Zum Beispiel ein Hotel (1987)

Themen der Stadtplanung stehen in diesem Aufsatz im Zentrum einer geforderten öffentlichen Diskussion, am Beispiel des im Herbst 1989 im Rohbau fertig gestellten Hotels „Bevedere“, später „Hilton“, später „Leonardo“.

Olaf Weber
Zum Beispiel ein Hotel

Zum Beispiel ein Hotel soll irgendwo gebaut werden, da gehen natürlich die Meinungen auseinander und das ist gar nichts Beklagenswertes. Nur ist die Frage, auf welche Weise die verschiedenen Auffassungen, die ja immer bestimmte Interessen und einen unterschiedlichen Kenntnisstand widerspiegeln, aufeinander stoßen, d.h. zur Lösung kommen. Gesellschaftliche Reife zeigt sich in einer großen Öffentlichkeit, Lebendigkeit und zugleich Organisiertheit der Diskussion. Der unentwickelte Zustand drückt sich dementsprechend in bruchstückhafter, inkompetenter und heimlicher Auseinandersetzung aus.

Welche Argumente kann man eigentlich für oder gegen eine Hotelkonzeption haben? Man kann über Park- und Sitzplätze reden, über Arbeits- und Hubkräfte, über Kosten und Beköstigung, über Fundamente und allerlei Begründungen. Sobald die Rede auf die städtebaulich-architektonische Seite der Konzeption kommt, werden die Argumente schwach. Ist das Gebäude zu hoch oder zu flach, zu massig oder zu leicht, zu auffällig oder zu schlicht, zu traditionell oder zu modern? Die Maßstäbe und Kriterien, die bei der Beantwortung solcher Fragen angesetzt werden, bleiben leider meist im Subjektiven, auch die manchmal richtigen Antworten sind deshalb kraftlos. Über den Mangel an gesicherten, anerkannten Kriterien für die Gestaltung soll dann oft die Denkmalpflege hinweg retten.

In dem Bestreben, ein ungeliebtes Projekt sterben zu lassen, ist manch einer glücklich, in der Nähe des künftigen Bauplatzes ein geschütztes Objekt zu finden und bemüht sich, in Nachweisen, dass von diesem oder jenem hehren Orte aus das neue Bauwerk noch störend herüberschaut und die Ausstrahlung des Alten stört. Das ist dann der Fall, wenn es in den Blickwinkelkonstruktionen auftaucht und dem Historischen nicht ähnlich genug ist.

Solche Konstruktionen sagen über die tatsächliche Wirksamkeit eines Bauwerkes aber nicht viel aus. Außerdem ist die Ähnlichkeit mit einem Baudenkmal weder ein positives noch ein negatives Indiz für seine Qualität – es sei denn, die Ähnlichkeit würde in den schwer zu bestimmenden Eigenschaften gesucht, die den Kunstwert des Alten konstituieren.

Damit ist nichts gegen die Denkmalpflege gesagt, nur gegen diejenigen, die den Mangel an gestalterischer Argumentation und Empfindsamkeit hinter deren gesetzlichen Schutz zu verstecken suchen. Die Denkmalpflege befasst sich mit wenigem, die Stadtgestaltung mit allem. So muss gestalterische Kraft und historisches Einfühlungsvermögen weit über das hinausgehen, was durch Denkmalwert geschützt ist – jenseits des gesetzlichen Schutzes nimmt die subjektive Verantwortung sogar zu.

In Stadtgestaltungsfragen gibt man sich leider zu schnell mit dem Bewahren von Oberflächen zufrieden, während das eigentlich Erhaltenswerte oft in weniger augenscheinlichen Eigenschaften zu suchen ist. Und das ist überhaupt das Problem der Stadtgestaltung. Ihre Hauptargumente sind leider sehr oft nur äußerlich und werden durch das Streben nach Angleichung an bestehende Formen geprägt. Doch Traditionslinien liegen viel tiefer. Sie betreffen zum Beispiel typische räumliche Organisationsformen, typische Lebensweisen, Konstruktionen usw. Die ihnen entsprechenden typischen Bauformen lösen sich teilweise von ihren objektiven Voraussetzungen, werden aber sehr bald zu toten, aufgesetzten Figuren, wenn ihnen die Wirklichkeit davongelaufen ist und sie nur noch als Kulissen funktionieren. Die Stadtgestaltung sollte weniger den vergangenen Formen des Ortes folgen, als dem „Geist des Ortes“, d.h. dem typischen, besonderen Charakter der Stadt, dessen entwicklungswürdige Momente möglicherweise mit ganz anderen Formen realisierbar sind als sie die Vergangenheit bereit hielt.

