Mehr Sachlichkeit im Umgang mit der PDS (1998/99)

Ankündigung eines Leserbriefes
Chefredakteur der TLZ
Sehr geehrter Herr H. H.,

beiliegenden Leserbrief meine ich ganz ernst. Sie spielen mit Ihrer Kampagne gegen die PDS nur dieser Partei in die Hände. Das kann nicht gut gehen. Über den Erfurter Parteitag der Grünen hat Ihre Zeitung nur ein paar Zeilen übrig gehabt. Das sind Informationslücken, die der TLZ, deren Leser ich seit Jahrzehnten bin, nicht zum Erfolg verhelfen werden. Schade.

Ich bin sehr neugierig, ob Sie meinen Leserbrief veröffentlichen werden. Ich hoffe es – für die TLZ.

Ich wünsche Ihnen persönlich angenehme Feiertage und verbleibe mit freundlichen Grüßen

Prof. Dr. Olaf Weber
22.12.98

Leserbrief
Mehr Sachlichkeit im Umgang mit der PDS!

Wenn es um die PDS geht, dann schwindet das Niveau der TLZ weit unter dasjenige, das ich von ihr erwarte. In den letzten Wochen wird eine regelrechte Kampagne gegen ein mögliches Rot-Rotes Bündnis in Thüringen angefacht, die an die politische Stimmungsmache zu DDR-Zeiten erinnert. Ich will das an Hand von zwei Ausgaben im Dezember98 (19. und 21 .12.98) erläutern.

Erstens: Die Leserbriefe, die die Redaktion ausgewählt hat, versuchen auf erschreckend simple Weise, heutige linke Positionen mit den DDR-Schikanen in Zusammenhang zu bringen. Wenn der DGB-Chef Spieth erklärt hatte, das Arbeitsgesetzbuch der DDR sei wesentlich besser gewesen als das Betriebsverfassungsgesetz der Bundesrepublik und wenn ein anderer Gewerkschafter erklärt, daß sich „ein Rückblick auf die DDR anbiete“, so kann man doch diesen Herren nicht gleich eine Sehnsucht nach dem StasiUberwachungsstaat oder andere Unanständigkeiten unterstellen. Wenn ich erkläre, daß das Kindergartennetz der DDR vorbildlich war, muß ich damit rechnen, vom Riesen-Leserbriefschreiber Baldur Haase (TLZ vom 21.12.98) als haibherziger Demokrat beschimpft zu werden. Man könnte statt dessen über den Widerspruch zwischen Theorie und Praxis im unreellen Sozialismus trefflich streiten oder darüber, weshalb es unmöglich ist, ein DDR-Gesetz in die Marktwirtschaft hinüberzuretten Haase erhält viel Platz für seine blauäugige Behauptung, Kapitalismus und Demokratie seien unverbrüchlich miteinander verbunden (angesichts von Pinochet, Suharto und vielen anderen Diktatoren).

Zweitens: Sobald differenzierte Positionen auftauchen, wird deren Sinn in die von der Redaktion gewünschte Richtung verbogen. Zum Beispiel bezeichnet Herr Schwerdtfeger auf derselben Seite nicht nur die von einer Bündestagsabgeordneten der PDS geforderte Amnestie und Entschädigung der Täter als heuchlerisch, sondern auch die CDU-Reaktionen auf die ‚wohlabgewogenen Entscheidungen der Sozialdemokraten in Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern“ als scheinheilig. Aber weder im Haupt- noch im Untertitel kommt diese Differenzierung zum Ausdruck.

Drittens: Im Landesspiegel kommt die PDS nur im Zusammenhang mit Stasi-Skandalen vor. Das ist zwar auch wichtig, mich interessiert aber, welche Position die PDS zu dieser oder jener landespolitischen Angelegenheit einnimmt. Ich bin ein Bündnisgrüner und möchte wissen, wie ich in meiner Partei über eine mögliche Zusammenarbeit mit der PDS entscheiden sollte. Dazu brauche ich aber Informationen – u.a. aus dem Landtag – und deshalb halte ich mir eine Zeitung, diese aber schweigt darüber.
Viertens: Wenn die PDS auf dem Titelseite dervorkommt, dann übertrifft sich die Redaktion an stilistischer Prägnanz. Unter der Uberschrift „PDS soll nicht regieren“ (!) war am 19. Dezember zu lesen: „Die Hälfte der Deutschen hält die PbS zudem für regierungsunfähig. Anders im Osten: Hier traut jeder zweite der PDS Regierungsverantwortungt zu“. Eine wirklich differenzierte Betrachtungsweise, wahrlich! Wenn unsere Medien weiterhin nur Schwarz-Weiß-Malen oder herumeiern, dann bleibt nur der Mythos. Wir sollten von der Zeitung mehr sachliche Informationen fordern.

Prof. Dr. Olaf Weber
Auszug in: Thüringer Landeszeitung vom 15.1.99

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