Welt ohne Terror (2001)

Welt ohne Terror? Zum 11.09.01

Meine und vieler anderer Trauer und Mitgefühl um die Opfer des 11.09.01 werden dazu missbraucht, den Eindruck eines Einverständnisses mit der Politik der amerikanischen Regierung zu erwecken. Das emotionalisierte Solidarisierungsgebot mit dem „großen Bruder“ USA hatte einen Maulkorbeffekt, wo doch gerade in dieser Zeit der Betroffenheit von der USA-Regierung eine Politik und Rhetorik betrieben wurden, die dringend der Kritik bedurften. Ein Präsident, der vor allem die Bomberflotte zur Bekämpfung der Terroristen mobilisiert und von Vergeltung spricht, hat den Ernst der Lage nicht begriffen und ist dabei, sich auf das Niveau derer zu begeben, die er bekämpft. In der Zivilgesellschaft haben nämlich auch mutmaßliche Mörder Rechte und auch Terroristen dürfen trotz ihrer abscheulichen Taten nicht „ausgeräuchert“ oder wie Tiere „zur Strecke gebracht“(Bush), sondern müssen gefasst, verurteilt und bestraft werden. Bombardements von Gebieten, in denen Terroristen vermutet werden, haben den Charakter von staatlicher Lynchjustiz.

Es war erschreckend, wie sich Politik und Medien in Panik und Kriegsgeschrei gegenseitig übertroffen haben und dabei keine Unterscheidung zwischen dem Krieg als militärischem Konflikt und dem Krieg im übertragenen Sinne gemacht haben – wie man gegen die Armut oder gegen Aids Krieg führen sollte – als Anspannung aller (zivilen) Kräfte. Nur diesen Krieg könnte man meinen, wenn der Terrorismus bekämpft werden soll.

Sicher ist, dass die Terroristen nicht lediglich eine politisch ungerichtete Neigung zur Zerstörung antrieb. Der Anschlag sollte vielleicht ein religiöses Fanal islamischer Fanatiker sein, politisch weist er aber zu einem realen Konflikt. Der Westen hatte sich daran gewöhnt, die Spirale der Gewalt im Nahen Osten wortreich und folgenlos zu beklagen, statt sie zu unterbrechen.

Mir scheint es kein Zufall zu sein, dass der Zusammenprall der beiden hochtechnologischen Systeme Jumbo Jet und World Trade Center wahrscheinlich aus dem Armenhaus Afghanistan gesteuert wurde. Es ist der Ausdruck einer Kluft, wie sie größer nicht sein könnte. Ein Teil der Welt und viele Menschen in aller Welt profitieren offensichtlich nicht vom „großen Fortschritt“, sie geraten im Gegenteil immer mehr ins wirtschaftliche, politische und kulturelle Abseits. Religionen werden dann zum seelischen Anker der Schwachen. Ohne einer gerechteren Verteilung des Reichtums wird es keinen Frieden geben.

Die USA spielen den Weltpolizisten und haben dafür weder Auftrag noch Vertrauen. Sie betreiben eine verlogene Interessenpolitik und vertauschen dabei fast beliebig die Begriffe Terrorist und Freiheitskämpfer. Die USA untergraben die Demokratisierung der Weltgemeinschaft, indem sie die UNO nicht respektieren. Bush verdient keinen Beistand für die Haltung der USA auf dem Weltumweltgipfel, auf der Weltrassismuskonferenz und bei der Blockade von Nahostresolutionen der UNO. Er hat sich damit in der Weltgemeinschaft selbst entsolidarisiert. Die Formel vom „Angriff auf die Zivilgesellschaft“ trifft nur teilweise und ist auch ein Ausdruck der amerikanischen Nabelschau und des Euro-zentrismus. Der US-amerikanische Lebensstil ist keine reine Beglückung für den Rest der Welt und die Briten werden nicht einmal mit den christlichen Terroristen in Nordirland fertig, glauben aber, für ferne Regionen die Rezepte zu haben.

Das Dilemma des Westens ist, dass er zu sich selbst keine positive Alternative mehr entwickelt. Der Widerstand zum revisionsbedürftigen westlichen Kapitalismus tritt fast nur noch in der pervertierten Form des islamischen Fundamentalismus auf. Das ist ein Armutszeugnis für unsere Zivilisation.

Wird sich diesmal die Hoffnung erfüllen, dass die Mächtigen nach einer kurzen (überflüssigen) Phase des Säbelrasselns an die (sozialen) Ursachen der Konflikte herangehen? Die Erfahrung zeigt eher, dass konservative Politiker solche Reformen schnell vergessen, sobald die militärischen Mittel für die Sicherung der bestehenden Ordnung bewilligt worden sind. Die Aufstockung des Militäretats soll die Öffentlichkeit in dem Irrglaube verharren lassen, außer ein paar durchgeknallten Terroristen sei die Welt in Ordnung. Die Verlogenheit muss also weiter triumphieren.

Dezember 2001 (unveröffentlicht)

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