Runder Tisch im Glashaus – Schöne Metaphern im neuen sächsischen Landtag in Dresden (1994)

Olaf Weber
Runder Tisch im Glashaus
Schöne Metaphern im neuen sächsischen Landtag in Dresden

Abgeordnete wissen zu genießen. In Dresden haben sich die Volksvertreter eine der schönsten Stellen der Elbpromenade zugewiesen. Nur Belevue wäre noch schöner gewesen, direkt gegenüber.

Der neue sächsische Landtag ist am befestigten Terrassenufer des großen Elbbogens gelegen. Es ist eine Idylle. Das flache Wasser zieht den Blick in die Weite: Kleinere Kähne schaukeln flussabwärts. Drüben die sanften Elbwiesen, hier die Augustusbrücke, die Brühlschen Terrassen, die Hofkirche, das Schloß, der Zwinger, die Semperoper. Das freistaatliche sächsische Parlament liegt am Ende der „Kulturmeile“ und es wäre gut für die Politik, nicht am Ende zu liegen, sondern inmitten der Kultur. Das ist auch schon angedacht. Die attraktive Uferbebauung soll, so Geld da ist, bis zur Marienbrücke weitergeführt, das ehrwürdige Monster des Erlwein-Speichers zur Landesbibliothek umgenutzt und vielleicht das Ganze mit dem Paukenschlag einer neuen Philharmonie abgeschlossen werden. Aber zunächst ist der sächsische Landtag Realität.

Über das neue Gebäude wird niemand etwas Schlechtes sagen können. Im Gegenteil, es ist schön, elegant, auf eine angenehme Weise einfach, doch auch eigenständig, interessant und souverän. Es rundet in seiner L-förmigen Gestalt das ehemalige Finanzamt zu einem Quartier ab, das ein gut durchdachtes, auch emotional stimmiges architektonisches Ganzes ergibt. Und doch ist in diesem Bau soviel Problematisches enthalten, dass es (nun wiederum positiv) geradezu die Widersprüche unserer Zeit spiegelt. Die bedeutsame Funktion und der exquisite Standort, lassen es zur Baukunst in dem Sinne werden, dass es den Zeitgeist verpflichtet, sich in die Sinnlichkeit des praktischen Stoffes zu verwandeln.

Im Verhältnis zum Behnisch-Bau in Bonn ist der sächsische Landtag ganz frisch, ganz klar und direkt. Prinzipien, die am Rhein mühsam gegen Gewohnheiten und Vorschriften durchgesetzt werden mussten, und in vielen Jahren durch etliche Kompromisse geschwächt wurden, konnten sich an der Elbe mit Leichtigkeit durchsetzen. Hier liegt das Parlament wirklich am Fluss, es öffnet sich tatsächlich zur Landschaft und hat den Anschein, als ob es Bürgernähe wirklich will. Die kurze Bauzeit (vom Wettbewerb bis zum Festakt nur zweieinhalb Jahre), die intensive, fast spontane Planung, die noch unverbrauchte Verwaltung, die Aufbruchsstimmung zur Wendezeit – all das hat offensichtlich ein Bedingungsgefüge hervorgebracht, das als Glücksfall für Architektur gelten kann. Peter Kulka hat das gespürt. Der 1937 in Dresden geborene Architekt war 1965 nach Westdeutschland gegangen, arbeitet in Köln (und wieder in Dresden) und lehrt als Professor in Aachen. Sein Entwurf ging als Sieger aus einem eingeladenen Wettbewerb unter 12 Teilnehmern hervor.

Was ist nun die exemplarische Dimension dieses Objektes? Es ist seine metaphorische Veranlagung und das von ihm trotz der Schlichtheit ausgehende Verlangen, interpretiert zu werden. Ich habe es schon angedeutet: Das Bauwerk ist überhaupt nicht spektakulär, es versucht nicht, Aufmerksamkeit durch Extravaganzen zu erreichen. Die Ausdrucksmittel sind eher minimalistisch.

Man muss sie entdecken. Sie sind von der Art, wie sich zeitgenössische Kunst oft gibt: Die Bereitschaft zum Entdecken vorausgesetzt, stellt sich die Sensibilität für die bedeutungstragenden Formen erst beim Betrachten ein. Ihre Sinngehalte werden erlernt, indem ihre Formen erlebt werden. Das ist allerdings nicht einfach. Die abstrakten Formen verlangen viel Assoziationsbereitschaft, Phantasie und Hintergrundwissen. Diese Kunst ist schon irgendwie elitär, sie wird nur durch Metakommunikation wie Erklärungen und Hörensagen allgemein. Insofern bleiben wohl mindestens diese metaphorischen Schichten oftmals dem kleinen Mann, der guten Frau, zu denen sich das Bauwerk öffnen will, verborgen.

