Der weiße Schwan (1990)

Olaf Weber
Der weisse Schwan – ein Bonbon von drüben

Ein Kleinod wird das Haus am Frauenplan genannt, als architektonisches Bonbon erscheint es im Stadtbild und es hat 22 Millionen Mark gekostet. Der weisse Schwan breitet nun wieder seine Flügel aus – wir nehmen es einmal als einladende Geste.

Das Beste daran ist natürlich, daß die Türen wieder offen sind. Man freut sich – nach dem Skandal von Verfall und Räumung wieder eine intakte Kneipe zu haben. Aber natürlich ist das keine Kneipe mehr, schon aufgrund der Preise nicht (Kategorie A, Preisstufe C+60) Über das Sozialniveau und das soziale Gefälle innerhalb unserer Gesellschaft, das hier exemplarisch sichtbar wird, könnte man lange sprechen. Ich will das Bonbon hier nur als Architektur betrachten.

Vor allem vermisse ich an dem neuen Weissen Schwan das Historische, das wirklich Authentische. In den Gasträumen herrscht nach der Rekonstruktion durch die schwedische Firma NCC Sauberkeit und Gediegenheit. Tische, Stühle, nostalgische Öfen, das meiste ist nach alten Vorbildern, aber neu, in der Perfektion des Kunstgewerblichen gemacht. Daher kommt es, daß ein Hauch von Geschichte und der würdevolle, aber unvollkommene Habitus des Alten fehlt.

Und aussen? Von weitem gesehen ist ja dem Schwan keine Gewalt angetan worden. Doch wenn man ein denkmalgeschütztes Fachwerkhaus einem internationalen Betonriesen anvertraut, muß das zwangsläufig seinen Charakter verändern. Es ist nicht einsichtig, daß der dreigeschossige Anbau in der Seifengasse aus Stahlbeton gegossen wurde. Beziehung zur Geschichte hat auch etwas mit Material zu tun; ist Stahlbeton nicht überhaupt ein Stoff, der weit von unseren lebendigen Bedürfnissen und von denen unserer Altstädte entfernt ist ? Hier ist an unserer Identität gesündigt worden. Des Profites wegen ?

Weil die Seifengasse von unserem alten Goethe wohl hunderte Mal begangen worden ist, sei an seine Erfahrung von Architektur erinnert, deren Grundlage auch er in der Konstruktion sah: „Wie sich die organische Natur zur bildenden Kunst verhält, so verhält sich der Begriff der Konstruktion zur Architektur.“ Aber bei den Zutaten des NCC handelt es sich weder um sinnfällige und kontextverträgliche Konstruktion, noch um eine daraus erhöhte Kunstform, um Architektur. Die Giebelfront wollen wir der geistigen Hygiene wegen nicht weiter untersuchen; sie hat den Charme eines Trafo-häuschens, das vorgibt, früher ein Getreidespeicher gewesen zu sein.

Entlarvend ist immer die Oberfläche, auch wenn sie nur Oberfläche ist. Der Weisse Schwan hatte auch seine angeborenen Schwächen, eine davon war die geringe Wärmedämmung der Außenwände. Die Lösung der Schweden ist auch hier technizistisch. Vor die Fachwerkwand wurde eine Dämmschicht aufgebracht, deren maschinelle Ästhetik das Gebäude seiner Umgebung entfremdet hat.
Angesichts der verdreckten Innenstadt sieht es aus wie ein Bonbon, aber der Nachgeschmack läßt mich schaudern. Das ist nicht mehr der Weisse Schwan, das heißt nur noch so. Das ist ein Industrieprodukt. Keine Spur mehr von der glättenden Kelle des Putzers, keine empfindliche Unebenheit mehr, die auf die Teilnahme lebendiger Wesen am Bauprozeß schließen lassen könnte. Das Haus als Poster der Maschinenästhetik, mit Rauhfasertapete beklebt. Übrigens: klopfen Sie dort mal auf den Putz! Sie hören – Pappe! Klopfen Sie dann mal auf die scheinbaren Natursteingewände der Fenster! Sie sind aus Pappenputz. Der schöne Stein ist mit
kalten Schein überzogen. Der banale Talmi äfft unsere Sinne. Ein falsches Spiel – im Namen der Denkmalpflege? Wo sind die Hüter der geschichtlichen Wahrheit, wo die Vertreter der städtischen Baukultur? Wo sind die Damen und Herren vom Goethe-Nationalmuseum, die des genialen Alten Abneigung gegen eine gezuckerte Bauweise kennen mußten, bei der man vermuten muß, daß „die Baumeister vorher mit den Konditoren durch eine Schule gegangen“ seien, oder – in diesem Falle, mit den Tapezierern?

Ist der Weisse Schwan ein Vorgriff der alten Administration auf die kommerzielle Zukunft? Ist dieses Bonbon unsere Perspektive? Ich hoffe nein. Wir brauchen vor allem eine exakte öffentliche Kontrolle über das künftige Bauen in Weimar – vor allem, wenn es fortan um mehr als 22 Millionen gehen wird.

Der weiße Schwan.
in: Zeitung, Weimar Nr. 4/1990 (30.01.1990). – S. 4.
in: BdA/DDR Mitteilungsblatt, Bezirk Erfurt Nr. 44 (1990) 3. – S. 3 vom 07.02.1990.

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