Die Imitation der virtuellen Kopie. Das 2. und 3. Gartenhaus (1999)

Olaf Weber
DIE IMITATION DER VIRTUELLEN KOPIE –
Das zweite und dritte Gartenhaus

Das zweite Gartenhaus des Dichters hat die Frage aufgeworfen, was denn heute noch Original, was Kopie sei. Was ist auch Imitation, was ist Authentisches, was Virtuelles? Das doppelte Häuschen steht zwar da und ist zu betreten, doch nicht die Besucherkapazität, sondern die Frage, was wir von dem, was wir wahrnehmen noch glauben können, ist des Hauses Kern. Im Überdenken unserer herkömmlichen Vorstellung von „echt“ und „unecht“ rühren wir an Grundlagen der Wahrnehmung in unserer medialisierten Welt.

Zunächst ist wohl offensichtlich: Das von dem berühmten Alten geschätzte Haus im Park (knapp über der Überschwemmungsgrenze der Ilmaue) ist ein Original. Der Begriff „Original“ ist aber nur sinnvoll in Bezug auf eine Kopie, also macht erst der Nachbau das ursprüngliche Gebäude zum Original. Dieses ist auch nur deshalb echt, weil es einen Maßstab geben muß, der den Nachbau zum Unechten stempelt. Der Nachbau ist ein relativ genaues materielles Abbild des Originals, also offensichtlich eine Kopie. Die Kopie wäre aber nur dann eine Imitation des Originals, wenn sie den Vorsatz der Täuschung enthielte, wenn sie ein (billiger) Ersatz des Originals sei. Eine imitierende Gestaltung versucht immer etwas vorzutäuschen, was in dieser vorgetäuschten Art nicht vorhanden ist. Das zweite Haus als Ganzes imitiert aber nicht, da es sich nicht für das Original, sondern eindeutig für eine Nachbildung ausgibt. Das beweisen schon die räumliche Nähe und das simultane Erleben beider Häuser. Trotzdem ist Imitation im Spiel, nämlich dort, wo die originalen Bauteile in anderen (modernen) Baustoffen ausgebildet oder wo neues Material mit Spuren der Alterung versehen wurden.

So ähnlich beide Gebäude sind, so verschieden ist aber ihr Sinn. Das eine atmet die Historizität des Ortes, das andere ist ein Spiel mit den Möglichkeiten der Geschichte. Das Erste ist authentisch, das Andere unterliegt den Codes der Ironie und der Reflexion. Beide sind völlig unterschiedlich und ich habe schon den Eindruck, dass sie sich beide brauchen.

Das dritte, virtuelle Gartenhaus ist nur auf den Monitoren von Computern zu sehen. Es ist ebenfalls eine Kopie, nur besteht sie nicht aus einer dem Original ähnlichen Stofflichkeit, sondern in einem anderen Aggregatzustand, nämlich im Zustand der digitalen Information. In diesem Zustand ist sie keineswegs nur imaginär, sondern real vorhanden. Dieses Bild eines Hauses ist auf einem Datenträger gespeichert, es existiert. Das dritte ist wie das zweite eine Kopie des ersten, doch befindet es sich auf einer anderen Realitätsebene. Unsere praktischen und sinnlichen Aneignungsmöglichkeiten dieser Realität sind eingeschränkt. Wir können es weder betreten noch anfassen oder riechen. Es ist nur zu sehen – und zwar in der Begrenztheit des Kanals, es ist vor allem nicht in der Bewegung des eigenen Körpers zu sehen, obwohl die Interaktion der Hand die Raumbewegungen simulieren kann. Die eingeschränkte Wahrnehmung trifft allerdings auch auf Objekte zu, die wir im Film oder im Video sehen. Auch dort ist unsere Beziehung zum Dargestellten auf das Visuelle begrenzt. Das virtuelle Bild ist aber keine direkte Reproduktion von etwas Wirklichem wie es die Fotografie oder der Film sind, sondern es ist eine informationstechnologische Konstruktion, d.h. ein Gebilde, das vor allem erfunden ist und die Ähnlichkeit mit etwas Anderem nur einem bewussten Akt der Simulation verdankt. Wenn es eine Ähnlichkeit hat, so ist sie ausgedacht und erzwungen. Der wesentliche Unterschied besteht in der Bilderzeugung. Die virtuellen Bilder folgen unserer Vorstellung, unserer Imagination und Phantasie und nur dann der Wirklichkeit, wenn dieses Folgen Intention ist. Virtuelles erfährt seine Endlichkeit aus den Grenzen unserer Erfindungskraft und dem Entwicklungsstand von hard- und software. Die virtuellen Figuren und Handlungen sind der Wirklichkeit gegenüber ähnlich frei wie diejenigen in den Romanen und Erzählungen des Gartenhausbewohners, nur sind sie als Bilder, nicht als Schrift vorhanden. Mit den elektronischen Medien wird die Phantasie der Worte in eine Phantasie der (beweglichen) Bilder übertragen. Elektronische Bilder haben mit Fotos und Filmen den Realitätsanschein gemein, mit der Literatur aber die Leichtigkeit der Erfindung.

Das zweite Haus ist also ein burlesker Ort, das dritte aber ist Literatur, jedenfalls als Technik.

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