Schlagwort-Archive: Pazifismus

Feindbilder begraben

von Olaf Weber, Weimar

Heute ist eine besondere, die letzte Zeit. Die Atom- und automatischen Waffen, die scharfen Viren, die toxischen Kettenreaktionen der Geheimdienste warten nur manchmal. Sie erlauben uns nicht, das Maß der vergifteten Natur an die Zukunft zurückzugeben. Der Mensch muss besonders werden, freundlich.

Die Zerstörungskräfte un-intelligenter Systeme stehen an der Schwelle eines nun wirklich „totalen“ Krieges. Sie  sind  nur noch dem Zufall unterstellt, der sich grinsend und unbekümmert gibt.

Seit morgen sind wir zur Kooperation verpflichtet. Freies Denken steht nun gegen die Ideologien der Nationalflaggen, der Religions- und der Hautfarben, an denen sich die Menschheit nicht mehr erheitern sollte. Es ist verboten, die natürlichen Unterschiede im Menschsein zu öffentlichem Hass, zu Aufrüstung und Krieg aufzutürmen. Doch die ökonomischen und politischen Eliten haben sich in ihrer Unwirklichkeit eingebunkert, dort pflegen sie ihre Feindschaften.

Pazifisten (Kriegsgegner) kritisieren die Militaristen im eigenen Land. Deshalb schauen meine Freunde und ich auf Deutschland und die NATO. Dagegen verhalten sich Bellizisten (Kriegsbefürworter) genau umgekehrt. Sie suchen den Schuldigen nie im eigenem, sondern stets im anderen Lager. Immerfort neue Feindbilder erfindend – so befördern sie die Eskalationsspiralen, die kleinen Krisen, die großen Kriege.

Wir brauchen weder strategische Feinde noch unverbrüchliche Freunde, gute Nachbarn, das reicht. Im Vergleich zwischen den USA und Russland ist es nicht plausibel, weshalb das eine Land unser Freund, das andere unser Feind sein solle: Die autoritären Gesichter, der Rassismus, Superreiche da, Oligarchen dort, Kaltes und Zerstörendes allerorts (natürlich überall auch Ermutigendes). Welche Gesichter und welche Formen der Mangel an Menschlichkeit aber hat, ist angesichts der Gefahr (4 vor 12) nicht erheblich. Erheblich wäre das Gewaltlose. Und das Feindlose.

Es ist gut: Deutschland und Europa haben nach schrecklichen Verirrungen einiges an Zivilgesellschaft und Rechtsstaatlichkeit gewonnen. Doch der kriegerische und würdelose Zustand der Welt hat viel mit westlicher Arroganz zu tun, die immer noch koloniale Züge trägt und von oben herabschaut. So erlauben sich unsere geschäftstüchtigen Regierungen „Die Menschenrechte“ wie eine Monstranz voranzutragen, sobald es darum geht, einem geostrategischen Konkurrenten zu schaden. Schade um diese Menschenrechte.

Niemand spreche also von Menschenrechten und Frieden, wenn er oder sie zugleich Feindbilder pflegt, wenn er oder sie militärische Aufrüstung betreibt oder gar reale Kriege führt. Immer ist die Lüge sehr nahe am Krieg. Und dass man den Geheimdiensten gar nichts glauben darf, kann man nur ahnen. Und was die Demokratie betrifft – sie müsste von wirtschaftlicher Macht entkoppelt werden, um Demokratie zu werden.

Nach der Logik und dem geltenden Völkerrecht darf sich keine Regierung in ein Land einmischen, von deren Bevölkerung sie nicht gewählt wurde. Die Versuche, woanders einen „Regime Change“ herbeizuführen, bringt meist neue Gewalt und  schwächt die Selbstheilungskräfte eines Volkes (wie in Syrien, Libyen und woanders geschehen). Es wäre effektiver, friedlicher und historisch gerechter, wenn alle Regierungen auf die eigenen Defizite schauen, statt mit dem Finger auf andere zu zeigen. Die Transformation der menschlichen Beziehungen zur sozialen Freundlichkeit wird wohl nur in einer behutsamen und gerechten Weltinnenpolitik gelingen.

Die Bellizisten spielen mit zweierlei Maß, das eine wird an den Freund, das andere an den Feind angelegt. So erscheint der Freund freundlich, der Feind feindlich. In dieser Pose lassen sich zum Beispiel die USA gern gegenüber China ablichten – ein ermüdendes und falsches Bild, das es möglicherweise auch umgekehrt gibt.

Das wichtigste Menschenrecht ist das Recht, nicht getötet zu werden. Das Leben eines russischen Oppositionellen ist aber der Hungerstreik einer kurdischen Journalistin in einem türkischen Gefängnis. Und das Leben eines Bootsflüchtlings ist das eines Afroamerikaners auf einer Straße von Harlem. Es passiert so viel, doch wer schuldig ist und bestraft wird, bestimmen auf merkwürdige Weise die an Einfluss Reichen.

Der Krieg hinterlässt seine Folgen im Namen des Siegers. Die schlimmsten völkerrechtswidrigen, also Angriffskriege (wurden neben vielen groben Einmischungen in innere Angelegenheiten) nicht von Diktaturen, sondern leider von Demokratien, den USA und ihren Verbündeten, geführt – vgl. Afghanistan, Irak und Libyen, die Millionen Opfer zu beklagen haben. Es sollte keine Kriege und keine Trophäen mehr geben – auch deshalb nicht,  damit die Geschichte nicht mehr von den Siegern geschrieben werden kann.

Militaristen haben eine unendliche Phantasie, sie erfinden immer neue Feindbilder. Der deutsch/amerikanische Wissenschaftler Wernher von Braun kam zu einer späten, aber tiefen Einsicht: „Wir werden ein im Weltraum basiertes Waffensystem erschaffen. Zuerst werden die Russen als der Feind betrachtet werden… Dann werden Terroristen zum Feind bestimmt… Dann wird man Verrückte aus der Dritten Welt und bestimmte gefährliche Nationen zum Feind bestimmen… Der nächste Feind werden Asteroiden sein, und gegen Asteroiden werden wir erneut im Weltraum basierte Waffen bauen… Die letzte Karte, die ausgespielt werden soll, werden Aliens oder Außerirdische sein. Wir werden diese Waffensysteme gegen Aliens erschaffen und alles davon wird eine große Lüge sein!“ (im Gespräch mit Dr. Carol Rosin, 1974)

Fazit:

  1. Feindbilder und Kriegsbeile könnten schon morgen in aller Frühe begraben werden, doch unter dem Strand ist die Lüge – und das Eis.
  2. Den kalten Krieg beendet man nicht, indem man unliebsame Diktatoren stürzt, sondern indem man ihn beendet.

Antwort auf die Erklärung von Franziska Brantner

„Grüne vernetzte Außenpolitik in einer Welt voller Unordnung“


Dr. Franziska Brantner ist Sprecherin für Europapolitik sowie Parlamentarische Geschäftsführerin der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Liebe Franziska,

vielen Dank für deinen sehr interessanten und komplexen Text.

Du hast den Text als Debattenbeitrag bezeichnet. Ich sehe neben vielem Interessanten auch Problematisches und will mich der Kürze halber darauf konzentrieren.

Du beschreibst vor allem die Einbindung Deutschlands in das europäische Projekt. Das ist wichtig, zumal die Wertegemeinschaft mit den USA und der Atlantikbrücke der Bevölkerung kaum noch vermittelbar ist. Europa braucht mehr Eigenständigkeit, ja, aber in einer globalen Welt. Die Klimakatastrophe und die Corona-Pandemie verweisen auf den zunehmend globalen Charakter der anstehenden Probleme, das hast du zwar auch beschrieben, aber wir sollten daraus andere oder weiterreichende Schlüsse ziehen. Europa soll nicht ein weiterer Player im Konkurrenzkonzert der Großmächte werden, sondern etwas ganz Anderes, ein Ort, der Solidarität selbst vorlebt und Frieden, gegenseitigen Respekt und Kooperation in die Welt hinausstrahlt.

Ich möchte nur 2 Themen herausgreifen:

1. Russland. Es herrscht immer noch ein feindseliger Blick auf Russland, der nicht gerechtfertigt ist. Ich kann nicht erkennen, dass die innere Verfassung Russlands gegenüber Ungarns oder den USA so verschieden ist, dass wir nicht im Sinne der internationalen Kooperation mit Putin ausgezeichnet zusammenarbeiten könnten und das ist dringend geboten. Demokratie darf nicht als Verhinderungsargument gelten, wenn es um Frieden, auch nur um Kooperation geht, zumal die Demokratie überall unvollkommen ist.

Wir hören tagtäglich, Putin wolle den Westen spalten und seine Politik sei aggressiv und verbrecherisch. Aber ist es nicht sogar umgekehrt? Beim genauen Hinschauen ist die Politik der USA und also der NATO und des Westens nämlich ungleich aggressiver. Wir zerbomben 18 Jahre lang das kleine Afghanistan, weil sich dort einer der Feinde der USA aufhalten würde, doch die Terroristen sind vor allem Produkte der eigenen westlichen Politik. Die Kriege gegen Afghanistan, den Irak und Libyen kosteten Hunderttausende von Leben und es blieben Millionen Verwundete und Vertriebene zurück. Unsere Meinungsbildner und auch Politiker, Grüne eingeschlossen, tun so, als ob es dafür keine Schuldigen oder nur den einen, Putin, gäbe.

Auch die Flüchtlingsströme, die nun auf dem Weg nach Europa sind und Putin in die Schuhe geschoben werden, gehen klar auf das historische Kriegskonto der USA zurück. Die Destabilisierung des Iraks und Syriens ist eine direkte Folge gewaltsamer Interventionen der NATO, auf direkte Weise im Irak und auf indirekte in Syrien (Kriegsverbrechen gab es leider auf allen Seiten, vgl. Idlib und Mossul). Es gab trotz der, für Arabien vergleichsweise entwickelten Zivilgesellschaft in Syrien, Proteste gegen die Regierung. Es gab aber auch geopolitische Gründe, die die CIA schon seit den 50er Jahren und dann immer wieder veranlasste, auf den Sturz der syrischen Regierungen hinzuarbeiten (vgl. den obligatorischen Aufsatz von Robert F. Kennedy im Anhang). Kriegsverbrechen – das sind Verbrechen innerhalb des Verbrechens – sind natürlich zu ahnden wie die Verursacher eines Krieges selbst.

Wenn wir die Diplomatie der Amerikaner und Russen im Nahen Osten vergleichen, kommen wir zu einem interessanten Ergebnis. Die Diplomatie der USA folgt nicht erst seit „America First“ dem alten Grundsatz von „Teile und Herrsche“. Das ist die Einteilung der Welt in gut und böse, in Freund und Feind. Zum Beispiel ist Saudi-Arabien ein Freund, der Iran ein Feind, Türkei ein Freund, Syrien ein Feind, Israel der Freund und Palästina der Feind. Die Interessen können sich zeitweise auch verschieben, das Freund-Feind-Schema aber bleibt und so ein Verfahren ist immer kriegstreibend.

Erstaunlich ist es, dass Russland unter seinem Außenminister Lawrow tatsächlich mit allen diesen Ländern enge Beziehungen unterhält. Es ist ihm gelungen, mit allen reden zu können und das ist die Voraussetzung dafür, sehr schwierige Interessen zum Ausgleich zu bringen. Sicher ist, dass Russland dabei eigene Interessen verfolgt, aber diese Diplomatie enthält auch ein gewichtiges Potential zum Frieden, das uns wichtig sein müsste.

Kommen wir nach Europa zurück. In merkwürdiger Vergesslichkeit der hunderttausenden Toten, Verwundeten und Vertriebenen in Afghanistan und dem Irak wird ein unblutiges Ereignis zum Ausgangspunkt für den Ausschluss Russlands aus der Europäischen Gemeinschaft: Die Besetzung der Krim. Und man tut so, als hätte dieses Ereignis keine Vorgeschichte (ein alter Trick der Geschichtsfälscher). Wir wissen aber, dass der Frieden nur innerhalb einer Friedensordnung aufrechterhalten oder gebrochen werden kann. Die Friedensordnung in der postkommunistischen Ära wurde durch den 2plus4-Vertrag definiert. Und der Geist dieses Vertrages wurde durch das „gemeinsame Haus Europa“ (Gorbatschow) versinnbildlicht. Was aber dann kam war die Zerstörung dieser Friedensordnung durch die Besetzung immer mehr Zimmer und Etagen dieses Hauses, also durch das Vorrücken der NATO an die Grenzen Russlands. Diese Erweiterung der westlichen Welt nach Osten war zwar nicht völkerrechtswidrig, aber sie zerstörte grundlegend das friedensbewahrende Gleichgewicht in Europa.

2. Frieden. Es gibt den konservativen Friedensbegriff, der Sicherheit durch Stärke definiert. Das bedeutet Aufrüstung und also mehr Unsicherheit, weil die eigenen Waffen und die des Feindes immer heimtückischer und schrecklicher werden. Es gibt einen anderen Friedensbegriff, der Frieden durch Vertrauen und Abrüstung definiert. Das ist der Begriff der Friedensbewegung, auf den wir Grünen uns besinnen sollten. Man kann nicht über Außenpolitik sprechen, ohne die Rüstung zu erwähnen. Das Militär dient heute nur noch den Diktaturen zur Unterdrückung des eigenen und den Imperialisten zur Unterdrückung fremder Völker. Wir sollten um keinen Cent die Ausgaben für Rüstung erhöhen, sondern eine solche Außenpolitik betreiben, die es erlaubt, das Militär und die Militärausgaben zu verringern. Im Übrigen gibt es keine mit Zahlen belegte Begründung dafür, die Überrüstung der NATO noch weiter voranzutreiben.


Nun komme ich noch auf eine konkrete Aussage von dir, du schreibst:

„Wenn wir wollen, dass Trump uns auf Augenhöhe behandelt, dann müssen wir uns auf Augenhöhe bewegen. Das bedeutet auch unseren eigenen Kontinent geopolitisch ordnen zu können, unsere Militärfähigkeiten optimieren und ein eigenständiger Akteur zu werden.
Wie stehen wir zu Abschreckungsstrategien? Welche benötigen wir? Wie sorgen wir dafür, dass wir die Eskalationsspirale dominieren und nicht Putin, Erdogan oder Xi Jin-ping?“

Aber wie wollen wir mit den USA auf Augenhöhe kommen? Doch nicht, indem wir auf Militärausgaben in Höhe von 780 Mrd. Dollar kommen? Oder indem wir eine weltweit operierende Interventionsarmee schaffen, die von ihrer Bestimmung her völkerrechtswidrig handeln muss? Oder weshalb sollten wir überhaupt Eskalationsspiralen dominieren, wo es darum geht, endlich Entspannung einzuleiten, also zu de-eskalieren?

