Das Hotel (1995)

Das Hotel

Die Aufforderung, etwas über den „Erbprinzen“ und sein Erbe zu schreiben, habe ich vor allem wegen des interessanten Gegenstandes gern angenommen. Ein Hotel ist das Vitalste, was die Gattung „Haus“ hervorzubringen vermag. Ein ständiger Wechsel der Gäste, der Speisekarte und der Bettbezüge, dazu lärmende Geselligkeit und wohlige Ruhe – diese pulsierende Dramatik muss das schematische Prinzip der Tische, Treppen und Gänge aushalten. Eigentlich ein Thema für Literaten. Das undurchsichtige Geschehen in einem Hotel regt die Phantasie an, berühmte Männer und Frauen geben ihm das Flair, Ereignisse machen Geschichte. Alles das hatte der Erbprinz – und das Traurige ist, dass es ihn nicht mehr gibt. Heute ist der Erbprinz ein Problem in einem problematischen Umfeld.

Der Bildausschnitt zeigt uns den östlichen Teil der Altstadt mit seinen Schlössern – dem Stadtschloß, dem roten, grünen und gelben Schloß, der Landesbibliothek und dem Reithaus. Das Bild durchschneidet eine Diagonale, die die bebaute (rote) Fläche vom Grün des Parks trennt. Aber das ist eigentlich keine Trennung, sondern eine wunderbare und einzigartige Beziehung von Stadt- und Landschaftsraum, die unbedingt erhalten werden muss. Vom Weimarer Marktplatz kann man schon nach 100 Metern einen der besten englischen Landschaftsparks des Kontinents erreichen. Diese Aufnahme macht deutlich, dass Weimar eigentlich eine Stadt im Park ist und es ist kaum zu glauben, dass einige Geschäftsleute die Forderung aufgemacht haben, gerade diese empfindsame Grenze zwischen städtischer und natürlicher Kultur wieder für den Kraftfahrzeug-Durchgangsverkehr freizugeben. Ein solches atavistisches Ansinnen ist nicht nur verkehrspolitischer Unsinn, sondern zeugt von einem völligen Unverständnis dessen, was Weimar ausmacht.

Das Thema Verkehr soll noch eine weitere kleine Anmerkung finden, bevor ich auf das Hotel zurückkomme. Ganz unten ist das grüne Viereck des Beethovenplatzes zu sehen. Er wird bald ausgebaggert sein und eine Tiefgarage, beherbergen. Nach der Unterkellerung soll die Rasendecke wieder aufgebracht werden – außer ein paar Entlüftungsstutzen, Ein- und Ausfahrten wird nichts zu sehen sein. Doch dieses Unsichtbare wird dem Charakter des Platzes in vielerlei Hinsicht verändern. Er wird nicht nur sehr viel belebter sein, vor allem wird das Wissen um den „ruhenden Verkehr“ in seinen unterirdischen Betongrotten, und die Ahnung von fließendem und stauendem Verkehr am Wielandplatz und der Marienstraße, diesen Ort der idyllischen Natur entreißen und ihn den Aspekten des Massentourismus zuführen.

Auch beim Thema „Erbprinz Parkhotel“ geht es um Unsichtbares, zunächst natürlich um Historisches. Am 30. Mai 1749 wurde dem Postmeister Johann Michael Braun das Gastrecht verliehen, nachdem seine Frau ein Jahr zuvor das Gebäude am Markt käuflich erworben hatte. Es war nun Herberge, Gaststätte und Fürstlich Sächsisches und zugleich Thurn und Taxisches Postamt. In der Urkunde wurde ihm erlaubt, „allhier die Gastgerechtigkeit und Wirtschaft zu treiben, ein öffentliches Schild auszuhängen, Fremde zu logieren und zu bewirthen, und solche verstattete Gastgerechtigkeit ohne jemandes Behinderung zu exercieren.“ In der klassischen Zeit war der Erbprinz eines der Zentren des öffentlichen Lebens, an seiner Tafel trafen sich der Herzog Karl August mit Goethe, Schiller und Wieland. Auch W. v. Humboldt wurde von Gastgeber Goethe im Erbprinzen untergebracht und Napoleon bevorzugte im Jahre 1807 ebenfalls dieses Hotel. Im Jahre 1803 erfolgte eine Erweiterung, indem das im Osten anschließende, einst von Johann Sebastian Bach von 1708 bis 1717 bewohnte Haus, dem Erbprinzen angegliedert wurde. Die Musikertradition setzen Richard Wagner und Franz Liszt fort, die im Erbprinzen 1848 ihre Freundschaft begründeten. Um die Jahrhundertwende nochmals vergrößert, war dieses Hotel mit 16 Zimmern, Stilmöbeln „erstklassigen Privatbädern“, Hotelgarten und Speiseveranda ein Ort der materiellen und geistigen Kultur dieser Stadt.

