Olaf Weber
Einmal noch: Aufstieg und Fall
Neben der Ablehnung der von Daniel Buren entworfenen Rollplatz-Gestaltung durch eine desinformierte Weimarer Öffentlichkeit war der DDR-Teil der Ausstellung „Aufstieg und Fall der Moderne“ sicherlich der skandalöse Höhepunkt des Kulturstadtjahres. In der Mediengesellschaft braucht jedes enorme Kulturereignis offenbar solche Aufsehen erregenden Effekte. Doch war der Ausstellungsteil „Offiziell – Inoffiziell“ nicht nur späktakulär, sondern auch ein vorwärtsweisender Impuls? Er war es nicht. Ich will ein paar Gedanken aneinander reihen.
Normalerweise nehmen sich die Ausstellungsmacher gegenüber den Exponaten zurück: Das Ausgestellte ist das Wichtigste. Im Falle des DDR-Teiles von „Aufstieg und Fall der Moderne“ dagegen dominiert der Kurator, dessen Ausstellungskonzept extrem werthaltig ist. Fast könnte man sagen, er ist der eigentliche Künstler, die ausgestellten Werke dagegen sind die zu seinem Konzept gehörigen Dekorationen.
Ich habe nichts gegen unkonventionelle, mutige Ausstellungen. Zeitgemäße Expositionen sind inszeniert, sie brauchen den kreativen Umgang mit dem Material. Doch die Lockerheit muß auf profunden Kenntnissen, auf intensiver Auseinandersetzung und Einfühlsamkeit beruhen, sonst wird die Leichtigkeit zur Tünsche für Nichtbewältigtes. Es drängt sich überhaupt die Frage auf, ob man die Moderne so dezidiert beurteilen kann, wenn man ihr historisch noch angehört und ob man die DDR-Kultur bewerten kann, wenn man ihr nicht angehörte. Beide Aspekte würden zur Zurückhaltung mahnen. Statt dessen ist eine ideologisierte Kunst mit einer ideologischen Brille betrachtet und dabei eine Kunstausstellung ganz im Sinne der DDR-Kulturfunktionäre zu einer politischen Veranstaltung gemacht worden.
Es ist unbestreitbar, daß das Konzept eine Provokation gegen und ein Verriß der DDR- Kunst ist. An die abwertende Symbolik sei nochmals erinnert: Zur Ausstellung kommt man über einen „Holzweg“, in der liederlichen Hängung wird ein Sammelsurium von Bildern verramscht, die grauen Folienwände assoziieren so etwas wie Müllsäcke und der Titel „Aufstieg und Fall“ suggeriert einen Niedergang, der durch die räumliche Nähe zur Nazikunst zusätzlich pervertiert wird. Hinter all dem steht: Man muß es nochmal gesehen haben, aber mehr Mühe lohnt sich nicht. Noch weiter hinten steht: Außer dem grünen Pfeil hat die DDR-Diktatur nichts von Bedeutung hinterlassen. – Man kann dieser Meinung sein, doch um sie auszudrücken, sollte man keine Ausstellung machen, sondern einen Zeitungsartikel schreiben.
Diese normierte Westsicht ist natürlich einseitig. Doch wenn 10 Jahre lang (fast) ungestört die Legende verbreitet werden konnte, in der DDR hätte es überhaupt keine Menschenrechte, keine Mitbestimmung und keinen Wohlstand gegeben, dann darf man sich nicht wundern, wenn einer daherkommt und sagt, es gab auch keine Kunst. Insofern ist die umstrittene Ausstellung eine logische Folge des verfehlten Einigungsprozesses und seiner Mythenbildung.
In der Ausstellung ist ein Vorurteil über die Gesellschaft zu einem Vorurteil über deren Kunst gemacht worden. Das ist doppelt falsch: wegen des Vorurteils und wegen der simplen Übertragung.
Soviel zur Ausstellung, nun zur Kunst. In Frage steht das Verständnis für die Kunst einer anderen Kultur. Viele Kunstinteressierte im Osten haben die westliche Moderne erst dann begreifen können, als sie Joseph Beuys’ Fettecke durch eigenes Erleben in einen Bezug zur blütenweißen Sauberfraugesellschaft des Westens setzen konnten, als sie John Gage’s „4min.33sec.“ (eine Komposition, die vor allem aus Pausen und Stille besteht) mit der akustischen Umweltverschmutzung in den Medien, auf den Straßen und in den Kaufhäusern des realen Westens in Beziehung setzen konnten, und sie verstanden erst etwas von der sinnlichen Reduktion des „Minimalismus“ in der Kunst, als sie die Bilderflut und die ungeheure Allgegenwart der Werbung mit eigenen Augen erlebten. Jede Kunst gehört beziehungsreich zu der Gesellschaft, die sie hervorgebracht hat. Frei sind die Künstler vielleicht, aber nicht autonom. Keineswegs generell, sondern nur unter der Dominanz der Marktwirtschaft ist die Kunst von den grellen Bildern der Werbung, vom Säuseln der akustischen Stimuli und von Persil abhängig. Die DDR-Kunst hatte andere Bezugspunkte – egal, ob diese illustriert, kritisiert oder kompensiert wurden: Die Brigadefeiern, die Kleingartenidylle, die Friedenstaubenromantik… Sie hat eben statt Beuys und Sol leWitt andere Künstler – Sitte und Mattheuer – hervorgebracht.
Es ist richtig, daß die DDR-Kunst noch nicht die Probleme des digitalen Zeitalters, der Globalisierung und der Massenmedien bespiegelt hat. Dieses Zeitalter war hier selbst noch nicht weit genug gekommen und die Kunst wurde durch eine konservative Kulturpolitik an der Entwicklung einer modernen Begrifflichkeit von Kunst gehindert. Sie war aber weder eklektisch wie die Postmoderne noch selbstreflexiv wie die „Zweite Moderne“. Gerade deshalb hätte sie zum Problem von Aufstieg, Fall und Überwindung der Moderne befragt werden sollen.
Wer in der DDR gelebt hat, der weiß, welchen großen Stellenwert die Kunst als Propagandainstrument, aber auch als Medium gehabt hat. Zu den Kunstausstellungen nach Dresden sind die Zehntausende nicht nur getrieben worden, sondern auch aus eigenem Interesse gefahren. Aufmerksam wurden die Veränderungen gegenüber der letzten Ausstellung registriert und interpretiert. Die Maler waren in ihrer Mehrheit weder Apologeten der Macht noch Dissidenten, sondern kritische Künstler. Das Bild vom Keil der Inoffiziellen im offiziellen Panorama ist simpel. Die Ausstellung ist unhistorisch. Die 50er, 60er, 70er und 80er Jahre waren different. Themen, Handschriften, Stile, Programme gilt es zu unterscheiden. Genaueste Analysen sind notwendig, aber nichts ist geleistet.
Es ist gut, daß es diese Ausstellung gegeben hat. Wieder einmal ist von Weimar ein Signal ausgegangen, wie schon oft in der Geschichte ein negatives. Die Enge der Sicht kam diesmal aber nicht von den sattsam bekannten einheimischen Spießern, sie ist diesmal nach Weimar hineingetragen worden. Doch der Impuls kann umgelenkt werden – hin zur Arbeit an der Geschichte.
unveröff. Manuskript 8.8.99