Die Krise der Revolution (1990)

Die Krise der Revolution

In Deutschland sind Revolutionen nicht nur selten. sondern auch selten erfolgreich. Wie erfolgreich war unsere Revolution vom Herbst ’89?
War das überhaupt eine Revolution?

Wenngleich diese Frage erst die Geschichte beantworten wird, kann man schon heute behaupten, daß die Ziele des Herbstes nicht erreicht worden sind. Jeder hatte natürlich damals seine eigenen Vorstellungen von den notwendigen Veränderungen, im allgemeinen Mittelpunkt standen: die Entmachtung der stalinistischen SED und der Stasi, die Freizügigkeit für Menschen und Meinungen, die Einführung des politischen Pluralismus, die Liberalisierung der Massenmedien, die Schaffung einer effektiven Wirtschaft, einer Umweltkontrolle, eines neuen Schulsystems usw.. Vieles davon ist erreicht und auf den Weg gebracht. Die Veränderungen sind von großem Gewicht, sie zeigen einen radikalen Wandel an. Die Dogmen des Honecker-Sozialismus hatten sich in ihren polizeistaatlichen Widersprüchen verklemmt, er ist gescheitert. Dieses Scheitern ist revolutionär.

Revolutionen zeichnen sich aber nicht nur durch die Radikalität des Bruches mit der Vergangenheit aus, sondern auch durch das qualitativ höhere Niveau, das sie schaffen. Das höhere Niveau des Gemeinwesens ist nicht durch das Auswechseln der einen durch die anderen Defekte zu erreichen, sondern nur durch die Bewahrung des in Richtung Humanismus schon Erreichten durch Beseitigung des Inhumanen und durch die Installation neuer Elemente des Menschlichen.

Wir sind aber dabei, einiges an positiven Werten zusammen mit den Übeln über Bord zu werfen, einige Parasitäre nur neu zu verkleiden und bei der Suche nach dem Kern unseres neuen Streben tappen wir im Dunkeln. Wir haben schon viele Chancen zur wirklichen Erneuerung verspielt, neue Machtstrukturen sind allzu schnell an Stelle der alten getreten. Die Borniertheit von Ideologien droht nun, in ihrer Wirkung durch die Skrupellosigkeit des großen Geldes ausgetauscht zu werden.
Die Macht als das Mächtige aber ist geblieben.

Frühere Parteiemporkömmlinge bieten sich den westlichen Firmen an, diese freuen sich über kundige Vertreter aus der DDR, auch wenn sie früher gar bei der Stasi gearbeitet haben. Hochgediente Direktoren und Professoren werden mit westlicher Hilfe aufpoliert. Die Typen sind austauschbar und sie werden in das neue System hineingetauscht, sobald sie der neuen Herrschaft passen.

Die Revolution ist in die Krise geraten, weil sie sich zu schnell und unkritisch nach Westen geöffnet hat. Der eigentliche Sinn einer Revolution, nämlich der Abbau von ungerechtfertigter und unkontrollierbarer Macht, ist nur teilweise erfüllt. Die Instrumente zur Fremdbestimmung der Menschen sind zwar nicht mehr so plump und brutal wie zur Zeit der politbürokratischen Herrschaft aber sie sind auch nicht verschwunden. Die oktroyierte Parteienlandschaft, die Materialschlachten des Wahlkampfes, das Ausbooten kleinerer Parteien und Gruppierungen sind Anzeichen neuer politischer Herrschaftsmechanismen. Dazu kommt in Zukunft die Macht der kommerziellen Beziehungen. Die Mittel und Verfahren, uns unfrei zu machen, werden bald so verfeinert und raffiniert sein, daß wir sie kaum noch bemerken. Das Geld und die Wege, es zu erlangen, spielen dabei eine große Rolle.

Die Chance zu einer ganz neuen Qualität demokratischer Verhältnisse zu dauerhafter Entkrampfung, zu exemplarischer Freiheit, zu allgemeiner Emanzipation ist verspielt – wahrscheinlich auch wegen der 40-jährigen Verkrampfung und Unfreiheit. Wir müssen von vorn anfangen auf dem dornenreichen Weg zu einer toleranten Gesellschaft die ihre Werte aus der Solidarität mit den Nachbarn und aus der Partnerschaft mit der Natur bezieht. Die gestern aus Menschlichkeit in Opposition waren, werden es wohl morgen wieder sein.

Ich sehe in dieser Krise der Revolution die Chance der ökologischen Bewegung und sie ist eine Chance für uns. Indem wir unser Verhältnis zur Natur korrigieren, schaffen wir eine wichtige Voraussetzung unserer eigenen Existenz. Die Pflege unserer natürlichen Umwelt, die Verbesserung von Luft-, Wasser- und Bodenverhältnissen, der Artenschutz usw. sind nicht nur die Anliegen der Naturfreunde, es sind die direkten Aktionen der Humanisten. „Ökoromantik“ ist auch kein Schimpfwort, sondern bezeichnet einen Bedarf der Revolution.

Doch unsere Beziehung zum ökologischen Prinzip muss noch tiefer gehen. Unser privates und öffentliches Handeln sollte sich nicht nur an der Umwelt, sondern auch am Wesen alles Natürlichen messen. Allem Lebendigen, Spontanen, allem Ganzheitlichen und trotz unseres Bemühens rätselhaft Unangepassten gehört unsere Zuneigung und unser Vertrauen. Erst eine solche Position bildet den Kontrapunkt zum Stalinismus und zu allem Erstarrten und wer sich ihrer annimmt, steht auch im Widerspruch zu den neuen Technokraten und den Wirtschaftspragmatikern.

Das Wirtschaftswachstum ist (ebenso wie die deutsche Einheit) kein Ziel an sich, sondern ein Begriff, dessen Inhalt konkret gemacht werden muß.

Mehr Produktion, mehr Konsum, mehr Müll – das kann nicht das Ergebnis dieser Revolution sein. Wenn wir Zuwachs brauchen, dann ist es Zuwachs an Lebensqualität und dieser Zuwachs verlangt nach einer neuen Art des Produzierens, des Konsumierens und des Regierens. Nur eine konsequente ökologische Orientierung aller Politikfelder – von der Wirtschaft über die Kultur, Bildung, Sport bis zur Abrüstungs – und Außenpolitik, kann die Revolution vom Herbst ´89 noch retten – vielleicht.

Olaf Weber
Weimarer Wochenblatt, 1. März-Ausgabe 1990 S.7

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