3 Wochen in der Neuen Welt (1993)

Olaf Weber
3 Wochen in der Neuen Welt
Ein Kurzbericht aus den USA

Stellen Sie sich vor: ein korrekter dunkler Anzug, eine leuchtend bunte Krawatte und an den Füßen: knallrote Gummistiefel. So empfing uns ein Designer am Art Center College of Design in Passadena/Californien. Und er hatte recht. Das ist der neueste Modetrend in den USA: Eben das, was nach dem guten Geschmack gerade nicht zusammen passt – und dabei eben doch die etablierte Ästhetik (nur etwas quer) trifft, das ist modern. Natürlich mit korrekter Kurzhaarfrisur, bestem Stoff und poliertem Glanz auf den Gummistiefeln.

Das alles ist Amerika: Ein schrecklicher Blizzard in New York, der uns beinahe am Battery Park ins Meer geweht hätte, ein Hotelbrand in Chicago am Vortage unserer Ankunft, ein Erdbeben nahe San Francisco, die dicksten Regenfälle seit 20 Jahren in Los Angeles und daselbst die gespannte Atmosphäre sozial-ethnischer Konflikte, da die Urteile im sog. King-Prozess erwartet wurden. Dass wir die Katastrophen derart auf uns gezogen haben, das kann man Amerika, dem Kapitalismus oder dem neuen Präsidenten wirklich nicht anlasten.

Wir waren in den größten amerikanischen Städten zu Gast und besuchten die besten Universitäten. Fünf Architekten und Designer der HAB Weimar bereisten auf Vermittlung des Amerika-Hauses in Leipzig (dem herzlich zu danken ist) die USA, um die dortige Ausbildung von Architekten, Designern und Künstlern kennenzulernen.

Dabei sind große Vielfalt der Ausbildungskonzepte, die unterschiedlichste Studiendauer und inhaltlichen Profile überraschend. Das schafft Wahlfreiheit für die Studenten, aber auch eine große Unsicherheit. Da die meisten Universitäten Privatunternehmen sind, entwickeln sie ihre Profile allein am Bildungsmarkt. Die Studenten bezahlen bis zu 25.000 DM Studiengebühren pro Jahr (dazu kommt Lebensunterhalt, Miete usw.) Dieses ökonomische Verhältnis zur Universität schafft volle Hörsäle, Werkstätten, Ateliers usw. Die Studenten studieren tatsächlich von morgens bis abends, denn sie haben ja schließlich die Vorlesungen, Werkstätten usw. bezahlt. Es besteht eine hohe Leistungsbereitschaft und ein hoher Leistungsdruck.
Das Studieren ist in den USA sehr viel weniger in dem Sinne frei, wie es an bundesdeutschen Universitäten angestrebt wird (viele Wahlfächer, Kurse usw. und damit Angebotsüberschneidungen), es ist dagegen sehr viel geordneter und ähnelt dabei sogar dem „verschulten“ System, wie wir es in der DDR gehabt hatten.

„I like Bauhaus“ – ein Bekenntnis, das uns immer wieder von unseren Gesprächspartnern entgegengebracht wurde. Wir galten dort auch nicht als Vertreter der HAB Weimar, sondern als Nachfahren des Bauhauses, das in den USA, besonders aber in Chicago, eine in diesem Maße unverhoffte Verehrung genießt.
Das liegt sicherlich vor allem an Mies van der Rohe, der das Bauhaus nach Chicago brachte. Heute ist die Chicago School of Architecture ein Teil der Universität.

Die Amerikaner, die vom Bauhaus vor allem die technische Ästhetik übernommen haben, tragen den Widerspruch mit ihrer anderen Traditionslinie, dem Eklektizismus, sehr engagiert aus. Es war nicht leicht für uns darzustellen, dass wir nicht zurück zum Bauhaus wollen, sondern vom Bauhaus vor allem die Radikalität des Lösungsansatzes übernehmen wollen, die heute unter ganz anderen Bedingungen auch zu ganz anderen Ergebnissen führen würde als vor 70 Jahren. Aber dieses Streben nach wirklicher Innovation ist ja wegen des Konservatismus, der heute in Deutschland herrscht, nicht durchzusetzen.

