Olaf Weber
Künstlerschiff: Muße vertilgt Öde
– Ein Text für eine nicht stattgefundene Performance mit 3 Tänzern. Ein Projekt auf dem Schiff Naumon des Carlos Padrissa, im Hafen von Köln Mai 2011
Muße ist das Gegenteil von Turbo, von Erwerbsarbeit, aber auch von deren Mangel. Muße ist da, um nicht faul sein zu müssen. Faulsein ist an die Erwerbsarbeit gekettet, ist selbst Arbeit. Erzwungene Nicht-Arbeit ist auch Muselosigkeit. Arbeit zu Freizeit ist wie Unterhalt-Industrie zu Unterhaltungsindustrie. Also kein Ausblick auf Muße.
Stumpfsinn und Muße sind im Nichtstun dasselbe und gerade darin das Gegenteil, denn Stumpfsinn ist Verlust, Muße aber Gewinn an Zeit.
Muße ist kein Nichtstun, sie ist das Gegenteil, das Erzittern der eigenen Quarantäne. Muße ist eine Innerlichkeit des Tuns, zunächst ein Kappen aller Fallstricke und Spinnennetze. Die Ohren zum stummen Gehör der Zellen beschneiden. Korpuskel und Schallwellen löschen. Die alten werte und worte vergraben, keine Grübel-Gedanken, keine Illusionen und keine falschen Hoffnungen. Hau ab mit Sentimentalitäten und Esotherik, den Gewürz-Mühlen der Fühl- Gefühle. Meditation ist vielleicht ein großer Duft, der als olfaktorische Erkenntnis detonieren kann.
Die Muße kennt überhaupt keinen Gegen-Stand, sie ist Lächelndes, verstehendes Schwelgen im Schönen,. Das Ohr und den Verstand wieder ankleben, ganz sanft. Der Muße fehlt jede Strenge und Anstrengung. Schwitzen ist auch als Wort hässlich. die Leichtigkeit des Denkens kommt aus dem Fühlen der Füße.
Muße führt zu einer Übereinstimmung mit der Zeit. Wer die Zeit in sich hineinlässt, der ersetzt das Ticken der Uhr durch das eigne Atmen. Muße will keinen zeitlichen Wechsel mit Unrast, keine Pendelbewegungen zwischen dem arbeits-Stress und dem „wochenendlichen Crashkurs Meditation“. Muße will sich auf das ganze Leben ausdehnen, das sich als eigentümlicher Wohlstand erfüllt, als Zeitwohlstand.
Muße ist Genuss, vor allem Selbstgenuss. Im eigenen Maße der Zeit, in den inneren Amplituden, im Rhythmus der Geburt und der Logik. Aber Muße ist der Genuss der Genügsamkeit. Nur das sich selbst genügende Leben schafft Raum für Höhepunkte jenseits von völlerei und Askese. Ein mußisches Pendeln genügt als Wille zum Wechsel. So entsteht Lust auf Lust.
Was die Kontemplation nach innen, ist die Behutsamkeit nach außen. Beide sublimieren die Organe. Muße befördert die Sensibilisierung der Zeit. Statt dem „rasenden Stillstand“ die oszillierende Stille.
Muße ist ein zweckfreies Treiben, ein Spiel mit Musen. Sie will die Leichtigkeit mit auf den tiefen Grund nehmen. Dort grummelt Ungeahntes, die Muße wird zum Lebendigsten, zur Negation . Die Kreativität kriegt energische Hiebe und schöpft. So tief, so radikal, bis zum Humus. Nur die Künste steigen wieder auf.
Kunst ist Schmuggel. Kunst schmuggelt die Dauer in alles andere, Das braucht und braucht Zeit. Kunst verlangsamt, Design beschleunigt. Design ist nur akzeptabel, wenn es die voraussetzungen für Muße verbessert, Kunst nur, wenn sie die Muse dem Leben opfert. Subversives ist das, was entschleunigt. Nichts anderes. Entschleunigung.
Im dauerstreß kann Behinderung ein Maß für Muße sein. Blinde und Lahme verlangsamen die Zeit, sie sind Apologeten der Muse. Muße ist also Blindheit, aber mit einem Apparat für das Schöne.
nieder mit der Ökonomisierung der Intervalle. Wer etwas tut ohne es zur Muße hin umzu-funktionieren, der nimmt nur anderen die Arbeit weg. Die mechanische Zeit der Aktionäre läuft und läuft. Die Täter produzieren Zeitnotstand, wir fordern Gelassenheit. Nicht handeln. nichts verschlechtern. nicht wirken. Unsere Muße den Akteuren des Profites aufzwingen, das riecht nach blutvergießen.
(unveröffentlicht)