Das Feste und das Lockere (2002)

Olaf Weber
Das Feste und das Lockere. Zur Ideengeschichte des Festes.
Ein Performance-Vortrag mit Angela Hausheer und Katja Weber.
Im Gaswerk Weimar, 2002?
Wiederholung vor dem Römischen Haus am 25. Juni 2005

Eine große Treppe endet einen Meter fünfzig unter der Raumdecke. Auf einer Plattform steht ein großes rotes Sofa. Davor ein kleiner Tisch. Man kann dort oben nur in gebeugter Haltung stehen. Wir sitzen. Angela Hausheer spielt mit verschiedenem Kram, den sie auf ein Tablett setzt. Durch eine Kamera werden Videoaufnahmen des Geschehens auf dem Tablett, als Mini-Performance an die Wand geworfen.
Katja Weber sitzt mir zur Rechten auf der Sofalehne. Sie hat den Text meines Vortrages in der Hand und flüstert ihn mir ins Ohr, während ich ihn laut in das Mikrofon spreche.

Verehrte Studieende, jetzt heißt es, die Hörgeräte einschalten. Einen Teil der Vorlesung werde ich in lateinischer Sprache vortragen, so dass sich jeder selbst ausmalen kann, ob er dieser Sprache mächtig ist oder doch den Raum oder auf Übersetzung verlassen.

Die Vorlesung besteht aus etwa fünf Abteilungen:
1. Festes und Lockeres. Hier werde ich über F und L sprechen.
2. Der lockere Sinn. Hier ist der lockere Sinn gemeint.
3. Rituale. Hier geht es um Rituale.
Und dann drei wichtige Teile:
4. Fest und Feier
5. Fest und Festival
6. Fest und Fete
Und zum Schluß:
7. Das performative Fest

Nun die Ausführung:

1. Festes und Lockeres
Feste sind offensichtlich der inneren Natur des Menschen immanent. Es gibt Freudenfeste, Hochzeiten, Staatsakte, Hafenfeste, Messen und die Paraden der Windjammer, auch der Sonntag ist schon so etwas. Feste hat es, wird es immer gegeben und werden. Warum. Diese Frage berührt ein existentielles Problem, nämlich das Verhältnis zwischen fest und locker. Alles ist entweder so oder so, das Wacklige ist eines der unmöglichen Zustände der Welt, ebenso das Schwankende oder Vibrierende. Fest und locker aber sind die Daseinsweisen aller berührten und unberührten Materie und deshalb dringt dieser Vortrag bis zu allem Essentiellen unseres Daseins vor.
Feste sind manifeste Ereignisse .Sie haben eine extreme Bindung an Zeit und Ort. Das ist das Feste am Fest. Jahrestage sind zeitlich fest. Das Weihnachtsfest zum Beispiel wird in jedem Schaltjahr doppelt gefeiert und Ostern hängt nach Goethe am Wetter, wenn Strom und Bäche vom Eise befreit sind. Auch Karneval ist durch den Geburtstag des Papstes zeitlich definiert. Feste sind taktvoll wiederkehrende Veranstaltungen, die unser Leben rhythmisieren, ihr Takt ist selber das Feste am Fest.
Zugleich sind Feste aufgrund ihrer Privilegien gegenüber dem festgeklopften Alltag etwas Exquisites. So gesehen ist der Alltag fest, das Fest aber locker. Feste sind Ausbrüche aus dem Festen mit Ansprüchen an das Lockere.

2. Der lockere Sinn.
Feste sind funkelnd des Geistes, Erfindungen der Sinne, Kreationen von Bauch und Beinen. Es sind kollektive Schöpfungen gegen die Tristess. Feste sind Farben, sind Flattern, Tanzen, Flöten, Klimpern. Feste sind Schulen des Sehens, Hörens, aller Sinne. Feste sind Revolutionen gegen den Stumpfsinn. Gegen KopfDummheit und HerzfalschSchlagen. Das sind Feste. (Ihr müsst aber auch mitschreiben).

3. Rituale
Feste sind Rituale und unaufgeräumte Symbole sind Feste. Pseudo und Schamanen sind Feste. Das Wilde, der Trance, das Urgefühl, das Gentile sind die symbiotischen Elemente des Festes.
Die Schamanen sind es. Ich beschwöre die Figuren auf dem Tablett :

„Oh Kakadu. Oh Litfaßsäul. Oh Fettikon.
Beschwöre Modernes erhöre, du Blüte betöre
die Chöre der Böcke das Schnöde verlöre.
Nun werde zum… Frosch. Und bringe Regen“.
Es funktioniert!F!!!!
Zauber, gute böse Geister steigen aus der Antike, aus der Ilm, der Denkfabrik. Fetisch Fluss. Fetisch Schiller. Fetisch Gaswerk, Römisches Haus. Fetisch Mikrofon, Sofa, Angela, Katja, Fetisch Bach Italien Kuhglocke. Kultur als Kult, das ist bei uns so Sitte. Rituale sind aber nicht wie Zähneputzen Gewohnheiten, sondern als Kultur vollzogene Tradi und SymboliAkti.

