Im gläsernen Dickicht der Einkaufscenter (1997)

Im gläsernen Dickicht der Einkaufscenter

Im Dschungel war der Mensch ein Suchender. Vor allem suchte er nach Nahrung, auch nach Kleidung und Behausung. Er sammelte und jagte die Güter seines Bedarfs und hatte damit den ganzen Tag zu tun. Später wurde es einfacher.

Er hatte Vorräte angelegt und wußte – wie das Eichhörnchen im Winter, wo sie zu finden waren. Noch viel später verortete der Handel die gehorteten Waren im Laden. – Leichtes Spiel nun für jemanden, der etwas brauchte. Er ging zum Bäcker, zum Schuhmacher… zum Krämer und fand dort die benötigten Dinge. Der Händler kannte sich aus und bediente. Das Suchen blieb auf die Nachforschungen im eigenen Geldbeutel begrenzt. War man dort fündig, hatte man also das Zahlmittel, so war alles andere einfach, für Geld war alles da.

Doch in einem heutigen Einkaufsparadies erspart man sich auch mit dicker Brieftasche oder seriöser Kreditkarte das Suchen nicht. Ein modernes Einkauftscenter hat den Ordnungszustand des Dschungels. Nur entspricht das Chaos der heutigen Warenwelt nicht der natürlichen Art der Wildnis, also nicht der eigentlichen Ordnung alles Natürlichen, sondern einem eingebildeten Plan des Menschen zur Erhöhung der Nachfrage und des Konsums. Das moderne Chaos ist das Emanat der Verkaufsstrategen, die unsere Zeit stehlen. Überall und nirgends gibt es nämlich das, was man gerade sucht. Irren und Verirren sind die Orientierungsmuster der Kaufhäuser. Gedächtnis ist überflüssig. Hat man etwas gefunden, ist es in der nächsten Woche schon woanders plaziert.

Die Strategen wollen, daß wir suchen, um vielleicht auch solches zu finden, was wir gar nicht suchen. So irren wir heute in der Warenwelt: der Einkaufscenter herum wie die Affen im Urwald. Es wird nicht mehr lange dauern, dann brauchen wir zum Sammmeln und Jagen im Dschungel der Einkauftparadiese auch wieder so viel Zeit wie unsere unzivilisierten Vorfahren – nämlich den ganzen Tag.

(unveröffentlicht)

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