Wasserlose Schwimmhalle mit Haiflosse (1994)

Olaf Weber
Wasserlose Schwimmhalle mit Haiflosse

Weimars Marktnordseite: Fast ein Architektur-Symbol für das Nichtzusammenwachsen dessen, was heute doch zusammengehören sollte.

Wer aber sein Haus weiß tüncht, der verrät seine weiß getünchte Seele.
(F. Nietzsche: Zarathustra)

Das Quartier nördlich des Marktplatzes in Weimar – Marktgalerie genannt – war heiß diskutiertes Prestigevorhaben im Endstadium der DDR und wurde nach der Wende ein Renommierobjekt der neuen Stadtadministration.

Nach fast einjährigem Betrieb – im Frühjahr 1994 – schickten die Ladenbesitzer einen offenen Brief an den Eigentümer (die VEBA Wohnen), worin sich die Geschäftsleute über Mängel des Baues beschwerten, die sie als Ursache unbefriedigenden geschäftlichen Erfolgs hielten. Einige von ihnen gaben bereits auf. Der Eigentümer kündigte Beseitigung der Mängel an, doch viele Hinweise, darunter eine Analyse von HAB-Studenten lassen vermuten, dass dem Bauwerk ästhetische und strukturelle Fehlorientierungen zu Grunde liegen, die durch technische Korrekturen oder kosmetische Operationen nicht aufgehoben werden können.

Sterile Passage

Nachdem durch Kriegseinwirkungen 1945 ein ganzes Quartier der mittelalterlichen Stadtstruktur an der Marktnordseite zerstört wurde, entstand zunächst eine parkartige Freifläche, doch widersprach die fehlende Begrenzung dem Bild des historischen Platzes. Die Notwendigkeit, diesen Charakter wieder herzustellen, führte immer wieder zu Bebauungsüberlegungen. Läden gab es für das bescheidene Warenangebot in der DDR genug, Wohnungen wurden vor allem am Stadtrand gebaut – so war das Motiv für die Neubebauung der Marktnordseite ein ästhetisches.

Nach der Wende kam die Notwendigkeit hinzu, das wertvolle Bauland optimal zu vermarkten. Es hätte dafür die Möglichkeit gegeben, den vor den Toren der Stadt aus dem Boden gestampften Einkaufs-„Parks“ lebendige innerstädtische Alternative zu geben. Die vielerorts gültigen Negativwerte dieser extra-urbanen Konsumtempel – hohe (Umwelt-) Belastungen aus Verkehrsaufkommen, Benachteiligung nichtmobiler Bevölkerungsgruppen, Verlust regionaler Identität durch Uniformierung der Stadtränder, Störung des Landschaftsraums und Verödung der Innenstädte – hätten in der Marktgalerie positiv aufgehoben werden können.

Die Marktgalerie bleibt meist leer. Der überdachte Verweil- und Verkehrsraum im Inneren ist eigentlich keine Passage, denn nur wenige passieren ihn und in ihm passiert nichts. Die „Galerie“ wird als steril empfunden, bei einer Straßenbefragung wird sie als „Schwimmhalle ohne Wasser“ oder „Gewächshaus ohne Pflanzen“ tituliert. Die Eingänge sind schlecht gestaltet und an der falschen Stelle, die Geschäfte wirken unattraktiv. Die Bestuhlung eines Cafés als möglicher Magnet ist wie der Hochaltar einer Kirche angeordnet. Eine kupferne Kunststele verstärkt das geistlose Ambiente.

Kurz vor Fertigstellung merkte der Bauherr offensichtlich, dass etwas Identifikatorisches fehlte. Es wurde öffentlich ein origineller Name gesucht. Ergebnis: “Marktgalerie“. Nur „Markt“ verweist richtig auf den Ort, während „Galerie“ als ein lang gestreckter, nach einer Seite hin offener Gang nur peinlich zutrifft. Die offene Seite ist ein Innenhof, dessen private Nutzung den öffentlichen Charakter der Passage stört. Der andere Begriffsinhalt, Galerie als Kunstladen, lag dem Betreiber nicht nahe. Das aber wäre ein Konzept gewesen und für die Kulturstadt eine ortstypische Ausprägung von dem, was eine Passage darstellt; ein Zwitter von Stadtkultur und Kommerz.

