Podiumsgespräch / Statement zum Thema Architektur und Demokratie (2009)

mit Prof. Dr. Olaf Weber, Helmut Seemann und Dr. Helmut Orpel
am 03.10.2009 im Kinosaal des mon ami Weimar

Weimarer Rendevous mit der Geschichte 2009
Podiumsgespräch zum Thema „Architektur und Demokratie“

Statement von Olaf Weber

Wir haben den Auftrag, auf dieser Bühne über das Thema „Architektur und Demokratie“ zu diskutieren und ich möge – so heißt meine spezielle Aufgabe – als Mann des Ostens dieses Verhältnis auf die DDR projizieren. Ich will das gern mit ein paar Sätzen versuchen, doch muss ich zunächst einige Worte über den Begriff „Demokratie“ verlieren. Demokratie ist nämlich ein hohes Gut und zugleich eine Worthülse, die man zu allerhand Schindluder missbrauchen kann. „Demokratie“ gehört zu jenen Begriffen, die man nur gebrauchen darf, wenn man sich zugleich um ihren Inhalt bemüht, ihn schärft.

1. Demokratie ist …
Kern einer jeden Demokratie ist nicht der Akt der Wahl oder Abstimmung, sondern der freie und ungehinderte Wettbewerb von Ideen zur Verbesserung der Gesellschaft. Die Jury in diesem Wettbewerb ist das mündige Volk, das möglichst qualifiziert entscheidet, indem es aus der Situation, den eigenen Interessen und vorhandenen Optionen die geeigneten auswählt. Die besten Ideen werden so zur Regierung. Voraussetzung für dieses Ideal von Demokratie ist, dass es tatsächlich einen großen Freiraum für die Entwicklung von Ideen gibt, dass sich diese auch angemessen verbreiten können, dass sie auf mündige Bürger treffen, eine faire Wahl stattfindet und die gewählten Ideen mit einer durchsetzungsfähigen Exekutive ausgestattet sind, die gegenüber den demokratisch nicht legitimierten Kräften resistent ist.
Im Westen ist die Demokratie heute weniger durch Tyrannen oder das Militär bedroht, sondern durch das große Geld und die schwerreiche Wirtschaft. Das Kapital verfälscht durch Lobbyarbeit und durch das Eindringen in viele öffentliche Bereiche und Medien das Ergebnis. In den westlichen Demokratien ist oft nur die Abstimmung sauber, während davor die Medienmanipulation und nachher die Lobbyarbeit den Volkswillen verfälschen. Wo das Sprichwort „Geld regiert die Welt“ gilt, dort wird Schritt für Schritt die Demokratie ausgehöhlt. Die fortschreitende Ökonomisierung der Gesellschaft hemmt die Entfaltung der Individuen und schafft solche Reichtumsunterschiede, die der Demokratie abträglich sind. Der Höhenflug der Dividende und der Wahrheitsdiskurs der Demokratie schließen sich gegenseitig aus. Privatisierungen von zentralen öffentlichen Bereichen (Post, Bahn, Banken, Gesundheitswesen … Bildung) entziehen den zur Regierung aufgestiegenen „besten Ideen“ den Gestaltungskörper, eine solche Privatisierung ist undemokratisch. Eine durch Geburt und Geld „legitimierte“ Obrigkeit darf keinen Einfluss auf die Volkssouveränität haben.

