Der Artikel „Ich bin komplex saniert“ hatte eine offensichtlich von „oben“ bestellte Reaktion zur Folge, auf die mit grundsätzlichen Bemerkungen zum Sinn kritischer Dispute geantwortet werden musste. Nachdenken, so die Antwort des Autors, sei gesellschaftlich wertvolle Arbeit.
Olaf Weber
Nachdenken ist gesellschaftliche Tätigkeit
Wenn ein Architekt, der in seine Zeichnung vertieft ist, mal aufblickt, über den Rand seines Zeichenbrettes hinausschaut und sich dabei Gedanken macht über ein allgemeines und komplexes Problem des gesellschaftlichen Hervorbringens von Architektur, dann ist das gesellschaftlich wertvolle Tätigkeit. Der BdA/DDR und sein Informationsblatt sind Foren dieses Nachdenkens.
Das Nachdenken in allgemeineren Kategorien, als es der konkrete Entwurf verlangt, ist aber schon theoretisches Denken und die Frühstückspause ist in den Projektierungsbüros nicht selten eine solche Gelegenheit zum kollektiven Nachdenken (die eigentliche Theorie systematisiert eigentlich dieses Denken nur). Wer deshalb zwischen Theorie und Praxis Neid und Feindschaft sät, der will Probleme zukleistern und auf der Stelle (leise-)treten. Theorie muß in ihrem analytischen Teil mit der Praxis harmonieren (sie genau widerspiegeln) in ihrem programmatischen Teil aber in Konflikt mit ihr stehen – aus der Reibung zwischen beiden entstehen die Impulse für das, was wir verändern wollen. So jedenfalls verstehe ich Theorie.
Das nachdenkliche Schauen über den eigenen Verantwortungsbereich hinaus, ins Gesellschaftliche hinein, schafft natürlicher Weise Konflikte, es berührt die Kompetenzbereiche von anderen, die anfangen, um liebgewordene Gewohnheiten zu bangen, die zusätzliche Arbeit auf sich zukommen sehen oder die sich nur angegriffen fühlen. Die Fähigkeit zur Kritik müssen wir alle noch stärker entwickeln – im Geben wie im Nehmen -, damit nicht jede Kritik im BdA-Blatt wie eine Eingabe behandelt, sondern als Teil einer kollektiven Diskussion verstanden wird. Aber auch die Unfähigkeit, auf Kritik unbeleidigt und ohne persönlichen Angriff zu reagieren, können wir aushalten.
Es ist aber schade, wenn die Chance verpasst wird, ein aufgeworfenes Problem mit dem Ernst seines Themas weiterzuführen. Ich hatte mir die Reaktion auf meinen Artikel ganz anders vorgestellt, als es Kollege Krämer liefert. Indem er das Beispiel, das ich der Anschaulichkeit halber gewählt habe, für das ganze Problem setzt, es somit zum Einzelfall deklariert oder gar zum Fall eines unkundigen Einzelnen herunter stilisiert, blockiert er seine Behandlung als das, was es ist, nämlich als ein herangereiftes gesellschaftliches Problem. Es ist eine sehr bequeme und sehr demagogische Haltung. Ich hatte mir eine Diskussion um weitere Hintergründe des Themas „Rekonstruktion“ gewünscht, denn gesellschaftliche Fragen sind immer Fragen der gesellschaftlichen Organisation.
Von den vielen Problemen, über die es sich dabei lohnt, in diesem Blatt zu diskutieren, will ich nur drei nennen:
- Wie können wir Abbruchmaterialien in den Reproduktionszyklus des gesellschaftlichen und privaten Bauens zurückführen? Dazu hat Kollege Peickert Interessantes mitgeteilt (im Blatt 21), aber noch viel mehr muß darüber nachgedacht werden.
- Wie kann die gesellschaftliche Kontrolle über die ökonomischen, praktischen und kulturellen Aspekte im Rekonstruktionsprozeß verbessert werden ? Welche Rolle sollten die Mietermitverwaltungen und die KWV als gesellschaftlicher Eigentümer spielen ?
- Wie ist der Widerspruch zu lösen, das ein Dachdeckermeister (Dachdeckermeister gilt als Beispiel), indem er nicht nur verschlissene Kehlbleche erneuert, sondern darüber hinaus den intakten Schiefer abschlägt und durch Preolitschindeln ersetzt, einerseits den Auflagen der Stadtverwaltung nach einer bestimmten Umsatzhöhe im Plan erfüllt, doch andererseits der Volkswirtschaft und der Stadtkultur durch die Vernichtung von materiellen und kulturellen werten schadet?
Diese und noch viele anderen Fragen, die ich nicht weiter ausdehnen will, um nicht mit mir selber zu diskutieren, sollten wir verantwortlich und durchaus kontrovers behandeln, um vorwärts zu kommen. Ich will dazu aufrufen, denn Nachdenken über diese Zusammenhänge ist gesellschaftliche Tätigkeit. Nur nicht dabei die Frühstückspause überziehen!