Und dein Vorschlag bedeutet auch, dass wir gegenüber einem Verbündeten innerhalb der NATO ein Abschreckungspotential aufbauen sollten. Ein Teil der NATO steht also gegen einen anderen Teil? Das ist doch eine katastrophale Erhöhung der Unordnung, die du in deiner Überschrift kritisierst. Außerdem ist das französische Atompotential gegenüber dem der USA und Russlands so verschwindend klein, dass es in dem Europa ohne Russland zu einer gewaltigen atomaren Aufrüstung kommen müsste, damit Europa gleichzieht.

Liebe Franziska, wir sollten alles tun, um Feindbilder abzubauen und keine neuen Feindbilder zuzulassen. Es ist gut, den beschränkten nationalen Begriff auf einen europäischen Begriff zu erweitern. Wir sollten dabei Russland einbeziehen und darüber hinaus – durch Klimawandel und Corona zusätzlich getrieben – nun endlich global denken und handeln. Und das ohne eine neue Militarisierung, sondern im Gegenteil, durch Abrüstung.

Mit freundlichen grünen Grüßen,

Olaf

Prof. Dr. Olaf Weber, Weimar

Corona, die Krone der Krankheit

Im letzten Jahr war es der Klimawandel, der unsere Aufmerksamkeit auf ein globales Thema gelenkt hatte, jetzt ist es eine Pandemie, die sich in rasender Geschwindigkeit über uns ausbreitet. Der zeitliche Zusammenhang ist ein kausaler: Das Ungleichgewicht von Mensch und Natur hintertreibt die allgemeinste Gesundheit. Zwar bekommt immer der Einzelne, wie der empfindsame Rentner, überhaupt der Unschuldige, das Fieber und die Lungenentzündung. Doch das Leiden kommt von einer vielfach erkrankten Welt. Corona ist eine soziale Krankheit, die ins Medizinische mutiert ist.

Man sagt, dass Covid19 eine Grippeerkrankung sei, aber sie ist sehr viel aggressiver als die gewohnte. Um diese Aggressivität geht es, sie scheint die eigentliche Krankheit zu sein. Sie entspricht der anmaßenden Überheblichkeit, mit der unsere Zivilisation mit der Natur umgeht und auch der Arroganz gegenüber Nachbarn und Fremden. Zu viel Gewalt und Hetze durchdringen die große und die private Welt, als dass diese gesund bleiben könnten.

Im Unterschied zu früheren Krisen treffen die Klimakatastrophe und die Corona-Pandemie zwar immer noch die Armen und die ärmsten Länder am stärksten, aber zum ersten Male sind die Wirkungen so global, dass auch wir Wohlstandsbürger des Westens und Nordens von solchen Krisen mit voller Wucht getroffen werden. Das birgt immerhin die Chance in sich, dass ein gewisses geistiges und materielles Potential bereitgestellt wird, das wenigstens oberflächliche Lösungen ermöglicht.

Überrascht sehen wir, dass Tausende von Milliarden von Euros plötzlich für das Stopfen von Finanzlöchern zur Verfügung stehen. Das bedeutet aber überhaupt nicht, dass die konservativen Verkrustungen unserer Gesellschaft aufbrechen würden. Es ist im Gegenteil mehr als fraglich, ob unter den herrschenden Bedingungen der Konkurrenzwirtschaft und der Nationalstaatlichkeit das Notwendigste für Klimaschutz, für Schulen, für Entwicklungshilfe in Afrika oder für Friedensarbeit getan werden kann. Es wird wohl nicht möglich sein, das gestörte Immunsystem unseres sozialen Organismus unter den Bedingungen eines technischen Wachstumswahns zu reparieren, zumal dann nicht, wenn er einem ökonomischen und digitalen Diktat untersteht. Vergleiche die Vereinnahmung des Individuums im Programm der Industrialisierung 4.0.

Olaf Weber

Initiative „Welt ohne Waffen“ Weimar

Wahrheit ist der Weg zum Frieden

„Dabei dürfe man keinesfalls Lüge gegen Lüge setzen. Man müsse mit der „durchschlagenden Kraft der Vernunft, mit der wirklich unideologischen Wahrheit dem entgegenarbeiten“ (Theodor W. Adorno)

Die Selbstdarstellung des Militärs, ihrer politischen und medialen Vertreter ist grundsätzlich verlogen. Der Zivilgesellschaft kann das Militär nur lügnerisch entgegen treten, weil die Menschen kein natürliches Interesse am Krieg haben.

Das Bedürfnis nach Sicherheit ist nachvollziehbar, doch wird es von der Militärpropaganda in eine Akzeptanz für das Militärische umgedeutet. Die Militärstrategen behaupten, mehr Militär würde mehr Sicherheit bedeuten. Logisch ist aber, dass die weltweite Ansammlung von gefährlichen Waffen immer größere Risiken in sich birgt. Das „Gleichgewicht des Schreckens“, also Der Frieden durch gegenseitige Abschreckung, ist spätestens im Zeitalter von Cyberkriegen nicht mehr vertretbar. Die sogenannten intelligenten und autonomen Waffen enthalten die kriminellen Potentiale zu furchtbaren Attacken gegen die Zivilgesellschaft, ähnlich den geächteten ABC-Massenvernichtungswaffen.

Die Kriegsrhetorik verbreitet Falschinformationen über diese oder jene Konfliktseite und ist deshalb schon kriegstreibend, aber sie besteht auch in der Verfälschung oder Unterschlagung grundsätzlicher Elemente des Völkerrechts und der Geschichte des jeweiligen Konfliktes. Hier einige Beispiele.

  1. Jedes Land hat das Recht, sich zu verteidigen. Angriffskriege oder die Bedrohung fremder Staaten widersprechen aber klar dem Völkerrecht. Dieser wichtige Unterschied wird von den Fürsprechern militärischer Lösungen gern unterschlagen, es wird dann von „guten“ oder „schlechten“ Kriegen gesprochen. So sind die Versuche zu verstehen, die völkerrechtswidrigen Kriege in Afghanistan, dem Irak, Libyen oder andere Interventionen mit absurden Vergleichen (etwa dem Krieg der Alliierten gegen Hitler zu begründen.
  2. Das außergerichtliche Töten (von Zivilisten wie auch von feindlichen Soldaten) ist unvereinbar mit den Menschenrechten, denn das fundamentalste Menschenrecht ist das auf Leben. Deshalb versuchen die Befürworter von militärischen Aktionen, das Grauen des Krieges zu verschleiern und die allgemeine Rechtslosigkeit im Kriege zu vertuschen, zugleich  aber mittels des Krieges oder der Kriegsdrohung ihre eigenen Weltordnungspläne durchzusetzen.
  3. Das Militär braucht zu seiner Legitimation und die Rüstungsindustrie für neue Aufträge gefährlich anmutende Gegner, diese können in Ermanglung wirklicher Feinde auch als bloßes Zerrbild dämonisiert werden. Übertreibende, einseitige  oder lügnerische Bewertungen jedweder Konfliktpartei sind immer kriegsfördernd.
  4. Polizei und Militär haben unterschiedliche Funktionen. Eine rechtsstaatlich operierende Polizei hat die Aufgabe, die wahrscheinlichen Rechtsverletzer einem Richter zuzuführen, während das Militär den nationalistischen und imperialen Interessen dient. Die Verfechter des Militärs versuchen deshalb, diese Unterschiede von Militär und Polizei zu verwischen und das Militär als Friedensstifter im Konfliktfall anzubieten.
  5. Die Strategie des Militärs ist es, die Legitimation seiner kriegerischen Aktionen aus einer vermeintlichen moralischen Überlegenheit der  eigenen Ordnung herzuleiten. Das sind überkommene Gebräuche des Rassismus, des Kolonialismus und Imperialismus. Um den Gegner zu verteufeln, die eigene Seite aber moralisch zu erhöhen, ist es dabei üblich, für Freund und Feind unterschiedliche Maßstäbe anzulegen
  6. Die Ursachen und die Genese von Konflikten werden von den herrschenden Meinungsbildnern verfälscht und verkürzt dargestellt. Zum Beispiel in Bezug auf die strategischen Interessen Russlands und der USA auf der Krim. Und es ist absurd, dass unter dem Begriff „Terrorismus-Bekämpfung“ auch die Geburt von Al-Qaida wie auch die des „Islamischen Staates“ zählen, denn beide sind von den USA sowohl erschaffen als auch bekämpft worden.

Wir stellen fest, dass die gelenkte Öffentlichkeit (der Mainstream) in Deutschland bezüglich Krieg und Frieden nicht wahrheitsgemäß berichtet. Die Medien wirken durch ihre asymmetrische Berichterstattung und ihre allgemeine Parteinahme für den „Westen“ oder für die Aufrüstung konfliktfördernd und friedensgefährdend. Dafür stehen viele Fakten, hier nur zwei:

Die US-Militärausgaben sind 10mal, die der NATO insgesamt 16mal höher als die Russlands. Die seit 1990 geführten völkerrechtswidrigen Kriege mit ihren Millionen Toten, Verletzten und Vertriebenen  gehen fast ausschließlich auf das Konto des Westens, die ebenfalls völkerrechtswidrige Annexion der Krim forderte dagegen (fast) keine Menschenleben. In der Öffentlichkeit wird aber eine militärische Überlegenheit und Aggressivität Russlands behauptet.

Gegen diese und viele weitere Formen der Kriegspropaganda müssen die Friedensaktivisten das Kredo von Marcuse setzen: Die unideologische Suche nach der Wahrheit. Eine noch so begründete Sympathie für eine der Konfliktparteien darf niemals das aggressive Verhalten einer der Seiten fördern oder rechtfertigen. Die Parteinahme für den Frieden geht vor alle anderen Interessen.

Die Politik der USA, der europäischen Union, Russlands, Chinas und aller anderen Staaten beurteilen wir nach ihrer militärischen Überrüstung, ihrer oft fehlenden Kooperationsbereitschaft und ihrem aggressiven Handeln. Wenn wir aber kritisieren, so zuerst die Verantwortlichen in Deutschland, weil unsere Wirkmöglichkeiten hier am größten sind  und das Fingerzeigen auf andere meist dazu dient, von den eigenen Fehlern abzulenken.

Die Wahrheit ist der beste Weg zum Frieden. Pazifisten müssen Wahrheitssucher sein.  

Olaf Weber, Initiative „Welt ohne Waffen“ Weimar

Mit einem einzigen frischen Sprung 

Pazifismus ist eine Politik „for Future“

Wir befinden uns an einer Bruchstelle zur Zukunft. Im Laufe der Jahrmillionen haben die Menschen immer Natur zerstört, es gab auch immer Herrschaft und es gab immer Gewalt. Wenn sich aber skrupellose Gier solcher Mittel bedient, welche die gesamte Zivilisation gefährden, dann ist das verantwortungslose Besessenheit. Der lang unwidersprochene Grundsatz, dass Kriege einen quasi natürlichen Zustand darstellen, kann nicht mehr gelten.

Wir gefährden unsere Zukunft durch irreversible Eingriffe in die Natur und unbeherrschbare Technologien. Wir zerstören zweitens mit der Kluft zwischen einem unverschämten Reichtum und einer erbärmlichen Armut die sozialen und kulturellen Grundlagen der globalen Zivilisation. Und schließlich stehen die modernen autonomen und atomaren Waffen bereit, alles höhere Leben auf der Erde zu vernichten. Wir sind damit beschäftigt, uns dreifach aufzugeben.

Es wird eine harte Zäsur. Wir überschreiten gerade den Rubikon eines vernunftgeleiteten Tuns. Das Limit ist dreimal erreicht, die Grenzen der geschundenen Ökosysteme, der sozialen Verwerfungen und der militärischen Aufrüstung sind überschritten. Es kann uns nur noch eine Umkehr retten: Rücknahme der globalen Erwärmung, der sozialen Erkaltung und der militärischen Überhitzung.

Der Klimawandel und das Artensterben haben es inzwischen bis in die Schlagzeilen der Medien geschafft. Über die anderen Themen, eine Umverteilung des Reichtums und eine substantielle militärische Abrüstung, wird aus naheliegenden Gründen viel geschwiegen. Carl von Ossietzkys Satz hat nichts an Aktualität verloren: „Der Krieg ist ein besseres Geschäft als der Friede“.

Die schweren ökologischen und sozialen Probleme begünstigen militärische Konflikte, wie umgekehrt das Militär und der Krieg die ökologischen und sozialen Probleme verschärfen. Man kann feststellen, dass Gesellschaften, die unter Friedlosigkeit leiden, auch nach außen eine riskante Sicherheitslogik vertreten, die von Feindbildern, Abschreckung, Eskalation und der Durchsetzung eigener Interessen geprägt ist.

Der Zeitpunkt einer wahrscheinlichen Klimakatastrophe kann wissenschaftlich eingekreist werden und der Moment, an dem eine soziale Lawine losbricht, kündigt sich über längere Zeiträume an. Eine atomare Katastrophe aber kann sofort und völlig überraschend über uns hereinbrechen, denn die atomare Uhr steht bei drei vor Zwölf. Der Krieg ist also die unmittelbarste und verheerendste Gefahr.

Bereits am ersten Tag eines Krieges stürzt die Zivilisation in den höllischen Abgrund. Der Krieg setzt die meisten Grundrechte und vor allem das Recht auf körperliche Unversehrtheit und Leben außer Kraft. Krieg ist das größte Verbrechen und die größte Gesetzlosigkeit, Krieg und Menschenrechte sind gegensätzliche Begriffe. Krieg ist staatlich organisierter Terror. Auch die Vorbereitung zu einem Verbrechen ist strafbar, auch Aufrüstung ist ein Verbrechen.

Es liegt im Wesen  des Militärs, dass Unschuldige getötet werden, denen keine individuelle Schuld nachgewiesen wird und dass nicht mal der Versuch eines solchen Nachweises unternommen werden kann. Das Militär schießt auf Uniformen, doch die Kugeln treffen die meist unschuldigen Menschen, welche darin stecken. Eine solche Hinnahme außergerichtlichen Tötens ist völlig unakzeptabel. Hinzu kommen die sogenannten Kollateralschäden, dass sind die ganz normalen Morde, denn 90 Prozent aller Menschen, die in bewaffneten Konflikten seit 1945 ihr Leben verloren haben, waren Zivilisten. Militär gehört abgeschafft, Soldat ist kein Beruf für Menschen.

Die heuchlerisch betriebene „menschenrechtsbasierte Außenpolitik“ hat sich in den meisten Fällen als militärische Interventionsstrategie zugunsten des Hegemon erwiesen und steht der Absicht entgegen, Demokratie und Freiheit wirklich zu befördern. „Humanismus“ als Kriegsgrund schwächt die offene Gesellschaft sowohl bei den Kriegsführenden als auch bei den Leidenden. Krieg hemmt somit auch die Selbstheilungskräfte eines jeden Volkes. Er ist heute ein imperiales Projekt, bei welchem der sogenannte Weltpolizist nach Gutdünken in fremde Gärten einsteigt und darin wildert.

