Vorlesung zur Architekturtheorie (1998)

Prof. Dr. Olaf Weber
Einführung in die Architekturtheorie
Als Beispiel: WS 1998/99

Vorlesung : Architektur und Kommunikation

Ein Blick in die Geschichte deutet die unterschiedliche Lesbarkeit von Architektur an.
In einer mittelalterlichen Stadt beispielsweise konnten die Höhendominanten und die Stärke der Befestigungsanlagen etwas über die wirtschaftliche Prosperität der Stadt aussagen, die Nähe und Ferne der Gewerke zum Marktplatz verriet etwas über deren Wertschätzung und Einfluß in der Stadt, Schmuck, Zeichen und allerlei Innschrift informierten über Eigentümer, Geschichte und Kultur der Stadt. Die Anschauung der Stadt konnte auf diese Weise von Fremden (z.B. von fahrenden Handwerksgesellen) in Wissen über die Stadt verwandelt werden. Voraussetzung für diese Erkenntnisleistung war eine Erfahrung im Deuten von architektonischen Formen. Im Allgemeinen wird dabei der Zusammenhang von Form und Bedeutung durch frühere Erfahrungen gestützt.

Einiges deutet darauf hin, daß das Gebäude die Fähigkeit zur Erfahrungsvermittlung eingebüßt hat. Victor Hugo beklagte den Ausdrucksverlust der Architektur als eine Folge des Buchdrucks: „Seit Anbeginn der Dinge bis zum 15. Jahrhundert der Christlichen Zeitrechnung war die Baukunst in Wahrheit das große Buch der Menschheit, das Hauptausdrucksmittel ihrer Kraft und ihres Geistes in den verschiedenen Entwicklungsstadien. … Die Freiheit, seine Gedanken in Stein zu äußern, war damals ein Vorrecht, daß der Pressefreiheit durchaus zu vergleichen war. Der Menschengeist fand ein neues Mittel, seinen Gedanken Dauer zu verleihen. Es ist nicht nur widerstandsfähiger als Architektur, sondern auch einfacher zu handhaben…. Das Buch tötet das Gebäude… diesen Sonnenuntergang verwechseln wir mit der Morgenröte“.

Es ist ein Medienwechsel zu konstatieren, der von den Bildern der Architektur zur Schrift des Buches führte und heute offensichtlich in die neue Bilderwelt der virtuellen Realität hinübergeht.
Das Zeitalter der Industrialisierung hatte zunächst die Lesbarkeit von Architektur erschwert: Die Sprache der Architektur war nicht mehr Allgemeingut, die Sensibilität für Architektur war reduziert, die Formensprache war disparat und heterogen geworden, die Formen nicht distingtiv. Die Rolle in der Öffentlichkeit hatte sich auf gewisse Repräsentationsfunktionen reduziert bzw. war zur Spielwiese der Eitelkeiten von Architekten und Bauherren geworden.

Sind Archtektut als Sprache und als Kommunikationsmittel nur metaphorisch zu verstehen?

Der Kommunikationsbegriff hat vier Orte: Die Person, die Massenmedien, die Kunst und die Dinge. Kommunikation kann sein: a. personell, b. medial, c. künstlerisch, d. dinghaft.

Architektonische Kommunikation ist die Vermittlung von Ideen, Werten und Informationen durch bauliche Räume und Formen. Sie findet permanent, beiläufig, unbewußt und meißt anonym statt.
Architektonische Kommunikation steht in keiner Konkurrenz zu anderen Kommunikationsformen , sie kann durch kein anderes Medium ersetzt werden.

Architektur ist in Bezug auf das Leben der Menschen sowohl Umform als auch Deutung. Als Umform steht sie auf der gleichen Realitätsstufe wie das Leben. Als Deutung ist sie eine Metaebene zum Leben der Menschen.

