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Über die falsche Lust am Intervenieren

von Olaf Weber

Die existentiellen Themen unserer Zeit, besonders die von Gerechtigkeit und Umwelt, erfordern Kooperation und volle Handlungsfähigkeit der politischen Akteure. Doch unsere fragwürdige Zivilisation ist unterwegs in Richtung sich ausweitender Konflikte, mörderischer Kriege und Vertreibungen. Die weltweit dominierenden, „aufgeklärten“ Staaten und Blöcke, besonders die USA und die NATO, neuerdings auch Russland, befördern aber mit ihren „willigen“ Vasallen die Konflikte, indem sie sich nach fragwürdigen Kriterien und selten friedensstiftend einmischen.

Den militärischen Aktionen fehlt meist die Effizienz und immer die Moralität. Sie stehen in einem antagonistischen Widerspruch zu den Menschenrechten: „Soldaten sind Mörder“, schrieb Kurt Tucholsky schon 1931. Der Mechanismus von Freund und Feind verlangt von den Soldaten, Unschuldige zu töten – unschuldige Zivilisten und unschuldige gegnerische Soldaten. Getötet wird nach Augenschein, gezielt wird auf die fremde Uniform. Dieses anonyme Töten hat manchmal (zum Beispiel bei Drohnenangriffen) den Charakter von außergerichtlichen Hinrichtungen. Es ist ein absurder Gedanke, dass durch einen Befehl zum Schießen Menschenrechte geschützt, oder gar dauerhaft durchgesetzt werden können.

 

Dieser Aufsatz thematisiert aber weniger die Unmoralität, sondern die Ineffizienz des Militärischen. Heute besitzt der Krieg unglaubliche und heimtückische Waffen, seine Zerstörungskräfte sind unvergleichlich und potenzieren sich durch die ähnlichen Gewalten des Gegners. Das Militär wirkt aber nicht mehr abschreckend, sondern provozierend. Die staatlichen Übergriffe und offenen Interventionen gefährden Stabilität und Wohlstand auf der Welt, sie fördern auch keine Demokratie oder soziale Gerechtigkeit. Frieden muss heute und in jeder Zukunft an erster Stelle stehen.

 

  1. Interventionen töten Menschenrechte

 

Im Rahmen der UN war die sogenannte Schutzverantwortung (responsebility to protect) vereinbart worden, die helfen sollte, Völkermord und grobe Menschenrechtsverletzungen wie ethnische Säuberungen zu verhindern. Die humanitären Interventionen waren für seltene und akute Einzelfälle gedacht, die selbst keine Lösungen enthielten. Nur der Eingriff von außen schien in solchen Fällen das Schlimmste verhindern zu können. Inzwischen haben sich durch die militärischen Eingriffe Flächenbrände und Ketten folgenschwerer Eskalationen entwickelt, deren negative Wirkungen das ursprüngliche Leid um ein Vielfaches übersteigt. Die „humanitären“ Interventionen sind selbst zum Ausgangspunkt menschlicher Tragödien geworden und es stellt sich heraus, dass sie meist nicht uneigennützig und nicht behutsam waren.

 

Einige Großmächte haben ihr Interesse an schleichenden Interventionen entdeckt. Sie geben gewaltsamen Eingriffen und Invasionen eine humanitäre Geste, um das Prinzip der Nichteinmischung und das Gewaltverbot zu umgehen. Die geltenden Interventionsgründe wie Völkermord werden fast beliebig erweitert, so dass bereits „staatliche Willkür“ und „Unterdrückung“, oder „Autoritarismus“, also allgemeine Demokratiedefizite als Kriegsgrund geltend gemacht werden. Indem sich einige „Demokraten“ anmaßen, Despoten nach selbstdefinierten Maßgaben zu bestrafen oder gar zu stürzen, stellen sie sich selbst neben das Völkerrecht.

 

Durch den neuen Interventionismus ist der militärische Feuerwehreinsatz, der als Nothilfe gedacht war, zu einem fast schon alltäglichen Mittel der Außenpolitik mutiert und hat eine beängstigende Militarisierung der Menschenrechte bewirkt. Humanismus und Krieg bleiben aber antagonistische Begriffe. Der Krieg ist ein schreckliches Instrument vermeintlicher Hilfe. Kriege sind immer humanitäre Katastrophen. Sie sind ungeheure Gewaltmittel, welche die meisten Menschenrechte außer Kraft setzen, selbst wenn einige von ihnen geschützt werden sollen. Das wichtigste Menschenrecht ist das auf Leben, aber es würde selbst in einem Krieg der besten Vorsätze jeden Wert verlieren.

 

Dem Schutz der Menschenrechte und der Vermeidung von Krieg gehört eine ungeteilte Aufmerksamkeit. Zwischen dem Recht auf Leben und dem auf andere Menschenrechte, also zwischen der Arbeit am Frieden und an der Kultur, können Widersprüche auftreten. Doch Menschenrechts- und Friedenspolitik bleiben nur dann humane Begriffe, wenn sich zwischen sie keine anderen Interessen einschmuggeln. Die Interventionen der letzten Jahrzehnte waren aber meist mit Intentionen vermischt, die weder den Menschenrechten noch dem Frieden dienten. Höhere Werte wie Freiheit und Demokratie wurden gar zu bloßen Etiketten, hinter denen sich ganz andere, meist wirtschaftliche oder geopolitische Absichten verbargen –­ und ähnliche unedle Vorwände galten seit der Antike, oder der Steinzeit.

 

 

Die Menschenrechte sind vielfach gefährdet. Sie müssen nicht nur gegen Diktatoren, sondern auch gegen ihren Missbrauch durch relativ entwickelte Demokratien oder Bürgerkriegsparteien, sogar gegen Menschenrechtsaktivisten, die diese einseitig auslegen, verteidigt werden. Die Einrichtung von Mädchenschulen in Afghanistan ist kein Kriegsgrund, auch der vermeintliche Wohnsitz von Bin Laden nicht. Der Menschenrechts-Bellizismus ist ein großer Irrtum, aber der pseudo-Menschenrechts-Bellizismus mit dem Hintergrund ganz anderer Intentionen ist ein Verbrechen.

  1. Militäreinsätze ohne UN-Mandat sind kriminell

 

Jede Gewalt in den internationalen Beziehungen bedarf einer am Völkerrecht gemessenen, tiefen Begründung. Von allen Arten des Eingriffes ist die militärische Intervention die am meisten riskante, inhumane, kostspielige und am wenigsten nachhaltige Art der Einflussnahme. Die versprochenen schnellen Lösungen (vgl. „Blitzkriege“) münden meist in langen, schrecklichen Kreisläufen und statt einem „sauberen“ Frieden eskaliert die Gewalt zu schmutzigen Dauerkonflikten. Die von Überoptimismus geblendeten Militärstrategen sind entweder unfähig, die Folgen ihres Tuns abzuschätzen, oder diese entsprechen eben der fatalen militärischen Logik. Jedenfalls steht der Krieg nicht am Ende der so genannten „Ultima Ratio“, geschweige denn am Anfang der Weisheit.

 

Eine grenzüberschreitende Landnahme ist ein so offensichtlicher Bruch des Völkerrechtes, dass sie vor den Augen der Weltöffentlichkeit kaum noch bestehen kann. Die Machtpolitik der Gegenwart ist deshalb nicht an territorialen Ausdehnungen interessiert, sie begnügt sich mit Erweiterungen ihrer Einflusssphären. Dazu kann auch der von außen erzwungene Sturz von Regierungen dienen, der immer völkerrechtswidrig ist.

