Neues Bauen in Weimar (1997)

Olaf Weber
Neues Bauen in Weimar

In Weimar ist alles auf das Jahr 1999 ausgerichtet, in dem dieser kleinste aller jemals dazu erkorenen Orte „Europäische Kulturstadt“ sein wird. Auf den ersten Blick ist Bauen derzeit vor allem Straßenbau. Die ewige Kult- und Protokollstrecke vom Bahnhof über Goethe- und den Theaterplatz, Schillerstraße bis zum Frauenplan und dem „Elefanten“ wird grundsaniert und aufpoliert. Die neue Ästhetik der Millimeter genau verlegten, industriell geschnittenen Natursteinplatten bestimmt zunehmend den Charakter der im 19. Jahrhundert ausgeformten Straßen und Plätze des klassischen Weimar. Unter der abstrakten Granitsteinstruktur der Flaniermeile liegen die dazu passenden Kabel aus Glasfaser. Nur im engeren Bezirk der mittelalterlichen Altstadt herrscht noch das Pflaster.

Doch interessanter sind sicherlich die Hochbauten. Das überlieferte Ambiente dieser „Stadt im Park“ produziert einen Bedarf für den gehobeneren Wohnungsbau und das touristische Image verlangt nach Hotels und Pensionen. Hinzu kommen die üblichen kleineren Geschäftshäuser und öffentlichen Einrichtungen. Auch Weimar ist von ausladenden „Einkaufsparadiesen“ und gleißenden Tankstellen vor den Toren der Stadt nicht verschont geblieben. Der Ratschlag vieler gutmeinender Kollegen aus dem Westen, doch in den neuen Bundesländern nicht die gleichen Fehler wie dort zu machen, muß angesichts der Gleichheit in der Baugesetzgebung, im Typ der Investoren und in der abhängigen Stellung der Architekten zu ihnen eine Illusion bleiben. Doch in Weimar gibt es eine starke Lobby für Baukultur. Diese fordert für das Stadtgebiet immer wieder die Einhaltung von ästhetischen Kriterien ein, welche an der Tradition geschult sind – ohne diese freilich zu kopieren.

In neuerer Zeit äußert sich allerdings der Widerspruch zwischen Moderne und Tradition immer häufiger in dem Verhältnis von Kern und Schale, von Davor und Dahinter. Immer mehr historische Bauten – auch Denkmale wie das Wielandhaus, die ehem. Russische Gesandtschaft oder das „Löschhaus“ hinter dem Markt werden „ausgekernt“, so daß von ihnen nur noch Fassaden als Kulissen übrig bleiben und Denkmalschutz zur Imitation des Historischen verkommt. Das sind Verbeugungen vor den Dimensionen der Industrie- und Erlebnisgesellschaft, die keine Unterschiede mehr zwischen Original, Kopie und Virtualität anerkennen will.

Vieles ist in Weimar entstanden, das dem modernen Bauen verpflichtet und gleichermaßen dem Bild der Stadt gerecht werden will. Das noch vor der Wende entstandene Schillermuseum gehört dazu und auch mehrere eher unspektakuläre Gebäude, die in den letzten Jahren gebaut wurden. Doch manchmal geht das auch schief. Einerseits werden Freiräume nicht genutzt und an Stellen, an denen ein frischer Impuls gut täte, eine langweilige Anpassung an den Kontext gesucht (z.B. am Jakobstor), andererseits werden Architekturmoden unkritisch und ohne Rücksicht auf den Geist des Ortes übernommen. Doch der genius loci Weimars liegt weder im klassizistischen Dreiecksgiebel, noch im abstrakten Weiß der 0815. Moderne, sondern in der Kultivierung von produktiven Widersprüchen, die an diesem Ort meist zwischen dem konservativen Kleingeist und einer immer wieder magisch angezogenen kreativen Kraft vermutet wird. Die gebauten poetischen Resultate dieses Dialoges sind allerdings rar.

Bauen kann auch eminent politisch sein. Die Marktgalerie ist ein innerstädtisches Quartier, dessen traditionalistische Südseite noch zu DDR-Zeiten zu bauen begonnen wurde und das nach der Wende mit einer anderen, teilweise exaltierten Ästhetik fertiggestellt, zum Symbol des Aufbruchs werden sollte. Doch dieses Zeichen mißlang gründlich. Das Gebäude steht heute fast leer und die Entwicklung zur Kulturstadt 1999 scheint an ihm vorüber zu gehen.

Trotz interessanter Neubauten lebt Weimar nach wie vor von den wunderschönen Raumfolgen, die vor allem das literarische Weimar um das Stadtzentrum gelegt hatte. Das neue Bauen muß sich immer wieder an diesen messen.

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