Abwesenheit von allem Marktförmigen und Modischen äußerst reduziert war. Es blieb in meiner Erinnerung die Frage offen, ob mit der Reduktion der (falschen) Reize auch das subjektive sinnliche Erleben eingeschränkt war – oder ob es sich gerade unter diesen Bedingungen entfalten konnte.

Leider ist meine Kenntnis über Autor, Titel und Erscheinungsjahr  dieses Romans so spärlich wie die Erinnerung an das Wann, Wo und Was meines Besuches bei Kühne. Die Leserin und der Leser möge mir verzeihen, dass ich in diesem kleinen Aufsatz nur Unkonkretes mitzuteilen hatte. Und da erlaube ich mir auch noch in die Runde zu Fragen: Wer kennt den erwähnten Roman und seinen Autoren? Ich würde es mir gern noch einmal in literarischer Erinnerung an diesen wichtigen Lothar Kühne vorlesen lassen.

Veröffentlicht in: Berliner Debatte Initial, 2/30. Jg. 2019, Die Ästhetik des Kommunismus- Lothar Kühne. Seite 73/74

Über das Geistige in der Architektur

Die Transkription des Bauhauses in ein Museum

von Olaf Weber

Ein Gebäude besteht neben Stein, Holz, Stahl und Glas auch aus rhetorischen Figuren. Wenngleich die Häuser massiv und dauerhaft sind, so ist doch Architektur vor allem etwas Labiles und Immaterielles. Ein Haus kann zu uns sprechen. Und wir können das zu Stein gewordene Geistvolle genießen und wiederum interpretieren.

Das geht so weit, dass die massiven Balken und Pfeiler, Treppen und Kellergewölbe verhindern müssen, dass schöne Architektur zur Poesie wird. Die Stadt ist ein Text, der in seiner Omnipräsenz einen vergänglichen Raum in einer unnatürlichen Sprache artikuliert. Schauen wir uns an, welchen Text das Bauhaus-Museum spricht.

Realität. Die ästhetischen Beschlüsse der Architekten sind oft isoliert, fremdbestimmt und marginalisiert. So hat nicht die Architektin Heike Hanada, sondern haben die Beschlüsse der Finanzausschüsse, die Autoren diverser Rechnungen und Paragraphen, natürlich auch eine Jury und die herrschende Baukultur und vor allem der geistig-kulturelle Zustand Weimars die Fundamente des Bauwerkes gelegt.

Vor diesem Anspruch und Hintergrund betrachten wir nun die Ideengeschichte des neuen Bauhaus-Museums in Weimar, zunächst durch einen kurzen Rückblick auf die Geschichte einer langwierigen Planung, wobei leider ein permanenter Mangel an konzeptionellem Vorlauf auffällt. 

Verortung. Seit der Wiedervereinigung war klar, dass Weimar ein (neues) Bauhaus-Museum braucht. Als aber plötzlich (20 Jahre danach) eine Finanzspritze aus Berlin kam, traf diese die Stadt, die Klassik-Stiftung und die Bauhaus-Universität völlig unvorbereitet. Danach wurde fast ausschließlich über einen möglichen Standort diskutiert.

Am Gründungsort hatte die Uni keine Reservefläche für das Museum bereit gehalten, so dass abstruse Vorschläge aufkamen, zum Beispiel die inzwischen unter Denkmalschutz stehende DDR-Mensa abzureißen oder dem Museum für das Staatliche Bauhaus ein teilprivatisiertes Museum am Hotel „Elephant“ zu verordnen (Public-Private-Partnership). Die Klassik-Stiftung als künftiger Nutzer wollte einen zentralen Ort am Zeughof, damit die Besucher beim Stadtrundgang das Bauhaus-Museum auf keinen Fall verfehlen. Der Stadtrat favorisierte aber im Interesse des Stadtganzen einen Standort abseits der klassischen Zentren. Damit wurde der Überkonzentration des Tourismus auf das mittelalterliche Stadtzentrum durch ein Ausweichen auf seinen Rand klug entgegen gewirkt.

Das bedeutete, dass die Gestalt des Neubaus nicht mehr dem ästhetischen Anpassungsdruck des historischen Kontextes ausgesetzt war. Nun war die Gestalt des künftigen Museums wieder offen. Doch am Rande des Weimarhallenparkes wurde das Wesentliche des Standortes offenbar: Das Bauhaus-Museum musste eine Antwort auf die politisch herausfordernde Sprache des „Gauforums“ finden.

Das Geistige. Nun stellte sich heraus, was nicht stattgefunden hatte. Es fehlte eine ausführliche Diskussion um den Sinn eines solchen Museums, um  den geistigen Gehalt des Bauwerkes, um den Typus, um die Symbolkraft, um Ausdruck und Wirkung des neuen Gebäudes. Die Frage nach dem architektonischen Typus hätte die Diskussion belebt und bewirkt, dass der Geist des Bauhauses oder seiner Neugeburt doch noch Gegenstand des architektonischen Diskurses geworden wäre.