Bei New Yorks berühmten Designer Massimo Vignelli erlebten wir die Perfektion der raffinierten Einfachheit. In den Büros von Venturi/Scott Brown/Izenour und Frank Gehry konnten wir die neuesten (postmodernen – das will Venturi nicht hören) und dekonstruktivistischen Entwürfe sehen. In einem der weltgrößten Architekturbüros (bei Skidmore, Owings and Merrill) erfuhren wir von einem Geheimnis, das ich gleich ausplaudern will. Man plant dort den höchsten Wolkenkratzer der Welt von fast 500 Meter Höhe – in Moskau. Wer soll das bezahlen?

Überhaupt die Wolkenkratzer, sie sind schon faszinierend. Vor allem, wenn man sie als Silhouette und am Abend sieht, wenn sie sich zu luftigen Lämpchenstrukturen auflösen. Man sieht ihnen ihre Schwere nicht an und auch nicht ihre Probleme. Immer mehr zeigt sich nämlich, wie anfällig sie gegenüber Störungen, z. B. terroristischen Anschlägen, sind. Das World-Trade-Center ist immer noch weiträumig abgesperrt. Das derzeitige höchste Gebäude der Welt, der Sears-Tower in Chicago (443 m), wird streng bewacht. Aber auch der ungestörte Betrieb dieser „skyscrapers“ muss mehr und mehr als problematisch angesehen werden. Die Fahrstühle und Klimaanlagen fressen ungeheure Energiemengen, die sich leisten zu können Amerika noch glaubt, doch die sich die Menschheit eigentlich nicht mehr leisten kann. Ihre Eigenschaft als Energiemonster macht sie mir auch ästhetisch anrüchig, obwohl sie einzeln und in ihren merkwürdigen Überschneidungen durchaus schön sein können.

Zur Ökologie haben die Amerikaner ein sehr widersprüchliches Verhältnis. Die Wegwerfgesellschaft feiert dort immer noch Triumpfe. Der Aufwand an Plaste und Papier, das in die Kübel wandert, ist ungeheuer. Andererseits haben die Amerikaner beispielsweise die strengsten Abgasnormen. Dieser Widerspruch ist nur so zu erklären, dass das ständige Ankurbeln der Wirtschaft oberstes Ziel ist und die Herstellung von Plastegeschirr (wir haben auch auf einer Dinner-Party aus Plaste-Wein-Gläsern getrunken) und die Produktion von Abgasfiltern diesem gleichen Ziel dienen. Wir wurden übrigens mehrmals von Familien eingeladen. Dabei haben wir sehr freundliche und aufgeschlossene Amerikaner kennengelernt und merkten auch dabei, dass alle gängigen Klischees über Amerika stimmen und zugleich ganz falsch sind.

Viel denkt man in den Fremde über das Bekannte nach. Man erkennt zum Beispiel den Wert unserer Art von Harmonie im Städtebau, die, wie ich meine, keine monolithischen Hotels und große Kaufhäuser in der Altstadt Weimars verträgt. In Amerika kein Problem. Dort ist Hinterbliebenes viel weniger wert, die Geschichte ist kürzer. Goethe wusste das alles. Deshalb haben diejenigen Unrecht, die heute des Geheimrats Gedicht „Die Vereinigten Staaten“ derart interpretieren, als hätte die „Grüne Schlange“ mit ihrer Kritik am Abriss des Erbprinzen Unrecht: „Amerika, du hast es besser/ Als unser Kontinent, der alte,/ Hast keine verfallenen Schlösser/ Und keine Basalte./ Dich stört nicht im Innern,/ Zu lebendiger Zeit,/ Unnützes Erinnern/ Und vergeblicher Streit…“

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