Gestalten ist Ordnung und Ausdruck. Das Ordnen bezieht sich auf die Produktion von Kompositionen, das Ausdrücken auf Sprache. Manchmal werden dem Architekten nur die Tätigkeiten des Ordnens, Komponierens und Harmonisieren als Gestaltungsleistungen anerkannt. Schopenhauer : „Die Baukunst hat von den Bildenden Künsten und der Poesie das Unterscheidende, daß sie nicht ein Nachbild, sonder die Sache selbst gibt. Nicht wiederholt sie,
wie jene, die erkannte Idee, wodurch der Künstler dem Beschauer seine Augen leiht, sondern hier stellt der Künstler den Beschauer bloß das Objekt zurecht“.

Das allgemeine Schema der Kommunikation scheint auch für architektonische Kommunikaltion zuzutreffen: Sender (Architekt) und Empfänger (Nutzer) sind durch einen Kommunikationskanal (Architektur) verbunden. Voraussetzung für Kommunikation ist, daß Sender und Empfänger einen gemeinsamen Vorrat an Zeichen besitzen und gleiche oder ähnliche Kodierungsvorschriften kennen.
Drei Arten der Kommunikation sind in Architektur anzutreffen:
1. Rhetorische Kommunikation ( der Sender dominiert über den Empfänger, er versucht ein Maximum an Einstellungsänderungen beim Empfänger zu erreichen)
2. Künstlerische Kommunikation (Gleichstellung von Sender und Empfänger, der Empfänger interpretiert die Vorgaben des Senders)
3. Leere Speicher ( Dominanz des Empfängers über den Sender, der Emfpänger füllt leere Formen mit seinen Bedeutungen auf).

Der Kode ist eine Zuordnungsvorschrift .
a. mit einem anderen Zeichen.
b. zwischen einer Form und einer Bedeutung
c. zwischen einer Sprache und einer anderen Sprache

In den Vorgängen des Gestaltens und des Wahrnehmens sind Prozesse des Kodierens und Dekodieren eingeschlossen.
Die Grammatik ist ein formalisiertes Regelwerk (Gesamtsystem), das die Menge der möglichen Ausdrücke einer Sprache definiert. In bildhaften Sprachen treten Kodes als Wahrscheinlichkeitsbeziehungen auf.
Gropius:“ Diese Grammatik und ihre theoretischen Grundlagen … ist nicht Rezept für das Kunstwerk, sondern sie ist das wichtigste objektive Mittel zur kollektiven Gestaltungsarbeit, sie bereitet die gemeinsame Grundlage, auf der eine Vielzahl von Individualitäten eine höhere Werkeinheit zusammen zu schaffen vermag“.

Die Sprache ist ein Zeichensystem , das drei Voraussetzungen hat:
1. Es wird von einer Sprachgemeinschaft akzeptiert.
2. Die Zeichen sind plurisitiuational.
3. Die Zeichen sind zu wechselnden Aussagen kombinierbar.

In der Architektur gibt es Doppel- und Mehrfachkodierungen, die teilweise Stilcharakteristika enthalten ( vergleiche die Diskussion zur Postenmoderne).

Professor Dr. Olaf Weber
Vorlesung: Architektur als Zeichen

Die Welt der Zeichen
Eindeutige und hochkomplexe Zeichen (von den Verkehrszeichen bis zur Kunst)

Semiotik – allgemeine Sprachwissenschaft und Therorie der Zeichen. Die Wissenschaftsgeschichte der Semiotik. (Leibniz, Ch. S. Peirce, F. de Saussure, Bühler, Heidegger, R. Barthes, U. Eco…)
Die Teilbereiche: Syntaktik, Semantik und Pragmatik.

Die Definition des Zeichens
– Zeichen sind die Elemente der Sprache
– Zeichen ist alles was, zum Zeichen erklärt wird
– Zeichen ist, was sich selbst präsentiert und etwas anderes repräsentiert.

Das Modell des Zeichens
Ein Zeichen ist etwas Wahrnehmbares das in Erkenntnis und Kommunikationshandlungen etwas nicht Wahrnehmbares vertritt. Das Problem des Referens.