Peter Kulka weiß von der Zeichenhaftigkeit eines solchen werthaften Bauwerkes.
Ein Parlament ist ein Symbol, in dem politische Handlungen stattfinden. Und Architektur reflektiert nicht nur diese Wirklichkeit, sondern kann auch versuchen, Realität zu antizipieren. Kulka ist Konstrukteur und Idealist. Er versucht mit seinem Bauwerk, Demokratie zu provozieren – sicherlich schon eine Überschätzung dessen, was der gebaute Raum zu leisten vermag, aber eine sympathische. Er versucht, mittels der architektonischen Sprache etwas einzufordern und es dabei real zu befördern. Gelänge das, so könnte das festgefügte Bauwerk tatsächlich zu einem dynamischen Element werden, das in glücklichen Tagen etwas von dem in Bewegung versetzt, was den Architekten bewegte.

Das Glas
Die gängigste und nun schon wieder verbrauchte, in Dresden aber wahrhaft kühn zelebrierte Metapher ist die Analogie von Glas, Durchsichtigkeit und Demokratie. Wenn der Architekt eine solche Beziehung als Anstoß zum Nachdenken über die Verletzlichkeit von Demokratie versteht, ist das etwas anderes als die schnelle Behauptung von Politikern, das Glashaus sei Ausdruck der endlich errungenen freiheitlichen Demokratie. So schrecklich glatt kann Architektur missverstanden werden, wenn man nicht beide Seiten hinterfragt: Welche politischen Entscheidungen finden auch nach der Wende hinter geschlossenen Türen statt? Andererseits: Ist Glas überhaupt in der Lage, die Doppeldeutigkeit von “Transparenz” aufzuspüren. Ist es nicht vielmehr so, dass es kaum Kälteres und Undurchdringlicheres gibt, als eine spiegelnde Glasfassade? Suggeriert die Eigenschaft getönter Glasflächen, den Blick nach draußen zu ermöglichen, den nach drinnen aber durch Spiegelung zu erschweren, nicht das Gegenteil? – Die Abgeordneten als heimliche Voyeure, die dem spazierenden Volk aufs stumme Maul schauen. Und welchen Einblick in Demokratie hätte ein Bürger wirklich, der sich an der Glasfassade die Nase platt drückt und dahinter nur verdutzte Abgeordnete erblickt? Und letztlich wollen wir fragen, welche freiheitliche Durchlässigkeit denn gemeint ist, wenn der Blick durch ein Material schweift, das armdick ist. Weiche Art von “Glasnost” ist das, die sich durch Panzerglas ausdrückt? In Frage steht, ob solcher Art desavouiertes Glas nicht besser durch andere Symbolformen ersetzt werden sollte, die zwar nicht durchsichtig sind, doch umso mehr Einblicke in das Wesen des Staates und die darin waltenden wirtschaftlichen und medialen Mächte verschaffen. Ich vermute, dass es Kulka weniger um solche Bedeutungen ging. Er wollte eine schöne Aussicht schaffen auf das, was schön ist. Und das ist auch eine Aussage.

Der Kreis
Die Kreisform des Plenarsaals – im Bonner Bundestag und im Düsseldorfer Landtag schon ausprobiert – ist eine Sitzordnung, von der man sich erhofft, im Verhältnis zu dem an Theater erinnernden Gegenüber von Regierung (Bühne) und Abgeordneten (Zuschauern) den direkten Austausch der Abgeordneten, ihren lebendigen Disput, fördern zu können. Wie bekannt, hatte Adenauer mit seinem Veto eine solche Lösung für den Bundestag im Jahre 1948 verhindert. Es sei dahingestellt, ob trotz der parlamentarischen Absprachen zur Rednerliste und anderen Ritualen tatsächlich eine lebendige Interessenvertretung initiiert werden könnte – die Kreisform enthält sicherlich eine demokratische und Gemeinschaft stiftende Potenz. An die runden Tische zur Zeit des DDR-Verwandlungsprozesses 89/90 erinnert die Rotunde des Plenarsaales allerdings nicht. Sie waren damals politisch differente Konsensinstrumente in einer sozial relativ homogenen Gesellschaft. Das trifft für die bundesrepublikanische Wirklichkeit nicht zu. Im übrigen ist das Problem der Rotunden ihre Mitte. Im Zirkus treten dort geschmückte Pferdchen auf, in einem Parlament ist dieses Zentrum gähnend leer. – Nein, in Dresden sitzen dort die StenografInnen, die für die Geschichtsschreibung arbeiten.