Ohne Öffentlichkeit

Zu DDR-Zeiten wurde über Notwendigkeit, Zeitpunkt und Art der Bebauung der Marktnordseite heftig gestritten. Mehrere interne und internationale Wettbewerbe, studentische Seminare, Studienarbeiten u.a. brachten eine Vielheit traditioneller oder moderner Lösungen hervor – letztere allerdings meist in zeittypischer Ratlosigkeit. Letztlich wurde eine den historischen Baufluchten folgende Blockrandbebauung bestätigt, die zum Markt hin mittels vier historischer Fassadenkopien (darunter die alte „Hofapotheke“) auf Nummer sicher ging und den Rest mit kontextuellen Kompromissen füllte. Der Vorwurf von „Mickey-Mouse-Architektur“ kam nur aus dem Westen, in Weimar erfreute die Nettigkeit des historischen Entwurfs.

Die unreflektierte Ablehnung frischer, geistvoller Entwürfe war ein beschämender Akt von Gedankenlosigkeit und Ignoranz. Die Entwürfe von Villmow/ Rudolf (Weimar) – moderne Formen mit dem historischen Kontext zu versöhnen – und von Frank Stella und Angelo Villa (Venedig) – den Widerspruch zur historischen Umgebung nicht nur auszuhalten, sondern ihn zu provozieren – waren gedankliche Muster für die Absicht, dem traditionalistischen Klima Weimars eine Innovationsspritze zu geben.

Zur Wende war die Häuserzeile mit den vier Kopien rohbaufertig, die übrigen Seiten des Quartiers geplant, aber baulich noch nicht begonnen. Im Frühsommer 1990 wurden die Bauarbeiten eingestellt, weil sich Eigentumsfragen stellten. Nach dem Verkauf an die VEBA Wohnen erhielt das Quartier ein neues Konzept, das den Bedingungen der Kapitalverwertung folgte. Die Top-Lage erzwang Erhöhung des Ausstattungskomforts für die Wohnungen und führte zu völlig neuem Entwurf für die fehlenden Teile. Der Wohnungsanteil wurde auf ein Viertel der ursprünglichen Planung reduziert, Geschäfts- und Büroflächen wurden vergrößert, die Passage hinzugefügt. Alles das erfolgte unter weit gehendem Ausschluss der Öffentlichkeit. Die Debatten im Stadtrat fanden hinter verschlossenen Türen statt, die Fachgremien der Bauhochschule wurden ausgegrenzt, dem Denkmalamt fehlten nicht Argumente, wohl aber Gelegenheit, einzugreifen.

Der zweite Bauabschnitt sollte für die VEBA ein Demonstrationsobjekt sein, für den Architekten Ludes ein Selbstzeugnis, für den neuen Oberbürgermeister ein Signal für den Aufschwung. Viele waren sehr enttäuscht, als nach Fall des Vorhanges ein aufgemotzter Routinebau sichtbar wurde, der den seelenlosen Charakter von Massenware besitzt, andererseits Exklusivität auszudrücken versucht, die fremd wirkt. Grundgestus des Neubaus ist die Konfrontation gegen das Überkommene. Diese Abgrenzung versuchte Architekt Ludes im Geist der Maschinenästhetik zu realisieren und verwendete Gestaltungsmittel der klassischen Moderne wie auch eines „verharmlosten“ Dekonstruktivismus. Gerasterte Fassaden erinnern schwach ans Bauhaus, das zwar in Weimar gegründet, sich in der Stadt aber mit einer Ausnahme nicht baulich manifestiert hat. Ein Stahl-Glas-Erker sitzt frech und schräg auf der Fassade und will deklarieren, dass Technik heute ein Spiel sei, man Konstruktionen verfremden kann.

