Reize Weimars (1999)

Reize Weimars
Antwort auf einen Leserbrief (Thüringer Landeszeitung vom 11.03.99)

Wenn jemand Weimar als „touristenfeindlich“ scheltet, so muß er entweder einen driftigen Grund haben oder ihm geht es um Pauschalverdächtigungen wie „Unternehmerfeindlichkeit“, die aus einer bestimmten politschen Ecke gegen die Rot-Rot-Grüne Mehrheit im Weimarer Stadtparlament erhoben werden.
Es muß wohl des Weimar-Touristen Geheimnis bleiben, wie er vom Weimarer Busbahnhof quer durch die Innenstadt zur Marstallstraße gelangen konnte, ohne einen der Wegweiser zu den klassischen „highlights“ zu sehen. Nicht nur, daß er versäumte, seine „Blechkarosse“ an einem der Stadtrandparkplätze abzustellen oder in der nie besetzten und gut ausgeschilderten Tiefgarage zu verstecken, nein er will auch noch von seiner Parklücke aus direkt zum Goethe-Schiller-Liszt-Bertuch-Haus geleitet werden. Wer so etwas von Weimar erwartet, der hat diese Stadt gründlich missverstanden. Ihr Reiz liegt darin, dass man sie entdecken muss. Sie ist klein und fußläufig zu durchwandern. Sie erschließt sich dem Besucher, wenn er neugierig auf Entdeckungsreise geht – nicht aber, wen er mit der Nase auf das Weltbekannte gestossen werden will. Wer sich dieser Stadt nicht öffnen kann, der solle zuhause bleiben. Übrigens kann man sich auch mal von einer der vielen Hostessen an die Hand nehmen lassen.

Neben den fehlenden Hinweisschildern kritisiert Herr Streckel auch den „auf dem Bürgersteig festgetretenen Dreck und Unrat“. Nun gibt es auch in Weimar viel zu kritisieren, doch das gerade nicht. Ich finde es gerade befremdlich, daß diese Stadt mit ihren neuen Pflasterungen und Fassaden viel zu geschleckt aussieht. Ich freue mich, daß es auch im Kulturstadtjahr noch Baulücken, Baustellen, Unschönes und Unfertiges gibt. Das sind Merkmale von Lebendigkeit und Historizität, die für jede Stadt wichtig sind – auch für eine Kulturhauptstadt. Wer nach Weimar kommt, der sollte nicht das Perfekte, sondern das Anregende suchen, nicht das Reine, sondern das Poetische und nicht den geraden Weg, sondern den ungeraden.

Prof. Dr. Olaf Weber

in Thüringer Landeszeitung 16.4.99

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