Zeitungs-Machen (1999)

Zeitungs-Machen
An den Chefredakteur der „Thüringer Landeszeitung“

Sehr geehrter Herr H. H.,

vielen Dank für Ihren Brief vom 05.01.99. Der Kern meines Leserbriefes war … eine Kritik an der Art, wie Sie in Ihrer Zeitung einige politische Themen behandeln. Doch während in diesem Lande jeder und jedes einer kritischen Bewertung ausgesetzt werden kann, sind es die Medien (besonders die Zeitungen) nicht, da sie selbst das Monopol dieser Offentlichkeit besitzen. Eine kritische Bemerkung ordnen Sie unter der Rubrik „Beschimpfung“ ein und fliegt unveröffentlicht und unbefolgt in den Papierkorb.

Sie haben sicher recht: Es ist schwer, eine Zeitung zu machen und dann… die Verantwortung. Verantwortung haben Sie nicht nur für den wirtschaftlichen Erfolg dieser Zeitung, sondern auch für das Funktionieren der Demokratie in diesem Lande. Die Massenmedien sind als wichtiger Meinungsbildner ein Machtfaktor geworden, der nur durch eine innere Ausgewogenheit und Vielfalt eine demokratische Legitimation erhält. Diese Ausgewogenheit und Vielfalt ist aber weder in Ihrer Zeitung noch in der Thüringer Presselandschaft insgesamt vorhanden. In Weimar wie in den meisten Thüringer Städten kann man nur zwischen der TA und der TLZ wählen, wenn man auf den wichtigen Lokalteit nicht verzichten will. Die eine ist aber konservativ-seriös-kosmopolitisch, die andere konservativ-neoliberal-provinziell orientiert. Die Mehrheit der Thüringer Wähler ist aber „links“ von diesem politischen Konservatismus angesiedelt und es ist festzustellen, daß es für sie keine publizistische Vertretung gibt. Wenn ich in meinem letzten Brief die politische Stimmungsmache zu DDR-Zeiten bemüht hatte, um die heutige politische Beeinflussung durch die Presse zu kritisieren, so verkenne ich natürlich nicht die Unterschiede. Ich bin froh über die formale Pressefreiheit im heutigen Rechtsstaat, aber sie ist schon deshalb formal, weil Zeitungen wirtschaftliche Unternehmen sind und deshalb zum Beispiel in Auseinandersetzungen mit den Gewerkschaften (vor allem, wenn sie wie der DGB-Vorsitzende in Thüringen links stehen) die Arbeitgeberpösition klar bevorzugen. Zeitungen müssen außerdem im redaktionellen und im Leserbrief-Teil ihren Inserenten zu Munde reden, weshalb es beispielsweise schwierig ist, ein kritisches Wort über die Automobilindustrie unterzubringen. Das sind übergreifende Probleme der Verflechtung von Privatwirtschaft und Meinungsindustrie, die für die Presse eine strukturelle Abhängigkeit bedeuten. – Die schöne Meinungsfreiheit wird jedenfalls durch den Block der Thüringer Zeitungen zu einer Freiheit für die Herausgeber karikiert. – Ganz abgesehen von der Unfreiheit untergeordneter Redakteure gegenüber ihren Vorgesetzten in den Redaktionsstuben, wie aus vielen Andeutungen solcher Mitarbeiter hervorgeht. Hierarchie und Freiheit sind eben schwer miteinander zu vereinbaren. Auf keinen Fall widerspiegelt das politische Couleur der Thüringer Zeitungen die Haltung der Bevölkerungsmehrheit, wie sie bei Wahlen zum Ausdruck kommt. Diese Diskrepanz nenne ich Manipulation.

