Olaf Weber
Rezension zu Bruno Flierl: Berlin baut um – Wessen Stadt ist die Stadt? Kritische Reflexionen 1990-1997. Verlag für Bauwesen, Berlin.
Der bekannte Berliner Architekturkritiker, der viele Jahrzehnte mit unserer Uni in Forschung und Lehre verbunden war, legt mit seinem soeben erschienen Buch eine Geschichte des Umbaues Berlins in den Jahren 1990-97 vor, die nicht nur Berliner interessieren wird. In 30 ausgewählten Texten reflektiert er fast exemplarisch den Zusammenhang von Stadtentwicklung und Politik während der heftigsten Umbruchsphase, die diese Stadt jemals erlebt hat. Die Texte haben den Vorteil, das sie nicht mit dem abgeklärten Abstand eines Historikers geschrieben sind, sondern mit der Frische eines Chronisten, der einen strengen methodischen Hintergrund zur analytischen Kraft seiner Aussagen gebraucht. Bruno Flierl reflektiert nicht nur, er greift dort ein, wo es ihm notwendig erscheint. Er ist Theoretiker, Architekturkritiker und engagierter Bürger in einer Person und in jedem Buchstaben seines Textes. Obwohl er nach eigener Aussage nicht zu denen gehört, „die Ende 1989 glaubten, die bundesrepublikanische Gesellschaft könnte nun die Probleme lösen, die in der DDR-Gesellschaft ungelöst geblieben waren“, wurde er nach der Wende sofort ein kooperativer Streiter für eine sozialkulturelle Stadtplanung ganz Berlins, wobei er selbstredend vor allem die Ansprüche des Ostens in die Debatte einbrachte. Natürlich ist auch, daß er seine Stimme erhebt „gegen die herrschende Praxis einer geradezu hemmungslosen kapitalistischen Raumaneignung als Basis für städtebaulich-architektonische Selbstinszenierung im Einzelinteresse aller gegen alle“. Vor allem interessiert Flierl die Mitte der Stadt, wo sich politische Macht einrichtet. Seine Auseinandersetzung mit Dieter Hoffmann-Axthelm und dessen verharmlosenden Begriff der „Wiedereinräumung“ liest sich trefflich. Ein wichtiges Buch von dort, wo die größte Baustelle Europas ist. Ich kann es sehr empfehlen.
Prof. Dr. Olaf Weber
Olaf Weber
Rezension zu Bruno Flierl: Gebaute DDR. Über Stadtplaner, Architekten und Macht. Reihe: Architektur und Stadt. Verlag für Bauwesen Berlin.
Soeben ist ein weiteres Buch von Bruno Flierl erschienen, dass ich nicht umhin kann, der BU-Öffentlichkeit mit Freude vorzustellen. Der Autor von „Berlin baut um. Wessen Stadt ist die Stadt“ hat diesmal Texte über die bauliche Hinterlassenschaften der DDR veröffentlicht – also über Bauwerke, die im Gegensatz zu dem untergegangenen Staat, der sie hervorbrachte, weiter bestehen und weiter genutzt werden. Natürlich interessiert den bekanntesten und umstrittensten Architekturkritiker der DDR nicht lediglich ein Bilderbuch über die Architektur im Osten des geteilten Deutschlands, sondern die politischen Hintergründe für die Entstehung gerade dieser Architektur und Stadtplanung.
In 11 Kapiteln untersucht er typische Bauaufgaben und prägnante Orte des baulich inszenierten Staatssozialismus wie die Berliner Stalinallee oder den Kulturhaustypus, beschreibt das konfliktreiche Wirken solcher Persönlichkeiten wie Hans Schmidt, Hermann Henselmann oder des marxistischen Philosophen Lothar Kühne. Dessen Thesen zur räumlichen Dimension des Gesellschaftlichen hatten zu Flierls eigenen architekturtheoretischen Konzeptionen seinerzeit eine große Affinität und sind nach wie vor spannend zu lesen.
