Design und politische Vernunft (1990)

Ist der Wertewandel im Design an die politischen Veränderungen geknüpft? Ein Redebeitrag mit Beispielen auf einem designtheoretischem Kongress mitten im Vereinigungsprozess von 1990.

Olaf Weber
Design und politische Vernunft

Es ist natürlich in dieser brisanten Zeit des Umbruchs unmöglich, von einer abgehobenen oder stationären, also von einer irgend gearteten „neutralen“ Warte über das Thema „Design und politische Vernunft“ zu sprechen. Ich gehöre zu denen, die früher eine eher naturwissenschaftliche Position zum Design eingenommen haben. Das hat mir in der Vergangenheit manchmal den Vorwurf des Positivismus und des „scientistischen Reduktionismus“, also der Ideologie- und Politikferne, eingebracht. Doch im Zuge der Gorbatschow`schen Öffnung und der herbstlichen Wende des Jahres 1989 bin ich immer tiefer in reale politische Verstrickungen geraten, die ich heute positiv beurteile. Ich kann das Politische gerade in seinen subtilsten Beziehungen nicht mehr als äußerliches Moment des gestalterischen Tuns empfinden, sondern sehe es in immanenten Figuren der formgebenden Vernunft – und zwar positiv, sofern es emanzipatorisch wirkt. Das Politische ist eines der Ansätze zum ganzheitlichen, globalen Denken, auf das Design nicht mehr verzichten kann. Es ist selbstverständlich, dass ich von dieser Ganzheit nur einige Gedankensplitter darstellen kann. Sie sind, wenn überhaupt, erst später und anderswo zu systematisieren. Die erste naheliegendste Beziehung von Design und Politik ist die ihrer Subjekte, des Designers und des Politikers. Politische Vernunft im Design könnte durch das angepasste Verhalten der Gestalter gegenüber den herrschenden politischen Kräften definiert sein und dieser subalterne Opportunismus war im alten und ist – offensichtlich auch im neuen System real, doch ist er eben nicht politisch.

Die Beziehung von Design und Politik haben wir in der DDR vor allem restriktiv erlebt, die Designer waren als Designer ebenso entmündigt wie als Staatsbürger und hatten mit ihren Ideen nur eng begrenzte Lücken in einer politisch doktrinierten und ständig von uneinsichtigen und unakzeptablen Kommandos bestimmten Wirtschaft auszufüllen. Ein recht planloser Pragmatismus wurde „Plan“ genannt; er drückte sich in unzähligen Kennziffern aus und war vor allem deshalb ineffektiv, weil er die Dynamik des Lebens weder über das Instrumentarium der demokratischen Mit- und Selbstbestimmung, noch über die Marktmechanismen eingefangen hat. Die materiellen und organisatorischen Mängel dieses Systems sind bekannt – zu ihnen gesellten sich die geistigen.

Die Designtheorie hatte in der DDR zu beachtlichem Erkenntniszuwachs verholfen, doch konnte sie in der Praxis wenig wirksam werden. Halb flüchtete sie sich in die Nische des Allgemeinen, halb wurde sie dorthin geschoben, um vor den Verführungen und Infektionen der problematischen Praxis geschützt zu werden. Wo sie wirklichkeitsverändernd gar politisch auftrat, etwa in einigen provokanten Thesen
solcher Denker wie Lothar Kühne (und auch frühere Kolloquien hier in Halle enthielten beachtliche Veränderungspotentiale), dort passte sie nicht zu den Überlebensstrategien der Honecker-Ära.

Manch halboffizielle Konzeption, wie etwa das Prinzip der Langlebigkeit von Produkten, wurde im erbarmungslosen Krieg der Wirtschaftssysteme dem Akkumulationsfetisch geopfert und erwies sich meist dort, wo Spuren einer praktischen Umsetzung zu erkennen waren, als wirklichkeitsfernes Konstrukt.
Die positiven Ideale der Anfangsjahre waren bald zwischen den machtpolitischen Fronten zerrieben und die erkennbaren politischen Funktionen des DDR-Design besetzten sich eher negativ. Der Trabi ist unser weltbekanntes Beispiel dafür.
Erst nagte dieses Design am Selbstbewußtsein des kleinen Mannes und verkitschte sein solidarische§ Gefühl mit diesem Plastgefährten zu bloßer Hätschelei und Bastelei, dann zerstörten die Westmedien vollends das Image des in die Pose des „friedlichen Revolutionärs“ geschlüpften DDR-Bürgers und nahmen ihm seine persönliche Würde, indem sie ihn an das, seine eigene Kleinheit spiegelnde mobile
Eigentum, den Trabi, ketteten.