Damit ist die Befürchtung der 89er Bürgerbewegung – es könnte massiv weiter manipuliert werden – offensichtliche doch eingetreten. Wie wir beide wissen, ist Manipulation die absichtliche Verfälschung von Informationen durch Auswahl, Zusätze oder Auslassungen. Ich weiß, daß es unmöglich ist, im politischen Bereich objektiv zu sein. Doch sollte das Basisangebot an Informationen so umfassend sein, daß sich der mündige Bürger (altmodisches Wort?) seine eigene Meinung bilden kann. Ich vergleiche an dieser Stelle die Ausführlichkeit, mit der Sie über Ereignisse bei den Thüringer Grünen oder aber bei den Liberalen berichten.

Verehrter Herr Hoffmeister, sie schreiben: „Es gibt keine Kampagne gegen ein mögliches Rot-Rotes Bündnis in Thüringen in der TLZ. Wohl gibt es eine Meinung. Und die äußern wir. Sie können auch ihre Meinung äußern. Andere Leser tun das auch. Die Äußerungen dieser Leser werden veröffentlicht. So einfach ist das.“ So einfach ist es aber leider nicht. Abgesehen von Leserbriefen, die Sie unter den Tisch fallen lassen, kürzen Sie sie unterschiedlich stark, sie plazieren sie unterschiedlich, versehen sie mit unterschiedlich treffenden und ins Auge fallenden Uberschriften usw. – kurz – Sie bearbeiten sie redaktionell. Ganz normal? Das wäre es, wenn Sie das alles nicht mit einer schwarz-gelben Brille tun würden. Und es geht nicht nur um Leserbriefe, in denen jeder seine Meinung äußern kann wie der Chefredakteur seine „Meinung“ äußert. Nein, Ihre politischen Farben schimmern durch jeden redaktionellen Beitrag und fast jeden Kommentar hindurch. Diese Farbdifferenz nenne ich Manipulation. Weil das so versteckt geschehen soll und doch so offensichtlich ist, erinnert mich das an die DDR-Presse, natürlich nicht wegen des Inhaltes. Ich will hier nicht näher auf eine inhaltliche Debatte anhand dieser oder jener Aussagen eingehen. Es ist nicht nur das Rot-Rote Bündnis, gegen das sie aus allen Rohren schießen, auch gegen grüne Bündnisse. Deshalb muß auch Weimar mies gemacht werden, wo ja Rot-Grün-Rot regiert. – Vergleiche die Berichte über die Silvesternacht in Weimar, die im überregionalen Teil außerordentlich negativ waren, im lokalen Teil, wo sie durch das eigene Erleben der Bewohner überprüfbar waren, aber sehr viel adäquater.
Herr Hoffmeister, Sie schreiben, es gäbe keine Kampagnen, doch welchen Ausdruck würden Sie für das wählen, was zur Absage der „Reden über Gott und die Welt“ geführt hat? Sie haben den Einfluß Ihrer Zeitung genutzt, um mit – verzeihen Sie das grobe Wort – antikommunistischen Argumenten aus der Mottenkiste ein wichtiges Kulturereignis zu Fall zu bringen. Die Weimarer Pastorin Else-Ulrike Ross hatte „neben großer allgemeiner Zustimmung zu der Reihe nur zwei Gegenstimmen“ in ihrer Gemeinde gehört. Sie bedauert, daß sich eine Minderheit von Dogmatikern so viel Gehör verschafft hat, daß die Landeskirche schließlich nachgegeben hat. Das war in der TLZ vom 6. Februar zu lesen, allerdings eben ganz klein und von fetten Anti-Schlagzeilen an den Rand rechts unten verdrängt. Zufällig? Sie haben eindeutig den Dogmatikern einen Vorzug gegeben. Sie haben Ihnen ungeheures Gehör verschafft. Das ist furchtbar. Das erschüttert mich, wo wir doch im Jahre 89 den Dogmatikern aller Weltanschauungen den Garaus machen wollten.
Genug damit. Gibt es eine Möglichkeit zu mehr Objektivität? Mehr will ich nicht.

Mit freundlichen Grüßen

Prof. Dr. Olaf Weber
13.02.1999

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert