DER GAU (1999)

Olaf Weber
„DER GAU“

Heißt das Ding nun Karl-Marx-Platz oder Gauforum oder ist der Platz eine Allee, die Carl-August-Allee? Namen sind Glückssache, Babys wissen das. Auch der Name eines Platzes passt selten zu dem Raum, den er markiert. „Adolf-Hitler-Platz“ war einst bestens für den Platz, doch der Platz nicht für Weimar und der Name nicht für Menschlichkeit geeignet. Was also tun mit diesem namenlosen Ungetüm, das die Gemüter erhitzt?

Solche Namen wie „Museumsplatz“ oder „Wimaria-Platz“ sind hübsch und fein, aber der Geist dieses Ortes lässt sich so nicht bezeichnen, er heisst anders. Weil dieser Platz der Täter geradezu gewaltsam nach seinem Pendant schreit, sollte er eigentlich „Buchenwaldplatz“ heißen. Leider ist aber dieser Name schon vergeben.

Deshalb sind neue Argumente nötig. Die Architektur des Gauforums dominiert semantisch und materiell über das Museum. Sie ist so banal, dass man diesem gebautem Stumpfsinn nur durch eine überraschende Idee, durch ESPRIT begegnen kann. Aber woher Esprit nehmen? Leider sind die Mühlen der grossen Verwaltungen unabhängig von den Personen, die in ihnen walten, nicht zu Geistvollem geschaffen, so dass bei der Namenssuche auch im Superjahr 99 nur etwas Harmloses, also Unangemessenes herauskommen kann.

Ich will trotzdem einen aussichtslosen Vorschlag machen. Ich will dafür plädieren, das Ding „DER GAU“ zu nennen. Es ist kein (Gau-)Forum, aber es ist der GAU. Der Name ist kurz und eingängig. „DER GAU“ assoziiert natürlich das Gauforum der Nazis und soll das auch. Aber im „DER“ steckt ein überraschender Verweis auf etwas anderes. Der GAU ist bekannt als der „größte anzunehmende Unfall“ und ursprünglich auf Katastrophen in Atomkraftwerken gemünzt. Unser GAU aber ist mit dem grössten anzunehmenden Unfall in der deutschen Geschichte verbunden und er ist zugleich die grösste städtebauliche Katastrophe dieser Stadt. „DER GAU“ bezeichnet also haarscharf den Geist dieses Ortes, eben das moralische und städtebauliche Desaster des tausendjährigen Reiches. – Doch nein, ich ziehe diesen Vorschlag zurück, er geht zu weit – für Weimar.

20. 01. 1999

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