Dazu passt ein zweites Beispiel. Im Mai dieses Jahres, kurz vor der Kommunalwahl 1990, organisierte eine der großen deutschen Parteien auf dem Theaterplatz in Weimar, zu Füßen der beiden Dichtergrößen, eine Schau der neuesten Edelkarossen der Marken Opel, BMW und Mercedes. Dazwischen die Schirme und Aufsteller mit den politischen Inhalten. Die Firma Mercedes weigerte sich immerhin, die eigenen Exponate mit den Plakaten dieser Partei behängen zu lassen, BMW und Opel hatten weniger Skrupel. Hier wurde, kaum war das zarte Pflänzchen „Demokratie“ gesetzt, die Anziehungskraft von attraktivem Design für politische Zwecke missbraucht. Design wurde zum Vehikel und Schmuck für konservative politische Agitation, die in einem unlauteren, offenbar aber üblichen Verfahren Wählerstimmen gewinnen sollte. Auch so ist politische Vernunft nicht gemeint.

So fragt sich endlich, was überhaupt Design mit Politik zu tun hat. Hat nicht der Designer eine rein fachliche Aufgabe zu erfüllen, indem er praktische, ergonomische, technische, wirtschaftliche, ästhetische u.a. Anforderungen zu einer Idee komprimiert und deren Realisierung beschreibt. Was ist an diesem Kern, an diesem Wesen des gestalterischen Berufes Politik, spielt sie nicht höchstens in der Arbeit der Berufsverbände eine gewisse Rolle?

Dagegen steht eine Auffassung, welche die Politik der Immanenz des Design zuordnet, und zwar in Begriffen des Allgemeinen, des Idealen und der Moral – ein Begriff von Politik allerdings, der vom Politikverständnis der herrschenden Parteien weit entfernt ist.

Politische Vernunft bezieht sich vor allem auf die Herausbildung allgemeiner, aber deshalb nicht objektiver Maßstäbe, die sich nur in der Dialektik von wissenschaftlicher Erkenntnis und demokratischer Willensbildung entfalten können. Sie orientiert sich an der Wirklichkeit, zugleich gibt sie die Wertorientierungen für das Verhältnis zur Wirklichkeit und entwickelt Kriterien für die Veränderung von Realität.

Wenn ein Designer über den Rand der Aufgabe, an der er arbeitet, in die gesellschaftliche Realität hinausschaut und dabei seine Tätigkeit ins Verhältnis zu den Grundwerten der Gesellschaft setzt, sie daran misst oder in Frage stellt, so denkt er schon politisch – vor allem dann, wenn er seine Ideale oder die einer Sozietät zum Machbaren hin kalkuliert.

Natürlich gelingt solches Politisches Denken nur in pluralistischen Systemen, die den fairen Wettbewerb der Politischen Meinungen gewährleisten. Der Pluralismus war in der DDR zum Block gepresst, nun ist er wohl als staatstragendes Prinzip anerkannt, allein wir haben sehr schnell feststellen müssen, dass die Konzentration von Eigentum und wirtschaftlicher Macht, welche die Marktwirtschaft ansammelt, dieses Prinzip ständig deformiert, so dass demokratisches Verhalten immer auch Durchsetzung von Demokratie heißen wird.

Pluralismus setzt nicht nur Vielfalt, sondern auch die Fähigkeit zum Konsens voraus. Das ist das Problem der sich verändernden Grundwerte, vor allem in einer Zeit, in der alternatives Denken sich anschickt, eine ganz neue Produktions- und Lebensweise zu gründen als es die östliche und westliche Gesellschaft bisher vertraten. Ich meine, dass dieses neue Denken nicht dem System humanistischer Grundwerte widerspricht, sondern gegenteilig dazu verhilft, die Verkrustungen abzutragen die sich im Laufe machtpolitischer Ränge um diese Grundwerte gelegt hatten.

Man sollte sich davor hüten, unter Politik nur das Spiel widerstrebender Interessen zu verstehen. Darin ist das politische dem gestalterischen Denken ähnlich: Auch dort ist es gefährlich, unter Pluralismus ein wertfreies Alles-ist-möglich zu begreifen und den radikalen Eklektizismus als Gestaltungsverfahren der Zukunft zu proklamieren. Eklektizismus tendiert zu heterogenen, isolierten Kompilationen, die geschichtsfeindlich und im Gegensatz zu ihren wendigen Vertretern sprachlos sind. Sie verdecken gerade dort Zusammenhänge und verhindern Erkenntnisse, wo sie Beziehungen suggerieren und Informationen feilbieten. Sie okkupieren die Erfindungen fremder Kulturen, ohne für diese Verständnis im Sinne einer multikulturellen Gemeinschaft zu schaffen.

