Orientieren in der Stadt (1980)

Aus einer Reihe von Untersuchungen zur Stadtgestalt – unter anderem in Erfurt und Weimar – konnte die Analyse zum Orientierungsverhalten in dem Neubaugebiet von Halle-Neustadt in der Zeitschrift „Form und Zweck“ veröffentlicht werden.

Olaf Weber, Gerd Zimmermann
Orientieren in der Stadt

Was ist merkbar und was merk-würdig? Befindet
man sich „in“ einer Straße oder „auf“ ihr?
Die Autoren untersuchten die Orientierungspraxis von Stadtbewohnern.

Orientieren in der Stadt

Die folgenden Betrachtungen stützen sich auf empirische Untersuchungen in Halle und in Halle-Neustadt. Der Verlockung eines Vergleiches beider Städte konnten wir uns nicht verschließen, die eine vertritt das Typische einer historisch gewachsenen Stadt, die andere das einer Reißbrettstadt des industriellen Bauens. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass in beiden Städten ganz spezifische Orientierungssituationen auftreten, die nicht verallgemeinerungsfähig sind (auch ist das Zentrum von Halle-Neustadt noch nicht fertig gebaut).

„Orientierung“ ist kein speziell städtebauliches Thema – das zeigt ein Blick auf Orientierungssituationen außerhalb der urbanen Sphäre: Man orientiert sich über Erfolgschancen, an Entwicklungstrends, man orientiert auf ein bestimmtes Vorhaben usw. „Orientieren“ hat viel Gemeinsames mit „Informieren“, besitzt aber auch eine ganz spezielle Ausprägung:

  1. Orientieren zielt auf ein vages Erfassen, auf einen raschen Überblick über eine Situation,
  2. Orientieren ist ein betont aktives Verhalten,
  3. Orientieren ordnet einen Sachverhalt in ein Bezugssystem ein (richtet mindestens zwei Dinge aufeinander aus),
  4. Orientieren zielt unmittelbar auf ein Verhalten, das es vorbereitet, es ist praktisch motiviert. Während Information eine Unkenntnis beseitigt, beseitigt die Orientierung eine Unsicherheit.

Durch die Tatsache bedingt, dass „Orientieren“ sowohl abbildende als auch antizipierende Momente geistiger Tätigkeit beinhaltet, ist es für die ganzheitliche Aneignung der Umwelt von besonderem Wert: Orientierung mildert die Fremdheit der Gegenstände und ermöglicht das bewusste Agieren der Subjekte in der Umwelt. Im Falle von „Stadt“ ist diese Umwelt auch eine soziale Umwelt, und es ist zu vermuten, dass Irritiertsein in der Stadt und soziales Fehlverhalten irgendwie zusammengehören.
In einem weitgefaßten Verständnis ist städtische Orientierung ein Verhalten, dass auf die Durchschaubarkeit der Stadt abzielt und damit die Stadt den Menschen verfügbar macht, denn nur das ist praktisch verfügbar, was in seiner Nutzbarkeit erkannt worden ist.

Die orientierungsgünstige Stadtgestalt muss so strukturiert sein, dass sie auf umfassende, schnelle und einfache Weise aufgenommen und im Bewusstsein bzw. Gedächtnis fixiert werden kann. Dabei stellen Erfassbarkeit, Überschaubarkeit und Einprägsamkeit zentrale Werte dar. Es wäre aber falsch anzunehmen, dass simple Rasterordnungen und stereotype Formen (zum Beispiel alle Schulen sehen gleich aus) das Zurechtfinden insgesamt erleichtern würden. Es ist vielmehr so, dass das Aufrechterhalten der Aufmerksamkeit und das Vermögen, zugleich ein räumliches Bezugssystem aufzubauen, eine eigenartige Spannung von Vielfalt und Einfachheit erfordert, wie sie in prägnanten Gestalten zu finden ist. Es geht nicht nur um die Merkbarkeit einer Stadt, sondern auch um ihre Merk-Würdigkeit. Fassbarkeit ist also nur die notwendige Bedingung zur Aneignung von Vielfalt, und Überschaubarkeit bildet nur ein Teil der Anforderungen an die Stadtgestalt.

