Grass meldet sich zu Recht (2012)

Grass meldet sich zu Recht

Unsere Chefpolitiker und Chefkommentatoren verstehen nicht, dass Literatur keine Äußerung eines Politikers sein will, sie vergessen, dass die Kunst in dieser Stromlienienzeit nicht ausgewogen, sondern unangemessen und kantig sein muss. Sie wollen nicht wahrnehmen, dass es außerhalb ihrer Gedankenwelt ganz andere Denkweisen gibt, die unbedingt gebraucht werden. Es ist richtig, dass Grass die Erstschlagphantasien Israels brandmarkt, weil wir tausendfach von den Atomphantasien des Iran informiert werden. Es ist richtig, die Finanzierungsschleifen der Banken und Reichen untereinander als Geldverschwendung zu entlarven, weil wir von der vermeintlichen Opfergabe des deutschen Steuerzahlers für die faulen Griechen übersatt informiert sind. Literatur und Kunst müssen etwas davon leisten, was die Medien uns verleiten.

Zum Weinen ist die Anmaßung, mit der einige aalglate „Wirtschaftsexperten“ den Kunstcharakter der neuen Gedichte von Grass bestreiten. Sie können sich nicht für eine Textsprache öffnen, die von Menschenhand und Mitgefühl geschrieben wurde – zum Beispiel diesen wunderbaren Text über Griechenland und Europa.

Und ich muss auch an die großartige jüdische Lyrikerin und überlebende des Holocaust Nelly Sachs denken, die in ihren Gedichten tausendmal näher dem Geiste von Grass steht als den heutigen Militärs, die behaupten, mit Bomben Menschenrechte zu verteidigen.

Ich wünsche mir sehr viel mehr von „grassen“ Beiträgen.

Olaf Weber, Weimar
Mai 2012, unveröffentlicht

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