Zur Zeit treibt alles auseinander: die Religionen, die politischen Feindbilder, die ökonomischen und geopolitischen Interessen. Und es steigen: die Rechtsverletzungen, die Kriegstoten und Vertriebenen, die Militärausgaben und die Kriegspropaganda. Und es sinken: das Vertrauen und die Sicherheit.

In Zeiten, in denen Verstand und Verantwortung regieren würden, könnte die Kriegsgefahr mit einigen als selbstverständlich erscheinenden Maßnahmen verringert werden: 1. Durch eine Reduzierung der Kriegsgründe, also eine Angleichung der Lebensstandards und die  Verminderung wirtschaftlicher Ungleichheiten, 2. durch internationale Verträge entlang des Völkerrechts sowie vertrauensbildende Maßnahmen und 3. durch eine technische Unfähigkeit zum Krieg, also durch Abrüstung.

Aber die Kriegstreiber aller Länder entwickeln viel Phantasie bei der Schaffung von Konflikten und Feindbildern. Die Aufrüstung im eigenen Land wird stets mit der Überrüstung woanders begründet, aber dort gibt es dieselben Scheinargumente, nur in die andere Richtung. Diesen Profiteuren des Krieges, die einem eisigen Machtkartell angehören, ohne sich verabredet zu haben, ist es gelungen, eine große und weltweite Bewegung für Abrüstung und Frieden zu verhindern. Aber die meisten Zivilisten wünschen nicht nur sich, sondern auch dem Nachbarn keinen Krieg. Wenn wir Demokratie hätten, würden die Waffen schweigen. Wenn die Macht vom Volke ausginge, wie es im Grundgesetz steht, würde ab- statt aufgerüstet werden.

Kriege beginnen immer mit den gemeinsten Lügen. „Seit 5:45 Uhr wird zurückgeschossen.“ Dieser Satz ist auch heute für alle Militaristen das bewährte Muster. Sie schießen immer nur zurück – aber schon vorher. Geheimdienste und Kriegsgewinnler werden nicht müde darin, immer neue Varianten dieses Tricks zu erfinden. Sie müssen weiter lügen, um den Friedenswillen der Menschen zu brechen. In den Kriegsministerien aller Länder sind Tausende von PR-Managern beschäftigt. Sie verengen das Denken zu einem schmalen Meinungskorridor, in dem das Sicherheitsbedürfnis der Nachbarn ausgeblendet wird. Übrig bleiben die Hetzbilder der feindlichen „Monster“, die schon wegen ihrer „Hässlichkeit“ zum Abschuss freigegeben werden müssen.

Die Umfragen in Deutschland zeigen, dass nach Meinung der Bevölkerung die Sicherheit nicht durch weitere Aufrüstung, sondern durch Abrüstung und Entspannung zu gewinnen sei (vgl. Ergänzung 4). Es ist anzunehmen, dass ähnliche Ergebnisse auch bei Umfragen in anderen Ländern der Welt zu beobachten sind. Die Bundesregierung und (fast) alle anderen Staaten dieser Welt betreiben aber eine entgegengesetzte Politik: Sie setzen weiter auf Feindbilder und Aufrüstung. Es  macht den Anschein, dass sich das Friedensbedürfnis der Menschen nirgends, also in keiner Diktatur und in keiner Demokratie, durchsetzen kann. Es scheinen andere Kräfte zu wirken.

Gegen die nationalistischen Kriege gibt es ein Rezept. Es muss endlich die weltweite Unmündigkeit überall, in Bangladesch wie in Deutschland, in Tansania wie in China und den USA, überwunden werden. Friedfertigkeit und Abrüstung werden nur als ein großes kreatives Fest gelingen, wenn es von den Völkern selbst organisiert wird. Die Befreiung vom Militär ist eine wirkliche Emanzipation: Sie kann gewaltige solidarische Kräfte freisetzen und befreit letztlich auch die Soldaten von ihrem schmutzigen Handwerk.

Wir müssen es tun: Auf einem langen Weg zum Pazifismus …


Ergänzung 1: Das Reichtumsgefälle

In Russland besaßen im vergangenen Jahr die reichsten drei Prozent fast 90 Prozent des gesamten Geldvermögens. Acht von zehn Familien hatten dagegen Probleme, die aus ihrer Sicht nötige Mindestmenge an Produkten zu kaufen. Die drastische Ungleichheit in dem Land ist ein riesiges Hemmnis für die Entwicklung von Wirtschaft und Demokratie. Die Oligarchen und Superreichen sind allerdings das Produkt einer Freundschaft von Boris Jelzin mit Helmut Kohl. Den Neoliberalismus haben die Russen importiert. Das Vermögen in Deutschland ist ebenfalls sehr ungleich verteilt, das sagen offizielle Statistiken. (1) 45 Deutsche besitzen so viel wie die ärmere Hälfte der Bevölkerung. Über viele Jahre verfehlt Deutschland die UNO-Ziele zur Reduktion der Einkommensungleichheit, den Gini-Koeffizient. Und die meisten Milliardäre leben mittlerweile neben den USA in China.

Auch bei den Wirtschaftsbossen gibt es Bedenken über die negativen Auswirkungen dieses Reichtumsgefälles. Der milliardenschwere Gründer der größten Hedgefonds-Gesellschaft Ray Dalio schreibt in einer Streitschrift: „Der Kapitalismus sei der beste denkbare Motivator, funktioniere aber für die Mehrheit in Amerika nicht mehr.“ Als Investor sehe er, dass „das Geld sich an der Spitze staut“ – zu viel für die wenigen, zu wenig für die vielen. Dalio schreibt von „sich selbst verstärkenden Spiralen: aufwärts für die Besitzenden, abwärts für die Besitzlosen“. Das sprenge „nicht nur den sozialen Zusammenhalt, sondern wirke auf Dauer auch unproduktiv“. Er befürchtet, dass in den kommenden Jahren keine Koalition zwischen „Kapitalisten und Sozialisten“ gelinge, um gerechtes Wachstum zu sichern, „sodass irgendeine Art von Revolution kommen wird, die praktisch jedem schadet“. (2)


Ergänzung 2: Das Verschwinden des Völkerrechts

Jede Regierung sollte nur die Wirkmächtigkeit über dasjenige Volk besitzen, vom dem sie gewählt wurde. Die Iraker, die Afghanen, die Libyer oder die Syrier haben nicht den US-amerikanischen Präsidenten gewählt und er ist von diesen nicht legitimiert worden, sich in ihre Angelegenheiten einzumischen, am wenigsten militärisch. Das Völkerrecht erlaubt keine aggressiven Akte gegen andere Staaten. Wenn überall die gleichen Maßstäbe angelegt würden, so würde sich zeigen: Die Wahrheit steht auf der Seite des Friedens. Das heißt auch, die Annexion der Krim durch Russland und die der palästinensischen und syrischen Gebiete durch Israel sind vergleichbar, aber nicht gleichwertig.

Der wichtigste pazifistische Maßstab ist die schauerliche Zahl der Toten, Verwundeten und Vertriebenen eines Krieges, also das reale Grauen. Die Millionen Kriegsopfer der letzten 30 Jahre können mit Recht der unipolaren Weltordnung angelastet werden. Und diese Feststellung ist keineswegs Antiamerikanismus, sondern ein wichtiger Erkenntnisschlüssel zum Frieden. Nach dem Untergang des Ostblocks ist keine regelbasierte Welt von Gleichen entstanden, statt dessen haben die USA und die NATO immer dreister ihre Macht zur Durchsetzung eigener Interessen genutzt. Sie haben das Völkerrecht am meisten gebrochen.

Aus friedenspolitischer Sicht ist es ungerechtfertigt, dass der Westen eine moralische Überlegenheit für sich beansprucht. Das zeigt sich auch an Details, zum Beispiel an der entwürdigenden Weise, wie mit gefängnisinsassen umgegangen wird, oder an der Tötung des gebrechlichen Osama bin Laden, der von fünf schwerbewaffneten und mit kugelsicheren Westen geschützten US-Soldaten nicht gefangen genommen und einem Gericht zugeführt, sondern erschossen wurde (2011). Dem Märchen von der moralischen Überlegenheit widerspricht aber vor allem die Tatsache, dass die derzeitigen Hauptfeinde der USA , nämlich China und der Iran, die letzten 200 Jahre unter ausländischen Mächten zu leiden gehabt und selber, im Gegensatz zu den USA, keine Angriffskriege geführt haben.

Jimmy Carter, der einzige US-Präsident, unter dem die Vereinigten Staaten keinen Krieg geführt haben, hat die Kriegslust seines Landes kürzlich scharf kritisiert. Die USA könnten sich laut Carter an China ein Beispiel nehmen. Die USA seien das kriegerischste Land der Welt, sagte Carter in seiner Sonntagsschule in der Maranatha Baptist Church im US-Bundesstaat Georgia. Trump sei derzeit darüber besorgt, dass China die USA wirtschaftlich überholen könnte. „Ich habe das Verhältnis zu China 1979 normalisiert. Wissen Sie, wie oft China seit 1979 Krieg gegen jemanden geführt hat? Niemals! Und wir sind im Krieg geblieben“, so der ehemalige demokratische Staatschef. In den 242 Jahren ihres Bestehens als Staat hätten die USA lediglich 16 Jahre lang keinen Krieg geführt, betonte Carter. Dass die USA das kriegsfreudigste Land seien, sei die Folge des US-Drucks auf andere Staaten, amerikanische Prinzipien zu übernehmen. Die lange Friedenszeit habe es China erlaubt, sein Wirtschaftswachstum voranzutreiben. „Wie viele Meilen Schnellverkehrsbahn haben wir in diesem Land?“ fragte Carter. China habe etwa 29.000 Kilometer Schnellverkehrsbahn, während Washington etwa drei Billionen US-Dollar fürs Militär ausgegeben habe. (3) Es ist offensichtlich so, dass die Kosten sich eminent verteuern, wenn sich ein Land statt auf seinem eigenen Territorium auf einen weit entfernten und auf Kosten anderer Völker, zum Beispiel am Hindukusch, verteidigen will.


Ergänzung 3: Die Militärausgaben und Kriegskosten in schwindliger Höhe

Für den völkerrechtswidrigen Irak-Krieg, dem Sündenfall im Nahen Osten, hatte die US-Administration 50-60 Mrd. Dollar kalkuliert. Doch am Ende dürften sich die Gesamtkosten auf drei Billionen Dollar allein für die USA summieren. Die Kosten der anderen Kriegsteilnehmer sowie des Irak sind da noch nicht mitgerechnet, geschweige denn die darauf folgende Destabilisierung Syriens und des ganzen Nahen Ostens. Eine kaum glaubliche Summe. Doch das ist längst nicht alles. Das Watson Institute for International and Public Affairs zeigt in seinem Projekt Costs of War, dass seit 9/11 die Ausgaben für den Krieg gegen den Terror sich auf eine noch weit höhere Summe belaufen: fast sechs Billionen US-Dollar. (4)

Das Stockholmer Friedensforschungsinstitut SIPRI hat kürzlich seinen jährlichen Bericht zu den Militärausgaben 2018 weltweit veröffentlicht. Unangefochten auf Platz 1 stehen die USA mit 649 Mrd. Dollar, das liegt nur knapp unter der Summe der Militärausgaben der acht darauffolgenden Länder zusammen. Auf Platz 2 steht China mit 250 Mrd. Dollar. Dann folgen Saudi-Arabien (67,6 Mrd. Dollar) und Indien (66,5 Mrd. Dollar). 63,8 Mrd. Dollar gab Frankreich im vergangenen Jahr für sein Militär aus und steht damit vor Russland (61,4 Mrd. Dollar). Mit 50 Mrd. Dollar Rüstungsausgaben steht Großbritannien nach Russland auf Platz 7. Deutschland überholte mit einem Anstieg um 1,8 Prozent auf 49,5 Mrd. Dollar Japan und liegt damit nun an weltweit achter Stelle. (5)


Ergänzung 4: Des Volkes Stimme fordert: Demokratie

In einer (nicht repräsentativen) Blitz-Umfrage der Initiative „Welt ohne Waffen“ anlässlich der „Woche der Demokratie“ im Deutschen Nationaltheater Weimar gab es am 09.02.2019  bemerkenswerte Antworten von Kulturinteressierten auf folgende Fragen:

Sehen Sie gegenwärtig eine militärische Bedrohung Deutschlands?
90 %   nein          10 %   ja         

Sind Sie für die Erhöhung oder für die Verringerung der Militärausgaben?
12 %   Erhöhung          88 %   Verringerung

Soll Deutschland den UN-Atomwaffen-Verbotsvertrag jetzt unterzeichnen?
97 %   ja          3 %   nein

Befürworten Sie den Austritt Deutschlands aus der NATO?
44 %   ja          56 %   nein

Können Sie sich eine stufenweise Auflösung des Militärs vorstellen, wenn alle Staaten mitmachen?
88 %   ja          12 %   nein

Ähnliche Ergebnisse sind auch bei anderen deutschlandweiten Umfragen zu verzeichnen. Die Friedensnobelpreisträgerin ICAN (Internationale Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen) berichtet unter Berufung auf eine von ihr in Auftrag gegebene repräsentative Umfrage, dass sich für die Entfernung der US-Atomwaffen aus Deutschland eine deutliche Mehrheit von 67 Prozent der Bundesbürger aussprechen. Außerdem fordern 68 Prozent der Befragten die Bundesregierung auf, den UN-Atomwaffenverbotsvertrag zu unterzeichnen. (6)

Die öffentliche Meinung ist also längst friedensbewegt. Noch eine Umfrage: Es  halten 82 Prozent der Menschen in Deutschland Friedensförderung für „lebensnotwendig“, 70 Prozent fordern höhere Investitionen zu diesem Zweck. (7)


Quellen: 

(1) Russlands Reichtum – in den Händen weniger, Oxi, 12.04.2019.

(2) Arvid Kaiser, Wall-Street-Milliardäre rufen nach der Sozialdemokratie, manager magazin, 09.04.2019.

(3) Ex-Präsident Jimmy Carter nennt USA das kriegerischste Land der Welt, Sputnik, 20.04.2019.

(4) Ulrich Teusch, Privatisierung der amerikanischen Kriege, Telepolis, 03.04.2019.

(5) Russland investiert weniger ins Militär als Frankreich, Ostexperte, 30.04.2019.

(6) https://www.icanw.de/wp-content/uploads/2019/04/2019-04_YouGov-Ergebnisse_de.pdf

(7) Philipp Rotmann und Sarah Brockmeier, Die Friedensbewegung hat sich verirrt, taz, 25.03.2019.

