Olaf Weber
Der Kunstraub zu Weimar
Ein Schirm ist noch keine Kunst,
Zwei Schirme auch nicht,
3100 Schirme, das ist Kunst.
Was der international gefeierte Künstler Christo da als Kunst definiert hat, sollte bei der Weimarer Müllabfuhr mal gründlich ausgewertet werden. Und andere seltsame Kunstbegriffe auch, denn das „Kommandounternehmen Gasherd“, das in der Nacht zum 30. Mai den Theaterplatz erschütterte, wird nicht das letzte seiner Art gewesen sein. Im Gegenteil. Es war ein herrlicher Vorgeschmack auf die Genüsse und Verunsicherungen, denen wir entgegensehen, wenn nach unserem Willen die Kunstausbildung an der HAB im Herbst `93 zum Leben erweckt sein wird.
Was war passiert? Eine Gruppe Studenten (sie nennen sich WeimArt) hatte 125 Gasherde, die als Opfer der Erdgasumstellung seit Wochen auf den Trottoirs herumstanden, an einem geheimen Ort gesammelt und in einer nächtlichen Blitzaktion unserem Dichterpaar zu Füßen gestellt. Faszinierend daran waren die Organisation und die Verschwiegenheit der Aktion des 30. Mai ebenso wie die bizarre Maschinenästhetik der nach Reih` und Glied exakt ausgerichteten Kochgeräte, die bählammig, wie Schafe, herumstanden. So wurden die Herde als Ganzes wieder zur Herde, zu der Meister Herde. Ein schwarzes war auch dabei.
Der tiefe Sinn der Aktion zielte nur vordergründig auf die Stadtwirtschaft, er zielte auf das 3. Kunstfest Weimar, das auch diesmal wieder keinen Weimarer Boden unter die Füße bekommen hatte. Und das lag nicht am Konservativismus der Weimarer, sondern an den Initiatoren, die auf das ihnen Bewährte zurückgriffen. In Weimar und in Thüringen findet man freilich wenig Künstler, die sich weit vorn auf der internationalen Rangliste des Kunstmarktes plaziert haben. Aber es gibt massenhaft Talente, mit denen ein begabter Regisseur ein großartiges Kunstfest entwickeln könnte. Ein solches Kunstfest würde seine Qualität nicht nur aus den etablierten Kunstsprachen und den großen Namen schöpfen, sondern vor allem aus neuartigen Herausforderungen erwachsen. Dazu gehört aber Mut, Neugier, Lust auf Neues, nicht nur auf West-Altes. Hier liegen die Defizite der bisherigen Kunstfeste. Für Weimar kann das Spezifikum eines Kunstfestes nur im künstlerischen Ausleben eines Daseins bestehen, das ständig in würdevoller Weise mit seiner Geschichte bricht und dabei Phantasie freisetzt.
Doch zurück zu den heimlichen Herden der Studenten. Deren Talent erwies sich vor allem an der vielfachen Codierung ihrer Aktion. Wer mit dem Hinweis auf das teuere und beschönigende Kunstfest, auf den Herdentrieb des Menschen oder wie immer auf Goethe nichts anzufangen wusste, wer sich nicht an der berechneten Schönheit des Herdenrasters erfreuen konnte, der frohlockte wenigstens ob des gelungenen Streiches gegenüber der Stadtverwaltung oder nutzte die Chance, seinen eigenen Herd zu „entsorgen“, wie nächtlich ein Taxifahrer. Es war der gelungene Versuch, Kunst und Volk auf eine moderne, unsentimentale und agitationsfreie Weise zusammenzuführen.
Die Vielfalt der auf das Regionale, Ökologische und auf das Stadtbild orientierten Deutungen lässt auch eine zu, die ich am Rande vernahm: Es wäre der nächtliche Versuch gewesen, etwas Spektakuläres zu tun, zudem sich der Oberbürgermeister mal nicht pressewirksam einladen konnte. Das war durch den konspirativen Charakter der Aktion auch gelungen, der OB schlief noch, doch die Geheimhaltung hatte ihre Folgen.
Die früh aufstehenden Herren von der Müllabfuhr ahnten natürlich nichts von der künstlerischen Natur der geordneten Herde, freuten sich über die Konzentration des sonst heillos verstreuten Mülls und entfernten das Kunstwerk schon zwei Stunden nach seiner Schöpfung in Richtung der Müllhalde Süßenborn. In den Morgenstunden war alles aufgeräumt. Die maßlose Enttäuschung der übernächtigten, zu kurzer Ruhe entschlummerten Studenten über diesen Kunstraub wollen wir beiseite lassen, sie sind jung und werden es verwinden. Doch ihre weitere Reaktion darauf ist wichtig und zeugt von ihrem Talent. Kunst ist Lust auf Kommunikation. Also produzierten sie genau in der Zahl der Gasherde Kopien eines nächtlichen Fotos und klebten sie am Nachmittag an die Stelle der entsorgten Herde. Zeichen treten immer öfter an die Stelle der Wirklichkeit. Neben den Fotos stellten sie sich selbst zur Verfügung. Indem sie sich in der Art der Herde postierten, nahmen sie die Symbolik zurück und wurden zu einer Herde eilender Menschen, deren Blöken durch die Kunst Sinn und Gestalt erhielt: „Kunstraub zu Weimar. Wer hat die gestohlenen Gasherde gesehen?“. Vor dem Dichterpaar verkündete ein Videogerät die Art unserer Zeit und zugleich das Vorkommnis der Nacht.
Doch damit nicht genug. Kunst ist eine Kette von Ereignissen. Eine dritte Reflexion des Themas folgte am nächsten Tag. Nun hatten die Initiatoren ihre eigene Aktion in 8 Thesen über das Kunstfest reflektiert. Als sie diese Thesen am Denkmal der humanistischen Brüder „anschlagen“ wollten, wurde die so sehr ästhetische Ordnung Schaffenden von den Ordnungshütern ertappt und zwecks Feststellung ihrer Identität abgeführt. So gehörten die Polizisten für einen Moment auch der Kunst an. Denn ein Happening ist ein zur Kunst erklärtes, bedeutungstragendes Ereignis. In den Thesen stand zum Beispiel dies: „Das Kunstfest muss rosa romantisch leuchten und den Pfad in die Zukunft hübsch und freundlich belichten“. Und. „Das Kunstfest darf nicht beim Kuchenessen stören“.
Schlussfolgerung? Nein. Weimar wird lernen müssen, seine Kunst zu identifizieren. Die Müllfahrer haben dabei eine morgendliche Schlüsselstellung, nur der Bürger schläft später aus.