 

der militärisch erzwungene Systemwechsel (Regime-Change), wie ihn die USA, die NATO und andere „Willige“ in Afghanistan, im Irak und in Libyen unternommen haben, ist nicht nur völkerrechtswidrig, sondern hoch gefährlich. Er führt fast nie zur Einhegung des Konfliktes, meistens zu seiner Ausweitung. Interventionen können manchmal Kampfhandlungen unterdrücken, doch selten stabile Strukturen herstellen, oft führen sie gar zum Zusammenbruch jeder staatlichen Ordnung und zum Zerfall des Landes. Vom Kosovo über Afghanistan und den vielen Eingriffen im Nahen und Mittleren Osten bis zu der russischen Unterstützung der Separatisten in der Ost-Ukraine haben die Interventionen nur zweifelhafte Ergebnisse gebracht. Sie verweisen immer auf fehlende, mangelhafte, verspätete, vordergründige oder phantasielose Diplomatie. Lediglich bei einigen Regionalkonflikten in Afrika und Fernost haben polizei-ähnliche Einheiten der UN mit klar definierten Aufgaben ihre friedensstiftende Rolle ausfüllen können.

 

Di Zahl der Getöteten, Verletzten und Vertriebenen ist ein Maß für die kriminelle Energie des Militärs. Militärische Interventionen unterscheiden sich deshalb auch unter dem Aspekt des gerechten Widerstandes. Im Gegensatz zu den tödlichen Bilanzen während der gewaltsamen Besetzung Palästinas war beispielsweise die völkerrechtswidrige Annexion der Krim weitgehend unblutig und entsprach dem Willen des überwiegenden Teils der Bevölkerung, sogar des dort stationierten Militärs. Auf skurrile Weise stand dessen erzwungenes, aber wohltuendes Nichtstun im Widerspruch zu der auf russischer wie ukrainischer Seite betriebenen maßlosen nationalistischen Hetze der Zivilgesellschaft, also der Medien, der Oligarchen, Politiker und Popen.

 

Die Völker sollten ihr Selbstbestimmungsrecht behutsam nutzen, denn es kann nicht losgelöst von globalen Interessen betrachtet werden. Das Beharren auf diesem Recht hätte 1962 fast den 3. Weltkrieg ausgelöst. Die Kubakrise wurde dadurch gelöst, dass Kuba und die Sowjetunion auf einen Teil ihres Selbstbestimmungsrechtes, nämlich die Stationierung der gegen die USA gerichteten Raketen verzichtet hatten. Die Verantwortung für den Frieden lässt es nicht zu, dass das Selbstbestimmungsrecht ohne Rücksichten auf die Nachbarn durchgesetzt wird. Heute sollten Georgien, Moldawien, die Ukraine und andere Anrainerstaaten Russlands aufpassen, dass ihr Selbstbestimmungsrecht nicht durch die geopolitischen Interessen weit entfernter Mächte umgedeutet wird.

 

In ähnlicher Weise kann der Separatismus, also das Selbstbestimmungsrecht von Volksgruppen geostrategisch missbraucht werden, wie es durchaus auf der Krim, aber auch beim Krieg der NATO um den Kosovo der Fall war. Heute besteht das Problem in der Ost-Ukraine, wo das Selbstbestimmungsrecht des Staates mit dem einer Volksgruppe im Widerstreit steht und in die Interessenpolitik fremder Mächte geraten ist. Der Konflikt dort zeigt auch, wie unfruchtbar es ist, ein abstraktes Prinzip der Selbstbestimmung gegen Nachbarschaftsinteressen durchzusetzen.

 

In der Vorgeschichte und Geschichte von Bürgerkriegen haben fast immer Geheimdienste anderer Länder teilgenommen. Bürgerkriege sind in diesen Fällen keine Befreiungskriege oder Revolutionen, sondern Stellvertreterkriege, in denen eine oder mehrere Bürgerkriegsparteien von anderen Mächten gesteuert werden, es sind gewalttätige Interventionen im fremden Auftrag. Syrien bildet in diesen Monaten das entsetzlichste Beispiel, auf das wir noch zurückkommen .

 

Militärs und Machtpolitiker bedienen sich immer geheimer ihrer Macht. Statt offenen Okkupationen verfolgen sie ihre verdeckten Absichten und Ziele mit Hilfe von Geheimdiensten und geheimen Waffen, sowie von logistisch und militärisch aufgerüsteten gewaltbereiten Gruppen und Söldnern. Politische Konflikte verwandeln sich durch militärische Strategien in Kaskaden von Eingriffen und grausamen Bürgerkriegen. Die Raffinesse, mit der dabei vorgegangen wird, verdeckt die Schuld der im Hintergrund agierenden Aggressoren in keiner Weise. Das Töten kann auch über sensible Strategien und automatische Waffen (wie Drohnen) erfolgen. Entgegen der Bildwirkung ist es für die Betroffenen egal, ob das Verbrechen gegen die Menschlichkeit in der Enthauptung von Journalisten oder im Bombardement von bewohnten Gebäuden besteht. Das Töten aus Rache ist grausam, der mörderische Job mit dem Steuerknüppel oder dem Joystick ist niederträchtig. Und Barbaren treten auch mit schicken Nadelstreifen vor die Kamera.

  1. Der konkrete verträgt sich mit dem allgemeinen Frieden

 

Es gibt einen großen Widerspruch zwischen der Unklarheit der militärischen Parameter, vor allem dem voraussichtlichen Verlauf und dem Ausgang des Krieges einerseits und der Klarheit, Härte und Unerbittlichkeit der eingesetzten Mittel andererseits. Dieser Widerspruch macht den Krieg zum Pokerspiel mit menschlichen Katastrophen, die bis hin zu Massenmorden reichen. An Erfolgen gibt es nichts, was das Leid der Opfer aufwiegt und im Nachhinein weiß jedes Volk, dass sich noch nie ein Eroberungskrieg und selten ein Bürgerkrieg gelohnt hat. Wohl dem Volke, dessen abgewirtschaftete Regierung sich durch eine friedliche Revolution stürzen lässt.

 

Konflikte sind Folgen ungelöster Konflikte. Eine Krise ist immer das letzte Glied von Ereignissen und irgendwo in dieser Kette war die Sprengkraft für den Konflikt installiert. Sie wurde von den einen nicht gesehen, von den anderen gepflegt, bis die Gewalt eskaliert und sich herausstellt, dass der Ruf nach der Schutzmacht schon vorbereitet war. Und wenn es brennt, liegt der Ruf nach der Feuerwehr in der Luft. Die Erfahrung zeigt, dass die selbsternannte Feuerwehr leider nicht genügend Interesse an Präventivmaßnahmen hat, so dass die Interventionen in den bekannten Kreisläufen fortgesetzt werden.

 

Wenn Menschen in Not sind, kann man heute einige retten, aber morgen? Das Unanständige an Nothilfen ist nicht die Hilfe, sondern die Not, die der nächsten Nothilfe vorausgeht. Ignorant oder zynisch wäre es, die Menschen, die morgen in Not kommen, über diejenigen zu vergessen, die es heute sind – und umgekehrt. Es gilt, das Schlachten zu beenden und zugleich Sorge dafür zu treffen, dass es sich nicht wiederholt. Es gilt, die Beendigung des konkreten mit der Festigung des allgemeinen Friedens zu verbinden – jeder begonnene Krieg ist ein verlorener Krieg. Wenn er aber begonnen ist, sollte sein Ende zugleich ein Beitrag zum allgemeinen Frieden, zum Beispiel zur Abrüstung sein.