Prof. Dr. Olaf Weber

Initiative „Welt ohne Waffen“ Weimar

“Solidarität, Nächsten- und Feindesliebe sind überlebenswichtig für die Menschheit“

25aus der Thüringer Landeszeitung vom 25.07.2017, ein Interview mit Prof. Dr. Olaf Weber von Gerlinde Sommer

Professor Weber aus Weimar will mit seiner Initiative erreichen, dass zum 1. Januar 2050 eine Welt ohne Waffen und Frieden für alle möglich wird

Olaf Weber, Jahrgang 1943 und gebürtiger Dresdner, setzt sich für Frieden ein. Der vormalige Professor für Ästhetik an der Bauhaus-Universität Weimar beschäftigt sich seit seinem Ruhestand ab 2009 zunehmend mit pazifistischen Argumenten. 2013 gründete er in Weimar „Welt ohne Waffen“. Jetzt legt er mit dieser Initiative den „Weimarer Friedensappell 2017“ vor.

Wer genau steht hinter diesem Appell, Professor Weber?

Die Initiative „Welt ohne Waffen“ aus Weimar. Sie ist eine Partei-unabhängige Diskussions- und Aktionsgruppe zur Förderung des Friedensgedankens.

Warum sammeln Sie keine Unterschriften?

Wir haben darauf verzichtet, Unterstützerlisten zu sammeln, weil wir kein kurzfristiges politisches Ziel verfolgen. Der Friedensappell will aufklärend wirken, er ist deshalb vor allem ein Aufruf, den Frieden wieder denken zu lernen.

Wie wollen Sie Bürger, Politiker und vor allem Unternehmer, die am Krieg verdienen, für Ihren Appell gewinnen?

Deutschlandweit sprechen wir die Bürger und Politiker durch die Medien und durch soziale Netzwerke an. In Weimar verteilen wir unsere kleine illustrierte Broschüre mit dem Titel „Abrüstung jetzt“. Wir drucken sie schon in zweiter Auflage. Zwischen der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung und den meisten Politikern herrscht eine Kluft. Viele Menschen erleben mit Unverständnis und Wut die Welle einer neuen Aufrüstung. An den Politikern wäre es, nun endlich von der Konfrontation auf Kooperation umzuschalten und Sicherheit nicht durch Aufrüstung, sondern durch weltweite und kontrollierte Abrüstung und friedliche Mittel der Konfliktbewältigung zu schaffen. Die Rüstungsindustrie werden wir mit unseren Argumenten sicher nicht erreichen.

Frieden ist mehr als die Abwesenheit von Krieg. Was kennzeichnet Frieden? 

Das Schweigen der Waffen in Kriegsgebieten, die Reduzierung der Waffenexporte und das Abschmelzen der Atomwaffen wäre schon der halbe Frieden. Der ganze Frieden ist noch eine Utopie, aber eine solche, die nach unserer Meinung in 30 bis 40 Jahren erreichbar wäre. Nur Diktatoren brauchen das Militär zur Machterhaltung nach innen – und nach außen brauchen es nationalistische Regierungen zur Absicherung von Rohstoffen und Märkten. Alle anderen würden auf Militär gut verzichten können. Auch für die Abwehr von Terroristen sind Panzer und Kriegsschiffe völlig ungeeignet.

Wollen Sie das Schlaraffenland?

Frieden ist ein lebendiger Zustand des solidarischen Miteinander, zu ihm gehören auch Widersprüche und Konflikte, in gewisser Weise sogar Gewalt – und deshalb auch eine Polizei, welche vermeintliche Kriminelle und Terroristen vor Gericht ziehen kann. Selbst wenn der Frieden kein Schlaraffenland wäre, können wir uns aber angesichts der Schrecklichkeit der heutigen Waffen und der riesigen Probleme, die zu bewältigen sind, keinen Krieg mehr leisten.

Wie schätzen Sie die aktuelle Situation ein?

Die ersten Kriege im noch jungen 21. Jahrhundert hatten bereits über 1 Million Tote und die Destabilisierung ganzer Regionen zur Folge. Die militärischen oder geheimdienstlichen Interventionen in Afghanistan, dem Irak, Libyen, Syrien, der Ukraine u.a. fanden keineswegs im Auftrag der jeweiligen Völker statt. Sie schadeten massiv deren Gemeinwohl, lähmten deren Selbstheilungskräfte und reduzierten Entwicklungsmöglichkeiten. Nun kommen die Kriege in Form von Terrorismus zu den Interventionsmächten zurück. Die gegenwärtige Entwicklung lässt erwarten, dass die nächsten Kriege in den Hinterzimmern der Macht schon vorbereitet werden. Es ist für die Friedensbewegung nicht ausreichend, den militärischen Katastrophen nachzulaufen und dabei immer nur das schlimmste Leid lindern zu können.

Was müsste getan werden?

Besser als Nothilfen wäre eine starke Krisenprävention. Wir richten deshalb den Blick auf eine weltweite Friedenspolitik, in deren Zentrum keine gewaltsamen Interventionen und auch kein militärischer Schutz, sondern zivile Sicherheitsstrukturen und eine Vertrauen stiftende, weltweite Abrüstung stehen. Wir fordern von allen Regierungen das Menschenrecht auf Frieden zu achten.

Es klingt utopisch, wenn Sie eine weltweite Demilitarisierung fordern…

Aber die Hinwendung zum Frieden ist sofort und überall machbar. Wir brauchen eine politische Kehrtwende von der weiteren Zuspitzung der Krisen zu ihrer Entspannung, von der Konfrontation zur Kooperation und von der weiteren Aufrüstung zur kontinuierlichen und vollständigen Abrüstung. Nur eine solche „pazifistische Revolution“ macht auch kleine Abrüstungsschritte glaubwürdig. Selbstverständlich wird es den allgemeinen Frieden nicht schon morgen geben. Aber die vollständige und globale Demilitarisierung sollte ähnlich dem deutschen Atomausstieg mit einem Zieldatum verbunden werden. Wir halten es für möglich, dass zur Jahrhundertmitte der weltweite Abrüstungsprozess abgeschlossen sein kann, so dass der 1. 1. 2050 als erster Tag einer militärfreien Welt gelten könnte.

Was genau verbirgt sich hinter der Demilitarisierung?

Die Abschaffung aller Waffen und anderen Vorhaltungen zum Kriege, die Auflösung der militärischen Verbände und Kriegsministerien ist nur die äußere Seite der Demilitarisierung. Der Frieden beginnt im Kopf, er beginnt als Befreiung von konstruierten Feindbildern. In unser Denken und Fühlen, in unsere Sprache und Kultur hat sich Gewalt in verschiedenen Formen eingenistet. Wir sollten sie zusammen mit den Rüstungen und Waffen ablegen. Eine Kultur des Friedens, eine neue Streitkultur und Friedenslogik sind nötig. Abrüstung ist eingebettet in den Umbau unserer Weltordnung zu einem universellen Humanismus. Zum friedlichen Leben gehört eine neue Art des globalen Wirtschaftens, Verteilens und Lebens, die von einer ökologischen und sozialen Verantwortung getragen wird.

Gehen Sie und Ihre Mitstreiten davon aus, dass der Mensch im Kern kein Krieger sein will?

Der Krieg ist kein Naturzustand. Die Menschen sind immer zum Kriege getrieben oder verführt worden, immer aber wurden sie betrogen. Unsere Visionen bilden nur eine Hoffnung zum Frieden, sie sind noch nicht der reale Weg. Wir wissen aber, dass Frieden auch ein innerer Zustand des Menschen ist, der durch das Bestreben nach Ausgleich und Würde zu friedlichem Verhalten befähigt. Empathie, Solidarität  und Vertrauen, Nächsten- und Feindesliebe sind nicht nur friedensstiftende Fähigkeiten des Menschen, sie sind auch lebenswichtig, sie tun einfach gut.

Wer den Friedensappell unterstützen will, kann eine Mail schreiben an: kontakt@weltohnewaffen.de

Lesen Sie den kompletten Aufruf der Initiative unter www.tlz.de/friedensappell

Rede zur Eröffnung der Kampagne „Abrüstung Jetzt“

Rede zur Eröffnung der Kampagne „Abrüstung Jetzt“ in der Ausstellung Bertha von Suttner am 08.05.2017 im Hauptbahnhof Weimar

Eine wirklich gute Idee erkennt man daran, dass ihre Verwirklichung von vornherein ausgeschlossen erscheint. – Albert Einstein

Und wir haben eine wirklich gute Idee, das ist die Idee von einer Welt ohne Krieg. Diese Idee ist nicht neu, sie ist wahrscheinlich so alt wie der Schrecken der Kriege selbst. Und es gibt große Vorbilder wie unsere wunderbare Ausstellung über Bertha von Suttner zeigt. Aber die Menschheit hat sich in  einer Art geistiger Trägheit (oder Fremdbestimmung) daran gewöhnt, dass es Kriege gibt und geben wird. Jeder Mann und jede Frau hofft aber darauf, dass sie woanders stattfinden.

Gerade in diesen Wochen und Monaten brauen sich die Wolken neuer Konflikte zusammen und hören wir von neuen gewaltigen Rüstungsprojekten. Und  jede einzelne militärische Intervention und jeder einzelne Aufrüstungsschritt bringt nicht ein mehr, sondern ein weniger an Sicherheit und Frieden. Wir sind davon überzeugt, dass das Militär abgeschafft werden muss. Denn es wird Kriege geben, solange es Militär gibt.

Sorgen wir nicht nur für weltweite Abrüstung in den Kasernen und Arsenalen, sondern auch für die Abrüstung in unseren Köpfen, denn dort hat sich Militärisches in vielen Formen eingenistet. Wir haben wenig Kompetenz zum Handeln, aber wir haben die Kompetenz, Abrüstung und Frieden zu denken.  So können wir uns wenigstens geistig befreien – als Vorausleistung für wirkliche Abrüstung und Frieden.

Auf nur wenigen Seiten geben wir in unserem Friedensappell diese Denkanstöße. In der Vergangenheit sind kleine Abrüstungsschritte immer wieder durch neue Rüstungen vernichtet worden. Wir setzen deshalb aufs Ganze. Wir wollen die vollständige weltweite kontrollierte und kreative Abrüstung. Wir setzen ein Datum: Bis zur Jahrhundertmitte kann die Welt militärfrei sein. Der 1. Januar 2050 wäre dann der erste Tag eines globalen Friedens.

Wir bieten einen Aktionsplan, der die ungeheure Komplexität des Demilitarisierungsprozesses ahnen lässt. Unter 7 Kapiteln sind über 30 Stichpunkte aufgelistet. Die vielfältigen Probleme sollten uns aber nicht erschrecken, sondern ermutigen, an irgend einer Stelle anzufangen. Wahrscheinlich können selbst die kleinsten Teile dieses Planes nur unter enormen Aufwand durchgesetzt werden. Denken wir nur an ein solches Vorhaben wie, „Frieden als Schulfach“ in deutschen Schulen einzuführen.

Verehrte Damen und Herren, liebe Anwesende, nehmen Sie unsere kleine Anleitung zum Frieden mit. Helfen Sie dabei, das Militär loszuwerden. Schließen Sie sich uns an, Unterschreiben Sie den Weimarer Friedensappell.

Beginnen wir endlich mit Abrüstung und zwar: Jetzt!

Olaf Weber

Dringlicher Strategiewechsel in Syrien

3Der Westen hat  im vorderen Orient die falschen Bündnispartner. Nach dem Irak-Krieg arbeitet die US-Regierung seit 2009 daran, auch in Syrien die Regierung auszuwechseln (1). Aber „regime change“ ist völkerrechtswidrig und die Auswahl der missliebigen Regierungen erfolgte vom Standpunkt der Menschenrechte willkürlich, aus geopolitischen, also wirtschaftlichen Gründen aber sehr zielgerichtet. So kam es, dass nicht das feudalistische Saudi-Arabien und die Öl-Emirate, sondern das laizistische Syrien mit einem entwickelten Mittelstand, gutem Bildungs- und Gesundheitswesen in das Visier der Geheimdienste und Militärstrategen geriet.

Die harte Hand des Assad-Regimes, die sich nicht nur gegen Islamisten richtete und die angedeuteten Interessen anderer Staaten führten in Syrien zu einem schrecklichen Krieg, der unmöglich den Interessen des syrischen Volkes entsprechen konnte. Doch Bürgerkriege beginnen oft versteckt und langsam, Gewalt entwickelt sich in Eskalationsspiralen.  Die Waffen sind zunächst unsichtbar, Gewehre, Maschinenpistolen, Panzer und Flugzeuge sind die Stationen zu mörderischen Kriegen. Am Ende sind ganze Städte ausgelöscht, Hunderttausende gestorben und Millionen vertrieben.

Der Kampf um Aleppo war hoffentlich das Ende der Falschheit. Alle beteiligten Mächte (Russen, Iraner, Türken, Saudis, US-Amerikaner, Europäer, Deutsche . . .), die ihre Interessen am syrischen Volke abgearbeitet haben, sollten ihre Politik neu ausrichten. Wir brauchen einen doppelten Strategiewandel in der internationalen Syrien-Politik.

  1. Der Wechsel der politischen Strategie vom Feindbild Assad zur Bekämpfung des Islamismus.

Die Bundesregierung sollte nicht mehr einen Regierungssturz in Syrien anstreben, sondern ein koordiniertes Vorgehen der USA und Russlands unterstützen, um den Einfluss aller islamistischen Gruppierungen, die inzwischen 90 Prozent der militärischen Gegner Assads ausmachen,  zurückzudrängen. Deutschland sollte eine massive Entwicklungspolitik für Syrien mit seiner ambitionierten Flüchtlingshilfe von 2015/16 verbinden. Syrien, Deutschland  und die Flüchtlinge brauchen gleichermaßen diese Perspektive.

  1. Der Wechsel von militärischen Strategien zur zivilen Konfliktbearbeitung.

Der Kampf gegen die Islamisten sollte vorrangig nicht-militärisch geführt werden. Die militärischen Strategien gegen Terroristen haben sich als unbrauchbar erwiesen, es ist wirksamer und nachhaltiger, sie mit politischen, wirtschaftlichen, kulturellen und sozialen Interventionen zu bekämpfen. Syrien könnte zu einem Exempel friedlicher Konfliktbewältigung und Nachsorge werden. Es gibt ein großes und ungenutztes Arsenal von Mitteln des Peacekeeping, das auch unter Bedingungen aggressiver Ideologien wirksam sein kann (2). Versöhnungskonferenzen, so schwer sie sein werden, müssen den Vorzug vor Kriegsverbrecherprozessen, die auch nötig sind, haben.

Syrien hat das Potential, den Wiederaufbau seiner Städte mit dem Modell eines gelingenden Friedens nach innen und außen zu verbinden. Ob es genutzt wird, liegt zur Zeit weniger an den Syriern als an der übrigen Welt.

