Rahmen auf Sockel (Dresdner Leiste) (2003)

Rahmen auf Sockel
Zu den „Simultanen Perspektiven“ der Künstlergruppe Kooperative Kunstpraxis (Jens Herrmann, Wolfram Höhne und Andreas Paeslack)

Seitdem es moderne Kunst gibt, versucht sie, vom Sockel herunter zu steigen, doch es gelingt ihr nicht. Das hat Gründe. Ein Blick in die Vorgeschichte zeigt uns um 1900 einen Künstler, dem das Repräsentationsgehabe der alten Feudal- und der neuen Bürgerschicht unerträglich geworden war. Zusammen mit ihrem Machtanspruch hatten „die da oben“ auch die Kunst mit auf den Sockel hinauf gezogen. Dort war es dem Künstler zwar bequem und saturiert, doch auch abgehoben und irgendwie atmosphärisch verdünnt. Von diesem Sockel wieder herunterzukommen, das hieß, auf den Boden zurück zu kehren, das wurde als gleichbedeutend empfunden mit einer neuen Einheit von Kunst und Leben.

Was der Sockel für das Denkmal, das war der Rahmen für das Bild. Wie die Postamente zur Unerreichbarkeit hinauf wuchsen, so wurden die Rahmen immer größer und üppiger. Es schob sich immer mehr dieses bloß Repräsentative zwischen Bildinneres und Bildäußerem. Schon war dieses Drumherum, das die unmissverständliche Aussage enthielt, dass es sich hier um Kunst handelt, manchmal wichtiger als das eigentliche Werk. Da musste die schmale Leiste oder das rahmenlose Bild in der oppositionellen Moderne den Rang einer demokratischen Geste erhalten. Zwischen Bild und dem, was es umgab, war im Vollzug der Moderne (fast) nichts Trennendes geblieben. Kunst und Wirklichkeit waren wieder eine Einheit geworden. Oder?

Die Arbeit der Gruppe „Kooperative Kunstpraxis“ spielt mit diesem Widerspruch, indem sie ihn auf die Spitze treibt. In den „Simultane Perspektiven“ – eine Arbeit auf und im Pentacon-Turm des Technischen Museums Dresden – ist ein leerer, aber gewichtiger Rahmen auf einen riesigen Sockel – den Turm – gehoben, quasi die Duplizität der hohlen alten Repräsentationssucht. Der Sockel ist hoch und hohl zugleich – er ist eben ein Turm. Oben aber ist kein Reiterstandbild zu sehen. Der brave Bürger selbst darf das freilich zu groß geratene Postament besteigen. Oben angelangt, fühlt sich der Souverän nicht nur auf einem Sockel, sondern wähnt sich auch im Inneren eines bronzenen Rahmens, der ihn als Brüstung kreisförmig umgibt. Er befindet sich auf dem Sockel und innerhalb eines Rahmens, so muss er sich den Vorschriften nach doppelt als Kunst fühlen.

Mit den Rahmen wurden in der Moderne schon viele experimentiert. Dass er hier kein herkömmliches Kunstwerk umschließt, ist nicht besonders verwunderlich. Die der modernen Kunst adäquate Haltung ist das Staunen und ihr Elixier ist das Experiment. Kunst in der Moderne ist Erfindung von Kunst. Das fühlt inzwischen auch der heute nicht mehr verprellte, sondern wieder umworbene Kunstkonsument. Aus purem Egozentrismus denkt sich der Besucher – schon auf der Plattform stehend – als Bildinhalt in den auch als Geländer funktionierenden Rahmen hinein und könnte sich als Handelnder einer Performance fühlen. Doch auch eine andere Option ist vorstellbar. Danach würde der Beschauer in das Innere des Rahmens blicken, indem er darüber hinweg in die Landschaft schaut. Im Bild ist dann die Unendlichkeit der Welt, ausgenommen der kleinen Plattform des Turmes, die als Beobachterstation zwar im Ring, doch außerhalb des Bildes bleibt. Die Perspektive kann wechseln. Entweder stellen die Gäste der Plattform oder aber die Stadt Dresden, das Schloss, das Geburtshaus von Tante Frida, der Südpol und der Ural die Biidinhalte dar, entweder biegt sich der Rahmen konvex oder konkav. Aufschluss darüber, was in der erlebten Ambivalenz von außen und innen die richtige Sicht sei, gibt die Betrachtung der sogenannten „Dresdner Leiste“, doch diese Lösung des Rätsels ist nur den Kennern vorbehalten. Danach zeigt die Außenkante des historischen Rahmens ins Innere der Plattform, die Innenkante aber in das weite Rund der großen einzigen StadtWelt.

Die Arbeit der Gruppe deckt ganze Ketten von kontrapunktischen Argumenten auf. In nochmaligem Widerspruch zu der gerade beschriebenen Paradoxie steht die Ausgestaltung des Inneren des Pentacon-Turmes. Dort sind in einem trockenen, anti-barockenem Habitus die Bilder aus dem Leben selbst – eingereichte Fotos von Dresdner Amateuren – ins Digitale gescant, auf eine Tapete gedruckt und rahmenlos an die Wände geklebt. Oben fehlen den auratischen Garanten der Kunst – dem Rahmen und dem Sockel – die plausiblen Inhalte, hier fehlt den Fotos der konventionelle Hinweis auf Kunst. Das volle, pralle Leben aus Dresdens Straßen und Wohnzimmern ist nicht nur zu einem industriellem Papier verdünnt, es sind seine Abbilder auch so „kunstfern“ wie möglich behandelt worden – statt formaler Harmonie oder Eurythmie hat der Zufall lapidar und knöchern von der Oberfläche Besitz ergriffen. Nichts vermittelt zwischen der „Dresdner Leiste“ auf dem Sockel und der trockenen Fototapete. die keine Kunst sein will und doch keine Kunst nicht ist. Oder?

Mit den „Simultanen Perspektiven“ wird etwas endlich wieder mal unklar: Es gibt keine Antikunst. Entweder die Kunst kann nicht oder sie will nicht vom Sockel herunter. Vielleicht will sie aber in den Sockel hinein. Oder um den Rahmen herum. Eine intelligente Arbeit der Künstlergruppe „Kooperative Kunstpraxis“ aus Berlin, Dresden und Weimar.

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