Makkaroni oder Makarenko?
Eine groteske Erziehungsmaßnahme leistete sich die von den Köchinnen getriebene Leitung der Mensa im Jahre 1987, auf die ich mit einer kleinen Aktion reagierte. Während der Mittagspause rief ich die Mensabesucher zu einer Spendenaktion zugunsten der Möblierung des Foyers der „Mensa am Park“ auf. Auf einem Podest hatte ich einen vollkommen bemalten Holzstuhl postiert, er war außerdem mit einer Banderole in Form einer Kranzschleife mit der Inschrift „Gestiftet von Dr. O. Weber“ drapiert. Ich rief die Vorbeieilenden dazu auf, meinen Vorbild zu folgen und Stühle für das Foyer mitzubringen, die zu hause übrig waren. Das eigentlich harmlose Anliegen wurde nur durch die Aktion selbst – an der Obrigkeit vorbei – zu einem politischen Akt. Die eigentlich für Makkaroni zuständigen Küchenfrauen hatten sich gegenüber den sittenlosen Studierenden zu Erziehern – ganz im Geiste des russischen Pädagogen Makarenko gemacht. Sie waren sich vielleicht in einer sehr komisch wirkenden und unbewußten Weise ihrer proletarischen Berufung bewusst. In nachstehendem, damals leider unveröffentlichtem Artikel hatte ich den Hintergrund der Aktion beschrieben. Nach der etwa zweistündigen Performance ließ ich den Stuhl als Denkmal stehen, sah ihn allerdings nie wieder.
Makkaroni oder Makarenko?
4. Dezember 1987
Wir haben eine neue pädagogische Abteilung an unserer Hochschule. Das ist die Verwaltung der Mensa. Sie ist dabei, die Hochschullehrer, Mitarbeiter und Studenten nun endlich mal zu ordentlichen Menschen zu erziehen, neuerdings mit Hilfe eines Schildes im Ton einer administrativen Verordnung:“ Ab 29.10.87 ist der Parkeingang zur Pausenversorgung zu nutzen.“
Es geht um die Kaffeetassen, das vermute ich allerdings nur, denn nirgends wird der Hintergrund der Maßnahme erklärt. Früher konnte man im Foyer sitzen, rauchen, quatschen und dabei eine Tasse Kaffee trinken, die man sich umständlich in der Pausenversorgung geholt hatte. Wohin aber nach dem Trinken mit der leeren Tasse? Mit dieser Frage beginnt die Geschichte eines Problems und seine tragik-komische Auflösung.
Wir alle verhalten uns in den vielen Selbstbedienungsrestaurants unseres Landes ganz ordentlich, schaffen brav das schmutzige Geschirr zur „Geschirrabgabe“, nur wenige kulturlose Gesellen tun das nicht. Doch im Foyer habe auch ich meine Tasse nicht weggebracht, weil ich mich hätte bis ans Ende der „Pausenversorgung“ durchdrängeln müssen. Meinethalben und wegen vieler anderer standen deshalb immer viele trübe Tassen herum. Deshalb wurde vor einigen Monaten in einem ersten Akt das Hinaustragen von Geschirr aus der Pausenversorgung durch ein Hinweisschild kurzerhand untersagt. Doch ein unersättliches Bedürfnis, beim Herumsitzen auch Kaffee zu trinken, war stärker als dieses Verbot. Da kam im zweiten Akt die Mensaleitung auf eine richtige Spur. Sie ließ im Foyer einen kleinen Wagen zur Geschirrückgabe aufstellen. Aber er wurde nicht recht angenommen, sei es, daß er nicht richtig stand oder zu klein war oder aber weil die Mensaleitung noch an dem durchschlagenden Erfolg eines Hinweisschildes mit einer freundlichen Aufforderung zu Geschirrückgabe zweifelte und kein solches anbrachte. Jedenfalls klappte es nicht, die meisten Tassen blieben nach wie vor wie verstreut.
Da kam es zum dritten Akt der Komödie. Die verehrten Damen und Herren der Verwaltung stellten wieder den Rückwärtsgang ein und konfiszierten als erste Strafmaßnahme die Mensahocker – die extra für diesen Zweck entworfenen Sitzgelegenheiten. Die Studenten, die aber, Gott sei Dank, manchmal noch etwas unkonventionell sind, setzten sich daraufhin in rührender Gelassenheit auf den Fußboden, die Stufen oder die Heizkörper oder sie blieben einfach stehen, wie sie es nächtelang vom Kasseturm her gewöhnt sind. Jedenfalls tranken die Schurken weiter Kaffee und ließen das Porzellan stehen. In dieser für die Leitung der Mensa kritischen Situation kam es zu dem bekannten verzweifelten letzten Schritt: Tür schließen. Eingang Parkseite benutzen, außen herum gehen. Endlich kein Kaffee, keine Kaffeetassen, keine Hocker, keine Menschen mehr im Foyer! Geschafft!
Die Pausenversorgung nun als Verpflegungsstelle für parkspazierende Klassikertouristen und das Foyer als Laufstrecke für hungrige Mäuler mit der Verweilatmosphäre eines Parkhauses?
Ich will für die vielen teuren Quadratmeter des Foyers etwas anderes vorschlagen: Die wirkliche Aneignung des Raumes durch den Nutzer. Ich stelle mir das Foyer vor als Ort der Begegnung und Kommunikation, der Geselligkeit, der Kreativität. Dort soll man auch sitzen können und Kaffee trinken, jedenfalls während der Mittagszeit, in der die Pausenversorgung dem Ansturm sowieso nicht Herr wird.
Die anstehenden Probleme (die schon in der räumlichen Struktur des Gebäudes angelegt sind) können nur gelöst werden, wenn sich die Mensa wirklich als Dienstleistungseinrichtung der Hochschule versteht. Die Lösung kann dann nicht aussehen wie eine verschlossene Tür, hinter der ein pädagogischer Zeigefinger wackelt. Die Entwicklung nach vorn kann nur in der Erhöhung der Dienste und Leistungen der Mensa liegen, wozu bauliche und organisatorische Maßnahmen erforderlich sind. Ich schlage deshalb vor, daß ein studentischer Wettbewerb zur funktionellen und gestalterischen Umwandlung des Foyers ausgerufen wird. Das hätte den Vorteil, das die Akteure des Foyers selbst aktiv werden. 1. Preis: 1 Band Makarenko, 2. Preis: 1 Teller Makaroni, 3. Preis: 1 Tasse Kaffee.
Dr. Olaf Weber
Dr. Weber bei der symbolischen Stiftung eines Stuhles für das Foyer