Olaf Weber

Initiative „Welt ohne Waffen“ Weimar

www.weltohnewaffen.de

 

(1) siehe: Robert F. Kennedy, Jr. vom 23.02.2016 in „politico.eu“
Quelle: http://www.nachdenkseiten.de/?p=32213

(2) FRIEDENSPLAN FÜR SYRIEN: EINE ARGUMENTATIONSHILFE. Bund für soziale Verteidigung (BSV)
Quelle: http://bit.ly/2gJ1YW3

Über die falsche Lust am Intervenieren

von Olaf Weber

Die existentiellen Themen unserer Zeit, besonders die von Gerechtigkeit und Umwelt, erfordern Kooperation und volle Handlungsfähigkeit der politischen Akteure. Doch unsere fragwürdige Zivilisation ist unterwegs in Richtung sich ausweitender Konflikte, mörderischer Kriege und Vertreibungen. Die weltweit dominierenden, „aufgeklärten“ Staaten und Blöcke, besonders die USA und die NATO, neuerdings auch Russland, befördern aber mit ihren „willigen“ Vasallen die Konflikte, indem sie sich nach fragwürdigen Kriterien und selten friedensstiftend einmischen.

Den militärischen Aktionen fehlt meist die Effizienz und immer die Moralität. Sie stehen in einem antagonistischen Widerspruch zu den Menschenrechten: „Soldaten sind Mörder“, schrieb Kurt Tucholsky schon 1931. Der Mechanismus von Freund und Feind verlangt von den Soldaten, Unschuldige zu töten – unschuldige Zivilisten und unschuldige gegnerische Soldaten. Getötet wird nach Augenschein, gezielt wird auf die fremde Uniform. Dieses anonyme Töten hat manchmal (zum Beispiel bei Drohnenangriffen) den Charakter von außergerichtlichen Hinrichtungen. Es ist ein absurder Gedanke, dass durch einen Befehl zum Schießen Menschenrechte geschützt, oder gar dauerhaft durchgesetzt werden können.

 

Dieser Aufsatz thematisiert aber weniger die Unmoralität, sondern die Ineffizienz des Militärischen. Heute besitzt der Krieg unglaubliche und heimtückische Waffen, seine Zerstörungskräfte sind unvergleichlich und potenzieren sich durch die ähnlichen Gewalten des Gegners. Das Militär wirkt aber nicht mehr abschreckend, sondern provozierend. Die staatlichen Übergriffe und offenen Interventionen gefährden Stabilität und Wohlstand auf der Welt, sie fördern auch keine Demokratie oder soziale Gerechtigkeit. Frieden muss heute und in jeder Zukunft an erster Stelle stehen.

 

  1. Interventionen töten Menschenrechte

 

Im Rahmen der UN war die sogenannte Schutzverantwortung (responsebility to protect) vereinbart worden, die helfen sollte, Völkermord und grobe Menschenrechtsverletzungen wie ethnische Säuberungen zu verhindern. Die humanitären Interventionen waren für seltene und akute Einzelfälle gedacht, die selbst keine Lösungen enthielten. Nur der Eingriff von außen schien in solchen Fällen das Schlimmste verhindern zu können. Inzwischen haben sich durch die militärischen Eingriffe Flächenbrände und Ketten folgenschwerer Eskalationen entwickelt, deren negative Wirkungen das ursprüngliche Leid um ein Vielfaches übersteigt. Die „humanitären“ Interventionen sind selbst zum Ausgangspunkt menschlicher Tragödien geworden und es stellt sich heraus, dass sie meist nicht uneigennützig und nicht behutsam waren.

 

Einige Großmächte haben ihr Interesse an schleichenden Interventionen entdeckt. Sie geben gewaltsamen Eingriffen und Invasionen eine humanitäre Geste, um das Prinzip der Nichteinmischung und das Gewaltverbot zu umgehen. Die geltenden Interventionsgründe wie Völkermord werden fast beliebig erweitert, so dass bereits „staatliche Willkür“ und „Unterdrückung“, oder „Autoritarismus“, also allgemeine Demokratiedefizite als Kriegsgrund geltend gemacht werden. Indem sich einige „Demokraten“ anmaßen, Despoten nach selbstdefinierten Maßgaben zu bestrafen oder gar zu stürzen, stellen sie sich selbst neben das Völkerrecht.

 

Durch den neuen Interventionismus ist der militärische Feuerwehreinsatz, der als Nothilfe gedacht war, zu einem fast schon alltäglichen Mittel der Außenpolitik mutiert und hat eine beängstigende Militarisierung der Menschenrechte bewirkt. Humanismus und Krieg bleiben aber antagonistische Begriffe. Der Krieg ist ein schreckliches Instrument vermeintlicher Hilfe. Kriege sind immer humanitäre Katastrophen. Sie sind ungeheure Gewaltmittel, welche die meisten Menschenrechte außer Kraft setzen, selbst wenn einige von ihnen geschützt werden sollen. Das wichtigste Menschenrecht ist das auf Leben, aber es würde selbst in einem Krieg der besten Vorsätze jeden Wert verlieren.

 

Dem Schutz der Menschenrechte und der Vermeidung von Krieg gehört eine ungeteilte Aufmerksamkeit. Zwischen dem Recht auf Leben und dem auf andere Menschenrechte, also zwischen der Arbeit am Frieden und an der Kultur, können Widersprüche auftreten. Doch Menschenrechts- und Friedenspolitik bleiben nur dann humane Begriffe, wenn sich zwischen sie keine anderen Interessen einschmuggeln. Die Interventionen der letzten Jahrzehnte waren aber meist mit Intentionen vermischt, die weder den Menschenrechten noch dem Frieden dienten. Höhere Werte wie Freiheit und Demokratie wurden gar zu bloßen Etiketten, hinter denen sich ganz andere, meist wirtschaftliche oder geopolitische Absichten verbargen –­ und ähnliche unedle Vorwände galten seit der Antike, oder der Steinzeit.

 

 

Die Menschenrechte sind vielfach gefährdet. Sie müssen nicht nur gegen Diktatoren, sondern auch gegen ihren Missbrauch durch relativ entwickelte Demokratien oder Bürgerkriegsparteien, sogar gegen Menschenrechtsaktivisten, die diese einseitig auslegen, verteidigt werden. Die Einrichtung von Mädchenschulen in Afghanistan ist kein Kriegsgrund, auch der vermeintliche Wohnsitz von Bin Laden nicht. Der Menschenrechts-Bellizismus ist ein großer Irrtum, aber der pseudo-Menschenrechts-Bellizismus mit dem Hintergrund ganz anderer Intentionen ist ein Verbrechen.

  1. Militäreinsätze ohne UN-Mandat sind kriminell

 

Jede Gewalt in den internationalen Beziehungen bedarf einer am Völkerrecht gemessenen, tiefen Begründung. Von allen Arten des Eingriffes ist die militärische Intervention die am meisten riskante, inhumane, kostspielige und am wenigsten nachhaltige Art der Einflussnahme. Die versprochenen schnellen Lösungen (vgl. „Blitzkriege“) münden meist in langen, schrecklichen Kreisläufen und statt einem „sauberen“ Frieden eskaliert die Gewalt zu schmutzigen Dauerkonflikten. Die von Überoptimismus geblendeten Militärstrategen sind entweder unfähig, die Folgen ihres Tuns abzuschätzen, oder diese entsprechen eben der fatalen militärischen Logik. Jedenfalls steht der Krieg nicht am Ende der so genannten „Ultima Ratio“, geschweige denn am Anfang der Weisheit.

 

Eine grenzüberschreitende Landnahme ist ein so offensichtlicher Bruch des Völkerrechtes, dass sie vor den Augen der Weltöffentlichkeit kaum noch bestehen kann. Die Machtpolitik der Gegenwart ist deshalb nicht an territorialen Ausdehnungen interessiert, sie begnügt sich mit Erweiterungen ihrer Einflusssphären. Dazu kann auch der von außen erzwungene Sturz von Regierungen dienen, der immer völkerrechtswidrig ist.

 

der militärisch erzwungene Systemwechsel (Regime-Change), wie ihn die USA, die NATO und andere „Willige“ in Afghanistan, im Irak und in Libyen unternommen haben, ist nicht nur völkerrechtswidrig, sondern hoch gefährlich. Er führt fast nie zur Einhegung des Konfliktes, meistens zu seiner Ausweitung. Interventionen können manchmal Kampfhandlungen unterdrücken, doch selten stabile Strukturen herstellen, oft führen sie gar zum Zusammenbruch jeder staatlichen Ordnung und zum Zerfall des Landes. Vom Kosovo über Afghanistan und den vielen Eingriffen im Nahen und Mittleren Osten bis zu der russischen Unterstützung der Separatisten in der Ost-Ukraine haben die Interventionen nur zweifelhafte Ergebnisse gebracht. Sie verweisen immer auf fehlende, mangelhafte, verspätete, vordergründige oder phantasielose Diplomatie. Lediglich bei einigen Regionalkonflikten in Afrika und Fernost haben polizei-ähnliche Einheiten der UN mit klar definierten Aufgaben ihre friedensstiftende Rolle ausfüllen können.

 

Di Zahl der Getöteten, Verletzten und Vertriebenen ist ein Maß für die kriminelle Energie des Militärs. Militärische Interventionen unterscheiden sich deshalb auch unter dem Aspekt des gerechten Widerstandes. Im Gegensatz zu den tödlichen Bilanzen während der gewaltsamen Besetzung Palästinas war beispielsweise die völkerrechtswidrige Annexion der Krim weitgehend unblutig und entsprach dem Willen des überwiegenden Teils der Bevölkerung, sogar des dort stationierten Militärs. Auf skurrile Weise stand dessen erzwungenes, aber wohltuendes Nichtstun im Widerspruch zu der auf russischer wie ukrainischer Seite betriebenen maßlosen nationalistischen Hetze der Zivilgesellschaft, also der Medien, der Oligarchen, Politiker und Popen.

 

Die Völker sollten ihr Selbstbestimmungsrecht behutsam nutzen, denn es kann nicht losgelöst von globalen Interessen betrachtet werden. Das Beharren auf diesem Recht hätte 1962 fast den 3. Weltkrieg ausgelöst. Die Kubakrise wurde dadurch gelöst, dass Kuba und die Sowjetunion auf einen Teil ihres Selbstbestimmungsrechtes, nämlich die Stationierung der gegen die USA gerichteten Raketen verzichtet hatten. Die Verantwortung für den Frieden lässt es nicht zu, dass das Selbstbestimmungsrecht ohne Rücksichten auf die Nachbarn durchgesetzt wird. Heute sollten Georgien, Moldawien, die Ukraine und andere Anrainerstaaten Russlands aufpassen, dass ihr Selbstbestimmungsrecht nicht durch die geopolitischen Interessen weit entfernter Mächte umgedeutet wird.

 

In ähnlicher Weise kann der Separatismus, also das Selbstbestimmungsrecht von Volksgruppen geostrategisch missbraucht werden, wie es durchaus auf der Krim, aber auch beim Krieg der NATO um den Kosovo der Fall war. Heute besteht das Problem in der Ost-Ukraine, wo das Selbstbestimmungsrecht des Staates mit dem einer Volksgruppe im Widerstreit steht und in die Interessenpolitik fremder Mächte geraten ist. Der Konflikt dort zeigt auch, wie unfruchtbar es ist, ein abstraktes Prinzip der Selbstbestimmung gegen Nachbarschaftsinteressen durchzusetzen.

 

In der Vorgeschichte und Geschichte von Bürgerkriegen haben fast immer Geheimdienste anderer Länder teilgenommen. Bürgerkriege sind in diesen Fällen keine Befreiungskriege oder Revolutionen, sondern Stellvertreterkriege, in denen eine oder mehrere Bürgerkriegsparteien von anderen Mächten gesteuert werden, es sind gewalttätige Interventionen im fremden Auftrag. Syrien bildet in diesen Monaten das entsetzlichste Beispiel, auf das wir noch zurückkommen .

 

Militärs und Machtpolitiker bedienen sich immer geheimer ihrer Macht. Statt offenen Okkupationen verfolgen sie ihre verdeckten Absichten und Ziele mit Hilfe von Geheimdiensten und geheimen Waffen, sowie von logistisch und militärisch aufgerüsteten gewaltbereiten Gruppen und Söldnern. Politische Konflikte verwandeln sich durch militärische Strategien in Kaskaden von Eingriffen und grausamen Bürgerkriegen. Die Raffinesse, mit der dabei vorgegangen wird, verdeckt die Schuld der im Hintergrund agierenden Aggressoren in keiner Weise. Das Töten kann auch über sensible Strategien und automatische Waffen (wie Drohnen) erfolgen. Entgegen der Bildwirkung ist es für die Betroffenen egal, ob das Verbrechen gegen die Menschlichkeit in der Enthauptung von Journalisten oder im Bombardement von bewohnten Gebäuden besteht. Das Töten aus Rache ist grausam, der mörderische Job mit dem Steuerknüppel oder dem Joystick ist niederträchtig. Und Barbaren treten auch mit schicken Nadelstreifen vor die Kamera.

  1. Der konkrete verträgt sich mit dem allgemeinen Frieden

 

Es gibt einen großen Widerspruch zwischen der Unklarheit der militärischen Parameter, vor allem dem voraussichtlichen Verlauf und dem Ausgang des Krieges einerseits und der Klarheit, Härte und Unerbittlichkeit der eingesetzten Mittel andererseits. Dieser Widerspruch macht den Krieg zum Pokerspiel mit menschlichen Katastrophen, die bis hin zu Massenmorden reichen. An Erfolgen gibt es nichts, was das Leid der Opfer aufwiegt und im Nachhinein weiß jedes Volk, dass sich noch nie ein Eroberungskrieg und selten ein Bürgerkrieg gelohnt hat. Wohl dem Volke, dessen abgewirtschaftete Regierung sich durch eine friedliche Revolution stürzen lässt.

 

Konflikte sind Folgen ungelöster Konflikte. Eine Krise ist immer das letzte Glied von Ereignissen und irgendwo in dieser Kette war die Sprengkraft für den Konflikt installiert. Sie wurde von den einen nicht gesehen, von den anderen gepflegt, bis die Gewalt eskaliert und sich herausstellt, dass der Ruf nach der Schutzmacht schon vorbereitet war. Und wenn es brennt, liegt der Ruf nach der Feuerwehr in der Luft. Die Erfahrung zeigt, dass die selbsternannte Feuerwehr leider nicht genügend Interesse an Präventivmaßnahmen hat, so dass die Interventionen in den bekannten Kreisläufen fortgesetzt werden.