 

Den Pazifisten, die oft erfolglos zur Abrüstung und Deeskalation aufrufen, wird vorgeworfen, sie würden in aktuellen humanitären Krisen die Hände in den Schoß legen. Merkwürdigerweise wird erst dann nach ihnen gerufen, wenn die Katastrophe schon eingetreten ist. Es gibt immer Alternativen zum Nichtstun: sofortiger Stopp der Waffenlieferungen, Austrocknung der Finanzquellen usw. Man kann den Gewalttätern die nötige Gewalt entgegen setzen,  mit der zweiten Hand aber die andere Seite des Konfliktes zurück drängen. Zum Beispiel sollte die Anstrengung erhöht werden, die Anführer von Boko Haram und Al-Quaida festzunehmen und zugleich die Verantwortlichen für den völkerrechtswidrigen Irak-Krieg vor den Internationalen Strafgerichtshof zu bringen. Denn diese (darunter George W. Bush) sind durch ihr Handeln für das Blutvergießen in Nigeria und anderswo mitverantwortlich. Wichtig ist, dass sich ein Grundgefühl für Gerechtigkeit einstellt. Der Vorschlag beinhaltet also kein Nichtstun, aber auch keine einfache Gewaltreaktion – statt Wegschauen ein doppeltes Handeln.

 

Es ist Sache der Politik, die Soforthilfe für die Betroffenen mit der Lösung der anstehenden Widersprüche und dem künftigen Frieden zu verbinden. Zum Beispiel ist es absurd, Wiederaufbauhilfe für den Gaza zu leisten, ohne zugleich im Rahmen einer regionalen Übereinkunft Abrüstung (vor allem im hochgerüsteten Israel) und eine Friedensregelung zu erzwingen. Und es ist absurd, die Bürgerkriegsflüchtlinge aus dem Nahen Osten in Europa aufzunehmen, während dort weitere Waffen im Sande verstreut werden.

 

Ausweglose Situationen könnten durch mutige Schritte zum regionalen Frieden und darüber hinaus sogar hin zum „Großen Frieden“ führen. Für den Ukraine-Konflikt könnte das bedeuten: strikter Waffenstillstand auf allen Seiten, keine weitere militärische Unterstützung der Separatisten und keinerlei Aufrüstung der Ukrainischen Armee; außerdem föderale Strukturen mit weitreichender Autonomie in der Ukraine und deren internationale Neutralität als Mittler zwischen Russland und der EU, also so etwas wie der kleine Frieden und Wohlstand. Und über diesen Gewinn für die Bevölkerung hinaus: Rücknahme der Aufrüstungspläne und Modernisierungsprogramme der NATO sowie der russischen Streitkräfte. Und noch weiter: Aus dem gewonnenen Vertrauen hinaus eine schrittweise Entwicklung globaler Systeme kollektiver Sicherheit und Neustart der allgemeinen und weltweiten Abrüstung. So könnte auf wundersame Weise ein gefährlicher Konflikt zum kleinen Einvernehmen und dieser hin zum großen Frieden „eskalieren“. Aber die Mächtigen wollen das wohl nicht.

 

 

  1. Im Nahen Osten ist das Volk entmachtet

 

Welchen Sinn macht es, aus der Vielzahl der arabischen Despoten einige herauszupicken und deren Bevölkerung mit Krieg zu bestrafen? Es ist ein Widerspruch, einen martialischen Aufwand zu betreiben, um die Machthaber im Irak, in Libyen und Syrien zu stürzen, und zugleich mit den ähnlichen Despoten und Folterknechten in Saudi-Arabien, den Golfemiraten und anderen Staaten beste Beziehungen zu unterhalten. Die USA haben sich aus Gründen, die sich aus Sicht der Menschenrechte willkürlich, aber aus nationalökonomischer und geostrategischer Sicht zielgerichtet darstellen, in andere Ländern massiv eingemischt. Die Despoten und Diktatoren werden von den USA nach Wirtschaftsinteressen, nicht nach Menschenrechtsstandards evaluiert.

 

Welchen Sinn macht es auch, einigermaßen funktionierende laizistische Staaten, in denen die verschiedenen Religionen und Ethnien leidlich zusammenleben, zugunsten einer ungewissen Zukunft in einer Demokratie westlicher Prägung zu opfern, wenn diese in der arabischen Welt noch nicht oder nur in anderen Formen akzeptiert werden kann.

 

Krieg ist ein Chaos im Gleichschritt. Der Misserfolg einer militärischen Intervention zeichnet sich durch Ausweitung der Kämpfe, durch immer weniger klare Kriegsziele, fragile Verhältnisse, Wechsel von Koalitionen und eine Radikalisierung der Gegner aus. Es ist eine Binsenweisheit über den Extremismus, dass er eine Antwort auf vorangegangene unerwünschte Eingriffe ist. So sind die Taliban in Afghanistan, als auch Al-Qaida, die 2004 im Widerstand gegen die amerikanische Invasion im Irak hervorging, als auch deren Nachfolger, der Islamischer Staat (IS) entstanden. Diese Terrorgruppen sind die Folgen von militärischer Macht, und diese Macht ist ihre andauernde Ursache. Sie sind also zugleich Produkte und Ziele der amerikanischen Hegemonie und Kriegsführung. Dieses „Terroristenaufzuchtprogramm“ wendet sich nun schicksalhaft gegen seine Erfinder.

Anmerkung: Nun erreicht der Terror des Nahen Ostens Europa. Und wieder wird nicht nach den Ursachen gefragt, es werden die Sicherheitsleute alarmiert. Doch die Terroristen sind Akteure in einem asymmetrischen Krieg. Die aus Syrien zurückkehrenden Kämpfer wollen Vergeltung für ihre toten Kameraden, sie sollten aber eigentlich gegen Assad kämpfen, doch nicht zum IS  überlaufen und Terroristen in Europa werden. Das strategische Spiel ist wieder mal nicht aufgegangen.

 

Die (vermeintliche oder ehrliche) Absicht, Demokratiebewegungen von außen zu unterstützen, verkehrt sich fast immer ins Gegenteil. Als Beispiel schauen wir auf den „Arabischen Frühling“, der zunächst eine Folge von antidiktatorischen Revolten junger Leute war. Doch das einzige Land, das eine halbwegs demokratische Revolution zuwege gebracht hat, ist Tunesien – und das in relativer Selbständigkeit. Dagegen hatten in Ägypten, Bahrain, Libyen und in Syrien die selbsternannten „Freunde“ des Landes die Aufstände massiv gesteuert – mal unterstützend, mal unterdrückend – je nach Interessenlage. Die Folgen waren weitere gefährliche Flächenbrände nach Afrika und in den Nahen und Mittleren Osten hinein. Die sogenannten Freunde haben also mit ihrer Intervention gerade das Gegenteil des Guten bewirkt: zu Diktatur und Menschenrechtsverletzungen gesellten sich Tod, Vertreibung und weitere Eskalationen, die alles vorherige Elend überschreiten.

