Nachtrag zum Verein zur Verlängerung des Jahres 1999 (2000)

Der „Verein zur Verlängerung des Jahres 1999“ war eine Fiktion, trotzdem realisierte er sich von allen meinen Veröffentlichungen als Botschaft am meisten.

Nachtrag zum Verein zur Verlängerung…
Alle fieberten dem Millenniumswechsel entgegen – und Sie wollten das Jahr 1999 verlängern, Herr Prof. Weber?

(Kulturjournal Weimar)

Ich gebe zu, es ist nicht gelungen. Wir haben den „VEREIN ZUR VERLÄNGERUNG DES JAHRES 1999“ erst zwei Tage vor Weihnachten gründen können. Ich wollte ihm einen internationalen Charakter geben und habe deshalb die New Yorker Künstlerin Elise Clark und den australischen Naturwissenschaftler Charles Newton für die Vereinsgründung gefunden. Die Aufmerksamkeit in den Medien war zwar ungeheuer groß, aber die Zeit war zu knapp. Nachdem die Meldung von der VERLÄNGERUNG DES JAHRES 99 durch ADN verbreitet worden war, konnten wir uns zwischen den Feiertagen vor Telefonaten nicht mehr retten (Ich habe allein mehr als 10 Radiointerviews gegeben).

Obwohl es klar war, daß die Meldung ein Zwitter aus Seriösem und Absurdem war, ist sie doch von den Medien wie eine heiße Zitrone aufgelutscht worden. Die Journalisten hatten wie viele Zeitgenossen offensichtlich den Eindruck, dass im alten Jahr noch einiges offen geblieben war. Was lag da näher, als das Jahr einfach zu verlängern! Man soll doch nichts Unerledigtes ins neue Jahr hineinschleppen! Und was privat gilt (z.B. habe ich ein Buch noch nicht fertig geschrieben), gilt auch gesellschaftlich: Das Jahr 1999 und mit ihm das ganze 20. Jahrhundert, die Moderne und das Industriezeitalter sind unfertige Projekte und auch irgendwie schief gelaufen. Das spüren viele der braven Mitmenschen. Der komische Verein hat also einen ernsthaften Hintergrund. Es herrscht angesichts der zunehmenden sozialen und ökologischen Probleme der Eindruck, dass wir zwar eine Menge an Wissen, Technik und Organisation angesammelt haben, dass aber im Laufe der Entwicklung einige Weichen falsch gestellt worden sind. Vielleicht müssen wir noch mal neu Anlauf nehmen und neu nachdenken. Zum Beispiel scheint im Auto das Problem der Mobilität nur als Karikatur gelöst zu sein. Die Freiheit der Medienkonzerne und die allgemeine Meinungsfreiheit scheinen sich zunehmend zu widersprechen. Manche vermuten auch, dass der Weg des Geldes vom Zahlungsmittel zum Machtinstrument und Lebensmittelpunkt einer der wichtigsten Gründe für die Probleme unserer Zeit ist. Und ist nicht Politikmüdigkeit ein Ausdruck dafür, dass es zu viel unkontrollierte, demokratisch nicht legitimierte Macht gibt?…

Die Vereinsgründung war also sowohl ein Jux, als auch die Metapher für ein Innehalten und für eine neue Nachdenklichkeit. Indem wir dazu aufriefen, das Jahr im Sinne eines Moratoriums für einige Momente anzuhalten, damit sich das unfertige Jahrhundert nicht einfach davonstehlen kann, wollten wir natürlich nicht einfach die alte Misere verlängern. Die Konservativen behaupten ja immer, die Zukunft habe schon begonnen, um die Notwendigkeit von Veränderungen zu leugnen. Wir sagen dagegen, die Vergangenheit ist noch nicht fertig. Nur wenn das 20. Jahrhundert als Aufgabe abgeschlossen wird, können wir neu anfangen. Nicht einfach weiter wursteln! Deshalb wollten wir den Millenniumswechsel zuerst wichtig machen und dann verschieben!

Die Vereinsgründer wollten die Kriterien für den Übergang ins nächste Jahrtausend und damit auch den Zeitpunkt für deren Erfüllung in einem öffentlichen Diskurs definieren lassen. Jeder Einzelne, jede Stadt, jedes Land sollte selbst bestimmen, wann das neue Jahrtausend zu beginnen hat. Das Ortsdatum würde Indiz für Fortschritt werden, die Zeit würde subjektiv, wir machten uns unabhängig von Kalendern und Computern. Wenn das Jahr 1999 noch eine Weile anhielte, würden wir kalendarisch auch nicht älter – nicht nur für das schöne Geschlecht ein verlockendes Angebot.

Bei solch tollen Perspektiven mußte sich der „VEREIN ZUR VERLÄNGERUNG“ als gefundenes Fressen für die Medien eignen. Versuchen Sie mal, lieber Leser, einen vernünftigen Gedanken in den Medien unterzubringen! Sie werden – das Weimar Kulturjournal natürlich ausgenommen – elend Schiffbruch erleiden! Verpacken Sie aber Ihre Vernunft in Nonsens, gründen Sie einen skurrilen Verein und sie finden viele offene Ohren und Zeitungsspalten!

Das Thema ist global. Der Verein hätte überall in der Welt gegründet werden können. Aber der Impuls konnte nur aus Weimar kommen. Im Kulturstadtjahr waren wir eben die besten. Die Gründung des „VEREIN ZUR VERLÄNGERUNG“ war das letzte Kulturstadtereignis – zwar außerhalb des offiziellen Programms, doch im offiziellen Zeitrahmen. Nach den Vereinszielen wäre es nicht das letzte gewesen, denn die Verlängerung des Jahres 99 hätte auch das Kulturstadtjahr gestreckt. Damit wären Geld und die Touristen weiter geströmt und auch die Kunstfest-Intendanz wäre kein Problem gewesen. Leider ist der Verein vielleicht aber nur die virtuelle Kopie einer imaginären Clique.

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