Theater(platz)donner: Aufregung um Langeweile
Verehrter Herr Dr. Bothe,
ich finde es gut, dass Sie sich einmischen, aber Ihre Kritik zielt am Kern, nämlich am Problem des Ortes vorbei. Bauen ist nicht das Erstellen von Gebäuden, sondern der mit Raumschaffen begründete Eingriff in einen von Natur und Geschichte schon vorgeprägten Ort, der durch bauliche Strukturen mit Gebrauchswert und Kultur angereichert werden soll.
Ich beschränke mich auf den Theaterplatz, doch will ich meine grundsätzliche Haltung zunächst mittels einer Anmerkung zum „mon ami“ exemplifizieren. Könnte dieses Gebäude nicht so umgebaut werden, dass es nicht nur moderner Nutzung genügt, sondern dass es sogar das ursprüngliche Konzept in einer bisher unbekannten Klarheit zum Ausdruck bringt? Die Idee für dieses Haus bestand nämlich darin, als Klammer zwischen dem „nordischen“ und dem „südlichen“(antiken) Prinzip zu dienen, also zwischen Kasseturm und Nike-Tempel. Nur wenn man das verstehen würde, könnte man auch den Mut finden, eine neue klassizistische Balance zu finden, beispielsweise durch einen schönen und repräsentativen Eingang in der Mitte des Gebäudes. Sensibilität für das Alte und Mut zu Veränderungen sind dann vereinbar, wenn man den Geist des Ortes trifft. Dagegen führt Unkenntnis oder Unempfindlichkeit gegenüber dem genius loci zu den üblichen ängstlichen Kompromissen.
Nun zum Theaterplatz, dessen ästhetischer Wert gemessen am römischen Kapitol oder der Piazetta von Venedig wahrlich dürftig ist. Doch hat er zwei bedeutende Figuren und eine ausgezeichnete Lage, wo sich die Leute mit den Fotoapparaten und den Einkaufstaschen treffen. Er hat also einen großen Gebrauchswert und einen hohen Memorialwert. Was sollte uns daran hindern, ihn gründlich zu verbessern, damit er seinem eigenen Anspruch gerecht wird?
Ich will die Qualität des Baues an drei Grundsätzen messen:
- das Alte soll wegen der Seltenheit und Schönheit erhalten werden
- beim Umbau soll seine Würde unangetastet bleiben
- ein Neubau soll aus dem Geist des konkreten Ortes und der Zeit hervorgehen.
Alle drei Bedingungen wurden verletzt. Im Wielandhaus ist wertvolle historische Substanz abgerissen worden, die sich vor allem im hinteren Teil des Gebäudes befand und deshalb das Verkaufskonzept störte. Mit den beiden erhaltenen Wänden ist weniger als ein Torso übrig geblieben. Die aufwendige Erhaltung der Vorderfront, die zu den weniger wertvollen Gebäudeteilen gehörte, kann nur dazu dienen, nostalgische Sehnsüchte verkaufsfördernd abzudecken. Die Würde dieses, nur noch aus zwei Gliedern bestehenden Baukörpers ist einem zweifelhaften Dienst geopfert worden.
Die Fassade der Heka am Theaterplatz war weder in ihrem letzten Zustand, noch im ursprünglichen, neobarocken Stil, noch in der vom Bauherren eingereichten „modernisierten“ Fassung eine glückliche Lösung. Hier konnte nur ein neuer Entwurf retten.
Doch der Winking-Entwurf ist weder dem Geist dieses Ortes entschlüpft noch wirklich modern. Ich kritisiere an ihm nicht das Fehlen von historisierenden Elementen, sondern die Abstinenz von architektonischer Phantasie. An einem Platz, wo die Poesie und der Theaterdonner thematisiert sind, kommt Winking mit der Addition von Fenstern daher. In einer Zeit, in welcher die industrielle Epoche zu Ende geht, entpuppt sich seine mechanische Ästhetik als atavistisch. Statt einer aus der Persönlichkeit des Platzes entwickelten Fassade wiederholt er die Gestaltungsprinzipien seines Entwurfes für den Pariser Platz in Berlin, der von der Kritik als „äußerst uninspirierter Entwurf“ bezeichnet wurde (Bauwelt 1995, Heft 47, S. 2681). Statt dem genius loci nachzuspüren, folgt Winking einem modischen Trend, der zur Zeit beim Revival der 60er Jahre angelangt ist.
Das nennen Sie, Herr Bothe, „ruhig, klar gegliedert, im Detail vorbildlich“. Dann ist es auch vorbildlich, daß eine Innenwand, die zum Zeitpunkt des Fassadenentwurfes wegen der bereits vermieteten Verkaufsflächen nicht mehr zu verschieben war, an der Stelle auf die Außenwand trifft, an der dort ein Fenster vorgesehen ist. So kann man weder entwerfen noch planen. Die Hauptprobleme lagen doch darin, dass der Investor seine Absicht nicht rechtzeitig und offen auf den Tisch gelegt hat. Vom verpatzten Wettbewerb von 93/94 bis zu Winkings rechtem Winkel zieht sich eine Kette von planerischen Konflikten. Letztlich wirft der Projektleiter der Commerzleasing den Architekten hinaus, um Geld zu sparen. Chaotischer kann Architektur nicht entstehen, wenngleich die Baustellenorganisation Bewunderung abverlangt.
Ich hatte dem Konsum den Vorschlag gemacht, die fehlende architektonische Phantasie durch Kunst zu ersetzen: Im Wechsel sollen Künstler die oberen Glasflächen am Theaterplatz mit ihren Interpretationen des Zeitgeistes ausfüllen. Doch dazu würde Mut gehören. Ist Weimar dazu bereit?
Letztlich, Herr Bothe, sollten Sie nicht auch noch das üble Klischee von den „Verhinderern“ bedienen, das regelmäßig von solchen Bauherren gebraucht wird, die sich ertappt fühlen. Wer schlechte Gestaltung verhindert, ist kein Störenfried, sondern angesichts des wirtschaftlilchen Faktors „Baukultur“ ein Standortvorteil. Ich möchte aber meinen „Freunden von der Grünen Schlange“ raten, das manchmal provokante Innovationspotential anzuerkennen, das auch zu Weimars kultureller Identität gehört. Es geht nicht vordergründig um „historisch oder modern“, sondern um „gut oder schlecht“. Das voneinander zu unterscheiden braucht es u.a. dieses Forum der Baukultur.
Mit freundlichen Grüßen
Prof. Dr. Olaf Weber
in: Weimar Kultur-Journal 5 (1996) Nr. 7, S. 17