Nachtrag zum 9. Bauhauskolloquium (2003)

Nachtrag zum 9. Bauhaus Kolloquium 2003

Architektur kann nicht sprechen und wenn sie es versucht, können nur Lügen herauskommen. Der Architekt kann als Gestalter aber etwas mehr als bloß das Objekt für die Wahrnehmung zurechtzustellen. Welche Ideen sollte denn Architektur auch aussprechen, wer fragt danach?
Es fehlt der Architektur das, was Kunst und Medien zur Verfügung steht: eine Sprache. Sprache der Architektur ist nur eine Metapher, gleichwohl können Bauformen etwas ausdrücken und gleichwohl ist Architektur auch ein Medium, aber das ist kein Kanal.

Ich vermute, die Architekten und ihre Kunstwissenschaftler werden mit dem Thema des Virtuellen so umgehen wie seinerzeit mit der Diskussion um die Postmoderne. Was sie damals verstanden hatten war, dass Architektur auf’s Feinste sprechen könnte, wenn der eklektische Fundus der Bauformen aller Zeiten und Regionen nur üppig als Zeichen und Vokabeln verwendet werden würde. Heute interpretieren Architekten das Virtuelle als oszillierende Lichteffekte, die man durch transparente Materialien und digital gesteuerte Leuchtquellen erzeugen könnte. Positiv ausgedrückt sind das moderne Raumillusionen, die zur Zeit des Barock nur anders aussahen. Doch der Begriff des Virtuellen hat eine ganz andere Dimension, auf die zu unserem Glück Jean Baudrillard aufmerksam gemacht hat. Das Virtuelle, als ein besonders Mögliches in die Architekturdiskussion eingeführt, würde eine neue Aussicht auf eine andere Architektur eröffnen, eine andere, als es das 9. Bauhauskolloquium geleistet hat. Viele Baiträge waren interessant, aber gegenüber dieser Dimension mehr als randständig. Architektur begreift und diskutiert man nicht technokratisch oder kunstwissenschaftlich, sondern nur als Architektur, in ihrer ungeheuren kulturellen, gesellschaftlichen und politischen Dimension. Aus dieser Tiefe heraus die medialen Charaktere der Architektur und die Krise ihrer selbst (nicht nur die ihrer Vermittlung) zu erforschen, wäre eine zentripedale Kraftentfaltung gewesen und dem historischen Bauhaus gemäßer, als das Kolloquium, wie es ein Freund formulierte, zu einem Sprachkurs umzufunktionieren.

Wenn mehr als zwei Drittel der Vorträge und die überwiegende Diskussionszeit in englischer Sprache verlaufen, wenn auch deutsche Muttersprachler sich untereinander englisch unterhalten, so hat das mit einer bestimmten Art von Globalisierung zu tun. Wenn Sprache die Wirklichkeit des Gedankens ist, dann ist die Verwendung des Englischen vor allem ein Indiz für den technokratischen und formalästhetischen Inhalt der Architekturdiskussion und deren Akzeptanz. In Europa sind wir es seit Vitruv gewohnt, Architektur in Gänze als kulturelles Phänomen zu betrachten und die öffentlichen und sozialen Implikationen zumindest ranggleich mit den technischen und formalen Aspekten zu behandeln. Die Diskussion zu führen, hat nicht nur den Nachteil, damit gewisse Denkstrukturen zu implantieren, sondern es bedeutet auch den Verzicht auf die Feinstrukturen des Diskurses, welche die Übersetzungen nicht leisten können. Die vermittlungsfähigen Inhalte werden dabei vereinfacht und stehen einer Ausdifferenzierung des Denkens im Wege, das Philosophische kommt zu kurz (Kompliment dem deutsch sprechender Baudrillard!). Es ist immer besser, die Redner kümmern sich um die Übersetzung, als die Dolmetscher oder die Zuhörer, die neben der Translation auch noch verstehen wollen. Nun werfe man mir keine Abschottung, keinen Provinzialismus und erst recht keinen Nationalismus vor, das wäre absurd, aber erst die Notwendigkeit, komplizierte Sachverhalte in der Muttersprache – und später in der Umgangssprache auszudrücken, bringt die Erkenntnisse zur Wirklichkeit zurück. Ich wünsche mir für das nächste Bauhauskolloquium mehr europäisches Denken im Ansatz, mehr sprachliche Vielfalt in den Konferenzpausen und mehr deutsch auf dem Podium.

Prof. Dr. Olaf Weber
30.04.03 (nicht veröffentlicht)

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