Die Asymmetrie
Vieles ist im Saale geordnet, aber nichts ist symmetrisch. Selbst diejenigen Ausstattungselemente, die eine axiale Anordnung bevorzugen, sind kaum merklich oder auch deutlich aus der Mitte gerückt: Das (versenkbare) Rednerpult, das Präsidium, die Regierungsbank, die Fahnen, die Stenografinnenpulte, die Zuschauer- und Pressetribüne – alles orientiert sich auf Achsen und Zentren, vermeidet sie jedoch auch. Wir kennen die Diskussionen schon seit den 20er Jahren, als Symmetrien zum Ausdruck von Diktatur und nicht autorisierter Macht erhoben wurden, die Balance gewichteter Elemente dagegen, Zeichen demokratischer Gesinnung waren. Das Bild stammt historisch aus einer praktischen Ordnung: Ein Heerführer oder ein Gutsherr konnten sich von der Mitte her den besten Überblick verschaffen und am leichtesten Befehle ausgeben. Im zentralen Prunkbett Ludwig XIV war die Mitte nur noch zentrische Magie und raffiniertes Zeichen eines absolutistischen Machtzustandes.
Im Zeitalter der elektronischen Medien ist das räumliche Zentrum für die Machtausübung uninteressant geworden. Die Gestalter lieben es, mit Achsen zu spielen. Der unernste Gebrauch hebt jedoch deren Würde- und Autoritätsgestus nicht auf. Kulka schafft, in seinem Respekt vor und im bewussten Verfehlen von Symmetrie, eine Dialektik der Wahrnehmung, die nicht nur ein ambivalentes Symbol (Herrschaft und Demokratie) darstellt, sondern auch für eine interessante und der Optik entgegenstrebende Wirkung sorgt.

Weitere Metaphern
Am und im Gebäude entdeckt man eine Menge weiterer metaphorischer Kunstgriffe. Die bekannteste ist die Schifftsmetapher, an deren weissen Reelings und Eisentreppen man sich in der Spätmoderne schon wieder satt gesehen hat, doch hier macht die tatsächliche Nähe zum Fluss etwas mehr Sinn als anderswo, und Kulka will im Dampfermotiv auch einen “inneren” Wert der Sache konnotieren: Die Verlässlichkeit und zugleich die Verletzlichkeit eines großen Organismus.
Einen ähnlichen Sinn macht es, die Berührungsstellen zwischen dem denkmalgeschützten Altbau von 1930 und dem Neubau durch deutliche Fugen zu markieren. Sie drücken Repsekt und Distanz zugleich aus, sie sind aber auch “Kraftlinien”, die historische Bewegung versinnbildlichen und dazu den Ort des
vertikalen Transports (der Fahrstühle) markieren. Rätselhafter sind dagegen die orangefarbenen Teppiche, die sich vom Obergeschoß her ähnlich Lavaströmen über die Zuschauertribüne in den Plenarsaal ergießen. – Die bedrohliche, eruptive Kraft des Volkes? Die Landesfarben Sachsens in grünem Granit (aus der Schweiz, weil der sächsische rötlich ist) und silbrigem Weiss, sind dagegen eindeutig. Der Präsidententrakt ist im (korallen) Rot der Potentaten gehalten. Eine lange Rampe, über die die Abgeordneten in ihre Arbeitsräume gelangen, zeigt heutzutage behindertengerechtes Bauen an, doch ist sie vor allem ein Beitrag zum würdevollen Schreiten und die Gelegenheit zu einer Diagonalen, die immer an alles “Dynamische” gedanklich erinnert. So bietet die abstrakte Architektur viel Gelegenheit zu Assoziationen. Kunst im eigentlichen Sinne kommt im Innenraum nicht vor, aber die schön gekurvte Rückwand des Plenarsaales – von den Hellerau-Werkstätten in Holz gefertigt – lässt eine Schwingung der Seele zu, wie sie auch manches Kunstwerk versucht und auch die gebündelten Lautsprecherboxen an der, als quadratischen Tisch ausgebildeten Decke (die Abgeordneten sitzen unter dem Tisch), können als künstlerische Installationen betrachtet werden, wären sie entsprechend akkustisch programmiert. Der Streit darüber, welches der beiden offiziellen sächsischen Staatswappen (die barocke oder die Variante von 1919) über dem Präsidium prangen sollte, hat zu dem vielleicht kunstähnlichsten Gebilde geführt – einem filigranen Aluminiumblech in der Figur Sachsens, auf dem die Problem- und Ballungszonen herausgestanzt sind.