Der Bauherr hatte seine Vorstellung vom Museum und sein ästhetisches Credo nur ungenügend definiert. Im Ergebnis eines Wettbewerbes von 2011/12 wurden 536 Entwürfe aus aller Welt eingereicht, die in den meisten Fällen dem Text der Ausschreibung folgten, aber wenig dem Anspruch des Bauhauses entsprachen.

Sollte der Neubau ein möglichst unspektakulärer Sachbau werden, sollte er in seinem Habitus an die Moderne der 20er Jahre erinnern, sollte er unsere heutige Zeit ausdrücken oder gar einen Blick in die Zukunft wagen, wie es seinerzeit das Bauhaus versuchte? Letzteres hätte eine Diskussion über den Avantgardismus heute oder über die Zukunft in unserer Gegenwart erfordert. Es hätte eine Transkription des Bauhaus-Experiments in eine gegenwärtige Utopie bedeutet. Das waren offene und unbeantwortete Fragen an Weimar.

Die Ästhetik. Das Bauhaus verstehen heißt, das Bauhaus neu denken. Gropius hatte damals die erreichbaren progressiven Tendenzen seiner Zeit aufgegriffen und ihnen ein Programm und einen Namen gegeben: Bauhaus. Das Bauhaus wollte den Schwulst der Kaiserzeit durch eine sachliche Gestaltung vernichten. Aber die Reduktion auf elementares Gestalten war nur der Anfang, Ziel war der Aufbau einer neuen Grammatik, einer neuen architektonischen Formensprache. Dieser Versuch war aus historischen Gründen abgebrochen und nie wieder im Geiste des Bauhauses aufgenommen worden. Heute wäre das Bauhaus natürlich allen technischen Neuerungen offen. Es würde mit dem digitalen Potential experimentieren und neue ästhetische Körper, Räume und Oberflächen produzieren. Der „White cube“ war lediglich eine Folie, in der sich die Experimente spiegeln konnten.

Öffentlicher Disput und Mitbestimmungsmodelle. Die Demokratisierung der Gesellschaft war 1919 in eine neue Phase getreten, in die Weimarer Republik. Am Bauhaus wirkte sich die Novemberrevolution von 1918 durch eine soziale und internationalistische, auch weibliche Orientierung aus, aber noch nicht durch eine breite Demokratisierung des Produktionsprozesses von Architektur und Design. Direkte Demokratie und Mitbestimmungsmodelle spielten damals keine Rolle, sie wären aber heute in der Planung eines Museums dieser Avantgarde unbedingt nötig gewesen, damit zunächst ein historisches und philosophisches Modell, später ein architektonischer und künstlerischer Entwurf hätte gelingen können.

Der ökologische Aspekt. Bei Gründung des Bauhauses schien das Verhältnis des Menschen zur Natur noch in Ordnung zu sein. Die natürlichen Formen sollten damals mit den Abstraktionen der Artefakte vor allem eine ästhetische Balance bilden. Es ist keine Spekulation zu behaupten, dass das Bauhaus heute ein Ort des ökologischen Radikalismus wäre. Es wäre deshalb eine selbstverständliche Vorgabe gewesen, den Erinnerungsort an diese Avantgarde als Null-Energie-Haus zu konzipieren. 

Der politische Standort. Das Bauhaus wurde schon bald nach der Gründung von einer kleinbürgerlichen Schicht mit volkskonservativen und nationalistischen Parolen vertrieben. Die Rolle einer Avantgarde für das immer wieder sich erneuernde Weimar wurde von diesen Kräften völlig verkannt. Aus diesem Denkraum könnte der Eindruck entstehen, dass das Bauhaus nach einem Alterungsprozess von 100 Jahren endlich nach Weimar zurückkehren darf – nun aber als Wirtschaftsfaktor der Tourismusbranche. Diesem Eindruck muss durch anhaltende Akte der Wiedergutmachung entgegengewirkt werden.

Der Standort des neuen Bauhaus-Museums verortet den historischen Kontrast zum Nationalsozialismus unmittelbar. Das Museum befindet sich in direkter Nachbarschaft zur autoritären Herrschaftsarchitektur des „Gauforums“. Aus dieser Nähe entstand die Notwendigkeit, den historischen Sieg der Moderne über die NS-Architektur ästhetisch zu interpretieren – die vielleicht schwierigste Herausforderung des Standortes. Ich komme gleich noch einmal darauf zurück.

