Amoklauf Erfurt. Nicht genug Reform (2002)

Amoklauf Erfurt: Nicht genug Reform

Unfassbar, unglaublich, unerklärlich – so heißt es zu dem Erfurter Amoklauf. Doch wenn man genauer schaut, wäre alles vorauszusehen gewesen, nur nicht, dass es gerade Robert S. sein wird. Und gleich werden wir wieder daran gewöhnt, dass alles beim Alten bleibt. Eine Altersgrenze soll von 18 auf 21 heraufgesetzt werden und noch ein paar Kleinigkeiten. Doch wir sollten ein paar andere Fragen stellen: Warum darf man überhaupt Waffen kaufen, wie überflüssig sind Schützenvereine, warum haben Schulklassen mehr als 15 Kinder, warum müssen wir seit Jahrzehnten die Spaß-Gewalt im Fernsehen (und dem Internet) ertragen, warum ist Gewalt und Aggression ein legitimes Mittel der Konfliktbewältigung geworden, warum ist Rache in der Politik ein akzeptables Wort, warum leben wir in einer Ellenbogengesellschaft, wo Fürsorge ein Feigenblatt geworden ist.

Die Antworten sind ungenau: Weil die Waffenindustrie es so will, weil militärisches Denken immer noch salonfähig ist, weil die Unterhaltungsindustrie es so will, weil der Führer der westlichen Welt es vormacht, was ‚Rache ist, weil Verschleiß und Zerstörung wirtschaftsfördernd sind, weil das System auf Eliten setzt, weil alles Denken und Handeln ökonomisiert ist usw. Die Antworten sind wie gesagt ungenau, aber sie führen eine Radikalität der Reformen vor Augen, die wir brauchen, damit die Moderatoren im TV nicht weiter Betroffenheit heucheln müssen, wo sie der Natur der Mediengesellschaft nach doch gerade das brauchen, was sie so bedauern.

Thüringer Landeszeitung vom 02.05.2002

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