 

Wenn Menschen in Not sind, kann man heute einige retten, aber morgen? Das Unanständige an Nothilfen ist nicht die Hilfe, sondern die Not, die der nächsten Nothilfe vorausgeht. Ignorant oder zynisch wäre es, die Menschen, die morgen in Not kommen, über diejenigen zu vergessen, die es heute sind – und umgekehrt. Es gilt, das Schlachten zu beenden und zugleich Sorge dafür zu treffen, dass es sich nicht wiederholt. Es gilt, die Beendigung des konkreten mit der Festigung des allgemeinen Friedens zu verbinden – jeder begonnene Krieg ist ein verlorener Krieg. Wenn er aber begonnen ist, sollte sein Ende zugleich ein Beitrag zum allgemeinen Frieden, zum Beispiel zur Abrüstung sein.

 

Den Pazifisten, die oft erfolglos zur Abrüstung und Deeskalation aufrufen, wird vorgeworfen, sie würden in aktuellen humanitären Krisen die Hände in den Schoß legen. Merkwürdigerweise wird erst dann nach ihnen gerufen, wenn die Katastrophe schon eingetreten ist. Es gibt immer Alternativen zum Nichtstun: sofortiger Stopp der Waffenlieferungen, Austrocknung der Finanzquellen usw. Man kann den Gewalttätern die nötige Gewalt entgegen setzen,  mit der zweiten Hand aber die andere Seite des Konfliktes zurück drängen. Zum Beispiel sollte die Anstrengung erhöht werden, die Anführer von Boko Haram und Al-Quaida festzunehmen und zugleich die Verantwortlichen für den völkerrechtswidrigen Irak-Krieg vor den Internationalen Strafgerichtshof zu bringen. Denn diese (darunter George W. Bush) sind durch ihr Handeln für das Blutvergießen in Nigeria und anderswo mitverantwortlich. Wichtig ist, dass sich ein Grundgefühl für Gerechtigkeit einstellt. Der Vorschlag beinhaltet also kein Nichtstun, aber auch keine einfache Gewaltreaktion – statt Wegschauen ein doppeltes Handeln.

 

Es ist Sache der Politik, die Soforthilfe für die Betroffenen mit der Lösung der anstehenden Widersprüche und dem künftigen Frieden zu verbinden. Zum Beispiel ist es absurd, Wiederaufbauhilfe für den Gaza zu leisten, ohne zugleich im Rahmen einer regionalen Übereinkunft Abrüstung (vor allem im hochgerüsteten Israel) und eine Friedensregelung zu erzwingen. Und es ist absurd, die Bürgerkriegsflüchtlinge aus dem Nahen Osten in Europa aufzunehmen, während dort weitere Waffen im Sande verstreut werden.

 

Ausweglose Situationen könnten durch mutige Schritte zum regionalen Frieden und darüber hinaus sogar hin zum „Großen Frieden“ führen. Für den Ukraine-Konflikt könnte das bedeuten: strikter Waffenstillstand auf allen Seiten, keine weitere militärische Unterstützung der Separatisten und keinerlei Aufrüstung der Ukrainischen Armee; außerdem föderale Strukturen mit weitreichender Autonomie in der Ukraine und deren internationale Neutralität als Mittler zwischen Russland und der EU, also so etwas wie der kleine Frieden und Wohlstand. Und über diesen Gewinn für die Bevölkerung hinaus: Rücknahme der Aufrüstungspläne und Modernisierungsprogramme der NATO sowie der russischen Streitkräfte. Und noch weiter: Aus dem gewonnenen Vertrauen hinaus eine schrittweise Entwicklung globaler Systeme kollektiver Sicherheit und Neustart der allgemeinen und weltweiten Abrüstung. So könnte auf wundersame Weise ein gefährlicher Konflikt zum kleinen Einvernehmen und dieser hin zum großen Frieden „eskalieren“. Aber die Mächtigen wollen das wohl nicht.

 

 

  1. Im Nahen Osten ist das Volk entmachtet

 

Welchen Sinn macht es, aus der Vielzahl der arabischen Despoten einige herauszupicken und deren Bevölkerung mit Krieg zu bestrafen? Es ist ein Widerspruch, einen martialischen Aufwand zu betreiben, um die Machthaber im Irak, in Libyen und Syrien zu stürzen, und zugleich mit den ähnlichen Despoten und Folterknechten in Saudi-Arabien, den Golfemiraten und anderen Staaten beste Beziehungen zu unterhalten. Die USA haben sich aus Gründen, die sich aus Sicht der Menschenrechte willkürlich, aber aus nationalökonomischer und geostrategischer Sicht zielgerichtet darstellen, in andere Ländern massiv eingemischt. Die Despoten und Diktatoren werden von den USA nach Wirtschaftsinteressen, nicht nach Menschenrechtsstandards evaluiert.

 

Welchen Sinn macht es auch, einigermaßen funktionierende laizistische Staaten, in denen die verschiedenen Religionen und Ethnien leidlich zusammenleben, zugunsten einer ungewissen Zukunft in einer Demokratie westlicher Prägung zu opfern, wenn diese in der arabischen Welt noch nicht oder nur in anderen Formen akzeptiert werden kann.

 

Krieg ist ein Chaos im Gleichschritt. Der Misserfolg einer militärischen Intervention zeichnet sich durch Ausweitung der Kämpfe, durch immer weniger klare Kriegsziele, fragile Verhältnisse, Wechsel von Koalitionen und eine Radikalisierung der Gegner aus. Es ist eine Binsenweisheit über den Extremismus, dass er eine Antwort auf vorangegangene unerwünschte Eingriffe ist. So sind die Taliban in Afghanistan, als auch Al-Qaida, die 2004 im Widerstand gegen die amerikanische Invasion im Irak hervorging, als auch deren Nachfolger, der Islamischer Staat (IS) entstanden. Diese Terrorgruppen sind die Folgen von militärischer Macht, und diese Macht ist ihre andauernde Ursache. Sie sind also zugleich Produkte und Ziele der amerikanischen Hegemonie und Kriegsführung. Dieses „Terroristenaufzuchtprogramm“ wendet sich nun schicksalhaft gegen seine Erfinder.

Anmerkung: Nun erreicht der Terror des Nahen Ostens Europa. Und wieder wird nicht nach den Ursachen gefragt, es werden die Sicherheitsleute alarmiert. Doch die Terroristen sind Akteure in einem asymmetrischen Krieg. Die aus Syrien zurückkehrenden Kämpfer wollen Vergeltung für ihre toten Kameraden, sie sollten aber eigentlich gegen Assad kämpfen, doch nicht zum IS  überlaufen und Terroristen in Europa werden. Das strategische Spiel ist wieder mal nicht aufgegangen.

 

Die (vermeintliche oder ehrliche) Absicht, Demokratiebewegungen von außen zu unterstützen, verkehrt sich fast immer ins Gegenteil. Als Beispiel schauen wir auf den „Arabischen Frühling“, der zunächst eine Folge von antidiktatorischen Revolten junger Leute war. Doch das einzige Land, das eine halbwegs demokratische Revolution zuwege gebracht hat, ist Tunesien – und das in relativer Selbständigkeit. Dagegen hatten in Ägypten, Bahrain, Libyen und in Syrien die selbsternannten „Freunde“ des Landes die Aufstände massiv gesteuert – mal unterstützend, mal unterdrückend – je nach Interessenlage. Die Folgen waren weitere gefährliche Flächenbrände nach Afrika und in den Nahen und Mittleren Osten hinein. Die sogenannten Freunde haben also mit ihrer Intervention gerade das Gegenteil des Guten bewirkt: zu Diktatur und Menschenrechtsverletzungen gesellten sich Tod, Vertreibung und weitere Eskalationen, die alles vorherige Elend überschreiten.

 

In Syrien sind nach einer völlig verkorksten Nahostpolitik inzwischen weder diejenigen Werte, die das Maß aller Dinge sein sollten, noch einigermaßen plausible militärische Strategien zu erkennen. Dort gibt es nur noch Partialinteressen feindlicher Regionalmächte und mittendrin die USA, die als Weltpolizei ausgedient haben, das aber noch nicht wahrhaben wollen. Vor dem Hintergrund dieses Schlachtfeldes ist eine Lösung kaum möglich. Es müssten im Interesse des eigentlichen Souveräns, nämlich des entmachteten syrischen Volkes, alle anderen zum Machtverzicht gezwungen werden. Das würde bedeuten, den notwendigen Kompromiss von Syriens Schlachtfeldern in die UNO hinein zu tragen. Doch dort, bei den Machthabenden, fehlen die Bereitschaft und die Idee zu einem Kompromiss, in dem auch die Grundlagen einer künftigen syrischen Gesellschaft definiert werden müssten. Ein UNO-Antrag der Westmächte allerdings, der wieder nur deren syrischen Parteigängern nützt und den Zweck hätte, die Russen vorzuführen, wäre ein weiterer Verrat am Frieden.

 

Der Kompromiss ist kein einfacher Mittelweg zwischen den Kontrahenten, sondern die Option von etwas Drittem, das in der Luft liegt und trotzdem erst erfunden werden muss. Der gemeinsame Nenner zwischen den sogenannten Gemäßigten, den Kurden und dem Assad-Regime könnte der Laizismus sein. Doch diese Option kann ebenfalls nur durch den Druck dritter Akteure realisiert werden – sofern diese den Frieden höher als andere Werte stellen. Syrien ist ein Beispiel dafür, wie die sukzessive Einmischung nicht mehr umkehrbar ist und die  nationalen Selbstheilungskräfte völlig zerstört wurden.

 

Aufgrund der Vorgeschichte liegt der Schlüssel zum Frieden in Nahost bei den USA. Die US-Amerikaner müssen ihren kleinen Bruder Israel zur Umkehr bringen, sie sollten den Fehler des 2. Golfkrieges erkennen, den Irrweg ihres Interventionismus aufgeben und viel Geld für den Wiederaufbau der Region (als Wiedergutmachung) in die Hand nehmen. Und Deutschland sollte durch Waffenlieferungen an eine der Kriegsparteien den völkerrechtswidrigen Irak-Krieg nicht nachträglich legitimieren.

 

 

  1. Interventionen beruhen nicht auf Einladungen

Es ist schon deutlich geworden, dass das Instrument der Schutzverantwortung Tore für Interventionen öffnet, die nicht durch das Völkerrecht gedeckt sind. Nach Jahren sich ausweitender Einmischungen bröckelt der humanitäre Anstrich eines solchen Interventionismus mehr und mehr. Die Großmächte und großen Blöcke sind für Befriedungsaktionen auch wegen ihres Selbsttums und ihrer imperialen Neigung ungeeignet. Aber sie sind diejenigen, die sich am wenigsten zurückhalten.

Militärische Aktionen werden von einem Großteil der Bevölkerung in den „Großmächten“ immer noch als Segen für den Rest der Welt betrachtet. Sie erkennen nicht den interventionistischen Charakter der Politik ihrer Regierungen, sie glauben an die Selbstlosigkeit und moralische Überlegenheit ihres Systems und sind stolz darauf, dass sich ihr Präsident mit dem Welt-Sheriff-Stern schmückt. Das dafür legitimierte Gremium, die UNO, wird aber in seiner Handlungsfähigkeit reduziert und daran gehindert, dem Völkerrecht überall Geltung zu verschaffen.

 

Dem Interventionismus fehlt die Akzeptanz und Behutsamkeit gegenüber einem vorhandenen Gesellschaftswesen, das sich auf langen Wegen historisch herausgebildet hat und aus filigranen und zerbrechlichen Strukturen besteht. In dieses mit fremder Macht einzugreifen bedeutet meist, das existierende Entwicklungspotential zu zerstören. Wenn Interventionen anderen Ländern und Kulturen etwas aufdrängen, was diese nicht leisten können oder wollen, wirken die vermeintlichen Hilfen nur zerstörerisch. Es gilt, dass die inneren Kräfte der Veränderung den Äußeren an Behutsamkeit überlegen sind.

 

Den Negativsaldo von Interventionen kann man durchaus verallgemeinern. Wo man hätte helfen müssen, in Ruanda, war an der Hilfe offenbar nichts zu verdienen. Und wo man eingegriffen hatte, im Kosovo, hatte man die Gründe für das Eingreifen selber geschaffen – nämlich dadurch, dass der relativ intakte Vielvölkerstaat Jugoslawien nicht in einen multikulturellen Teil Europas hinüber gedacht und geleitet worden war.

 

 

  1. Sanktionen sind besser als Panzer…

 

Alles unterhalb der Schwelle eines Waffenganges ist besser als darüber. Doch zwischen Soft-power und militärischer Gewalt, zwischen der Hilfe zur Selbsthilfe und einem Militäreinsatz gibt es eine breite Skala von mehr oder weniger friedlichen oder gewaltsamen Einflussnahmen. Die Grenzen zwischen partnerschaftlicher Hilfe, respektvoller Kommunikation, handfester politischer Einflussnahme, Spionage, verschiedenster Beeinträchtigungen durch Lieferung oder Verweigerung von Information, Gerät oder Waffen bis hin zu verdeckten oder offenen militärischen Aktionen sind fließend. Die sich verwischenden Grenzen machen es schwer, im Konkreten die Maßstäbe einer uneigennützigen Hilfe anzulegen.

 

Auch nicht-militärische Eingriffe in die Souveränität eines Landes dürfen sich nur aus schweren Menschenrechts-Verletzungen ergeben und müssen dem Völkerrecht entsprechen. Sanktionen sind möglicherweise nach einem Militärputsch oder Staatsstreich zur Isolierung der Junta gerechtfertigt. Doch sie sind problematische Einmischungen, wenn sie nicht auf ähnlich klaren Unrechtstatsachen beruhen. Im Kontext der UNO können multilaterale Sanktionen dort sehr effektiv sein, wo militärische Aktionen in den bekannten Abgrund führen würden. Ohne gemeinsames Handeln sind unilaterale Sanktionen aber nichts anderes als verdeckte Wirtschaftskriege. Auch hier gilt, dass vorschnelle Schuldzuweisungen meist Hinweise auf bloße Interessenpolitik sind.

 

Eine aufgeklärte Welt lebt vom Kosmos der Ideen und Vernetzungen, von offenen Grenzen und friedlichen Überschreitungen. Die Staaten geben sich als kooperierende solitäre Regeln für ihr Zusammenleben, vor allem für den fairen Austausch und für eine gewaltfreie Kommunikation. Diskussionen über Homophobie, Rassismus, Todesstrafe, Sterbehilfen oder den Umgang mit Drogen und Schmerzmitteln, aber auch über Medienfreiheit, die Art des Wirtschaftens und der demokratischen Kontrolle gehören zum internationalen Diskurs. Sie müssen aber vor allem von der Zivilgesellschaft im Lande selbst geführt werden. Sie ist auch der Ort, wo Traditionen und Entwicklungsniveaus korrigiert werden (oder nicht). Und sie können sich durch Reformen oder Revolutionen verändern.