 

In Syrien sind nach einer völlig verkorksten Nahostpolitik inzwischen weder diejenigen Werte, die das Maß aller Dinge sein sollten, noch einigermaßen plausible militärische Strategien zu erkennen. Dort gibt es nur noch Partialinteressen feindlicher Regionalmächte und mittendrin die USA, die als Weltpolizei ausgedient haben, das aber noch nicht wahrhaben wollen. Vor dem Hintergrund dieses Schlachtfeldes ist eine Lösung kaum möglich. Es müssten im Interesse des eigentlichen Souveräns, nämlich des entmachteten syrischen Volkes, alle anderen zum Machtverzicht gezwungen werden. Das würde bedeuten, den notwendigen Kompromiss von Syriens Schlachtfeldern in die UNO hinein zu tragen. Doch dort, bei den Machthabenden, fehlen die Bereitschaft und die Idee zu einem Kompromiss, in dem auch die Grundlagen einer künftigen syrischen Gesellschaft definiert werden müssten. Ein UNO-Antrag der Westmächte allerdings, der wieder nur deren syrischen Parteigängern nützt und den Zweck hätte, die Russen vorzuführen, wäre ein weiterer Verrat am Frieden.

 

Der Kompromiss ist kein einfacher Mittelweg zwischen den Kontrahenten, sondern die Option von etwas Drittem, das in der Luft liegt und trotzdem erst erfunden werden muss. Der gemeinsame Nenner zwischen den sogenannten Gemäßigten, den Kurden und dem Assad-Regime könnte der Laizismus sein. Doch diese Option kann ebenfalls nur durch den Druck dritter Akteure realisiert werden – sofern diese den Frieden höher als andere Werte stellen. Syrien ist ein Beispiel dafür, wie die sukzessive Einmischung nicht mehr umkehrbar ist und die  nationalen Selbstheilungskräfte völlig zerstört wurden.

 

Aufgrund der Vorgeschichte liegt der Schlüssel zum Frieden in Nahost bei den USA. Die US-Amerikaner müssen ihren kleinen Bruder Israel zur Umkehr bringen, sie sollten den Fehler des 2. Golfkrieges erkennen, den Irrweg ihres Interventionismus aufgeben und viel Geld für den Wiederaufbau der Region (als Wiedergutmachung) in die Hand nehmen. Und Deutschland sollte durch Waffenlieferungen an eine der Kriegsparteien den völkerrechtswidrigen Irak-Krieg nicht nachträglich legitimieren.

 

 

  1. Interventionen beruhen nicht auf Einladungen

Es ist schon deutlich geworden, dass das Instrument der Schutzverantwortung Tore für Interventionen öffnet, die nicht durch das Völkerrecht gedeckt sind. Nach Jahren sich ausweitender Einmischungen bröckelt der humanitäre Anstrich eines solchen Interventionismus mehr und mehr. Die Großmächte und großen Blöcke sind für Befriedungsaktionen auch wegen ihres Selbsttums und ihrer imperialen Neigung ungeeignet. Aber sie sind diejenigen, die sich am wenigsten zurückhalten.

Militärische Aktionen werden von einem Großteil der Bevölkerung in den „Großmächten“ immer noch als Segen für den Rest der Welt betrachtet. Sie erkennen nicht den interventionistischen Charakter der Politik ihrer Regierungen, sie glauben an die Selbstlosigkeit und moralische Überlegenheit ihres Systems und sind stolz darauf, dass sich ihr Präsident mit dem Welt-Sheriff-Stern schmückt. Das dafür legitimierte Gremium, die UNO, wird aber in seiner Handlungsfähigkeit reduziert und daran gehindert, dem Völkerrecht überall Geltung zu verschaffen.

 

Dem Interventionismus fehlt die Akzeptanz und Behutsamkeit gegenüber einem vorhandenen Gesellschaftswesen, das sich auf langen Wegen historisch herausgebildet hat und aus filigranen und zerbrechlichen Strukturen besteht. In dieses mit fremder Macht einzugreifen bedeutet meist, das existierende Entwicklungspotential zu zerstören. Wenn Interventionen anderen Ländern und Kulturen etwas aufdrängen, was diese nicht leisten können oder wollen, wirken die vermeintlichen Hilfen nur zerstörerisch. Es gilt, dass die inneren Kräfte der Veränderung den Äußeren an Behutsamkeit überlegen sind.

 

Den Negativsaldo von Interventionen kann man durchaus verallgemeinern. Wo man hätte helfen müssen, in Ruanda, war an der Hilfe offenbar nichts zu verdienen. Und wo man eingegriffen hatte, im Kosovo, hatte man die Gründe für das Eingreifen selber geschaffen – nämlich dadurch, dass der relativ intakte Vielvölkerstaat Jugoslawien nicht in einen multikulturellen Teil Europas hinüber gedacht und geleitet worden war.

 

 

  1. Sanktionen sind besser als Panzer…

 

Alles unterhalb der Schwelle eines Waffenganges ist besser als darüber. Doch zwischen Soft-power und militärischer Gewalt, zwischen der Hilfe zur Selbsthilfe und einem Militäreinsatz gibt es eine breite Skala von mehr oder weniger friedlichen oder gewaltsamen Einflussnahmen. Die Grenzen zwischen partnerschaftlicher Hilfe, respektvoller Kommunikation, handfester politischer Einflussnahme, Spionage, verschiedenster Beeinträchtigungen durch Lieferung oder Verweigerung von Information, Gerät oder Waffen bis hin zu verdeckten oder offenen militärischen Aktionen sind fließend. Die sich verwischenden Grenzen machen es schwer, im Konkreten die Maßstäbe einer uneigennützigen Hilfe anzulegen.

 

Auch nicht-militärische Eingriffe in die Souveränität eines Landes dürfen sich nur aus schweren Menschenrechts-Verletzungen ergeben und müssen dem Völkerrecht entsprechen. Sanktionen sind möglicherweise nach einem Militärputsch oder Staatsstreich zur Isolierung der Junta gerechtfertigt. Doch sie sind problematische Einmischungen, wenn sie nicht auf ähnlich klaren Unrechtstatsachen beruhen. Im Kontext der UNO können multilaterale Sanktionen dort sehr effektiv sein, wo militärische Aktionen in den bekannten Abgrund führen würden. Ohne gemeinsames Handeln sind unilaterale Sanktionen aber nichts anderes als verdeckte Wirtschaftskriege. Auch hier gilt, dass vorschnelle Schuldzuweisungen meist Hinweise auf bloße Interessenpolitik sind.

 

Eine aufgeklärte Welt lebt vom Kosmos der Ideen und Vernetzungen, von offenen Grenzen und friedlichen Überschreitungen. Die Staaten geben sich als kooperierende solitäre Regeln für ihr Zusammenleben, vor allem für den fairen Austausch und für eine gewaltfreie Kommunikation. Diskussionen über Homophobie, Rassismus, Todesstrafe, Sterbehilfen oder den Umgang mit Drogen und Schmerzmitteln, aber auch über Medienfreiheit, die Art des Wirtschaftens und der demokratischen Kontrolle gehören zum internationalen Diskurs. Sie müssen aber vor allem von der Zivilgesellschaft im Lande selbst geführt werden. Sie ist auch der Ort, wo Traditionen und Entwicklungsniveaus korrigiert werden (oder nicht). Und sie können sich durch Reformen oder Revolutionen verändern.

 

Es ist die Aufgabe eines jeden Staates, die Menschenrechte nicht nur zur vollen Geltung zu bringen, sondern sie auch in ihrer Vielfalt und Widersprüchlichkeit auf die kulturellen Eigenheiten der Bevölkerung abzubilden. Völker, Staaten und Regionen  sind Individuen, ihre Diversität hat den gleichen Rang wie die Universalität der Menschenrechte. Der Wettbewerb kultureller Kontexte fördert Austausch und Entwicklung, das Intervenieren zugunsten von eigenen Ebenbildern ist jedoch verschleierte Interessenpolitik. Hinter asymmetrischen Verhältnissen können sich dominante Mächte verbergen, deren Einfluss von anderen bereits als unerwünschte Übergriffe empfunden werden.

