NATO-Unterstützung für Imperatoren (1999)

Nato-Unterstützung für Imperatoren

Lutz Rathenow bescheinigte kürzlich der NATO einen humanitären Ansatz im Kosovo-Krieg. Ein solcher Humanismus soll vielen Politikern des Westens nicht abgestritten werden, doch wenn die Diskrepanz zwischen Absichten und Wirkungen so groß ist wie im Jugoslawienkrieg der NATO, dann können weder die Mittel noch die Ziele stimmen. Der Zweck heiligt nur solche Mittel, die mit dem Ziel verwandt sind. Man kann nicht Gerechtigkeit, Frieden und Menschlichkeit mit Massenbombardements schaffen, wo diese doch neues Unrecht, neuen Streit und neues Leiden hervorrufen. Niemand glaubt an eine ausschließlich humanitäre Mission der NATO. Diese wäre nur dann glaubhaft, wenn auch die Kurden im NATO-Land Türkei geschützt worden wären (bis zu 3 Mill. Vertriebene und 30000 Tote) oder wenn die 300 000 Serben, die mit logistischer Unterstützung der NATO aus der Kraijna vertrieben wurden, auch humanitäre Flüchtlingshilfe erhalten hätten.

Herr Rathenow empfiehlt für die Zukunft den „Kalten Krieg“ gegen Diktatoren, weil dieser gegen den Ostblock so erfolgreich gewesen sei. Abgesehen davon, daß nicht der kalte Krieg, sondern der KSZEProzeß den eisernen Vorhang aufgeweicht hat, stellt sich die Frage nach der Instanz, die den Diktator definiert – hoffentlich kein selbsternannter Interessenbund. Ich möchte auch sehr vor der Macht der Wörter warnen. Wer wie Scharping und Schäuble schnell mit dem Ruf „Mörder“ und „Verbrecher“ zur Stelle ist, der fesselt sich gegenüber einem Apparat, der meint, mit Bomben die Mörder und Verbrecher unschädlich machen zu können. Das Militär nagelt die Politiker an die Gewaltspirale, von der feststeht, daß die Grausamkeiten der Piloten nicht minder scheußlich sind als die der gegnerischen lnfantrie. Den Militärs dürfte eigentlich nie, im Ausnahmefall (durch die UNO) aber nur dann eine Chance zur Konfliktlösung gegeben werden, wenn sie dieses Ziel ohne die Zerstörung von zivilen oder vorwiegend zivil genutzten Objekten erreichen können. Wenn die Militärs ihre Kriegsziele nur durch die Bombardierung von Brücken, Wasser- oder Elektrizitätswerken, Sendern, Nicht-Waffen-Fabriken, durch die Vernichtung von (fremden) Arbeitsplätzen und das Hinnehmen von ökologischenSchäden erreichen können, sollen sie nach hause gehen. Ich glaube auch, daß die scheinbare Option einer militärischen Lösung oft verhindert, daß die Streitparteien mit letzter Anstrengung verhandeln.

Die schon lange anhaltenden Menschenrechtsverletzungen der serbischen und auch der kosovarischen Milizen kann man natürlich nur entschieden verurteilen und ebenso die serbische Vertreibungspolitik unter den Bomben der NATO. Doch wo war die gründliche Nachdenklichkeit des überlegenen Westens gegenüber den Ursachen des widerwärtigen Nationalismus auf dem Balkan? Verhandeln hat nur Sinn, wenn man auch für die Motive des Gegners Verständnis aufbringt An einer solchen Einfühlsamkeit de NATO gegenüber den Serben und dieser gegenüber den Kosovaren hat es offensichtlich auch in Rambouille gemangelt.

Statt einen neuen „Kalten Krieg“ vom Zaun zu brechen, sollten Präventivmaßnahmen die Konflikte gar nicht erst ausbrechen lassen. Angesichts der ungeheuren Kosten, die wir offensichtlich für solche Kriege und deren Folgen zu tragen bereit sind (viele Milliarden DM), verwundert die Sparsamkeit bei der Bereitstellung von Geldern für soziale Vorsorge, für Projekte zur ethnischen Integration und Hilfe bei der Demokratisierung. Die Schulden des Westens bei der UNO stehen im krassen Gegensatz zu der Bereitschaft, einen durch diese nicht legitimierten Krieg zu führen.

Das einzig Gute am kalten Krieg war, daß er ein Gleichgewicht der Kräfte enthielt. Nun müßte die UNO eine Chance bekommen. Doch statt diese zu stärken, wird die Weltordnung durch Machtinteressen destabilisert. Alle möglichen lmperatoren, Nationalisten und Militärbündnisse wittern nun Morgenluft. Sie werden durch das Beispiel der NATO nicht geschwächt, sondern leider gestärkt. Das ist die globale Ellenbogengeseilschaft, die sich in den Egoismen vieler Ethnien, Gruppen, Regionen und Religionsgemeinschaften durchsetzt. Nur Gerechtigkeit würde Frieden schaffen, aber diese scheint weiter zu schwinden.

in: Thüringer Landeszeitung 10.6.99

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