 

Es ist die Aufgabe eines jeden Staates, die Menschenrechte nicht nur zur vollen Geltung zu bringen, sondern sie auch in ihrer Vielfalt und Widersprüchlichkeit auf die kulturellen Eigenheiten der Bevölkerung abzubilden. Völker, Staaten und Regionen  sind Individuen, ihre Diversität hat den gleichen Rang wie die Universalität der Menschenrechte. Der Wettbewerb kultureller Kontexte fördert Austausch und Entwicklung, das Intervenieren zugunsten von eigenen Ebenbildern ist jedoch verschleierte Interessenpolitik. Hinter asymmetrischen Verhältnissen können sich dominante Mächte verbergen, deren Einfluss von anderen bereits als unerwünschte Übergriffe empfunden werden.

 

Der heute praktizierte Interventionismus gründet sich weniger auf die Schutzverantwortung gegenüber den Schwachen als auf ein Patronat zur „Verteidigung abendländischer Werte“, das teilweise auf Allmachtsphantasien aus der Kolonialzeit zurückgeht. Der Begriff der „Verteidigung“ klingt nicht friedlich, hinter ihm verbirgt sich auch Gewalt und er konnotiert das Missionarische, zumal dann, wenn die „Verteidigung am Hindukusch“ erfolgen soll. Das wirft ein Licht auf einen Zusammenhang von Macht und Mission, der problematisch ist.

 

Immer wieder wollten Machthaber ihre Ideologien und Revolutionen exportieren. Ob „heiliger Kampf“ des deutschen Kaiserreiches des Jahres 1914 oder der Dschihad der Islamisten – viele Kriege waren mit einem expandierenden Sendungsbewusstsein ausgestattet – wenngleich auch nicht immer mit dieser Unerbittlichkeit wie im heutigen „Islamischen Staat“.

 

Auch müssen wir uns fragen, ob ein sanft daher kommender neoliberaler Konservatismus seine wirtschaftliche (und manchmal militärische) Macht dazu missbraucht, unter der Flagge von Freiheit und Demokratie einen westlich geprägten „way of life“ in eine andere Kultur zu implantieren und damit die Mannigfaltigkeit dieser Welt zu reduzieren. Auch das kann als Indoktrination empfunden werden, die zu Gewalt führt, weil sie soziale, kulturelle und historische Hintergründe ignoriert und nicht den Raum lässt für eine wirklich freie Ausbreitung der Menschenrechte hin zu einer allgemeinen Emanzipation.

 

Militär hat nur selten Entwicklungsräume geschaffen, es zementiert entweder einen Zustand oder es zerstört die Möglichkeit, einen politischen Raum in freier Selbstbestimmung auszufüllen.

 

 

  1. Der kritische Blick sollte der Nähe, nicht der Ferne gehören.

 

Es gibt kein „Recht auf Wegsehen“, wie es der Bundespräsident sagte, man sollte aber auch richtig hingucken. Die Neokonservativen in Deutschland wenden ihren kritischen Blick gern weit weg, am besten nach China. Die Probleme werden vorzugsweise mit dem Fernrohr betrachtet, dabei sind sie auch ohne Lupe im eigenen Lande zu sehen. Wir würden in einer besseren Welt leben, würden alle zuerst die eigene, statt fremde Regierungen kontrollieren wollen. Die eigene Regierung kritisieren: Nur zu! Beim Nachbarn eingreifen: Vorsicht! Man könnte auch Unrecht haben.

 

Aber das heißt nicht, dass es keine Reaktionen auf Unterlassungen oder Übergriffe im Rahmen der Weltpolitik geben sollte. Neben dem Wegschauen und dem Intervenieren gibt es Dialog und Kooperation. Doch diejenigen, die sich heute als Welt-Schulmeister aufspielen, waren nicht besonders vorbildlich und sind es auch heute nicht. Schauen wir nur auf die skandalöse Schere der Einkommens- und Besitzverhältnisse, auf demokratisch nicht legitimierte Macht in den Entscheidungszentren der westlichen Demokratien, auf Schmiergelder, Korruption, Todesstrafe, Folter, Unterstützung von Diktaturen, Waffenlieferungen in Spannungsgebiete, völkerrechtswidrige Kriege usw. Es gibt bei den „Schulmeistern“ erschreckende Fehlentwicklungen, einen riesigen Reformbedarf und grundfalsche Entscheidungen. Das Pathos der selbsternannten Eliten ist völlig ungerechtfertigt, ihre Lust am Intervenieren ist pervers.

Anmerkung: Im Rahmen der UN, aber auch in nationalen Gesetzgebungen gibt es viele richtige Ansätze wie beispielsweise den „Aktionsplan Zivile Krisenprävention“ der Bundesrepublik, der bereits seit zehn Jahren ein vernetztes Handeln von Krisenprävention, Konfliktnachsorge und Friedenskonsolidierung vorsieht. Die Umsetzung in praktische Politik scheitert aber regelmäßig an den näher liegenden Interessen der verschiedenen Machteliten.

 

Von der beschriebenen Interventionssucht unterscheiden sich auch die zahlreichen Nicht-Regierungs-Organisationen (NGOs), die weltweite Aufklärung zu Themen wie Frauenrechten, biologischem Landbau, sozialer Gerechtigkeit, unabhängige Medien oder der Energiewende … betreiben. Solche Aktivitäten gehören zu einer willkommenen Menschenrechts- und Entwicklungspolitik. Sie kann helfen, das Niveau der Menschenrechte anzugleichen, wenn sie als interkultureller Austausch organisiert ist. Leider wird aber auch immer wieder versucht, Nicht-Regierungs-Organisationen wie Stiftungen durch Geheimdienste zu instrumentalisieren und ihnen damit ihre emanzipatorische Kraft zu nehmen.

 

 

  1. Drohnen und Lauschangriffe dürfen nicht ausgelagert werden.

 

Es sorgt offensichtlich für die Gunst der Wähler, wenn Regierungen unbeliebte Maßnahmen wie Drohneneinsätze, Folter oder Lauschangriffe ins Ausland verlegen, beispielsweise nach Kuba, Afghanistan oder Jemen (auch nach Polen und Deutschland) und damit die dortige Bevölkerung verunsichern oder terrorisieren. Ihre Sicherheitsprobleme muss aber jede Regierung durch Maßnahmen innerhalb der eigenen Grenzen lösen oder durch eine entsprechende Außenpolitik absichern. Krieg in andere Länder tragen ist Völkerrechtsbruch. Und wie wir wissen: Krieg ist die Fortsetzung der falschen Politik mit anderen Mitteln.

 

Zur Vermeidung von Verlusten sind die großen „Zivilisationen“ dazu übergegangen, auf ihre überlegene Technik zu setzen und ihre Lufthoheit dafür zu nutzen, die Einflussgebiete von oben abzusichern oder zu erweitern. Daneben wird durch Waffenexporte die eigene Rüstungsindustrie gestärkt, das Kämpfen und Sterben aber unter Anleitung und Kontrolle von Militärberatern den Leuten im fremden Lande überlassen. Auch diese Exporte sind Interventionen.

 

Nach dem Grundsatz der Nichteinmischung darf eine Regierung nur das Volk regieren, von dem sie gewählt wurde, kein anderes. Auch Interventionen zum Schutze von Landsleuten in anderen Staaten, wie es die Russen in Südossetien, in Transnistrien, Abchasien oder der Ostukraine getan haben, können Angriffe auf die Souveränität anderer Staaten sein. Auch die USA führen ständige Kommandounternehmen zum Schutz ihrer Landsleute in aller Welt durch. Aber die Russen in den Anrainerstaaten sollen nicht durch Russen, die US-Amerikaner in aller Welt nicht durch US-Amerikaner geschützt werden, denn Schutz kann nur das geschützte Völkerrecht gewährleisten.

 

Es gehört leider auch zu den Gepflogenheiten mancher Regierungen, ihre „demokratische“ Wiederwahl durch Säbelrasseln, also auf Kosten der Sicherheit anderer Länder zu betreiben. Dann wird irgendwo Krieg geführt, doch die Botschaft gilt dem Wahlvolk im eigenen Lande. Dieser nicht seltene Militarismus ist besonders pervers, weil Fremde zu Opfern eines internen Machtstrebens werden. Unter dem Vorwand, fernab die Menschenrechte zu schützen, werden demokratische Institutionen im eigenen Lande benutzt, um die innenpolitische Macht zu festigen (erinnert sei an die Destabilisierung Libyens durch Frankreich und Großbritannien oder an die rolle der Türkei in Syrien und den Kurdengebieten).

 

 

  1. Systeme kollektiver Sicherheit gegen den Sicherheitswahn

 

Die Gefährdung durch Terroristen wird überschätzt (sie ist aber nach Agenturmeldungen lediglich so hoch, wie die, durch einen Bienenstich ums Leben zu kommen). Die Gefahr durch das gewöhnliche Militär und die Rüstung wird dagegen aus den gleichen Gründen untertrieben. Der gezüchtete Sicherheitswahn hat in den USA zu gewaltigen Ausgaben und unbegründeten psychischen Belastungen geführt. Wo Grenzen und Mauern den Schutz nicht garantieren können, werden – wie schon gesagt – die Schutzmaßnahmen ins Ausland verlegt und führen dort zu internationalen Konflikten. Sicherheit kann aber nur durch Vertrauen und Bündnisse geschaffen werden.

 

Deutschland sollte seine Zurückhaltung aufgeben und mehr Verantwortung übernehmen, aber nicht im Sinne der traditionellen Außenpolitik, nämlich einer Politik für die Separatinteressen Deutschlands, Europas oder des Transatlantischen Bündnisses, sondern einer Menschenrechts-Politik, die friedlich und behutsam einen gerechten Frieden sucht. Nicht die Verteidigung westlicher Werte, sondern eine multilaterale Friedenssicherung im Rahmen und Auftrag der Vereinten Nationen wäre dann der Inhalt moderner Außen- und Friedenspolitik. Dafür sollten völkerrechtliche Verträge in globalen Systemen wechselseitiger Sicherheit unter dem Dach der UNO verankert werden.

 

Im Gegensatz zu Sicherheitssystemen mit solchen egalitären Perspektiven neigen die heutigen militärischen Blöcke zur Ausgrenzung und zu Feindbildern, durch die sie sich legitimieren wollen. Militärbündnisse wie die NATO sind darauf gerichtet, die Sicherheit aufzuteilen. Solche Bündnisse beinhalten die Gefahr der Ausgrenzung, vor allem an ihren Rändern. Diejenigen, die nicht dem Bündnis angehören, fallen aus dem Sicherheitsnetz und können zum Feind stigmatisiert werden oder gar zu Angehörigen einer Schimäre wie der „Achse des Bösen“.

Anmerkung: Die Bestrebungen, neben dem Ostblock (Warschauer Pakt) auch die Nato aufzulösen, blieben Anfang der 90er Jahre leider erfolglos. Stattdessen wurde die NATO weiter gestärkt und nach Osten erweitert. Die OSZE, in der auch Russland eingebunden ist und welche den Charakter eines kollektiven Sicherheitssystems besitzt, wurde dagegen geschwächt und das gemeinsame „Haus Europa“, (Gorbatschow) in seinem Kern erschüttert.

 

 

  1. Wahrheit ist die Freundin des Pazifismus

Aufklärung könnte zur Wahrheit führen, doch die militärische Variante der Wahrheitsfindung, die „Feindaufklärung“, dient eher dazu, sie zu verhindern. Das Militär verweigert Einblicke und verunklart die Mechanismen des akuten Konfliktes, es hat ein taktisches Verhältnis zur Wahrheit, in dem gewöhnlich das Nützliche zum Wahren erklärt wird. Diesem utilitären Gebrauch der Wahrheit steht die pazifistische Überzeugung entgegen, dass die Wahrheitsfindung per se dem Frieden dient – unabhängig davon, wem sie außerdem nützt.

 

Wie jeder Krieg mit einer Lüge beginnt, beginnen Interventionen mit Nebelkerzen, die Fakten verblassen im Hintergrund, die Wahrheit kommt nicht ans Licht. Wo war jeweils der Zündpunkt, an dem die Konflikte eskalierten? Wie weit müssen die Ereignisse zurückverfolgt werden, um die Ursachen eines Konfliktes zu erkennen, wer hat die nächsten und vorhergehenden Eskalationsstufen eröffnet? Es gibt eine Kette der ursächlichen Ereignisse, die oft willkürlich zerrissen wird. Wir brauchen endlich saubere Dokumentationen über die Vorgeschichte, über Beginn und Verlauf von Konflikten.

Anmerkung: Besonders problematisch ist es, wenn die Kette der Ereignisse umgedreht wird, so dass in der Betrachtung die Folgen zu Ursachen und die Ursachen zu Folgen werden. Dann begründet man zum Beispiel die zunehmenden islamistischen Anschläge in Europa mit der angeblichen Zurückhaltung und mangelhaften Schlagkraft der westlichen Luftwaffe im Nahen Osten. Das ist eine typische Eskalationsargumentation.

 

Neben den Fakten gibt es die Interpretationen. Interessenpolitik zeichnet sich dadurch aus, dass doppelte Standards bei der Bewertung von Akteuren und Ereignissen angesetzt werden. So kommt es bei der Beurteilung von demokratischen Zuständen mal auf den sauberen Wahlgang an, anderswo zählt die Macht der Straße, mal sind Menschen Freiheitskämpfer, mal sind sie mit ähnlichen Motiven Terroristen, und mal ist ein völkerrechtswidriger Krieg ein Schulterklopfen wert und mal  eine Wirtschaftssanktion. Und nur manchmal ist die Bekämpfung von Aufständischen ein „Krieg gegen das eigene Volk“. Beliebigkeit ist die Methode der Interessenpolitik. In gleicher Weise, wie der Frieden ein Wert an sich ist, so ist  auch im Kriege die Suche nach der Wahrheit nicht verhandelbar.

 

Kriegsverbrecher gehören vor den Internationalen Strafgerichtshof. Düstere Geheimdienste und Exekutionskommandos (wie bei der Tötung von Bin Laden) sind für die Aufklärung kontraproduktiv. Auch hierbei muss festgestellt werden, dass diejenigen Staaten mit dem größten Drang zum Intervenieren wenig Interesse haben, sich diesen Gerichten zu unterwerfen. Es werden sogar Untersuchungskommissionen der UNO zu Kriegsverbrechen behindert (- vgl. die Weigerung Israels, nach dem Gaza-Krieg 2014 mit der UN-Menschenrechtskommission zusammenzuarbeiten).

 

Es gibt immer nur Annäherungen von Aussagen an die Wirklichkeit. Manchmal liegt die Wahrheit auf der Hand, im Politischen eher selten. Und aus den deutlichen Fällen wie Hitlers Schuld am 2. Weltkrieg lässt sich ein allgemeines Recht zum Eingreifen nicht ableiten. Und wenn es keine Klarheit gibt, ist ein Moratorium, also ein Moment des Zögerns und Nachdenkens sinnvoll. Der Schuldfrage nähert man sich durch energische Aufklärung. Doch Militär tötet ins Ungewisse. In diese Unsicherheit hinein behauptet es dann, die Sicherheit zu garantieren.

