Phantasie ins Zentrum (1995)

Phantasie ins Zentrum!

In Weimars Innenstadt ist wirklich nicht viel los. Zwar geht das anderen Städten ähnlich, doch tröstet das nicht. Zur Zeit sind weder die Ursachen für diese, nur zur warmen Jahreszeit durch Touristen ausgefüllte Leere untersucht, noch hört man von geeigneten Ideen, um diesen mißlichen Zustand zu überwinden.

Einige von denen, die die Abwanderung der einheimischen Kaufkraft in die randständigen Großmärkte zuerst, nämlich an ihrer Ladenkasse, bemerkt haben, machen Vorschläge, die nach hinten losgehen: Den Durchgangsverkehrs wieder zulassen und die Verkehrsheruhigung aufheben. Doch das ist völlig gegen den Trend und die Vernunft. Das würde bedeuten, den Charakter der Innenstadt an den der Großmärkte anzupassen. Alles spricht dagegen, dass blauer Abgasdunst an Bürgersteigen die Ladenkassen häufiger klingen lassen. Hinzu kommt natürlich, dass dieses Klingeln auch kein ausreichendes Indiz für die Attraktivität der Innenstadt ist. Was also tun, um deren Anziehungskraft zu erhöhen?

Zunächst sollten die Geschäftsleute selbst mehr Phantasie aufbringen, um die langweilige, doch offensichtlich profitable Abfolge von Klamotten- und Schuhläden mit unkonventionellen Geschäftsideen aufzufrischen. In Halle habe ich beispielsweise einen Blumenladen gesehen, in dem man inmitten von duftenden Blüten Kaffee trinken kann (3 kleine Tische, bis 10 Personen erlaubt). In Apolda beteiligen sich Boutiquen, Schnapsläden und Fleischereien an einer Aktion, bei der Künstler eingeladen sind, die Schaufenster auf unkonventionelle Weise zu gestalten. Der Möchtegern-Kulturstadt Weimar wird von aussen einiges vorgemacht. Statt zu jammern sollte Phantasie ins Zentrum – und das im doppelten Sinne des Wortes.

Die Stadt Weimar will die Gebühren für die Nutzung öffentlicher Bereiche reduzieren, damit mehr Tische, Stühle und Stände das Stadtbild beleben. Musikanten, Gaukler, Straßentheater oder Pflastermaler sollten ermutigt und evtl. von einem Fond unterstützt, Studenten der Weimarer Hochschulen von ihren Lehrern angeregt werden, sich öffentlich zu produzieren. Alles das, was städtisches Leben ausmacht und in den Großmärkten (auch der „Erlebniseinkaufsparks“) fehlt, sollte unterstützt werden. Gerade in einer neuartigen Verbindung von Kunst, Musik, Theater, von Läden und Gastronomie, vom Musealen und erfrischenden Aktionen könnte das Rezept für die Attraktivität der Weimarer Innenstadt liegen.

Die Attraktivität der gebauten Straßen und Plätze, über die nun endlich ein Gestaltungsbeirat wachen soll, ist genau so wichtig wie das lebendige Treiben in dieser Stadt. Demonstrieren Sie gegen einen Diktator, der Weimar besuchen will oder gegen die leere Stadtkasse – alles das wird Weimar beleben. Der Interessengemeinschaft Weimarer Innenstadt (IWI) würde ich vorschlagen, von ihrem eintönigen Ruf nach mehr Autos endlich abzulassen und selbst Ideen für die InnenstadtkuItur zu entwickeln. Vielleicht könntees ihr auch gelingen, die Stadtkulturdirektion zu einem öffentlichen Hearing auf den Marktplatz zu locken. Zur Belebung der Innenstadt würde auch beitragen, wenn die IWI in einer illegalen Aktion auf allen Straßen und Plätzen originelle Plakate anbringt, auf denen Finanzminister Waigel und Verkehrsminister Wissmann aufgefordert werden, nun endlich die Subventionierung der Großmärkte vor den Toren der Stadt zu beenden. Der Freistaat Thüringen sollte endlich geeignete Raumordnungspläne erarbeiten, die den Wildwuchs der „Einkaufsparks“ stoppen.

Prof. Olaf Weber
in Weimarer Wochenblatt 5.4.95,
in Thüringer Allgemeine am 7.4.95

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