Auf’s Verstehen sollten wir dagegen unsere Formen ausbilden. Vermittlung ist der Kern eines Begriffes von politischer Vernunft im Design. Die Vernunft dirigiert die pluralistischen Charaktere im Rahmen des Machbaren zu denjenigen Maximen hin, die das Design als Kommunikator humanistischer Werte verstärken – so schwierig dieser Begriff auch ist. Natürlich treten solche Maximen, die Extrakte von globalem und futuristischem Denken sind, möglicherweise in Widersprüche zu wirtschaftlichen oder anderen persönlichen Vorteilen, Fragen nach der Sittlichkeit des gestalterischen Handelns werden wichtig. Es ist bekannt, dass den kommerziellen Berechnungen die ethischen Erwägungen außer in den Fällen fremd sind, in denen sie selbst zu Buche schlagen. Im Bereich der Medien ist diese Orientierung evident, in den Kinos können wir sie nun täglich erleben.

Ich halte es für zeitgemäß, für die Zukunft unseres Designs etwas vom Geist der Weimarer Klassiker heraufzubeschwören, die durch Kunst dem Menschen in seinem Denken und Handeln zu veredeln suchten. Die Beschränktheit dieser Möglichkeiten für Kunst und noch mehr für Design und seine kommerziellen Hintergründe bedenkend, sollten wir trotzdem auf dem sittlichen Anspruch des Design beharren, nein, ihn mit gedanklicher Klarheit erst entwickeln. Auch Design soll eine moralische Anstalt sein. Diese Denkart ist angesichts der akuten Gefahren, die ein unsoziales und naturfernes Produzieren nach sich zieht, höchst zeitgemäß.

Nun noch ein paar Anmerkungen zu den Inhalten der politischen Vernunft im Design. Sie sollte sich orientieren an den Wirkungsweisen von Gesamtkreisläufen und natürlichen Prozessen, sollte sich auf Kontext und Geschichte beziehen, den Bedarf an Subjektivem zufriedenstellen, sie sollte Planungstransparenz ermöglichen und das Vertrauensverhältnis der Menschen zu ihrer gegenständlichen Umwelt begründen bzw. festigen.

Die ökologischen Momente des Design’s betreffend soll hier nur festgestellt werden, dass dieses Thema aus den isolierten Erkenntnissen – etwa zur toxischen Belastung von Räumen, zum Energieverbrauch oder zur Abfallbelastung in alle Verzweigungen und entfernten Auswirkungen des Humanpraktischen (darunter in alle kulturellen und ästhetischen Folgen) hinüberzuleiten ist. Erst in ihren Vernetzungen und Kreisläufen, vor allem globaler Art, erschließt sich die politische Dimension der Ökologie. Immer mehr stellt sich die Frage nach dem Sinn des wirtschaftlichen Wachstums und nach dem Sinn des Verlangens, die Produkte attraktiv zu machen. In Frage stehen vor allem jene Formeigenschaften der Produkte und ihrer Verpackung, die in der Distributionssphäre wirken sollen, besonders solche, die Kauflust und Konsum steigern und dabei suggestiv wirken, also die individuelle Urteilsfähigkeit herabsetzen wollen.

In Frage steht die ganze Maschinerie der Akkumulationsraten mit ihren Tricks von modischem Verschleiß, von Reparaturfeindlichkeit, Kurzlebigkeit und dem raffinierten Zwang zu Folgeanschaffungen.

Die Energie-, Rohstoff- und Abfallkrisen, die zur Zeit noch aufwendig kaschiert werden können, werden uns zur Umkehr zwingen. Wir werden hoffentlich noch die Gelegenheit haben, eine neue Produktionskultur und Lebensweise zu installieren, die zum alten uneffektiven Wachstumswahn im Osten und dem effektiveren Wachstumswahn im Westen die eigentliche Alternative bildet. Design muss dabei eine völlig neue politische Orientierung erhalten.

Die Trennung von Design und Architektur ist ein Ergebnis der Vermassungsprozesse seit Beginn der industriellen Revolution im vorigen Jahrhundert. Alles deutet darauf hin, dass sich auch dieser Prozess im Verlaufe des zivilisatorischen Fortschreitens umkehren wird. Die kulturelle Identität des Ortes ist ein so gewichtiges Gut, dass sie nicht durch den maschinellen Takt gefährdet werden darf. Auf die Besonderheiten des Lokalen wird Design in Zukunft stärker reagieren müssen. Der materielle Anlass für die Besinnung auf den Ort wird spätestens durch die Reduzierung des Transportvolumens im Gefolge der Energie- und Umweltkrise gegeben sein.