 

Die Geheimdienste haben sich als untauglich erwiesen, in internationalen Konflikten zur Aufklärung beizutragen. Sie sind offenbar nicht an Friedensofferten interessiert – Vergleiche die Falschmeldungen im Vorfeld der beiden Irak-Kriege (Brutkastenlüge und ABC-Waffenlüge). Geheimdienste lancieren gern Informationen an die Öffentlichkeit, die bellizistische Tendenzen haben.

 

Zum Glück gibt es eine Reihe von Institutionen der Friedensforschung, die verborgenes Wissen an eine interessierte Öffentlichkeit tragen. Diese Arbeit ist Tiefenforschung. Sie betrifft beispielsweise die Genese von Konflikten oder die Maße der Rüstung. Wissen hat manchmal den Charakter von Enthüllungen. Es sind Aufklärer nötig, die Informationen zur Selbstaufklärung zur Verfügung stellen. Menschen wie Edward Snowden müssen Daten stehlen, um sie in den Kreislauf der Aufklärung zurückzuführen.

 

 

  1. Die konfliktfreudigen Triebkräfte des Kapitalismus

 

Was sind das für Kräfte, die die Welt nicht zusammen halten, sondern in gefährliche Konflikte treiben? Was sind die inneren Strukturen und die Mächte, die zum Kriege drängen und was sind das für demokratische Zustände, welche die große Friedenssehnsucht der Menschen auf dem ganzen Globus nicht zum Ausdruck bringen? Diese Fragen verweisen auf die Tiefenstrukturen der Konflikte, auf ihre problematischen Machtzentren.

 

Die veröffentlichten Gründe für „humanitäre“ Interventionen beziehen sich meist auf bestehende politische Zustände. Doch in der Wahrnehmung vieler Menschen sind die sozialen Menschenrechte von gleicher oder gar vorrangiger Brisanz. Wenn die Welt aber so stark unter Gerechtigkeitsproblemen leidet, sollten dort auch die wesentlichen politischen Maßnahmen ansetzen. Die Pegelstände von oberen und unteren Einkommen und Besitzständen sind offenbar zu weit gespreizt, um akzeptiert zu werden. Doch auch die Korrekturen dieses unanständigen Reichtumsgefälles werden nicht durch Interventionen oder den Export von Revolutionen erfolgen. Das werden soziale Bewegungen tun, sobald sie sich dafür einen Raum erobert haben. Demokratie und soziale Gerechtigkeit entstehen aus einem lebendigen sozialen Humus, der allerdings von außen gegossen und gedüngt werden kann.

Anmerkung: der Misserfolg der arabischen Revolten lag auch daran, dass die Partner in Europa, Amerika und Asien keine Scheu hatten, mit den korrupten wirtschaftsliberalen Diktaturen und Monarchen zusammenzuarbeiten, welche die politisch-soziale Opposition massiv unterdrückten. So blieben die Zivilgesellschaften unterentwickelt und Gegenbewegungen konnten sich nur in dubiosen religiösen Gemeinschaften entfalten. Diese kamen dann in Ermangelung einer wirklichen Opposition kurzzeitig zur Macht, bevor die abgewirtschafteten Eliten und Geldmonarchen die alte Ordnung wiederherstellten.

 

Auch die Grundlagen der Demokratie sind Besitzverhältnisse. Die Könige und Scheichs von Saudi-Arabien und den Öl-Emiraten scheffeln Milliarden Vermögen aus einem Land, dass sie durch ein Missverständnis ihr Eigen nennen. Mit diesen Despoten kooperieren die großen Weltkonzerne, die fast alle ihre Korruptionsaffären hatten. Die kleinen Despoten in Afrika und anderswo sind offensichtlich die Abkömmlinge eines egoistischen und raffgierigen Denkens, das in den reichen Staaten gezüchtet wird. Die Bürgerkriege in Afrika haben direkt  mit den Mauern zu tun, welche mit Glassplittern und Stacheldraht besetzt die Nobelghettos der Reichen von den Elendssiedlungen ihrer Landsleute trennen.

 

Wir beleben also durch unsere Interventionen nicht nur den Terrorismus, wir produzieren durch unseren Kapitalismus auch die inneren Ursachen für die dortigen Konflikte. Als industrialisierter Markt, der sich von Bereicherung ernährt und durch mächtige Konkurrenz beschleunigt und erhitzt wird, ist der Kapitalismus ein permanenter Kriegszustand – auch im Frieden. Aus einem Format der Übervorteilung und Missgunst entstehen auch im Privaten übergroße Konflikte. Und aus der institutionalisierten Profitgier erwachsen Widersprüche, die sich in den Kämpfen um Einflusssphären entladen und – wie Syrien zeigt – in einem wahrhaft babylonischen Kriegsgewirr enden können.

 

Weder die USA mit ihren wirtschaftlichen Dinosauriern, noch Russland mit seinen wildöstlichen Oligarchen, noch China mit seinem Staatskapitalismus, noch das schwache Europa befinden sich auf der Höhe ihrer Verantwortung. Sie verfügen nicht über genügend Kräfte des Ausgleiches, die nach Veränderungen hin zu friedensstiftenden Strukturen drängen. So haben sich die Mächtigen und ihre Generäle überall in der konfliktbetonten Welt gut eingerichtet. Es gibt zwar nur wenige Menschen mit einem Interesse am Krieg, doch diese sind sehr einflussreich.

 

Möglicherweise braucht der Frieden solche Gesellschaften, die weniger konfliktbetont sind als der globalisierte Kapitalismus. Es würde in diesem Aufsatz zu weit gehen, friedvolle Alternativen zu einem Konfliktapparat aufzuzeigen, der im Kern auf einem falschen Wachstumsbegriff beruht. Aber es ist interessant, dass inmitten des syrischen Gemetzels und gerade in von dem IS zerstörten Kobane ein gewagtes Experiment entstanden ist. Dort versuchen syrische Kurden, eine soziale, eine demokratische, eine feministische und religiöse Revolution zeitgleich durchzuführen. In ihrer Gegnerschaft zu dem Assad-Regime und ihrem Kampf gegen die Krieger des Islamischen Staates erhalten sie jedoch aufgrund ihrer eigenwilligen Alternative und der weltpolitischen Machtkartelle kaum Unterstützung. Die Kurden streben in ihren autonomen Gebieten Syriens keine Demokratie nach westlichem Muster an, aber auch keine Diktatur wie in Ägypten und kein Feudalsystem wie in Saudi-Arabien, sondern ein Experiment mit vielen basisdemokratischen Elementen, mit denen die verkrusteten autokratischen, feudalistischen und islamistischen Strukturen Arabiens vielleicht aufgebrochen werden könnten. Es ist ein ungewisses Experiment, doch gibt es keinen Grund außerhalb des allgemeinen Geschäftes, die Ölscheichs diesen Kurden vorzuziehen.

 

Ein Sonderfall wirtschaftlich geprägter Interventionen ist das Verhalten internationaler Konzerne und Hedgefonds gegenüber dem Agieren demokratisch gewählter Regierungen, wie beispielsweise den südamerikanischen Ländern. Die großen Wirtschaftskartelle lassen sich den Investorenschutz durch internationale Schiedsgerichte bestätigen. Solche ökonomischen Interventionen werden zunehmend durch Freihandelsabkommen (vgl. TTIP oder TISA) begünstigt. Doch wenn die lediglich von einer Aktionärsversammlung legitimierte Konzernspitze in Widerspruch zu den Interessen demokratisch gewählter Regierungen kommt, sollte das höhere Legitimationsniveau der letzteren gelten und einen besonderem Schutz erhalten.

 

 

  1. Die konfliktfördernden Schlagzeilen der Medien

 

Die Konfliktbegeisterung der Medien war stets ein wichtiger Faktor in der geistigen Mobilmachung, die vor den beiden Weltkriegen den Ausdruck blinder Kriegslust, bei manchen gar geistiger Vollnarkose, erreichte. Die elektronischen Hasspredigen islamistischer Extremisten setzen diese europäische Tradition leider fort.

 

Wenngleich nicht in der Form suggestiver Kriegspropaganda, sondern einer subtilen Indoktrination werden auch in den modernen, mediengesteuerten Demokratien Politiker von einer konfliktsüchtigen Öffentlichkeit zu Abenteuern, militärischer Gewalt und weiterer Aufrüstung gedrängt. Von wenigen Ausnahmen abgesehen wird dort zugunsten eines medienwirksamen Aktionismus die Seite des Konfliktes und der Eskalation, weniger die des Ausgleichs und des Friedens unterstützt.

 

Die Pressefreiheit ist ein hohes Gut. Sie lässt sich hoffentlich nicht durch Pegida und Terroranschläge unterdrücken. Doch sie hat die Tendenz, sich durch Chefredakteure und Marktanteile selbst zu begrenzen. Die Leitartikel und Kommentare deutscher „Leitmedien“ sind erstaunlich konform und bemühen sich bei einer gewissen Attraktivität der Themen nicht mehr um eine adäquate Abbildung der Wirklichkeit. Die Pressefreiheit ist besonders in außenpolitischen Fragen zu einem Mainstream-Journalismus verkommen, der von der Meinungsindustrie in geschliffener Sprache variiert wird. Und viele Bilder werden produziert, um sie vor das Denken zu schieben.

 

Es gibt eine Mitschuld der Medien an der Eskalation von Konflikten. Neben der politisch unterschiedlichen Ausrichtung der Blätter und Kanäle kann man eine allgemeine strukturelle Konfliktbetonung feststellen, die besonders bei den gewinnorientierten Medien ausgeprägt ist. Dort sind Ereignisse wichtig, die ein Konfliktpotential enthalten, das mit Werten der Sympathie und Antipathie unterlegt wird und eine bestimmte Parteinahme suggeriert. Die Zuschauer, Leser oder Hörer werden aufgefordert, in einem von den Medien selbst entmündigten Zustand des Nicht-Wissens Partei zu ergreifen. Und diese Konfliktparteien sind oft Konstruktionen der Medien.

 

Die Mediengesellschaft lebt von den Ereignissen. Wenn diese fehlen, werden Pseudo-Ereignisse erfunden. Nur der Frieden ist aus dieser Sicht kein Ereignis. Er ist der weiße Schnee von gestern.

 

 

  1. Behutsamkeit statt Schutzbefehl

 

Gewöhnlich schießen sich zuerst die Journalisten auf den Gegner ein, dann das eigentliche Militär, so beginnen Interventionen. Verschärfung und Zuspitzung sind Gegenteile von Behutsamkeit. Wie wir wissen, beginnen Kriege mit Unverständnis und Hass, mit einer Vergiftung der politischen Atmosphäre. Übertreibungen und eine Dämonisierung des Feindes gehören zur täglichen Eskalationsstrategie. Hass wird bereits gesät, wenn das Andere zum Fremden und das Fremde zum Minderwertigen deklassiert wird. Eine falsche Wortwahl, eine Übertreibung, eine bewusste Lüge, schiefe Vergleiche, die einseitige Beurteilung der Schuld usw. können zur Munition für das Töten von Menschen werden. Besonders heimtückisch ist, dass das Kartell der wechselseitigen Scharfmacher solange verharmlosend und täuschend vom Frieden spricht, bis die erste Kugel den Lauf verlassen hat, unerbittlich folgen dann die anderen.

 

Der Krieg ist hart und simpel, die Kugeln treffen nicht sanft. Ein Schießbefehl zum Schutz der Menschenrechte ist eine pathologische Geste. Zivile Krisenprävention, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung sind dagegen die Maßnahmen der Zivilisation. Nicht-gewaltgestützte Vorgehensweisen sind die einzig nachhaltigen. Ein dialogorientiertes Krisenmanagement kann Interventionen völlig ersetzen, wenn internationale politische Regeln durchgesetzt werden und ein wirklicher Verantwortungsdiskurs eingeleitet wird.

 

Es muss möglich sein, geschlossene Wahrnehmungssysteme zu überbrücken. Wie wird der „Feind“ das eigene Verhalten beurteilen und wie erkläre ich mir selbst den Gegner? Auch Terroristen sind nicht nur Terroristen, sie sind auch Menschen. Sie können verbohrte Gotteskrieger sein oder Verzweifelte und Gedemütigte, die ihre Familien unter den Bombentrümmern verloren haben. Es ist heute allgemeiner Konsens und entspricht der konfrontativen Rhetorik, dass der Islamische Staat (IS) eine barbarische islamistische Terrorbande sei. Ist er aber vielleicht auch noch etwas anderes? Gibt es kollektive Demütigungen oder historische Tatsachen, die man respektieren könnte, ohne die Gewalt zu akzeptieren? Ist ein Fünkchen Empathie für den schlimmsten Feind ein zu hoher Preis, wenn das Entgegenkommen eine Mordtat verhindern oder gar zum Schweigen der Waffen führen könnte? Frieden kann man nur mit den Gegnern machen, nicht ohne sie.

 

Heute besteht die Gefahr, dass jede Hilfsbereitschaft in Interventionsmechanismen umgewandelt wird und jede Krise und Sinnkrise in einem Aufruf zur Nachrüstung mündet. In Europa die Waffensysteme modernisieren, im Nahen Osten weiter Waffen hineinpumpen, das ist die Fortsetzung der militärischen Unlogik. Ihr steht die Rückkehr zu einem rationalen Denken jenseits der militärischen Konfrontationsstrategie entgegen. Es steht die Frage im Raum, wie wir Stück für Stück Territorien und Menschen von Waffen befreien und den Frieden nachhaltig machen können.

 

Konflikte brauchen eine zum Frieden neigende Bereitschaft zum Kompromiss, eine Hinwendung zum Interessenausgleich, eine Perspektivübernahme und ambitionierte Verhandlungen. Friedenspolitik muss Versöhnungspolitik sein. Die internationalen Beziehungen sollten unbedingt von Behutsamkeit geprägt sein. Behutsamkeit muss Form und Inhalt der Außenpolitik werden. Und Behutsamkeit muss auch in der Definition von Freiheit und Demokratie liegen, zumal dann, wenn sie militärische Legitimationsbegriffe sind.

 

Konfrontationskurs oder Versöhnungspolitik stehen zur Wahl. Wie kommen wir von der Verwaltung des allgegenwärtigen Kriegszustandes zu seiner Aufhebung im aktiven Frieden? Für diesen Frieden brauchen wir offensichtlich eine Umkehrung der Politik. Es hat sich gezeigt, dass das Militär doch nicht einzuhegen und zu zügeln ist. Es fehlt also vor allem Abrüstung, es werden nicht Waffen vernichtet, es wird weiter zugelassen, dass die Waffen weiter vernichten. Aber vor der Folie einer langen kriegerischen Geschichte könnte aus der Gewaltlosigkeit ein nachhaltiger und pazifistischer Gedanke erwachsen.

 

Weimar, im Januar 2015