Im April 1945 beschädigt und danach vernachlässigt, wurde der Erbprinz 1968 geschlossen und nach allmählicher Verramschung der Einrichtung und nach einem Gefälligkeitsgutachten 1989 abgerissen. Anfang 1993 erfolgte der Restabriß, nachdem ein Investor Pläne für einen Neuaufbau vorgelegt hatte. Nach dem traurigen und langsamen Tod eines großartigen Gebäudes hat die Stadt Weimar nun die Aufgabe, über die kulturhistorische Dimension dieses schwierigen Ortes zu wachen.

Dabei steht nicht in Frage, dass nach dem eingetretenen Kulturverlust die Lücke neu bebaut werden muss und zwar mit einem Hotel. Nur ergeben sich aus der Planung der Flamberg-Hotelgruppe eine Reihe von Problemen, von denen hier nur einige angedeutet werden können.

Zunächst war das Hotel viel zu groß geplant. Das Hotel Elefant sollte über den Erbprinzen und den Fürstenkeller auch auf das Rößlersche Haus ausgedehnt werden. Auch nachdem das Land Thüringen auf Intervention Weimarer Denkmalschützer das Rößlersche Haus nicht mehr dafür in Aussicht stellt, bleiben mehrere Hundert Betten übrig, die über eine einheitliche Rezeption vermittelt werden, also ein Funktionsmonolith. – Vgl. unsere Kritik an dem Hotel in der Belvederer Allee zu DDR-Zeiten, das hätte besser als kleine Hotels im Stadtgebiet verteilt werden sollen.

Obwohl so groß, soll es nicht riesig erscheinen. Deshalb ist vorgesehen, die historischen Fassaden von Erbprinz und Fürstenkeller wieder aufzubauen als Kopie hinter denen sich ganz andere Strukturen verbergen. Damit wird zwar oberflächlich ein historisches Ambiente erzeugt, aber zum Preis einer zweifelhaften architektonischen Unwahrheit. Dahinter verbirgt sich das Problem, dass das betriebswirtschaftliche Kalkül von Großinvestoren und die Kleinteiligkeit historischer Altstädte einander unverträglich sind und ihre kommerzielle Symbiose oft zu Mickey-Mouse-Lösungen führt. Ich möchte hier die Frage stellen: Warum wirkt das Stadtschloß gegenüber der winkligen Stadtstruktur nicht unmaßstäblich, ein 400-Betten-Hotel aber doch?

Mit der geplanten Haupterschließung des Hotels, vom Platz der Demokratie, könnte sich der Charakter dieses „der fürstlichen Repräsentation und der Kultur gewidmeten“ Ortes so stark verändern, dass er sich nicht mehr genügend vom belebten, quirligen Marktplatz unterscheiden, und somit die reizvolle Spannung der Raumfolgen, Markt- und Schlösserbereich, reduziert oder gar getilgt würde.

Letztlich wird durch die hohe Bebauungsdichte des Areals (bis zur Puschkinstraße bebaut), die für Elefant und Parkhotel früher typischen Hotelgärten, auf einen unakzeptablen Rest reduziert (das Parkhotel hatte einst einen Hotelgarten von 1200 qm). Dieses Zurückdrängen von Natur schmälert auch den Parkstraßencharakter der Puschkinstraße und die Wirkung des einst als Solitärgebäude errichteten Fürstenhauses (Musikhochschule). Hinter all diesen Einzelproblemen verbirgt sich das generelle Thema von den zunehmenden Widersprüchen zwischen dem von kommerziellen Interessen geprägten Massentourismus und dem Kulturanspruch der Stadt.

Noch allgemeiner ist das ein Konflikt zwischen den Anforderungen der Industriegesellschaft und den von handwerklichen Produktionen geprägten Altstädten – auf unserem Bild springt diese Unvereinbarkeit als hellrote Farbe ins Auge: Ein Dachziegel ist heute kein irdenes der Landschaft zugehörendes Baumaterial mehr, sondern ein hunderte Kilometer weit gerolltes Industrieprodukt mit allen Kennzeichen der Serienproduktion: eintönig und verwechselbar.

Prof. Dr. Olaf Weber

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