Damit bin ich wieder beim Hotel. Ein Hotel muss die Erwartungen von zwei Nutzergruppen erfüllen: die der Touristen und die der Bewohner. Was für ein Hotel brauchen die Touristen und welches verträgt die Stadt? Beide Fragen sind vereinbar und zielen – da ich von Weimar und dem geplanten Hotel „Belvedere“ spreche, auf eine prinzipiell andere Antwort als das nunmehr zu Wirklichkeit werdende Projekt. Die Stadt braucht die Erfüllung von Baubedürfnissen, in der Art, nicht in den Formen ihrer Geschichte. Das Typische an den Weimarer Hotels (den wenigen verbleibenden) ist nicht ihr Steildach oder ihre Traufhöhe, das Typische an ihnen ist ihre Einheit mit dem Wesen der Stadt, der intime Tourismus von „innen“ der Dezentralisation der Beherbergungsstätten, wodurch des Erleben der Klassikerstätten sozusagen „eben-erdig“ im Spazieren gehen erfolgt. Auf diese Weise ist das Leben der Touristen mit dem der Bewohner eine enge fußläufig vermittelte Weise verbunden. Die Touristen erwarten eben diesen bequemen, mit dem städtischen Fluidum verquickten Zugang zu den verstreuten Stätten des Tourismus. Eine Insellage ihrer Beherbergungen am Rande – wie nun gebaut – entspricht diesem Bedürfnis nicht. Zudem sind die materiellen Möglichkeiten der kulturbeflissenen Besucher sehr unterschiedlich, so dass es sich anböte, statt eines großen Luxushotels mehrere kleinere Hotels und Pensionen zu bauen, die von bescheidenen Ansprüchen bis eben zu luxuriösen reichen und zudem ähnlich verstreut sein sollten, wie die Objekte des touristischen Interesses und die oben geschriebene Art des intensiven Erlebens der Stadt ermöglichen (die Rentabilität kleinerer Hotels ist international erwiesen).

Anmerkung der Redaktion: Nach Aussagen der Handels- und Beherbergungsfachleute von der Vereinigung Interhotel fangen kleine Hotels bei einer Bettenkapazität von 500 an.

Nebenbei bemerkt ist die richtige Wegeführung zu den Sehenswürdigkeiten genau so wichtig wie diese selbst. Mir bleibt jedenfalls das Erlebnis von Schloss Belvedere oder der Dornburger Schlösser aus, wenn ich mich ihnen auf den vorgeschriebenen Pfaden nähere – über Parkplätze und Selbstbedienungsgaststätten.

In dem konkreten Fall ist nichts mehr zu ändern, ich will trotzdem vorschlagen, in der Städtebaudiskussion weniger formalästhetisch zu argumentieren (d.h. zum Beispiel, Formen und Proportionen mit anderen Formen und Proportionen zu vergleichen, was immer die Tendenz zum Elitären enthält), sondern die Erlebniswirksamkeit des Entwurfes zu beurteilen (d.h., die Formen und Proportionen mit den ästhetischen Bedürfnissen des realen Gebrauches zu vergleichen, was im Verhältnis zum ersten Verfahren populär orientiert ist).

Eine bessere Argumentation führt natürlich noch nicht automatisch zu besseren Lösungen. Aber die objektiven Bedingungen werden umso geschmeidiger, je mehr sie aus der Nähe, das heißt vom Orte her, betrachtet werden. Die Stadt mit ihren Besonderheiten muss Ausgangspunkt aller Überlegungen sein; zentrale Auflagen müssen in stadttypische und damit auch ökonomische Lösungen überführt werden. Das ist im behandelten Falle offensichtlich nicht gelungen. Er zeigt auch, dass wir endlich die ästhetische Seite der Stadtgestaltung aus ihrer formalen Beschränktheit lösen und in die gesellschaftliche Dimension überführen müssen. So sehr wir uns darüber freuen, dass unsere Stadtzentren nicht durch Spekulationsobjekte besetzt werden, so sehr muss es uns auch stören, dass noch nicht überall die Stadtbild prägenden Entscheidungen am Ort des Geschehens getroffen werden.

Anmerkung der Redaktion: Im konkreten Fall Weimars betrifft das z.B. den „Elephant“ mit seinen östlichen Nachbarn und die peinlichen Fragen danach hat bisher noch niemand zufrieden stellend beantworten können.

Für den entwickelten Sozialismus ist ein differenzierter Regionalismus nämlich geradezu typisch. Er braucht das anfangs in Aussicht genommene Niveau einer öffentlichen Architekturdiskussion wie das Wasser in der Suppe.

Zum Beispiel ein Hotel.
in: BdA/DDR Mitteilungsblatt, Bezirk Erfurt Nr. 29 (1987) 1. – S. 7.

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