Und heute. Neuer Fetisch, aus dem einerlei Fest ist dreierlei, die Feier, das Festival und die Fete geworden. Feier, Festival und Fete sind etwas fade, eben nur Ersatz für das verloren gegangene Fest.

4. Fest und Feier
In der Feier ist das Ritual zum Protokoll, das Feste zum Steifen und die Sinnlichkeit zu Rückenschmerzen verkommen, wie zum Beispiel Jahrestage der Erstbesteigung, der Tag der deutschen Reinheit und so. Die Feier ist die bürokratische Form des Festes. Das Ritual ist dabei durch ein Protokoll ersetzt, es liegt schriftlich vor, als Tagesordnung. Die Zuschauer sind Däumchendreher, sie gucken in die Luft oder dem Haupt- und Nebenredner auf die Schuhe. und Feierabend ist keine abendliche Feier, sondern die verordnete Erschlaffung des Arbeitswillens.

5. Fest und Festival
Festivals sind Feiern fürs Volk, zu dessen Verwilderung und Zähmung zugleich. Die süßen Gladiatoren- und Stierkämpfe sind Schlagerfestivals und das römische Modell der „Brot und Spiele“ und jetzt endlich lateinisch „panem et circenses“ heißt heute Fußball mit Ehringsdorfer und Bier. Ruhig stellen, ablenken einschläfern. Die größten, prunkvollsten und genialsten Feste gab es aber am französischen Hof, wo Ludwig der XV. in kurzer Zeit bis zu 20 Tausend Raketen (eigenhändig) abgefeiert hat. Und dann der große Giomanti Nicolo Servantoni.
Olympische Spiele, Mittelalterfeste, Guiness-Rekorde haben ihren Spielcharakter verloren. Es zählen Knete, Kies und Kohle. Im Festival ist das Fest zum fatalen Kommerz gewendet. Festivals sind Kampagnen der Unterhaltungsindustrie oder Imagebausteine der Kommunen, die sich als Touristen-Magneten ganzjährig festivalisieren. Im Extremfall Neubau : Disney-Lands sind Orte permanenten Festivals, in denen das Freizeitverhalten zum Kitsch normiert wird, Autos und die soziale Wirklichkeit draußen bleiben, Papa und Mama Kinder werden und Kinder Erwachsene spielen. Und alle Pseudos dieser Welt und alles Glücksverheißen aufeinanderrasen. In der Freizeitgesellschaft wird das banale Fest zum banalen Alltag.
(Während dieser Rede wird einer Mickey-Mouse mit einer Fliegenklatsche eins auf den Kopf geschlagen, fällt um, steht auf, wieder Klatsche, wieder umfallen, aufstehen usw.)

6. Fest und Fete.
Während das Festival die Depravationsform des Festes durch das Kollektiv ist, ist die Fete jene durch das Individuum. Die Fete ist eine Party ist eine Fete, ist das Herumgackern und Krähen des großen Pseudo. Die bürokratischen Vorschriften der Feier haben die Party-Gäste durch innere Selbstdressur ersetzt, indem sie den Unterhaltungsterror des TV stumpfsinns oder im Halbschlaf oder im zugekifften Dösen wiederholen. Das Ritual des Festes ist ersetzt durch die Kinkerlitzchen der Trendsetter, die wissen wo es lang geht. Die Gäste zelebrieren auf der Fete Gemeinschaft – aber nicht durch gemeinsames, sondern nur durch das jeweils selbe Tun – im mainstream. Die Fete ist kein Fest im Kleinen, sondern bloß verwahrlostes Konsumieren der Gegenwart.

7. PERFORMANCE als Fest
Was ist mehr als Party, als Feier und Festival? Das performative Fest. PERFORMANCE nimmt dem alten Fest das Hierarchische und Mystische, der Feier das Würdevolle und Bürokratische, dem Festival den massenmedialen Kommerz und der Fete die Blässe der Subjekte.

PERFORMANCE gebiert das neue Fest. Im performativen Fest werden Handlungen zu Taten und zum Sinn und dabei endlich von ihrer schnöden realen Virtualität befreit. Offene und säkulare Rituale werden durch den Akt der Kunst zur Kunst und die Gäste erhalten wieder einen Anflug von Teilhabe, indem sie zugleich und selbstvergessen bei sich, beim Nachbarn und bei einem Dritten sein können. Ein performativer Gast kann die eigene Präsenz als Aktion wahrnehmen, so dass heute nicht morgen und nicht woanders ist.

WOLLEN wir also performativ sein, also solch unnützes Tun tun, in dem sich alles Denken Handeln in die Kunst verflüchtigend verfestigt, weil sich Vortreffliches im feinsten Essen Trinken noch nicht ganz erschöpft. WOLLEN wir ihnen also eine Chance geben, den Musen, den Nymphen, den Klängen, den Kartons, dem Nichts, der Versuchung, den Grasmücken, den überlangen Gesängen, den Karteileichen, den Laubfröschen im Bett, den Rindciechern, dem Löschpapier samt Getränken, den lebendigen Bildern, den Standby´s, dem performativen Fest? Ja, wir wollen es, wir wollen es, das performative Fest.Für alle Ewigkeit. (Schwur der Anwesenden).

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