Resümee. Konnte man erwarten, dass ein Museum, das 100 Jahre nach der Gründung des Bauhauses geplant und diesem gewidmet ist, das Bauhaus quasi in seine Zukunft, also in unsere Gegenwart hinein fortsetzt? Ja, es wäre möglich gewesen und das Bauhaus verlangt aus meiner Sicht nach einer experimentellen Architektur als Hülle für seine avantgardistischen Ideen und Relikte.

Aber die von Staat, Stadt und Stiftung gebildeten Voraussetzungen für ein Bauhaus-Museum waren trotz rasanter globaler Umbrüche eher konservativ. Die Architektin hat einen soliden Entwurf geliefert, dessen Reize und Qualitäten wahrscheinlich in der inneren Raumgestaltung liegen. Die ausgestellten Zeugnisse programmatischer Ideen und 100-jähriger Erfindungen dominieren aber klar über die bauliche Hülle, die aus einem sauberen Baukörper mit einer schönen Schriftbanderole und einem postmodernen Portal besteht.

Weimar ist um eine Attraktion reicher. Aber der Entwurf für einen so hohen Zweck hätte Weimars kulturelle Tradition und seinen Erneuerungswillen herausfordern müssen. Um das zu verdeutlichen, will ich doch einmal – entgegen allen Gepflogenheiten – das Urteil der Jury ignorieren und auf einen vergessenen Entwurf zurückschauen, der die Gelegenheit bietet, über Architektur in einer Höhe zu philosophieren, der unserem Thema angemessen wäre.

Es ist der Wettbewerbsbeitrag von Zaha Hadid, einer weltbekannten und hoch dekorierten Architektin. Ich greife ihn heraus, weil er das Bauen der 20er Jahre technisch und ästhetisch weit übersteigt und zugleich zur Nazi-Architektur den größtmöglichen Abstand hat. Deshalb könnte er am besten ausdrücken, was Avantgarde an diesem Standort bedeutet. Ihre Arbeit hat wenig Beachtung gefunden, obwohl ihr radikal-moderner Entwurf den stärksten Ausdruckswert besitzt und in seinem spielerischen Habitus eine doppelte Innovation enthält. Es ist die freieste Avance an das Bauhaus und zugleich die kühlste Absage an den Bierernst des benachbarten monströsen „Gauforums“. Hadids Entwurf dominiert über das Gauforum nicht durch Höhe, sondern durch den größtmöglichen Kontrast zu ihm: durch Heiterkeit und Lebendigkeit. Eine allseitig gewölbte und fließende (parametrische) Kunstform mit ökologisch interessanten Lichtschächten – vielleicht gepaart mit den optisch-kinetischen Apparaten des ungarischen Bauhäuslers Moholy-Nagy. Und dieser Entwurf hätte vielleicht nach erneuter Überarbeitung im Dialog mit dem Geist von Gropius einen Bilbao-Effekt haben können, also zur exklusiven Hülle für einen exklusiven Inhalt werden können.

Nach dem offiziellem Wettbewerb und dem fehlenden 1. Preis gab es in Weimar noch einen bemerkenswerten Impuls: Ein Volkswettbewerb zum Bauhaus-Museum und ein diesbezüglicher Aufruf: „Die Ideen sind frei. Ein Manifest für die Stadt“. Innerhalb von 10 Tagen wurden aus der Bevölkerung 25 unkonventionelle Ideen für ein Bauhaus-Museum eingereicht. Es zeigte sich, dass so genannte Laien erstaunlich frische Bilder für Bauwerke entwickeln können. Es gibt offensichtlich eine Kraft des Dilettantismus, die in den Frühphasen eines Entwurfes helfen könnte, manche Denkschablonen des Systems „Architektur“ zu überwinden. Die Initiatoren des Volkswettbewerbs versuchten mit dieser unkonventionellen Aktion ein Moratorium zu erreichen, um unter kühneren Prämissen neue Denkansätze für das Bauhaus-Museum zu initiieren, leider zu spät und ohne Erfolg. Aber auch das gehört zur Erzählung über das Geistige in der Architektur.

Weimar, Januar 2019

Veröffentlicht in: Palmbaum, Heft 1, 2019 (Heft 68)

Funktionalismus als DDR und Utopie (2012)

Olaf Weber
Funktionalismus als DDR und Utopie

Der „Funktionalismus“ wurde in den 1960er Jahren in den Architekturdebatten des Westens begraben, doch entwickelte er sich gerade in den 70er und 80er Jahren in der DDR zu einem zentralen Begriff der architektur- und designtheoretischen Diskussion. Er hatte ein philosophisches Gesicht – und die technologische Rückseite des Plattenbaues. Er wurde von maßgeblichen Philosophen, Architekten und Designern zum Gestaltungsprinzip des Sozialismus hoch stilisiert und damit höchst problematisiert. Der Verfasser dieses Artikels hat in dieser Zeit die Diskussion um den Funktionsbegriff verfolgt und in vielen Publikationen zur Architektur- und Designtheorie in der DDR mitbestimmt. Die folgenden Gedanken beziehen sich in einer Rückschau auf diese teils heftig geführte Diskussion. Weiterlesen

