Vortrag auf dem Architekturtheorie-Seminar Berlin (1985)

Olaf Weber
Vortrag auf dem Architekturtheorie – Seminar 1985 Berlin
(Fragment)

2 Tendenzen vermischen sich im gegenwärtigen Bauen. Einerseits entwickelt sich ein Überdruß an dem Erscheinungsbild der vorherrschenden Plattentechnologie. Monotonie und Erlebnisarmut unserer Wohngebiete und Städte wollen wir nicht, will niemand. Aber überall stoßen die Versuche zur Überwindung der ästhetischen und politischen Mängel auf die technologische Spröde der Bauproduktion. Ein Ausweg aus dieser Situation scheint sich anzubahnen: Man beläßt die Bauhauptstruktur in ihrer relativen Ungegliedertheit und Ausdruckslosigkeit und behängt den zu nüchtern erscheinenden Baukörper mit Dekorationen. Schmuck, Ornamente, Farben werden zu den wesentlichen Gliederungs- und Ausdruckselementen. Diese Tendenz kommt aus dem Massenwohnungsbau.

Die zweite Entwicklungsrichtung ist durch den Ort des innerstädtischen Bauens initiiert. Bauen in der Innenstadt ist Bauen in kultur- und geschichtsträchtiger Umgebung. Die Geschichtlichkeit der Stadt berührt das Bauen. Doch dieses Thema ist keineswegs ausgestanden.

Wir hatten im letzten Jahr in diesem Raum schon eine Historismusdiskussion. Da wurde von der sozialistischen Erbeaneignung gesprochen, von der Negation der Negation in der Geschichte usw.. Aber es wurde auch von der Denkmalpflege versäumt, die Pflöcke einzuschlagen, die ihren Bereich von dem des Historismus unterscheidet. Im Gegenteil, ein allgemeines historisches Bewußtsein wurde gepflegt, das alle Unterschiede in sich aufhebt. Aber ich halte es für außerordentlich wichtig, daß das Anliegen der Denkmalpflege, also das Erhalten von Sachzeugen der Geschichte, von dem der Stadtgestaltung, also der Fortsetzung einer kulturellen Traditionslinie im Stadtbild, geschieden wird und diese beide wiederum nichts gemeinsam haben mit den historizistischen Manien verschiedenen Colleurs. Die Feststellung gewachsenen historischen Bewußtseins bringt uns nicht weiter, wenn wir hier nicht klare Trennungsstriche ziehen. Die Besonderheit des gegenwärtigen innerstädtischen Bauens – vor allem in den Großstädten und besonders in Berlin – liegt in der Verbindung beider Entwicklungslinien – dem dekorativen Gestalten von Oberflächen einerseits und der Hinwendung zu einer historischen Formensprache; d.h. es werden zunehmend historische Elemente dekorativ verwendet, bzw. die Dekorationen werden historisiert.

Nun ist im Prinzip nichts gegen Schmuck und nichts gegen überlieferte Form einzuwenden –und beides gehört zum Architekturschaffen, nur produziert offensichtlich ihre Verbindung jenen banalen Historismus, den man an irgendeiner Ecke auch mal verkraften kann, doch vermute ich, daß sich hier ein allgemeines Architekturkonzept breit macht, das, indem es kurzfristig Bedürfnisse nach Vielfalt und emotionaler Ausstrahlung abdeckt, die langfristigen und grundlegenden Lösungen eher behindert als befördert, die darin bestehen, daß Vielfalt, die sich im Leben selbst entwickelt hat, Gelegenheit bekommt, mit Hilfe der Ideen der Architekten zur baulichen Form zu werden. Statt legitime Bedürfnisse nach differenzierten Raumerlebnissen kompensatorisch abzudecken, sollten wir sie als Kraft benutzen, um die herangereiften technologischen Fragen und die z.B. der Mitbeteiligung der Nutzer, die ihre Freizeitenergie in den Datschensiedlungen verschwenden, zu klären.

Das ist keineswegs ein Randproblem. Wie schwer ist es für den Architekten, Formenvielfalt zu begründen.(Brunoswarte)
Es ist ja auch klar:
einheitliche Auftraggeber
einheitliche Eigentümer
einheitliche Methoden der Projektierung
einheitliche Technologien
einheitliche Bauausführungsorgane
einheitliche (anonyme) Nutzer.

Wo soll da Vielfalt herkommen?
Mühsam ausgedacht.

Da könnten die Nutzer einiges beitragen, nicht daß sie die Architektur machen sollten, aber sie könnten Impulse für ihre Umwelt geben, praktische und ästhetische.

So aber verkümmert ihre Freizeitproduktivität, die immer mehr zunehmen und bald eine wichtige volkswirtschaftliche Größe darstellen wird, jedenfalls geht diese Produktivität für die Stadt verloren, kommt irgendwo im Gelände in Form von verkitschter Bungalows zum Vorschein und verschandeln die Landschaft. Wir brauchen also nicht da und dort ein paar vielfältige Formen mehr, sondern eine veränderte Methode des Hervorbringens von Architektur als gesamtgesellschaftlichen Prozeß. Von dort Vielfalt entwickeln.

Je mehr Ornamente, um so weniger Spielraum für den Nutzer.

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