 

Der heute praktizierte Interventionismus gründet sich weniger auf die Schutzverantwortung gegenüber den Schwachen als auf ein Patronat zur „Verteidigung abendländischer Werte“, das teilweise auf Allmachtsphantasien aus der Kolonialzeit zurückgeht. Der Begriff der „Verteidigung“ klingt nicht friedlich, hinter ihm verbirgt sich auch Gewalt und er konnotiert das Missionarische, zumal dann, wenn die „Verteidigung am Hindukusch“ erfolgen soll. Das wirft ein Licht auf einen Zusammenhang von Macht und Mission, der problematisch ist.

 

Immer wieder wollten Machthaber ihre Ideologien und Revolutionen exportieren. Ob „heiliger Kampf“ des deutschen Kaiserreiches des Jahres 1914 oder der Dschihad der Islamisten – viele Kriege waren mit einem expandierenden Sendungsbewusstsein ausgestattet – wenngleich auch nicht immer mit dieser Unerbittlichkeit wie im heutigen „Islamischen Staat“.

 

Auch müssen wir uns fragen, ob ein sanft daher kommender neoliberaler Konservatismus seine wirtschaftliche (und manchmal militärische) Macht dazu missbraucht, unter der Flagge von Freiheit und Demokratie einen westlich geprägten „way of life“ in eine andere Kultur zu implantieren und damit die Mannigfaltigkeit dieser Welt zu reduzieren. Auch das kann als Indoktrination empfunden werden, die zu Gewalt führt, weil sie soziale, kulturelle und historische Hintergründe ignoriert und nicht den Raum lässt für eine wirklich freie Ausbreitung der Menschenrechte hin zu einer allgemeinen Emanzipation.

 

Militär hat nur selten Entwicklungsräume geschaffen, es zementiert entweder einen Zustand oder es zerstört die Möglichkeit, einen politischen Raum in freier Selbstbestimmung auszufüllen.

 

 

  1. Der kritische Blick sollte der Nähe, nicht der Ferne gehören.

 

Es gibt kein „Recht auf Wegsehen“, wie es der Bundespräsident sagte, man sollte aber auch richtig hingucken. Die Neokonservativen in Deutschland wenden ihren kritischen Blick gern weit weg, am besten nach China. Die Probleme werden vorzugsweise mit dem Fernrohr betrachtet, dabei sind sie auch ohne Lupe im eigenen Lande zu sehen. Wir würden in einer besseren Welt leben, würden alle zuerst die eigene, statt fremde Regierungen kontrollieren wollen. Die eigene Regierung kritisieren: Nur zu! Beim Nachbarn eingreifen: Vorsicht! Man könnte auch Unrecht haben.

 

Aber das heißt nicht, dass es keine Reaktionen auf Unterlassungen oder Übergriffe im Rahmen der Weltpolitik geben sollte. Neben dem Wegschauen und dem Intervenieren gibt es Dialog und Kooperation. Doch diejenigen, die sich heute als Welt-Schulmeister aufspielen, waren nicht besonders vorbildlich und sind es auch heute nicht. Schauen wir nur auf die skandalöse Schere der Einkommens- und Besitzverhältnisse, auf demokratisch nicht legitimierte Macht in den Entscheidungszentren der westlichen Demokratien, auf Schmiergelder, Korruption, Todesstrafe, Folter, Unterstützung von Diktaturen, Waffenlieferungen in Spannungsgebiete, völkerrechtswidrige Kriege usw. Es gibt bei den „Schulmeistern“ erschreckende Fehlentwicklungen, einen riesigen Reformbedarf und grundfalsche Entscheidungen. Das Pathos der selbsternannten Eliten ist völlig ungerechtfertigt, ihre Lust am Intervenieren ist pervers.

Anmerkung: Im Rahmen der UN, aber auch in nationalen Gesetzgebungen gibt es viele richtige Ansätze wie beispielsweise den „Aktionsplan Zivile Krisenprävention“ der Bundesrepublik, der bereits seit zehn Jahren ein vernetztes Handeln von Krisenprävention, Konfliktnachsorge und Friedenskonsolidierung vorsieht. Die Umsetzung in praktische Politik scheitert aber regelmäßig an den näher liegenden Interessen der verschiedenen Machteliten.

 

Von der beschriebenen Interventionssucht unterscheiden sich auch die zahlreichen Nicht-Regierungs-Organisationen (NGOs), die weltweite Aufklärung zu Themen wie Frauenrechten, biologischem Landbau, sozialer Gerechtigkeit, unabhängige Medien oder der Energiewende … betreiben. Solche Aktivitäten gehören zu einer willkommenen Menschenrechts- und Entwicklungspolitik. Sie kann helfen, das Niveau der Menschenrechte anzugleichen, wenn sie als interkultureller Austausch organisiert ist. Leider wird aber auch immer wieder versucht, Nicht-Regierungs-Organisationen wie Stiftungen durch Geheimdienste zu instrumentalisieren und ihnen damit ihre emanzipatorische Kraft zu nehmen.

 

 

  1. Drohnen und Lauschangriffe dürfen nicht ausgelagert werden.

 

Es sorgt offensichtlich für die Gunst der Wähler, wenn Regierungen unbeliebte Maßnahmen wie Drohneneinsätze, Folter oder Lauschangriffe ins Ausland verlegen, beispielsweise nach Kuba, Afghanistan oder Jemen (auch nach Polen und Deutschland) und damit die dortige Bevölkerung verunsichern oder terrorisieren. Ihre Sicherheitsprobleme muss aber jede Regierung durch Maßnahmen innerhalb der eigenen Grenzen lösen oder durch eine entsprechende Außenpolitik absichern. Krieg in andere Länder tragen ist Völkerrechtsbruch. Und wie wir wissen: Krieg ist die Fortsetzung der falschen Politik mit anderen Mitteln.

 

Zur Vermeidung von Verlusten sind die großen „Zivilisationen“ dazu übergegangen, auf ihre überlegene Technik zu setzen und ihre Lufthoheit dafür zu nutzen, die Einflussgebiete von oben abzusichern oder zu erweitern. Daneben wird durch Waffenexporte die eigene Rüstungsindustrie gestärkt, das Kämpfen und Sterben aber unter Anleitung und Kontrolle von Militärberatern den Leuten im fremden Lande überlassen. Auch diese Exporte sind Interventionen.

 

Nach dem Grundsatz der Nichteinmischung darf eine Regierung nur das Volk regieren, von dem sie gewählt wurde, kein anderes. Auch Interventionen zum Schutze von Landsleuten in anderen Staaten, wie es die Russen in Südossetien, in Transnistrien, Abchasien oder der Ostukraine getan haben, können Angriffe auf die Souveränität anderer Staaten sein. Auch die USA führen ständige Kommandounternehmen zum Schutz ihrer Landsleute in aller Welt durch. Aber die Russen in den Anrainerstaaten sollen nicht durch Russen, die US-Amerikaner in aller Welt nicht durch US-Amerikaner geschützt werden, denn Schutz kann nur das geschützte Völkerrecht gewährleisten.

