Huren (1998)

Huren

Daß der Humandenker Eberhard Haufe auf seine alten Tage der bürgerlichen Scheinmoral auf den Leim gehen muß! Schade, schade, traurig. Daß es die käufliche Liebe in dieser unserer Sauber-Gesellschaft so maßlos und geschmacklos gibt, liegt daran, daß alles Käufliche so maßlos und geschmacklos zu haben ist. In die schöne Cranachstraße paßt sie nicht schlechter als anderswohin, zumal gerade der Verweis auf die Künstler-Avantgarde, die dort einst zuhause war, eher eine gewisse Affinität zum Hurenmilieu vermuten ließe. Nicht an der sogenannten Ehre von Kandinsky und Feininger sei gekratzt, aber das Anliegen der revoltierenden Künstler war es gerade, die lügnerischen Fesseln der herrschenden Moral zu sprengen. Deshalb suchten viele von ihnen die Nähe zu den Frauen, die freier dachten und doch so ausgebeutet wurden.

Wenn Stadtpolitik in dem Sumpf heutiger Prostitution überhaupt etwas unternehmen kann, dann wäre es der Versuch, dieses Milieu zu entkriminalisieren, das heißt, den Zusammenhang von Prostitution und Gewalt zu unterbinden. An erster Stelle müßte also der Schutz der Huren vor Zuhältern, anderen Herren und der kriminellen Vermarktung stehen, an zweiter die Überführung dieses Berufes in ein wirklich qualifiziertes Gewerbe. Ob dabei die soziale Kontrolle durch neugierige Nachbarn in den Toleranzzonen wirklich nützt, will ich auch bezweifeln. Wir sollten nach neuen Lösungen für ein menschheitsgeschichtliches Problem suchen – wohl wissend, daß die Formen der Prostitution ein Spiegel der ganzen Gesellschaft sind.

(in Thüringer Landeszeitung, 9.8.1998)

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