Zeichenarten:
Ikonisches Zeichen
Indexikalisches Zeichen
Konventionelles Zeichen
Symbole sind konventionelle Zeichen mit indexikalischen und/oder ikonischem Bezug

Bilder und Zeichen. Bildhafte Texte und ikonische Aussagen. Das Besondere der Bildrhetorik.

Das Eigenleben der Symbole
Symbole sind historisch, situational und psychisch äußerst labile Gebilde
Die Aneignung von architektonischen Kodes (muttersprachliches Erleben von Symbolzusammenhängen). Sprachlernen im Gebrauch.

Die Dauerhaftigkeit semiotischer Bezüge
1. Episodische Aussagen (subjektive Varianz)
2. Semantische Bedeutungen (kulturelle Varianz)
3. Genetische Codes (Biologische Varianz)

Zwei Arten semantischer Beziehungen
1. Bedeutung (Denotation) – rational und objektiv
2. Sinn (Konnotation) – emotional und subjektiv
Die praktischen Funktion en, technischen und historischen Fakten werden denotiert. Die Modi des Gebrauchs und kulturelle Codes werden konnotiert.
Der Inhalt der architketonischen Kommunikation
1. Eng: Bedeutung ist mit Faktoren- und Funktionsbündel identisch
2. Weit: Das Gesamt des Denk- und Fühlbaren wird assoziiert.

Sinnüberschuß.
Gropius: Der Architektur einen „Inhalt aus Realität und tieferer Bedeutung“ geben.
Unterschiedliche Auffassungen über den Zusammenhang von Denotation und Konnotation in der Architektur. Hegel: Der Zweck solle durch alle Formen hindurchscheinen.

Dominanz und Stärke der archiktektonischen Kommunikation :
Wie „ laut“ oder „leise“ sollte Architektur sprechen?
Georg Simmel: „Das Möbelstück…berühren wir fortwährend, es mischt sich in unser Leben und hat kein Recht auf Für-sich-sein. Manches moderne Möbelstück erscheint , weil es der unmittelbare Ausdruck individuellen Künstlertums ist, deplaziert, wenn man darauf sitzt: es schreit förmlich nach einem Rahmen und ohne diesen im Zimmer stehend unterdrückt es den Menschen, der doch mit seiner Individualität schließlich die Hauptsache, und jener nur der Hintergrund sein soll“.
Sollte der Mensch den Dingen gegenüber eine Distanz einnehmen, sich ihnen auch entziehen können? – Die Dinge sollten nicht stumm sein, sie sollten sprechen, doch nur wenn wir sie befragen.
Paul Valery: „Sag mir (da du so empfänglich bist für die Wirkungen der Architektur), wenn du dich in dieser Stadt ergingst, daß unter den Bauwerken, die sie ausmachen, einige stumm sind, andere reden, noch andere schließlich, und das sind die seltensten, singen sogar“.
Die Bauwerke „reden , wenn die, die sie erbauen, sich darauf verstehen, die genaueste Sprache“.

Analoge und digitale Kodierungen (Stilgeschichtlicher Wechsel)
Überblickliche Darstellung der Symbolgeschichte in der Architektur.

Weiterführende Literatur für beide Vorlesungen:
Morris, Charles W.: Grundlagen der Zeichentheorie. Ästhetik und Zeichentheorie
Eco, Umberto: Einführung in die Semiotik
Bruce-Mitsord: Zeichen und Symbole
Goodman, Nelson: Die Sprache der Kunst
Fontana, David: Die verborgene Sprache der Symbole
Mersch, Dieter (Hrsg.): Zeichen über Zeichen
Frutiger, A.: Der Mensch und seine Zeichen
Weber, Olaf: Die Funktion der Form. Architektur und Design im Wandel.
Über Sprache, Gegenstände und Design (1997)
Kiefer: Zur Semiotisierung der Umwelt

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