Ein dezentrales Bauhaus-Museum für Weimar (2009)

Ein dezentrales Bauhaus-Museum für Weimar

Weimar diskutiert schon quälend lange über den möglichen Standort für ein neues Bauhaus-Museum, nachdem die Finanzierung dieses Museums seit längerem gesichert ist. Während die Klassik Stiftung Weimar den Standort am Theaterplatz favorisiert, spricht sich die Bauhaus-Universität Weimar für die Nähe zur Universität aus. Zuletzt kam wieder die Mensa am Park in die Diskussion zurück, die zwischenzeitlich sowohl von Hellmut Seemann, Präsident der Klassik Stiftung Weimar, als auch von Prof. Dr. Gerd Zimmermann, Rektor der Bauhaus-Universität, als möglicher Ideal-Standort genannt wurde. Das Kulturjournal Mittelthüringen sprach mit Professor Olaf Weber – seit kurzem emeritierter Professor für Ästhetik an der Bauhaus-Universität Weimar – über die Planungen zum neuen Bauhaus-Museum. Der gebürtige Dresdner hat in Weimar Architektur studiert, promovierte 1974 über „Architektur als Kommunikationsmittel“, seine Habilitation (1987) behandelte das Thema „Die Funktion der Form“. Ab Frühjahr 1991 war Olaf Weber Leiter einer Arbeitsgruppe zur Gründung der Fakultät Gestaltung an der damaligen Hochschule für Architektur und Bauwesen Weimar, 1993 wurde er zum Professor berufen. Die Laudatio zu Olaf Webers Emeritierung spricht von seiner „echt philosophischen Lebenshaltung“. Daß damit auch die ihm eigne Selbstironie inbegriffen ist, weiß man in Weimar nicht erst seit seiner Beteiligung an dem von Naomi-Tereza Salmon und Lucian Patermann organisierten Kunstprojekt „Ich kann kein Bauhaus mehr sehen!“. Mit dieser Lebenshaltung gelingt es ihm, die große Herausforderung seiner inzwischen eingetretenen Blindheit zu meistern.

KJ: Die Finanzierung des neuen Bauhaus-Museums in Weimar ist derzeit gesichert. Es bleibt zu hoffen, dass sie durch eine endlose Standortdiskussion nicht doch wieder in Frage gestellt wird. Wie schätzen Sie die jüngste Diskussion ein, wonach wieder der zwischenzeitlich schon verworfene Standort Mensa am Park ins Spiel gebracht wird?

Grundsätzlich ist ein Standort in Nähe des Gründungsortes, also der heutigen Bauhaus-Universität, zu begrüßen. Nun ist es leider so, dass in den letzten 15 Jahren keine Reservefläche für so ein Museum im Bereich der Geschwister-Scholl-Straße oder in der Nähe ausgewiesen worden ist. Man hat sich die ganze Zeit auf den Theaterplatz konzentriert. Zwischendurch war dann auch einmal der Parkplatz vor dem Hotel Elephant durch einen privaten Investor im Gespräch. Nun ist als Standort in Universitätsnähe quasi nur noch die Mensa möglich, was aber aus verschiedenen Gründen auch ein prekärer Standort ist. Denn es muß wahrscheinlich ein Stück vom Park beansprucht werden und damit ein Stück Weltkulturerbe. Zudem müßte eine neue Mensa bei vollkommen offener Finanzierung gebaut werden. Dass dann die alte Mensa abgerissen würde, halte ich für ein prinzipielles Problem. Sie ist ein Gebäude, das zwar nicht ideal ist, aber doch einigermaßen funktioniert. Sie könnte auch modernisiert und so verbessert werden. Der Abriss ist auch aus ökologischen und historischen Gründen ein Problem, weil die Mensa eines der wenigen innerstädtischen Bauwerke ist, das aus der DDR-Zeit stammt. Außerdem ist ein Museumsbau heutzutage meistens ein fensterloses Gebäude. Die Museumsleute wollen gar keine Fenster haben, sondern ihre Räume künstlich beleuchten und belüften. Fenster stören da nur. Doch das Schöne an diesem Standort ist erklärtermaßen der herrliche Blick in den Park hinein. Diese ganz besondere ästhetische Erlebnisqualität würde man sich an diesem Standort vergeben.

KJ: In der Diskussion um das Bauhaus-Museum ist dieser Aspekt bisher kaum aufgetaucht. Ganz im Gegenteil war die Rede vom „Bilbao-Effekt“ und der Hoffnung, dass allein schon wegen der Architektur des Museums Besucherscharen nach Weimar pilgern würden. Könnte ähnlich wie in Dresden dann Weimar auch die Aberkennung des UNESCO-Welterbestatus drohen, wenn in unmittelbarer Nähe des Parks ein möglicherweise fensterloser Kasten als neues Bauhaus-Museum hingestellt wird?

Die Gefahr besteht durchaus. Von engagierter Denkmalschutzseite wurde schon beim Neubau der Mensa Anfang der 1980er Jahre protestiert, weil damals auch schon Teile des Ilmparks umgenutzt wurden. Man weiß nie, wie dann letztlich darauf reagiert wird. Sicherlich würde ein denkbarer Kompromiß kein simpler Kasten sein.

KJ: Haben Sie auch aus diesen Gründen die Idee eines dezentralen Bauhaus-Museums ins Spiel gebracht?

Beide Institutionen, die Klassik Stiftung und die Bauhaus-Universität, haben natürlich Interesse an einem repräsentativen Gebäude, was auch verständlich ist. Ich glaube allerdings nicht, dass die Hoffnung auf den „Bilbao-Effekt“ – ein renommierter Architekt erzeugt eine hohe Attraktion – das richtige Konzept für ein Bauhaus-Museum ist. Da kommen wir sofort in eine grundsätzliche Diskussion darüber, was das Bauhaus heute bedeutet. Was ist eigentlich Avantgarde heute? Das ist doch die zentrale Frage. Nur ein Museum hinzubauen, was dem historischen Faktum einen Ort gibt, reicht nicht aus. Aber heute im Sinne des Bauhaus, dh. in der Radikalität des Bauhauses von damals, das sich immer wieder erneuert hat, eine Lösung zu finden, wäre auch der Bauhaus-Universität angemessen, die für die Zukunft ausbildet, forscht und lehrt.

KJ: Das wäre tatsächlich ein gänzlich anderer als der historisierende Ansatz, wonach es kein Zufall sei, dass das Bauhaus ausgerechnet in Weimar gegründet wurde und eine direkte Linie von der Klassik zum Bauhaus gezogen wird.

Ein historisches Museum mit einem Rückblick auf eine bestimmte Zeit würde dem Bauhaus ganz und gar nicht entsprechen. Das Bauhaus hat mit allem gebrochen, was zu brechen möglich war, und zwar in einem kulturrevolutionären Akt. Der Erste Weltkrieg war vorbei, das Kaiserreich erloschen und danach kam der ungeheure Aufbruch in die Zukunft. Das war das Wesen des Bauhauses! Dieser Aufbruch bestand zu einem wichtigen Teil aus einem ästhetischen Programm. Es gab natürlich noch andere Neuerungen, etwa die Bauhaus-Pädagogik und die Konzeption des Umgangs mit Technik und Material. Der so genannte Bauhaus-Stil war dennoch sehr wichtig. Er hat die neue Wahrnehmung mit einer ganz neuen Lebenshaltung verbunden.

KJ: Wie läßt sich all dies praktisch in die Idee eines dezentralen Bauhaus-Museums umsetzen?

Die Idee geht davon aus, dass das Bauhaus keine Einheit war, sondern aus verschiedenen, sich widersprechenden und teilweise gegeneinander agierenden Einrichtungen und Teilbereichen zusammengesetzt war. Auch deshalb entspricht es nicht dem Grundgedanken, wenn man jetzt ein großes Gebäude nimmt und sagt: Das ist das Bauhaus. Man hat damals alle drei Jahre das Programm geändert, es gab einen ständigen Wechsel, eine dauernde Provokation und einen permanenten Neuanfang. Das würde durch einen solitären Bau gar nicht ausgedrückt werden können. Zudem ist Weimar dadurch geprägt, dass es aus wunderschönen Strukturen mit attraktiven Häusern als Ensemble besteht, die Einzelgebäude aber gerade nicht dominieren. Die gesamte Innenstadt steht deshalb unter UNESCO-Schutz und Weimar ist für Touristen fußläufig sehr gut zu erschließen. Das sollte man nutzen und auf ein großes Gebäude verzichten. Stattdessen könnte man sich für diese Widersprüche und Partikel des Bauhauses stark machen, die über die Stadt verteilt sind. Da können wir teilweise auch Bestehendes verwenden und umnutzen, teilweise aber auch hochmoderne Ideen umsetzen. Damit würde das gelingen, was dem Bauhaus damals misslang, sich jetzt endlich in die Stadt zu integrieren. Was dem lediglich entgegensteht, ist ein erhöhter organisatorischer Aufwand.

KJ: Schätzen Sie eine dezentrale Lösung eher kostengünstiger oder kostenintensiver als einen zentralen Museumsbau ein?

Bislang besteht ja nur diese Idee als Anregung, um das Ganze neu zu überdenken. Ich kann mir vorstellen, dass die Investitionskosten nicht höher sein werden und dass die Betriebskosten sogar niedriger sind, wenn man an Betriebe, Einrichtungen usw. andockt, die ohnehin schon bestehen. Es wird dann nicht nur ein Museum zum Anschauen, sondern es könnte auch ein Innovationszentrum entstehen, das eine Klammer zwischen Universität und regionaler Wirtschaft bildet.

KJ: Wir haben eine dezentrale Grundkonzeption des Bauhaus-Jahres de facto schon durch eine Vielzahl von Bauhaus-Ausstellungen und Veranstaltungen in Jena, Erfurt und im Weimarer Land, sprich der Impulsregion. Auf eine große zentrale Landesausstellung in Weimar ist aus bekannten Gründen verzichtet worden. Wie beurteilen Sie diese Veranstaltungen, die bisher gelaufen sind? Deutet dies gewissermaßen in dieselbe Richtung?

Das ist tatsächlich ein Ansatz, der in diese Richtung weist, mit dem Bauhaus in die Fläche zu gehen und viele einzubeziehen, die damals nicht einbezogen waren. Wir sollten uns immer vergegenwärtigen, welche Situation vor 90 Jahren hier bestand. Welche Widerstände gab es? Leider waren es gerade die Mittelschichten in Weimar und in Thüringen, die das Bauhaus bekämpft haben. Sie heute für die Idee eines progressiven Designs und einer innovativen Ästhetik zu gewinnen, wäre unsere Aufgabe, das würde dem Thema Avantgarde entsprechen.

KJ: Die bisher schon sehr guten Besucherzahlen im Bauhaus-Jahr sprechen eine deutliche Sprache. Was ist aus Ihrer Sicht für Weimar generell touristisch erfolgversprechender, das Thema Bauhaus oder die Weimarer Klassik rund um Goethe und Schiller?

Durch die Globalisierung des Tourismus kommen immer mehr Besucher auch aus Übersee usw. hierher. Deswegen werden solche Bereiche der Kunst, die eine internationale Sprache sprechen, immer mehr Bedeutung gewinnen. Das ist für Weimar Design und Architektur, also das Bauhaus und die Musik mit Bach und Liszt. Bach hat hier zehn Jahre gelebt, es gibt aber keinen wirklich originären Ausdruck für seine Weimarer Präsenz, sondern nur noch das Kellergewölbe seines ehemaligen Wohnhauses am Markt. Liszt, Bach und Bauhaus werden in Zukunft sicher an Bedeutung gewinnen. Dagegen möchte ich die Klassik in ihrer nachhaltigen Bedeutung nicht reduzieren wollen. Die internationalen Trends weisen aber stark auf die globalisierten Formensprachen wie Design, Architektur, Musik und Kunst hin.

KJ: Noch einmal zur Verbindungslinie zwischen Klassik und Bauhaus. In den angesprochenen Ausstellungen fanden sich zahlreiche Querverweise etwa durch die Farbenlehre Goethes oder den Einfluß von Schiller auf Oskar Schlemmer…

Zwischen Bauhaus und Klassik besteht schon eine Parallelität, aber auch ein Widerspruch. Wir sprechen immer von der „Klassischen Moderne“, wenn wir an das Bauhaus denken. Die Klassik ist aber im allgemeinen Verständnis eher der kulturelle Höhepunkt einer Epoche – das Bauhaus war das nicht. Es war ein brodelnder Neuanfang und eine widersprüchliche Angelegenheit, die nichts mit Klassik im eigentlichen Sinn zu tun hatte. Deshalb würde ich den Aspekt des Neubeginns ganz klar in den Mittelpunkt stellen, auch in der Konkurrenz zu Dessau, Berlin, Chicago und den anderen Orten, wo das Bauhaus aufgetaucht ist. Das Weimarer Bauhaus war noch extrem unentschieden, widerspruchsvoll und innovativ. Das Thema Avantgarde müssen wir für die heutige Zeit denken, und da stehen nun mal ökologische Aspekte, Nachhaltigkeit usw. im Vordergrund. Wir sollten die Zukunft der Architektur damit viel komplexer sehen, nicht nur technizistisch. Das Bauhaus war nicht Kontinuität, sondern Neuanfang, vor allem gegenüber dem Schwulst des Kaiserreiches. Heute ist der Schwulst nicht mehr in den Schnörkeln der Gründerzeitfassaden zu finden, sondern in der Überfülle dessen, was wir überhaupt an Dinglichem haben, aber was wir eigentlich nicht brauchen. Das führt uns wieder zu den ökologischen Problemen und dem Druck des Konsums. Dieser Kreislauf muß dann immer mehr beschleunigt werden. Das kann aber nicht das Wirtschaftsmodell der Zukunft sein. Diesen Kreislauf aufzubrechen, wäre heute eine avantgardistische Denkart – und ein Ansatz für ein Museumskonzept. Das Bauhaus-Museum gibt Weimar nur einen touristischen Impuls, ein dezentrales Konzept würde Weimar darüber hinaus auch einen wirtschaftlichen, prognostischen und einen geistigen Schub geben.

Interview: Michael Eckardt/Markus Twellenkamp
Ein dezentrales Bauhausmuseum für Weimar?!
in: Kulturjournal Mittelthüringen Jg. 6, Nr. 5, 2009, S. 50/51

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert