Warum einen Gestaltungsbeirat?
Es gibt nachweislich häßliche, unpassende und ideenlose Neubauten und es gibt Modernisierungsmaßnahmen, die diese Bezeichnung nur als Schimpfwort verdienen. Die Defekte in der zeitgenössischen Baukultur sind offensichtlich, aber in Frage steht, ob ein Gestaltungsbeirat Abhilfe schaffen kann oder ob dieser nur neue bürokratische Hürden errichtet, die die Bauprozesse komplizierter und teurer werden lassen. Anläßlich des endlich positiv beendeten dreijährigen Kampfes um einen Gestaltungsbeirat für Weimar sollen einige Anmerkungen diesen Beirat erläutern:
Bauvorschriften hat es immer gegeben, nur waren sie früher kürzer formuliert oder wurden gar nur mündlich weitergegeben. Auf der Basis einer relativ einheitlichen Baugesinnung und einem geregelten Disput zwischen Bauherren, Baufachleuten und dem Rat (bzw. der Potentaten) entstand die Vielfalt und Einheitlichkeit der historischen Städte, die wir heute so lieben.
Mit dem Übergang zu modernen industriellen Bauverfahren ist ein radikaler Wechsel des ästhetischen Grundgestus der Architektur verbunden. Dieser völlig andere Habitus des „Maschinenzeitalters“ produziert die gestalterischen Konflikte von Alt und Neu.
Hinzu kommt, daß es die einheitliche Kultur früherer Zeiten nicht mehr gibt. Es existiert heute ein Pluralismus ästhetischer Werte und Geschmackskulturen und ein häufiges Auseinanderfallen von wirtschaftlichem Kalkül und kulturellen Werten. Die Arbeitsteilung führt dazu, daß am Bau die unterschiedlichsten Interessen und Haltungen zusammentreffen.
Architekten sind von ihrer ökonomischen Stellung her, vor allem den Bauherren und weniger der öffentlichen Stadtkultur verpflichtet. Sie sind Dienstleistende, und also Abhängige, deren Entwürfe in hohem Maße darauf angewiesen sind, daß der Bauherr diese Kultur mitträgt. Unter diesem Gesichtspunkt sollten die Architekten den Gestaltungsbeirat nicht als ein Zensuren verteilendes Gremium verstehen, sondern als einen Beistand zur Durchsetzung ihrer Interessen.
Ein Instrument zur Durchsetzung gestalterischer Aspekte ist bereits die Gestaltungssatzung, doch diese muß sich auf Aussagen zu Volumina und Dimensionen (First- und Traufhöhen, Gebäudefluchten usw.) beschränken oder sie kann nur allgemeine Aussagen zur Gestaltung machen. Gestaltungsvorschriften sind nur Hilfskrücken, die ästhetische Urteile in Paragraphen pressen und dann leider auch die Mittelmäßigkeit fördern. Ob der Entwurf in seinem Charakter und seinen Details zum baulichem Kontext paßt, kann am besten aus großer fachlicher Kompetenz erwachsen, die von einem Gremium hervorragender Experten gebildet wird. Auch dieses Gremium wird – zumal es an übereinstimmenden Kriterien mangelt – kein objektives Urteil zustande bringen, vielleicht aber eine Annäherung an die qualifiziertesten Lösungen. Insofern stellt der Beirat die vermenschlichte und damit qualifizierte Satzung dar.
Voraussetzung für den Erfolg des Gestaltungsbeirates ist sein Gefragtsein und seine Einmischung in frühen Phasen der Entscheidungsfindung – dort, wo die Tätigkeit am produktivsten ist und eventuelle Korrekturvorschläge nicht als “Verhinderung“ erscheinen, sondern als hilfreiche Mitgestaltung. Uberhaupt wäre es ein Mißverständnis anzunehmen, der Beirat sollte im Sinne der Denkmalpflege lediglich begrenzen und einengen. Er hat auch die Funktion, in einer Stadt wie Weimar diejenigen Freiräume aufzuspüren, in denen sich unsere Zeit prononciert manifestieren kann, in denen sich Innovationen und Phantasie entwickeln können und wo sich die für Weimar typische Ratlosigkeit und Ängstlichkeit im Umgang mit der Moderne positiv aufheben läßt. Der Mut zu einem qualifizierten Impuls ist meist kontextverträglicher als ein flauer Kompromiss.
Der Gestaltungsbeirat kann sich zwar nur auf wenige, besonders stadtbildprägende Bauvorhaben (ca. 5% der Bauanträge) konzentrieren, doch hat er die Möglichkeit, durch eine gezielte kulturpädagogische Beispielwirkung weit darüber hinaus auf die Baukultur Einfluß zu nehmen. So gesehen kann er dazu beitragen, Offentlichkeit für die Belange der Kultur zu produzieren. Hoffen wir darauf, daß die Medien dieses Angebot zum qualifizierten Diskurs aufnehmen werden.
Prof. Dr. Olaf Weber
in Thüringer Landeszeitung 15.6. 95,
in Weimarer Wochenblatt 5.7.95