Schweißtreibend

Im Inneren präsentiert sich die biedere Stahlkonstruktion der Passage, die keinen Pfiff und auch keine Entlüftung hat, so dass den gelangweilten Passanten bald die Schweißperlen auf der Stirn stehen. Den Ausdruck des Neuen besorgt vor allem die Farbe: das strahlende Weiß. Das Weiße ist in den neuen Bundesländern zur Farbe wirtschaftlicher Prosperität geworden. Alles Rekonstruierte oder Neue ist leuchtend weiß. Damit hebt es sich extrem und aggressiv von dem Grau vieler ungepflegter Fassaden ab. Eine muntere Buntheit hätte das Grau ablösen können, ohne es zu beschämen. Genau das bewirkt die Farbe Weiß. Es ist Ausdruck eines saturierten Perfektionismus.

Das Gebäude wirkt fremd. Es ist keine Fremdheit, die Neugier erweckt, das Unbekannte zu entschlüsseln, sondern eine Fremdheit, die zwar laut, doch abwehrend ist. Sie zeigt sich auch in den schroffen Anbindungen zur bestehenden Bebauung (z.B. dem „Palmordenhaus“) oder in Formen, die es in der Geschichte der Stadt nie gab und auch aus neuzeitlichen Beweggründen nicht abzuleiten sind – etwa die große Rundung des Daches, die der Winkligkeit mittelalterlichen Stadtgrundrisses widerspricht.

Getrennte Ecken

Das Quartier hat zwei interessante Ecken, eine noch zu DDR-Zeiten errichtet, die andere gehört dem marktwirtschaftlich konzipierten Bauabschnitt an. Letztere ist im Dach eigentlich rund, dafür wird die Ecke im Fassadenbereich durch einen „Pylon“ umso schärfer markiert – ein raffinierter Widerspruch. Der Pylon hat scharfe Kanten und konvex gebogene Seitenflächen. Er ragt über die Traufe hinaus und streckt die Ecke zu einem Achtungszeichen empor. Aber dieses Zeichen ist leer. Seine exorbitante und futuristische Gebärde beherbergt keinen hervorragenden Impuls und markiert keinen besonderen Ort. Sogar der Eingang zur Passage ist an anderer, unauffälligerer Stelle. Der Pylon erheischt Aufmerksamkeit, die zu nichts hinführt. Manche titulieren ihn mit „Haifischflosse“, „Klappmesser“ oder „Hosenschlitz“.

Gegen diese selbstbewußte und grelle, aber irgendwie affektierte Ecke steht die brave, aber angestrengte DDR-Ecke an der Marktseite, der man die Ängstlichkeit von tausend Kompromissen ansieht. Absicht war, die historisierende Haltung der Fassadenkopien zum Rande der Häuserzeile hin in eine moderne Formensprache hinüberzuleiten. Dabei passierten merkwürdige Entgleisungen wie ein auf der Spitze stehendes Giebelfenster oder ein Pfeiler, der sich nach unten als Kunstsäule fortsetzen wollte, nun aber in der Luft hängt.

Das Quartier der Marktgalerie leidet wie andere Neubauten in Altstädten unter dem Antagonismus zwischen vorhandenen kleinteiligen Stadtstrukturen und dem Flächenbedarf von Großinvestoren.
Die politische Wende 1989/90 ist dem Quartier im Übergang von historisierender zu polemisierender Architekturauffassung deutlich anzumerken. Diese Lesbarkeit von Geschichte wäre ein Vorteil, wenn die Überleitung einer Vorsicht und Logik folgen würde, die dem Ganzen trotz Widersprüchlichkeit genügend Sinn und Praxis gegeben hätte. So aber führt das Neue mit dem Überkommenden keinen Dialog, so dass sich die beiden Teile auch dem Betrachter nur undeutlich und aneinander vorbei ausdrücken können. Das ist keine Vielfalt in der Einheit, sondern ein heterogenes Gemenge, in dem sich die Teile nicht respektieren. Fast ein Symbol der Uneinigkeit.

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