 

Es gehört leider auch zu den Gepflogenheiten mancher Regierungen, ihre „demokratische“ Wiederwahl durch Säbelrasseln, also auf Kosten der Sicherheit anderer Länder zu betreiben. Dann wird irgendwo Krieg geführt, doch die Botschaft gilt dem Wahlvolk im eigenen Lande. Dieser nicht seltene Militarismus ist besonders pervers, weil Fremde zu Opfern eines internen Machtstrebens werden. Unter dem Vorwand, fernab die Menschenrechte zu schützen, werden demokratische Institutionen im eigenen Lande benutzt, um die innenpolitische Macht zu festigen (erinnert sei an die Destabilisierung Libyens durch Frankreich und Großbritannien oder an die rolle der Türkei in Syrien und den Kurdengebieten).

 

 

  1. Systeme kollektiver Sicherheit gegen den Sicherheitswahn

 

Die Gefährdung durch Terroristen wird überschätzt (sie ist aber nach Agenturmeldungen lediglich so hoch, wie die, durch einen Bienenstich ums Leben zu kommen). Die Gefahr durch das gewöhnliche Militär und die Rüstung wird dagegen aus den gleichen Gründen untertrieben. Der gezüchtete Sicherheitswahn hat in den USA zu gewaltigen Ausgaben und unbegründeten psychischen Belastungen geführt. Wo Grenzen und Mauern den Schutz nicht garantieren können, werden – wie schon gesagt – die Schutzmaßnahmen ins Ausland verlegt und führen dort zu internationalen Konflikten. Sicherheit kann aber nur durch Vertrauen und Bündnisse geschaffen werden.

 

Deutschland sollte seine Zurückhaltung aufgeben und mehr Verantwortung übernehmen, aber nicht im Sinne der traditionellen Außenpolitik, nämlich einer Politik für die Separatinteressen Deutschlands, Europas oder des Transatlantischen Bündnisses, sondern einer Menschenrechts-Politik, die friedlich und behutsam einen gerechten Frieden sucht. Nicht die Verteidigung westlicher Werte, sondern eine multilaterale Friedenssicherung im Rahmen und Auftrag der Vereinten Nationen wäre dann der Inhalt moderner Außen- und Friedenspolitik. Dafür sollten völkerrechtliche Verträge in globalen Systemen wechselseitiger Sicherheit unter dem Dach der UNO verankert werden.

 

Im Gegensatz zu Sicherheitssystemen mit solchen egalitären Perspektiven neigen die heutigen militärischen Blöcke zur Ausgrenzung und zu Feindbildern, durch die sie sich legitimieren wollen. Militärbündnisse wie die NATO sind darauf gerichtet, die Sicherheit aufzuteilen. Solche Bündnisse beinhalten die Gefahr der Ausgrenzung, vor allem an ihren Rändern. Diejenigen, die nicht dem Bündnis angehören, fallen aus dem Sicherheitsnetz und können zum Feind stigmatisiert werden oder gar zu Angehörigen einer Schimäre wie der „Achse des Bösen“.

Anmerkung: Die Bestrebungen, neben dem Ostblock (Warschauer Pakt) auch die Nato aufzulösen, blieben Anfang der 90er Jahre leider erfolglos. Stattdessen wurde die NATO weiter gestärkt und nach Osten erweitert. Die OSZE, in der auch Russland eingebunden ist und welche den Charakter eines kollektiven Sicherheitssystems besitzt, wurde dagegen geschwächt und das gemeinsame „Haus Europa“, (Gorbatschow) in seinem Kern erschüttert.

 

 

  1. Wahrheit ist die Freundin des Pazifismus

Aufklärung könnte zur Wahrheit führen, doch die militärische Variante der Wahrheitsfindung, die „Feindaufklärung“, dient eher dazu, sie zu verhindern. Das Militär verweigert Einblicke und verunklart die Mechanismen des akuten Konfliktes, es hat ein taktisches Verhältnis zur Wahrheit, in dem gewöhnlich das Nützliche zum Wahren erklärt wird. Diesem utilitären Gebrauch der Wahrheit steht die pazifistische Überzeugung entgegen, dass die Wahrheitsfindung per se dem Frieden dient – unabhängig davon, wem sie außerdem nützt.

 

Wie jeder Krieg mit einer Lüge beginnt, beginnen Interventionen mit Nebelkerzen, die Fakten verblassen im Hintergrund, die Wahrheit kommt nicht ans Licht. Wo war jeweils der Zündpunkt, an dem die Konflikte eskalierten? Wie weit müssen die Ereignisse zurückverfolgt werden, um die Ursachen eines Konfliktes zu erkennen, wer hat die nächsten und vorhergehenden Eskalationsstufen eröffnet? Es gibt eine Kette der ursächlichen Ereignisse, die oft willkürlich zerrissen wird. Wir brauchen endlich saubere Dokumentationen über die Vorgeschichte, über Beginn und Verlauf von Konflikten.

Anmerkung: Besonders problematisch ist es, wenn die Kette der Ereignisse umgedreht wird, so dass in der Betrachtung die Folgen zu Ursachen und die Ursachen zu Folgen werden. Dann begründet man zum Beispiel die zunehmenden islamistischen Anschläge in Europa mit der angeblichen Zurückhaltung und mangelhaften Schlagkraft der westlichen Luftwaffe im Nahen Osten. Das ist eine typische Eskalationsargumentation.

 

Neben den Fakten gibt es die Interpretationen. Interessenpolitik zeichnet sich dadurch aus, dass doppelte Standards bei der Bewertung von Akteuren und Ereignissen angesetzt werden. So kommt es bei der Beurteilung von demokratischen Zuständen mal auf den sauberen Wahlgang an, anderswo zählt die Macht der Straße, mal sind Menschen Freiheitskämpfer, mal sind sie mit ähnlichen Motiven Terroristen, und mal ist ein völkerrechtswidriger Krieg ein Schulterklopfen wert und mal  eine Wirtschaftssanktion. Und nur manchmal ist die Bekämpfung von Aufständischen ein „Krieg gegen das eigene Volk“. Beliebigkeit ist die Methode der Interessenpolitik. In gleicher Weise, wie der Frieden ein Wert an sich ist, so ist  auch im Kriege die Suche nach der Wahrheit nicht verhandelbar.

 

Kriegsverbrecher gehören vor den Internationalen Strafgerichtshof. Düstere Geheimdienste und Exekutionskommandos (wie bei der Tötung von Bin Laden) sind für die Aufklärung kontraproduktiv. Auch hierbei muss festgestellt werden, dass diejenigen Staaten mit dem größten Drang zum Intervenieren wenig Interesse haben, sich diesen Gerichten zu unterwerfen. Es werden sogar Untersuchungskommissionen der UNO zu Kriegsverbrechen behindert (- vgl. die Weigerung Israels, nach dem Gaza-Krieg 2014 mit der UN-Menschenrechtskommission zusammenzuarbeiten).

 

Es gibt immer nur Annäherungen von Aussagen an die Wirklichkeit. Manchmal liegt die Wahrheit auf der Hand, im Politischen eher selten. Und aus den deutlichen Fällen wie Hitlers Schuld am 2. Weltkrieg lässt sich ein allgemeines Recht zum Eingreifen nicht ableiten. Und wenn es keine Klarheit gibt, ist ein Moratorium, also ein Moment des Zögerns und Nachdenkens sinnvoll. Der Schuldfrage nähert man sich durch energische Aufklärung. Doch Militär tötet ins Ungewisse. In diese Unsicherheit hinein behauptet es dann, die Sicherheit zu garantieren.