Am Modischen, z. B. dekonstruktivistischen Elementen, ist dem Bauwerk wohltuend
wenig aufgesetzt. Nur selten, doch genug um Historizität zu bekunden, kokettiert mal hier ein Stanzblech an Möbeln und Geländern, mal dort ein Spannseil mit dem Provisorischen oder Abfälligen der zeitgenössischen Architektur- und Designströmung. Im Foyer erinnern Kokosnuss-Sessel (von George Nelson) an die heute so unerklärlich beliebten 50er Jahre. Ansonsten erinnert viel an Mies van der Rohe und an das Bauhaus. Die Üppigkeit des Dresdner Barocks ist nur selten, zum Beispiel an der Irregularität zu spüren, mit der die Zuschauertribüne die Glasfassade durchbricht und sich seinen eigenen Ausblick auf die historische Silhouette verschafft.
Der Sächsische Landtag gibt sich als offenes Haus. Der Haupteingang ist einladend zur Stadtmitte gerichtet, ein Bürgerforum und eine öffentliche Gaststätte versprechen Politikernähe, eine Uferterrasse könnte die schon beschriebenen Einblicke verschaffen. Der Architekt hat das Mögliche getan. Doch wird die politische Realität diese Angebote nutzen? Es gibt schon Hinweise auf bedauerliche Beschränkungen. Die Terrassen sind nur an sitzungsfreien Tagen zugänglich, bei Demonstrationen herrscht sogar eine faktische Baumeile, die Geschäftsordnung des Hauses ermöglicht “Dunkelkammersitzungen”, die Mehrfachnutzung des Saals wird unterbunden, die Sicherheitsrichtlinien erfordern Ausweis- und Taschenkontrollen, der Verhaltenskodex verbietet den Abgeordneten das Kaffeetrinken im Plenarsaal usw. Die zivilisatorische Realität begrenzt die Nutzung und beschädigt damit auch die Schönheit des Bauwerkes. Architektur ist situativ. Zur ersten Sitzung am 3. Oktober gab ein frecher Demonstrant dem Bauwerk noch eine Aussage hinzu. Mit dem Hinweis auf Arbeitslosigkeit, Kriminalität und Wohnungsnot fragte er auf einem Transparent: Wann werden die
Gewinner der Einheit zur Kasse gebeten? Ich empfand diese Aktion für das Bauwerk sehr wohltuend, es war wie Kunst. Sie harmonierte mit der Schönheit der Elblandschaft, mit dem sanften Schaukeln der Kähne und der klaren Form des Bauwerkes … (im übrigen waren es arbeitslos gewordene Stahlkocher aus Riesa, die den grünen Granit in hervorragender Qualität geschnitten und poliert haben.)

Der neue sächsische Landtag ist gut für den Ort. Ob er auch gut für die Demokratie ist, wird sich erst zeigen. Merkwürdig ist, dass Parlamentsneubauten offensichtlich gerade in Zeiten von Politikmündigkeit forciert werden. Je fragwürdiger der Zustand des parlamentarischen Systems, so könnte es scheinen, umso perfekter ihre bauliche Hülle. Die Form kompensiert die Mängel der Sache, das gibt es öfters.

In Dresden war sicherlich ein Neubau notwendig, zumal einer, der Demokratie als Bauaufgabe ernst nimmt. Zu denken gab mir allerdings ein Abgeordneter, der sich in dem mehrjährigen Provisorium der Dreikönigskirche ganz wohl gefühlt hatte. Das Unausgedachte und Unstimmige sei gerade wohltuend gewesen. So konnten dort Abgeordnete, Minister, die Presse und politische Laien ganz locker miteinander Kaffee trinken. Doch in einem Parlamentsgebäude hat alles seine räumliche Ordnung. Ganz ohne Lobby geht eben die Chose nicht.

Runder Tisch im Glashaus.
Schöne Metaphern im neuen Sächsischen Landtag in Dresden.
in: Bauwelt 1994, Heft 3, S. 112-119.

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