Einen breiten Raum nehmen die Beziehung der DDR-Architekten zur Staatspartei als dem sozialistischen Auftraggeber und die gestalterischen Spielräume innerhalb der zentralen Planung ein. Hier lebt das Buch von den profunden Kenntnissen und dem Insiderwissen seines Autors, der mit allen bedeutenden Architekten und wichtigen Staats- und Parteifunktionären gut bekannt war. Das Selbstverständnis Hermann Henselmanns, der sich als „Fürstendiener und Fürstenerzieher“ zu den Funktionären in einem ähnlichem Widerstreit sah wie Michelangelo zum Papst, ist wegen Henselmanns ausgesprochener Lust an der Macht sicher nicht repräsentativ für die Architektenschaft der DDR, doch war dessen Erfolgsrezept, nämlich gegenüber manchem bornierten Auftraggeber mehr List als offenen Widerstand aufzubringen, eine Methode, die vielfach praktiziert wurde und offensichtlich auch von systemübergreifendem Wert ist. Nicht nur wegen dieser Aktualität, sondern vor allem wegen der Reflexivität des Autors auf sein eigenes historisches Erleben kann ich dieses Buch sehr empfehlen.
Prof. Dr. Olaf Weber
Buchrezension zu
Bruno Flierl. Hundert Jahre Hochhäuser
Hochhaus und Stadt im 20. Jahrhundert.
Der bekannte Berliner Architekturtheoretiker, dessen Bücher „Berlin baut um“ und „Gebaute DDR“ welche an dieser Stelle bereits vorgestellt wurden, hat ein neues Buch herausgebracht. „Hundert Jahre Hochhäuser“ heißt der Titel eines Buches, dessen Thema Flierl fast zwei Jahrzehnte beschäftigt hat und das deshalb auch ein gewichtiges Buch von 264 Seiten und 329 Fotos geworden ist. Es ist zwar reich bebildert, aber allein der Autor ist ein Garant dafür, dass es kein Bilderbuch geworden ist. Flierls Ambitionen sind immer auf sozialräumliche Analysen ausgerichtet. Er nutzt markante Entwicklungen der Stadt, um daran technische, ökonomische, soziale oder ästhetische Probleme der Architektur zu exemplifizieren.
Hochhäuser als extrem vertikale Strukturformen menschlicher Behausungen haben sich seit etwa 1870 zunächst in Nordamerika herausgebildet. Die ökonomischen Verwertungsbedingungen von Grund und Boden waren die ersten Anlässe für das Stapeln von Wohn- und Arbeits-Etagen, die Entwicklungen der technischen Infrastruktur, vor allem die Erfindung des Personenaufzuges, waren begleitende Merkmale der baulichen Industrialisierung, die von Einzelhochhäusern mehr und mehr zu Hochhausstädten führten. In den 1970er Jahren waren die utopischen Entwürfe von Hochhäusern sogar identisch mit den Städten der Zukunft.
Flierls Buch ist historisch angelegt. Obwohl der Inhalt des Buches einer geografischen Ordnung folgt, geht es dem Autor um die gesellschaftlichen Hintergründe der baulichen Vertikalisierung. Amerika (New York und Chicago), die Metropolen Europas und Asiens werden in einer klaren und lebendigen Sprache, aber auch mit den bekannten sachlich-analytischen Zeichnungen des Autors untersucht. Die heutigen Geldtürme der Banken werden mit den großen Kathedralen oder den Geschlechtertürmen des Mittelalters in Beziehung gesetzt. Von praktischen (z.T. martialischen) Beweggründen führten die Motive immer stärker zu ideellen und irrationalen Begründungen für die Vertikale. Prestige ist heute offensichtlich das stärkste Motiv für die Errichtung von Hochhäusern. Für die Hochhaus-Konkurrenz zwischen Firmen, Städten und Gesellschaftsordnungen lassen sich treffliche Höhen-Wettkampf-Beispiele finden.
Fliels Buch ist informativ, anschaulich und repräsentativ. Die ausgewählten Beispiele ermöglichen vergleichende Untersuchungen von bleibendem Wert, die der Autor in große Erkenntnisschlaufen sozialökonomischer Orientierung bringt. Etwas schade finde ich, dass Flierl nicht auch der Bedeutung dieses Aspektes gemäß ökologisch analysiert und argumentiert. Die Wolkenkratzer sind wahre Energiemonster, die nicht nur unter hoher Primärenergie leiden, sondern auch einen unvertretbaren Energieverbrauch durch die Aufwendungen für Beleuchtung, Belüftung und Transport haben. Die Zukunft der Hochhäuser wird sicherlich gerade von der gesellschaftlichen akzeptierten Bereitstellung dieser Energiemengen abhängen – ein Thema, das über diese empfehlenswerte Arbeit von Bruno Flierl hinausgeht. Das Buch ist im Verlag für Bauwesen erschienen, ich möchte es der verehrten Leserschaft sehr empfehlen.
Prof. Dr. Olaf Weber
Januar 2002