 

Die Geheimdienste haben sich als untauglich erwiesen, in internationalen Konflikten zur Aufklärung beizutragen. Sie sind offenbar nicht an Friedensofferten interessiert – Vergleiche die Falschmeldungen im Vorfeld der beiden Irak-Kriege (Brutkastenlüge und ABC-Waffenlüge). Geheimdienste lancieren gern Informationen an die Öffentlichkeit, die bellizistische Tendenzen haben.

 

Zum Glück gibt es eine Reihe von Institutionen der Friedensforschung, die verborgenes Wissen an eine interessierte Öffentlichkeit tragen. Diese Arbeit ist Tiefenforschung. Sie betrifft beispielsweise die Genese von Konflikten oder die Maße der Rüstung. Wissen hat manchmal den Charakter von Enthüllungen. Es sind Aufklärer nötig, die Informationen zur Selbstaufklärung zur Verfügung stellen. Menschen wie Edward Snowden müssen Daten stehlen, um sie in den Kreislauf der Aufklärung zurückzuführen.

 

 

  1. Die konfliktfreudigen Triebkräfte des Kapitalismus

 

Was sind das für Kräfte, die die Welt nicht zusammen halten, sondern in gefährliche Konflikte treiben? Was sind die inneren Strukturen und die Mächte, die zum Kriege drängen und was sind das für demokratische Zustände, welche die große Friedenssehnsucht der Menschen auf dem ganzen Globus nicht zum Ausdruck bringen? Diese Fragen verweisen auf die Tiefenstrukturen der Konflikte, auf ihre problematischen Machtzentren.

 

Die veröffentlichten Gründe für „humanitäre“ Interventionen beziehen sich meist auf bestehende politische Zustände. Doch in der Wahrnehmung vieler Menschen sind die sozialen Menschenrechte von gleicher oder gar vorrangiger Brisanz. Wenn die Welt aber so stark unter Gerechtigkeitsproblemen leidet, sollten dort auch die wesentlichen politischen Maßnahmen ansetzen. Die Pegelstände von oberen und unteren Einkommen und Besitzständen sind offenbar zu weit gespreizt, um akzeptiert zu werden. Doch auch die Korrekturen dieses unanständigen Reichtumsgefälles werden nicht durch Interventionen oder den Export von Revolutionen erfolgen. Das werden soziale Bewegungen tun, sobald sie sich dafür einen Raum erobert haben. Demokratie und soziale Gerechtigkeit entstehen aus einem lebendigen sozialen Humus, der allerdings von außen gegossen und gedüngt werden kann.

Anmerkung: der Misserfolg der arabischen Revolten lag auch daran, dass die Partner in Europa, Amerika und Asien keine Scheu hatten, mit den korrupten wirtschaftsliberalen Diktaturen und Monarchen zusammenzuarbeiten, welche die politisch-soziale Opposition massiv unterdrückten. So blieben die Zivilgesellschaften unterentwickelt und Gegenbewegungen konnten sich nur in dubiosen religiösen Gemeinschaften entfalten. Diese kamen dann in Ermangelung einer wirklichen Opposition kurzzeitig zur Macht, bevor die abgewirtschafteten Eliten und Geldmonarchen die alte Ordnung wiederherstellten.

 

Auch die Grundlagen der Demokratie sind Besitzverhältnisse. Die Könige und Scheichs von Saudi-Arabien und den Öl-Emiraten scheffeln Milliarden Vermögen aus einem Land, dass sie durch ein Missverständnis ihr Eigen nennen. Mit diesen Despoten kooperieren die großen Weltkonzerne, die fast alle ihre Korruptionsaffären hatten. Die kleinen Despoten in Afrika und anderswo sind offensichtlich die Abkömmlinge eines egoistischen und raffgierigen Denkens, das in den reichen Staaten gezüchtet wird. Die Bürgerkriege in Afrika haben direkt  mit den Mauern zu tun, welche mit Glassplittern und Stacheldraht besetzt die Nobelghettos der Reichen von den Elendssiedlungen ihrer Landsleute trennen.

 

Wir beleben also durch unsere Interventionen nicht nur den Terrorismus, wir produzieren durch unseren Kapitalismus auch die inneren Ursachen für die dortigen Konflikte. Als industrialisierter Markt, der sich von Bereicherung ernährt und durch mächtige Konkurrenz beschleunigt und erhitzt wird, ist der Kapitalismus ein permanenter Kriegszustand – auch im Frieden. Aus einem Format der Übervorteilung und Missgunst entstehen auch im Privaten übergroße Konflikte. Und aus der institutionalisierten Profitgier erwachsen Widersprüche, die sich in den Kämpfen um Einflusssphären entladen und – wie Syrien zeigt – in einem wahrhaft babylonischen Kriegsgewirr enden können.

 

Weder die USA mit ihren wirtschaftlichen Dinosauriern, noch Russland mit seinen wildöstlichen Oligarchen, noch China mit seinem Staatskapitalismus, noch das schwache Europa befinden sich auf der Höhe ihrer Verantwortung. Sie verfügen nicht über genügend Kräfte des Ausgleiches, die nach Veränderungen hin zu friedensstiftenden Strukturen drängen. So haben sich die Mächtigen und ihre Generäle überall in der konfliktbetonten Welt gut eingerichtet. Es gibt zwar nur wenige Menschen mit einem Interesse am Krieg, doch diese sind sehr einflussreich.

 

Möglicherweise braucht der Frieden solche Gesellschaften, die weniger konfliktbetont sind als der globalisierte Kapitalismus. Es würde in diesem Aufsatz zu weit gehen, friedvolle Alternativen zu einem Konfliktapparat aufzuzeigen, der im Kern auf einem falschen Wachstumsbegriff beruht. Aber es ist interessant, dass inmitten des syrischen Gemetzels und gerade in von dem IS zerstörten Kobane ein gewagtes Experiment entstanden ist. Dort versuchen syrische Kurden, eine soziale, eine demokratische, eine feministische und religiöse Revolution zeitgleich durchzuführen. In ihrer Gegnerschaft zu dem Assad-Regime und ihrem Kampf gegen die Krieger des Islamischen Staates erhalten sie jedoch aufgrund ihrer eigenwilligen Alternative und der weltpolitischen Machtkartelle kaum Unterstützung. Die Kurden streben in ihren autonomen Gebieten Syriens keine Demokratie nach westlichem Muster an, aber auch keine Diktatur wie in Ägypten und kein Feudalsystem wie in Saudi-Arabien, sondern ein Experiment mit vielen basisdemokratischen Elementen, mit denen die verkrusteten autokratischen, feudalistischen und islamistischen Strukturen Arabiens vielleicht aufgebrochen werden könnten. Es ist ein ungewisses Experiment, doch gibt es keinen Grund außerhalb des allgemeinen Geschäftes, die Ölscheichs diesen Kurden vorzuziehen.

 

Ein Sonderfall wirtschaftlich geprägter Interventionen ist das Verhalten internationaler Konzerne und Hedgefonds gegenüber dem Agieren demokratisch gewählter Regierungen, wie beispielsweise den südamerikanischen Ländern. Die großen Wirtschaftskartelle lassen sich den Investorenschutz durch internationale Schiedsgerichte bestätigen. Solche ökonomischen Interventionen werden zunehmend durch Freihandelsabkommen (vgl. TTIP oder TISA) begünstigt. Doch wenn die lediglich von einer Aktionärsversammlung legitimierte Konzernspitze in Widerspruch zu den Interessen demokratisch gewählter Regierungen kommt, sollte das höhere Legitimationsniveau der letzteren gelten und einen besonderem Schutz erhalten.