Neben dem Geist des Ortes ist es der Zustand des Individuums, der sich dem heute viel beschworenen Zeitgeist zugesellen wird. Design wird die subjektiven Bedürfnisse auf eine qualitativ neue Weise bedienen müssen. Es wird eine der vornehmsten Aufgaben der Produktgestaltung sein, den Menschen die gegenständlichen Mittel ihres Selbstausdrucks in die Hand zu legen, die damit die Möglichkeit erhalten, die Ästhetik der Produkte als Nutzer zu vollenden.

Diese Zielsetzungen widersprechen eklatant dem traditionellen Verständnis von Design und laufen den Tendenzen der klassischen Industrialisierung, den Serien und Sets, entgegen. Um die beschriebene Flexibilität zu erreichen, müssen die Verfahren zur Herstellung des gegenständlichen Milieus prinzipiell sämtliche technologischen Niveaus einbeziehen – von der einfachsten Handarbeit über serielle Produktion bis zu selbstregulierenden Produktionssystemen. Das Zusammenspiel aller Technikebenen im Rahmen eines technologischen Pluralismus hat das Ziel, anpassungsfähige Figurationen zu schaffen, die kontext- und subjektbezogen sind und zugleich die kulturelle Stabilität von Sprachmustern haben. Das Ziel ist also nicht Gleichartigkeit, sondern Ähnlichkeit. Solche Formen sind typologische Figuren. Es sind langlebige Gestalten, in denen massenhaft menschliche Erfahrungen geronnen sind und die zugleich offen sind für technische Strömungen, ästhetische Wellenbewegungen, soziale und geographische Besonderheiten und die Subjektivität handelnder Individuen. Solche Typen sind effektive und verständliche Gebilde. Sie sind die Elemente der künftigen gegenständlichen Formensprache und damit Voraussetzung sozialer Kultur.

Die typologische Festigkeit der Dinge wird auch eine Folge der Verlangsamung der Prozesse und der Prozessveränderungen sein. Das bedeutet jedoch keine Einschränkung innovativen Denkens und wissenschaftlicher Forschung. Nicht jeder Einfall muss eine produktionstechnische Umsetzung erfahren, auch wenn er sich vermarkten ließe. Jeder Gedanke muß vielfach gedacht werden, damit möglichst alle Folgen seiner Umsetzung sichtbar werden. Ein demokratisches Design erfordert die Öffnung der Ateliers, der Direktionen und Produktionsstätten für alle Interessierte. Planung und Industrie müssen transparent werden wie die Parlamente – oder noch viel durchsichtiger. Der Designer hat dabei künftig eine wichtige Vermittlerfunktion auszufüllen. Er organisiert den Dialog zwischen Fachleuten und Bürgern und ist selbst aktiver Teilnehmer an diesem Dialog.

Politische Vernunft zielt darauf, dass die Dinge wieder Mittler zwischen den Menschen werden; Produkte als Mittler im Austausch gesellschaftlicher und individueller Kulturen funktionieren nur, wenn sie allgemein anerkannt und semiotisch zuverlässig sind.

Nun komme ich nochmal auf das Thema der Sittlichkeit zurück. Die Zuverlässigkeit der Mittler erfordert, dass ihnen von denen, die sie in Anspruch nehmen, Vertrauen entgegen gebracht wird. Die Dinge müssen dieses Vertrauen auf Befragung durch die Nutzer immer wieder neu gewinnen. Das ist zum Beispiel das Problem der Imitation. Von Recyclingproblemen abgesehen ist an ihr nicht problematisch, dass sie den geschichteten Aufbau einer Wand oder Platte vertritt und ebenso wenig, dass dabei mindestens eine Materialschicht verdeckt und eine andere nur bildhaft vorhanden ist. Problematisch ist an Imitation nur, dass sie Vertrauen missbraucht und auf Dauer sprachliche Codes zerstört.

Illusionistische Gestaltungen und Lust auf Verkleidung sind von diesem Vorwurf nicht berührt. Wir wollen keine asketischen Beziehungen zu den Dingen und kein neues Dogma von der „Materialgerechtigkeit“ oder anderen isolierten Wahrheiten. Wir wollen aber, dass auch die über Gegenstände vermittelten Beziehungen des Einzelnen zur Zivilisation auf Vertrauen gegründet werden können.

Dazu ist ein ungetrübtes, ganzheitliches Verhältnis zu den Dingen erforderlich, das die sozialen und ökologischen Aspekte des Designs impliziert. Politik könnte
Design humanisieren; die Herstellung von Verhältnissen, in denen sich die Dienstbarkeit der Dinge für selbstbestimmte Menschen erweist, wäre der perspektivische Inhalt politischer Vernunft im Design.

Design und politische Vernunft.
in: Vernunft im Design. 14. Designwissenschaftliches Kolloquium der Hochschule für Kunst und Design Halle – Burg Giebenstein, 1990. – S. 107-111.

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