Georg Klaus und die Sprache der Architektur. Eine Reminiszenz (2011)

Zusammenfassung. Zu Beginn der 1970er Jahre gab es in der Architekturtheorie der DDR Bestrebungen, den stark normativen Charakter der darin enthaltenen traditionellen Ästhetik durch die Einführung von aus der Kybernetik, Semiotik und Informationstheorie stammenden Konzepte wie „Zeichen“, „Kommunikation“ oder „Information“ zu modernisieren. Dabei kommt Georg Klaus das Verdienst zu, zur Durchsetzung dieser aus der Semiotik in die Architekturtheorie der DDR übernommenen Ideen maßgeblich beigetragen zu haben. Weiterlesen

Podiumsgespräch / Statement zum Thema Architektur und Demokratie (2009)

mit Prof. Dr. Olaf Weber, Helmut Seemann und Dr. Helmut Orpel
am 03.10.2009 im Kinosaal des mon ami Weimar

Weimarer Rendevous mit der Geschichte 2009
Podiumsgespräch zum Thema „Architektur und Demokratie“

Statement von Olaf Weber

Wir haben den Auftrag, auf dieser Bühne über das Thema „Architektur und Demokratie“ zu diskutieren und ich möge – so heißt meine spezielle Aufgabe – als Mann des Ostens dieses Verhältnis auf die DDR projizieren. Ich will das gern mit ein paar Sätzen versuchen, doch muss ich zunächst einige Worte über den Begriff „Demokratie“ verlieren. Demokratie ist nämlich ein hohes Gut und zugleich eine Worthülse, die man zu allerhand Schindluder missbrauchen kann. „Demokratie“ gehört zu jenen Begriffen, die man nur gebrauchen darf, wenn man sich zugleich um ihren Inhalt bemüht, ihn schärft. Weiterlesen

Wahrnehmung und andere Gedächtnisinhalte (2008)

Olaf Weber im Interview mit Wolfram Höhne, April 2008
Wahrnehmung und andere Gedächtnisinhalte

Bevor wir uns an die Produktion dieses Filmes setzten, haben wir viele Bücher zum Thema „Wie mache ich einen Film“ gelesen. Einer der Autoren, Hans Richter, hat geschrieben, dass er Schaulust zu den primitivsten der allgemeinen Bedürfnisse der Menschen überhaupt zählt. Wenn man einen Film machen will, kommt man ohne sie aber nicht aus, bei Verzicht geht keiner ins Kino. Schaulust muss notgedrungen befriedigt werden. Es gibt aber auch die Aussage: Ich glaube nur, was ich sehe. Dieser Satz traut dem Visuellen wiederum sehr viel zu. Wie ist dieser Widerspruch zu erklären? Weiterlesen

Nachtgedanken zur Kunst (2006)

Nachtgedanken zur Kunst
(Nach einer Diskussion, zu schnell geschrieben)

„Kunst kann man nur bestimmen, wenn man ins Staunen gerät.“ (M. Duchamp)

Nicht alles ist Kunst. Der Slogan „alle sind Künstler“ war eine hübsche Provokation des Künstlers Beuys zur Markierung einer neuen Gesellschaft. Der Kunstmarkt hat daraus die unverschämte Legitimation gezogen, alles das zur Kunst machen zu können, woraus ein Gewinn zu schöpfen ist. Der Kunstbegriff ist durch Vermarktung und Mystifikation im bürgerlichen Kunstbetrieb desavouiert worden, aber es gibt doch etwas Eigentümliches, für das wir einen Begriff wie etwa „Kunst“ brauchen. Weiterlesen

Drei Rezensionen zu Bruno Flierl (1998-2002)

Olaf Weber
Rezension zu Bruno Flierl: Berlin baut um – Wessen Stadt ist die Stadt? Kritische Reflexionen 1990-1997. Verlag für Bauwesen, Berlin.

Der bekannte Berliner Architekturkritiker, der viele Jahrzehnte mit unserer Uni in Forschung und Lehre verbunden war, legt mit seinem soeben erschienen Buch eine Geschichte des Umbaues Berlins in den Jahren 1990-97 vor, die nicht nur Berliner interessieren wird. In 30 ausgewählten Texten reflektiert er fast exemplarisch den Zusammenhang von Stadtentwicklung und Politik während der heftigsten Umbruchsphase, die diese Stadt jemals erlebt hat. Die Texte haben den Vorteil, das sie nicht mit dem abgeklärten Abstand eines Historikers geschrieben sind, sondern mit der Frische eines Chronisten, der einen strengen methodischen Hintergrund zur analytischen Kraft seiner Aussagen gebraucht. Weiterlesen