 

 

  1. Die konfliktfördernden Schlagzeilen der Medien

 

Die Konfliktbegeisterung der Medien war stets ein wichtiger Faktor in der geistigen Mobilmachung, die vor den beiden Weltkriegen den Ausdruck blinder Kriegslust, bei manchen gar geistiger Vollnarkose, erreichte. Die elektronischen Hasspredigen islamistischer Extremisten setzen diese europäische Tradition leider fort.

 

Wenngleich nicht in der Form suggestiver Kriegspropaganda, sondern einer subtilen Indoktrination werden auch in den modernen, mediengesteuerten Demokratien Politiker von einer konfliktsüchtigen Öffentlichkeit zu Abenteuern, militärischer Gewalt und weiterer Aufrüstung gedrängt. Von wenigen Ausnahmen abgesehen wird dort zugunsten eines medienwirksamen Aktionismus die Seite des Konfliktes und der Eskalation, weniger die des Ausgleichs und des Friedens unterstützt.

 

Die Pressefreiheit ist ein hohes Gut. Sie lässt sich hoffentlich nicht durch Pegida und Terroranschläge unterdrücken. Doch sie hat die Tendenz, sich durch Chefredakteure und Marktanteile selbst zu begrenzen. Die Leitartikel und Kommentare deutscher „Leitmedien“ sind erstaunlich konform und bemühen sich bei einer gewissen Attraktivität der Themen nicht mehr um eine adäquate Abbildung der Wirklichkeit. Die Pressefreiheit ist besonders in außenpolitischen Fragen zu einem Mainstream-Journalismus verkommen, der von der Meinungsindustrie in geschliffener Sprache variiert wird. Und viele Bilder werden produziert, um sie vor das Denken zu schieben.

 

Es gibt eine Mitschuld der Medien an der Eskalation von Konflikten. Neben der politisch unterschiedlichen Ausrichtung der Blätter und Kanäle kann man eine allgemeine strukturelle Konfliktbetonung feststellen, die besonders bei den gewinnorientierten Medien ausgeprägt ist. Dort sind Ereignisse wichtig, die ein Konfliktpotential enthalten, das mit Werten der Sympathie und Antipathie unterlegt wird und eine bestimmte Parteinahme suggeriert. Die Zuschauer, Leser oder Hörer werden aufgefordert, in einem von den Medien selbst entmündigten Zustand des Nicht-Wissens Partei zu ergreifen. Und diese Konfliktparteien sind oft Konstruktionen der Medien.

 

Die Mediengesellschaft lebt von den Ereignissen. Wenn diese fehlen, werden Pseudo-Ereignisse erfunden. Nur der Frieden ist aus dieser Sicht kein Ereignis. Er ist der weiße Schnee von gestern.

 

 

  1. Behutsamkeit statt Schutzbefehl

 

Gewöhnlich schießen sich zuerst die Journalisten auf den Gegner ein, dann das eigentliche Militär, so beginnen Interventionen. Verschärfung und Zuspitzung sind Gegenteile von Behutsamkeit. Wie wir wissen, beginnen Kriege mit Unverständnis und Hass, mit einer Vergiftung der politischen Atmosphäre. Übertreibungen und eine Dämonisierung des Feindes gehören zur täglichen Eskalationsstrategie. Hass wird bereits gesät, wenn das Andere zum Fremden und das Fremde zum Minderwertigen deklassiert wird. Eine falsche Wortwahl, eine Übertreibung, eine bewusste Lüge, schiefe Vergleiche, die einseitige Beurteilung der Schuld usw. können zur Munition für das Töten von Menschen werden. Besonders heimtückisch ist, dass das Kartell der wechselseitigen Scharfmacher solange verharmlosend und täuschend vom Frieden spricht, bis die erste Kugel den Lauf verlassen hat, unerbittlich folgen dann die anderen.

 

Der Krieg ist hart und simpel, die Kugeln treffen nicht sanft. Ein Schießbefehl zum Schutz der Menschenrechte ist eine pathologische Geste. Zivile Krisenprävention, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung sind dagegen die Maßnahmen der Zivilisation. Nicht-gewaltgestützte Vorgehensweisen sind die einzig nachhaltigen. Ein dialogorientiertes Krisenmanagement kann Interventionen völlig ersetzen, wenn internationale politische Regeln durchgesetzt werden und ein wirklicher Verantwortungsdiskurs eingeleitet wird.

 

Es muss möglich sein, geschlossene Wahrnehmungssysteme zu überbrücken. Wie wird der „Feind“ das eigene Verhalten beurteilen und wie erkläre ich mir selbst den Gegner? Auch Terroristen sind nicht nur Terroristen, sie sind auch Menschen. Sie können verbohrte Gotteskrieger sein oder Verzweifelte und Gedemütigte, die ihre Familien unter den Bombentrümmern verloren haben. Es ist heute allgemeiner Konsens und entspricht der konfrontativen Rhetorik, dass der Islamische Staat (IS) eine barbarische islamistische Terrorbande sei. Ist er aber vielleicht auch noch etwas anderes? Gibt es kollektive Demütigungen oder historische Tatsachen, die man respektieren könnte, ohne die Gewalt zu akzeptieren? Ist ein Fünkchen Empathie für den schlimmsten Feind ein zu hoher Preis, wenn das Entgegenkommen eine Mordtat verhindern oder gar zum Schweigen der Waffen führen könnte? Frieden kann man nur mit den Gegnern machen, nicht ohne sie.

 

Heute besteht die Gefahr, dass jede Hilfsbereitschaft in Interventionsmechanismen umgewandelt wird und jede Krise und Sinnkrise in einem Aufruf zur Nachrüstung mündet. In Europa die Waffensysteme modernisieren, im Nahen Osten weiter Waffen hineinpumpen, das ist die Fortsetzung der militärischen Unlogik. Ihr steht die Rückkehr zu einem rationalen Denken jenseits der militärischen Konfrontationsstrategie entgegen. Es steht die Frage im Raum, wie wir Stück für Stück Territorien und Menschen von Waffen befreien und den Frieden nachhaltig machen können.

 

Konflikte brauchen eine zum Frieden neigende Bereitschaft zum Kompromiss, eine Hinwendung zum Interessenausgleich, eine Perspektivübernahme und ambitionierte Verhandlungen. Friedenspolitik muss Versöhnungspolitik sein. Die internationalen Beziehungen sollten unbedingt von Behutsamkeit geprägt sein. Behutsamkeit muss Form und Inhalt der Außenpolitik werden. Und Behutsamkeit muss auch in der Definition von Freiheit und Demokratie liegen, zumal dann, wenn sie militärische Legitimationsbegriffe sind.

 

Konfrontationskurs oder Versöhnungspolitik stehen zur Wahl. Wie kommen wir von der Verwaltung des allgegenwärtigen Kriegszustandes zu seiner Aufhebung im aktiven Frieden? Für diesen Frieden brauchen wir offensichtlich eine Umkehrung der Politik. Es hat sich gezeigt, dass das Militär doch nicht einzuhegen und zu zügeln ist. Es fehlt also vor allem Abrüstung, es werden nicht Waffen vernichtet, es wird weiter zugelassen, dass die Waffen weiter vernichten. Aber vor der Folie einer langen kriegerischen Geschichte könnte aus der Gewaltlosigkeit ein nachhaltiger und pazifistischer Gedanke erwachsen.

 

Weimar, im Januar 2015