2. Architektur und Demokratie stehen in einem prekären Verhältnis zueinander.
Architektur ist Produkt der Bauwirtschaft, Repräsentationsmittel und vor allem die dritte Haut des Menschen. Diese umschließt nicht nur seinen physischen Leib, sondern auch seinen sozialen Organismus. Städte sind Jahrhunderte überdauernde Gebilde, die Bewohner können über diese Hinterlassenschaft (glücklicherweise) nur eingeschränkt verfügen, manipulant ist jeweils nur ein Bruchteil der Baumasse einer Stadt. Trotzdem muss Bauen eine öffentliche Angelegenheit sein (Hannes Meyer). Diese Öffentlichkeit steht oft im Widerspruch zu privaten Interessen von Grundstückseigentümern und Investoren. Ein freier Markt wirkt sich erfahrungsgemäß verheerend auf die Qualität menschlicher Siedlungen aus. Stadt- und Raumplanung sind wichtige Mittel demokratischer Entscheidungsfindung. Allerdings bringen absolutistische Herrscher nicht unbedingt eine schlechte, Demokraten nicht notwendig eine gute Architektur hervor, aber Demokratie sorgt für den räumlich-strukturellen Interessenausgleich der Gesellschaftsteilnehmer. Die Stadtqualität hängt offenbar sehr vom richtigen Verhältnis nachhaltiger Planung und dem konkreten, aktuellen Baugeschehen ab. Unter ästhetischem Aspekt können Gestaltungssatzungen und Gestaltungsbeiräte Schlimmes verhindern, aber auch sehr Gutes, sie sind oft nur Garanten des Mittelmaßes.

3. Baudemokratie in der DDR?
Ein historisches Foto aus den frühen 60er Jahren zeigt Walter Ulbricht in dem Moment vor dem Modell des Berliner Stadtzentrums, als er ein Hochhaus gerade an einem „günstigeren“ Ort platziert. Es ist ein Dokument des ideologischen Absolutismus. In der DDR herrschte in allen wichtigen politischen und wirtschaftlichen Fragen eine obere Stelle der SED. Nur in den unteren Entscheidungsebenen am Arbeitsplatz oder im Wohngebiet gab es eine eingeschränkte Mitbestimmung – zum Beispiel über die Lage der Bushaltestelle, oder die Ausstattung der Kinderspielplätze. Die größte Bürde war aber die von der Regierung sich selbst auferlegte Diktatur der Plattenbautechnologie. Sie blockierte nicht nur ein behutsames Bauen in den Innenstädten, sondern verhinderte auch jede Art der praktischen Partizipation auf der Baustelle. Jeder künftige Mieter wurde mit seinem Engagement dort nur als Sand im Getriebe empfunden. Die gute polytechnische Bildung der DDR-Bürger blieb ökonomisch und ästhetisch ungenutzt. Die Monotonie des Plattenbaues war der direkte Ausdruck der ihn hervorgebrachten gesellschaftlichen Verhältnisse. Ungeprüft wurde angenommen, dass sich der moderne Mensch in den alten Wohnhäusern nicht wohlfühlen könnte, sie wurden deshalb dem Verfall und Abriss preisgegeben. Die Industrialisierung des Bauens wurde nach den Maßstäben der allgemeinen Industrieproduktion – also der von Kaffeemaschinen und Fernsehgeräten – durchgeführt. Weder das Wissen vom Haus als dritter Haut des Menschen, noch die Besinnung auf Historie und Landschaft, also den „genius loci“ konnten in die Baupolitik einfließen. Die städtebauliche Planung, die auf private Eigentumsverhältnisse kaum Rücksicht nehmen musste, war mit dem Modell des komplexen Wohnungsbaues allerdings erfolgreicher als vergleichbare autogerechte Einfamilienhaus-Siedlungen im Westen.
In der ersten Hälfte der 80er Jahre entstanden einige fachinterne Blätter, in denen Keime einer Demokratisierung des Bauens angelegt werden konnten. In den letzten Jahren der DDR gründeten sich in mehreren Städten Bürgerinitiativen, die meist in den Innenstädten den Abriss gefährdeter Bausubstanz verhindern wollten, zum Beispiel die Initiative „Rettet die Schelfstadt“ in Schwerin.

Resümee: Das generell fehlende demokratische Mitspracherecht und besonders die völlig brachliegenden Partizipationsmöglichkeiten verhinderten im Zusammenwirken mit einer technologischen Diktatur des Plattenbaues und einer unhistorischen Architekturideologie, die ein Haus nicht als variablen Typus, sondern als standardisiertes Produkt verstand, eine humane Architektur und machte den Planungsvorteil des Systems zunichte.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert