Kritik der Presse
Brief an Thüringer Landeszeitung, Chefredaktion
Sehr geehrter Herr H. H.,
In unserem Staat kann fast alles kritisiert werden, außer der Presse, denn sie ist das Medium, das eine Selbstmächtigkeit über ihre Kritiker besitzt. Mir gefällt einiges an der Presse – zumal an der TLZ – nicht. Aber es gibt kein anderes Medium als die Zeitung selbst, in der ich etwas Kritisches über eben diese Zeitung schreiben kann und die Chefredakteure empfinden das vielleicht als geschäftsschädigend und unterbinden missliebige Äußerungen. Dagegen kommen mir einige Leserbriefe mit ihren Lobhudeleien wie bestellt vor und sind es wahrscheinlich auch. Dieser ist es nicht.
Mir gefallen an der TLZ die Kampagnen nicht. Mal wird uns eingeredet, ganz Thüringen würde „big brother“ oder die Ökosteuer ablehnen, mal wird uns das Wechseln von einer Krankenkasse zur anderen als das wichtigste Thema der Deutschen eingeredet. Die TLZ versteht sich zunehmend weniger als Informations- denn als Impulsgeber. Die Zeitung solle Druck machen und sich einmischen, wie es der Chefredakteur der TLZ einmal ausgedrückt hatte (TLZ vom 08.09.00). Das heißt aber, dass die Zeitung eigene politische Absichten verfolgt und es besteht die Gefahr, dass sie weniger Hintergründe ausleuchtet, die den mündigen Leser befähigen, sich sein Urteil selbst zu bilden und danach politisch zu handeln, sondern die Zeitung handelt selbst politisch, indem sie Kampagnen zu Themen startet, welche die Redaktion selbst festlegt. Wer das tut, muss sich aber auch Kritik an Inhalt und Zeitpunkt dieser Aktionen gefallen lassen, Warum ist die Kampagne gegen Gewalt „Thüringen tolerant“ nicht schon Jahre früher angelaufen – als die Gewerkschaften Alarm geschlagen hatten, sondern erst dann, als die Rechten den Wirtschaftstandort Thüringen zu gefährden drohten? Und warum nicht eindeutig gegen Fremdenfeindlichkeit, die sich oft auch gewaltfrei gibt? Oder warum wurde nicht längst eine Initiative gegen die perverse Art gestartet, wie wir Landwirtschaft und Ernährung betrieben haben? Und wo ist jetzt die Kampagnen für Energie(Benzin)einsparung, um die Vergiftung der Atmosphäre zu mindern? Warum liegt eine solche Kampagne nicht im Interesse der TLZ?
Ich sehe in der TLZ nicht die politische Landschaft Thüringens widergespiegelt. CDU und FDP haben – offensichtlich wegen ihrer Nähe zur Wirtschaft – bei der TLZ gute Karten. Auch die „kritischen“ Beiträge über die Thüringer Landesregierung (zB. beim Thema Verfassungsschutz) sind tendenziell regierungsfreundlich. Und mit welcher Leidenschaft wird in der TLZ der neue Kronprinz Dieter Althaus aufgebaut! Die gesamte Palette der Meinungen ist ins Konservative hinein verschoben. Dabei sind die ins Auge springenden Überschriften gegenüber den Texten nochmals zugunsten Schwarz/Gelb gefärbt. Ich weiß, dass diese politische Orientierung vor allem aus der Interessenlage der Wirtschaft hervorgeht, welche die Presse über Inserate finanziert. Bei dem Monopol, das die Thüringer Zeitungsgruppe in unserem Lande besitzt, ist diese an Manipulation grenzende Berichterstattung eine demokratisch nicht legitimierte Machtausübung. Die Presse herrscht über die Meinungen, obwohl doch die
Meinungsfreiheit über die Freiheit der Chefredakteure und die Interessen der Wirtschaft gehen sollte.
Die Politikmüdigkeit ist auch eine Folge der Übermächtigkeit der Medien. Man spürt, wie die Politiker, die ja eigentlich die gewählten Volksvertreter sind, von demokratisch nicht gewählten Mächten getrieben werden. Glücklicherweise haben wir noch keine Berlusconischen Verhältnisse, aber das Gefühl von Ohnmacht wächst. Ich glaube, dass gerade im Osten viele Menschen ein solches Gefühl haben. Wir Ostdeutsche sind nicht von der Demokratie enttäuscht, sondern von derem Zustand der Unvollkommenheit und Perversion.
Ich wünsche mir eine Zeitung, die mir morgens nicht die politischen Ansichten der Zeitungschefs offeriert, sondern umfassend informiert und die Fakten kritisch hinterfragt. Nichts ist langweiliger als ein „objektiver“ Bericht, aus welchem man vor allem die mühsam versteckten Absichten des Autors erfährt.
Prof.Dr. Olaf Weber
24.05.2001