Gedächtnisbilder
Bewohner von Halle und von Halle-Neustadt skizzierten „aus dem Kopf“ einen Plan ihrer Stadt mit Gebäuden, Straßen, Namen, Bezeichnungen usw. Diese subjektiven Abbilder der Stadt wurden mit der Stadtwirklichkeit verglichen. Der Grad ihrer Richtigkeit, ihrer Vollständigkeit und der Grad der Übereinstimmung zwischen den einzelnen Skizzen zeigt die Einprägsamkeit der Stadtgestalt und ihrer Elemente.

Für die Orientierung in der Stadt benötigen die Menschen als Bezugsgröße ein im Gedächtnis eingeprägtes räumliches Vorstellungsbild der Stadt, das es möglich macht, sich das urbane Raumgefüge einschließlich des eigenen Standortes jederzeit vor das „innere geistige Auge“ zu rufen. Das war inhaltlicher Ausgangspunkt der Untersuchungen. Wir sind dabei der These nachgegangen, dass die Orientierungsqualität von Städten vor allem von der Einprägsamkeit ihrer ganzheitlichen Struktur hergeleitet werden muss. Einprägsamkeit ist umweltseitige Entsprechung zur subjektiven Vorstellbarkeit.

Stadtvorstellung als stabile Abbildung der Stadtumwelt baut sich auf als dialektische Einheit von Vorstellungselementen und den Beziehungen, die diese untereinander eingehen. Dabei sind die Gründe für die Einprägsamkeit der Elemente und für die des Beziehungsnetzes nicht identisch. Wir wollen sie gesondert besprechen, Systematisierungen versuchen und dabei vom Vergleich der Vorstellungsbilder beider Städte profitieren.

Einprägen von Elementen
Aus der Baumasse beider Städte hebt sich jeweils ein Ensemble einprägsamer Elemente heraus. Es dominieren in Halle-Neustadt: die Magistrale, die Fußgängerbrücken, die Thälmannstraße, die
S-Bahnlinie, die Zentrumshochhäuser, die Schwimmhalle; und in Halle die Hauptstraßen, die Hauptplätze, die Hochstraße, der Bahnhof, die Marktkirche, die Moritzburg.

Warum stützen sich Bewohner beim Aufbau der Raumvorstellung vor allem auf diese Objekte in den beiden Städten? Die Aufzählung spiegelt keine reine Typologie baulicher Formen, so dass man etwa sagen könnte, die Straßen wären generell einprägsamer als zum Beispiel die Gebäude. Die Anlässe der Einprägsamkeit sind offensichtlich komplexer und nur im Kontext der Mensch-Umwelt-Beziehung klärbar. Wir sehen drei Faktoren dieser Wechselbeziehung: Gewohnheit, Bedeutsamkeit, Gestaltprägnanz.

Gewohnheit
Gewohnheit ist ein Langzeitfaktor der Einprägsamkeit einer Funktion der Sesshaftigkeit. Sie schreibt die Umwelt automatisch und ohne Aufsehen in das Bewusstsein ein. Die Vorstellung wird damit abhängig vom lokalen und zeitlichen Lebensrhythmus des Individuums, und sie sagt aus über das Maß an Gemeinschaftlichkeit im Raumbewusstsein. Die Vorstellungsbilder der Halle-Neustädter sind deutlich auf den persönlichen Wohnsitz zentriert. Dies verweist auf einen Mangel an präziser Formulierung eines gesellschaftlich bestimmten, den Bürgern der Stadt gemeinsamen Stadtbildes. Im Vorstellungsbild von Halle dagegen schlagen sich weder Dauer noch Ort des Wohnens nieder. Die Bewohner haben ein ganzheitliches „Bürgerbild“ der Stadt, kein „Privatbild“.

Bedeutsamkeit
In Relation auf die Einstellung und Motivation der Bewohner gewinnen Stadtelemente Bedeutsamkeit. Sie werden im Gedächtnis behalten wegen ihrer persönlichen Bedeutsamkeit für jemanden (die eigene Wohnung, der Kindergarten), in Erwägung ihrer gemeinschaftlichen Bedeutung (Jugendklub in Halle-Neustadt) und wegen ihrer gesellschaftlichen Bedeutung (Rat der Stadt, Zentrum, Schulen).Besonders bekräftigt und im Bewusstsein verankert werden Objekte und Bereiche in den Städten, die mit positiven Werten verknüpft sind und entsprechende Emotionen auslösen, sei es im praktischen Gebrauch (Gaststätten, Klubs, Schwimmhalle) oder in sinnlicher Bejahung von Formqualitäten (der Springbrunnen in Halle-Neustadt). Abstoßende Umweltareale werden tendenziell aus der Vorstellung verdrängt und so zu grauen Zonen des Stadtbewusstseins, zum Beispiel in den Fällen, wo physischer Verschleiß einen Kreislauf des Vergessens eröffnet.

Gestaltprägnanz
Wir registrieren einen grundsätzlichen Erlebnisunterschied zwischen Halle und seiner Neustadt: In Halle bilden Räume (Straße, Platz) den Grundstock des Vorstellungsrepertoires, während die organisierende Vorstellungseinheit in Halle-Neustadt der freistehende Baukörper ist, zumindest dort, wo ein solches Konzept der „Plastik im fließenden Raum“ sich andeutet. Symptomatisch für die neue Stadt ist der Verlust des Raumes als prägnanter Gestalt – man befindet sich zum Beispiel nicht in der Straße, sondern auf der Straße, nicht auf einem Platz, sondern zwischen Gebäuden. Auch die Magistrale verdankt ihre klare Linienhaftigkeit mehr dem Asphalt als den sie flankierenden Blöcken.
Die Prägnanz einer Gestalt setzt ihre „figürliche“ Abgehobenheit gegenüber einem Hintergrund voraus. So hebt sich ein prägnantes System von Hauptstraßen in Halle von den übrigen Straßen ab, die Gruppe der streng geordneten Zentrumsbauten in Halle-Neustadt profiliert sich gegen den diffusen Bebauungshintergrund, und das Y-Haus ist in einer Bauwelt der Rechtwinkligkeit das Einmalige, das man im Sinn behält.

Einprägen von Beziehungen
Die Raumvorstellung, angefüllt mit wichtigen Elementen der Stadt, verwirklicht ihre Leitfunktion für die Orientierung nur dann, wenn sie räumlich und zeitlich stabil ist – nicht einfach die Summe der Elemente, sondern eine neue stadtumspannende Ganzheit. Wir haben aus dem empirischen Material der Vorstellungsbilder wenigstens drei aufeinander aufbauende Formen der Gestaltbildung herausgelesen: Assoziation, Gruppierung und hierarchische Struktur. Die jeweils „höhere“ Form der Zusammenhangsbildung kann als dialektische Aufhebung der übrigen gelten.

Assoziation
Abgesehen von der Magistrale als raumgreifendem Element, ist das beherrschende Formbildungsprinzip von Halle-Neustadt die Addition und das dementsprechende Rezeptionsprinzip die Assoziation. Diese leistet das Einprägen des raum-zeitlichen Neben- und Nacheinanders von Situationen. Sie schafft nur eine relativ schwache und unstete, mit zunehmender Distanz schwindende Gedächtnisspur.

Einem Straßendorf genügte vielleicht die einfache Assoziation als „Bindekraft“ der Häuser und der Straße zu einer ganzheitlichen Gestaltungsvorstellung. Auf dem Niveau der Assoziation ist Halle-Neustadt zu kompliziert. Es sprengt die Auffassungskapazität seiner Besucher und Bewohner. Sie sind überfordert, überfordert durch Unterforderung, denn das desintegrierte Stadtbild verhindert das Umsteigen des Rezipienten auf effektive Gedächtnismechanismen. Es ist, als würde man einen der Multiplikation fähigen Menschen beständig zwingen, durch Addition zum gleichen Ergebnis zu kommen.

Gruppierung
Es steht zu vermuten, dass die hämmernde Wiederholung ein und desselben Gestaltelements ein Moment der Einprägsamkeit ist. Auch die Art von Zusammenhangsbildung, die wir hier, durchaus vorläufig, als „Gruppe“ bezeichnen wollen, profitiert von der Bekräftigungsfunktion der Vervielfachung. Bei der Gruppe aber ist die Quantität auf das Fassbare begrenzt. Vermieden wird das „Zuviel“, welches die Dinge ideell banalisiert und entwertet und das so inhaltlich zum „Zuwenig“ wird.

Die Grenze der Faßbarkeit für nicht weiter strukturierte Elementegruppen lässt sich ohne Zahlenfetischismus, im Ergebnis psychologischer Analysen mit etwa 7+-2 ähnlichen, aber deutlich unterscheidbaren Elementen angeben – Quantitäten, die als Zäsur der Umwelterfahrung und Ausdruck der Einprägsamkeit in den Vorstellungsbildern deutlich werden: Äußerst prägnant ist die Gruppe der fünf Zentrumshochhäuser in Halle-Neustadt. In Halle sind mehrere Gruppen an der Montage des Stadtbildes beteiligt: die berühmte Fünf-Turm-Silhouette des Marktes, das Hauptstraßennetz mit sieben im Netz koordinierten Straßen, die sechs Hauptplätze.

Hierarchische Struktur
Stadtgestalt in ihrer Umfänglichkeit vermittelt sich zum Bewusstsein dann, wenn sie sich, hinausgehend über simultane Faßbarkeit, einer kontinuierlich vom Teil zum Ganzen und umgekehrt fortschreitenden Wahrnehmungs- und Vorstellungsweise öffnet. Als Bedingung dafür erscheint der hierarchische Aufbau der Stadtgestaltung, also der Überordnung, Unterordnung und „Verschachtelung“ von Elementegruppen. Eine andere Bedingung ist die organische Abstimmung der Hierarchieebenen, denn Schichtung von Gestaltelementen allein, ohne deren Kontaktfähigkeit einerseits zum Ganzen der Stadtgestalt, andererseits zum Maßstab des Nutzers, bewirkt noch nicht, dass die Stadtgestalt einprägsam wird. Dies erweist sich in Halle-Neustadt, wo die Stadtgestalt in die Schicht der Wohnblöcke und die Schicht „Magistrale/Zentrum“ gespalten ist, ohne dass jedoch eine kontinuierliche Stufung der Stadtgestalt entsteht, welche die ideelle Approximation an das Stadtganze erst ermöglichen würde. Dies ist in der Tat eine Frage des Maßstabs.

Hierarchiebildung wird fundiert durch den Aufbau einer Raumstruktur, die den wesentlichen Zusammenhang der Stadtgestalt herstellt. Raumstruktur ist charakteristisch in Halle ausgeprägt, denn Straßen, Plätze, Gebäude bilden untereinander eine Raumgestalt, zu beschreiben etwa als konzentrisch und radial organisiertes Netz mit dem Markt als Mittelpunkt und den wesentlichen Plätzen als Knotenpunkten. Die wesentlichen Vorstellungselemente bilden ein System, das den Ausdruck des Sinnvollen trägt, denn eine gewisse Logik, dass Wege in der Stadt Orte in der Stadt miteinander verbinden, ist hier gewahrt. Knotenpunkte, Anfangs- und Endpunkte spannen als informationsreichste Punkte infolge der Strukturbildung das Vorstellungsbild im Wesentlichen auf. Sie werden in Halle durch Plätze, Türme, Turmgruppen und Denkmäler ausdrücklich optisch und ideell bekräftigt, in Halle-Neustadt „kompositorisch“ durch Punkthochhäuser abgesteckt. Besonders wichtig sind die Merkzeichen der Stadtmittelpunkte.

Wegbeschreibungen
Tagtäglich und überall wendet sich jemand an einen anderen mit der Frage: „Wie gelange ich zum …?“ Wir haben diese Frage verwendet, um festzustellen, welche Umweltmerkmale zur Wegbeschreibung in Halle-Neustadt am häufigsten verwendet werden. Die Interviews mit den Passanten hatten zum Beispiel folgenden Verlauf:
Können Sie mir sagen, wie ich zum Bildungszentrum komme?
Ja, da sind Sie ganz falsch hier, da gehen Sie am besten vorn rechts bis zur Magistrale, also vor diesem weißen Haus rechtsrum, kommt eine Fußgängerbrücke, da überqueren Sie die Magistrale, und dann geradeaus bis die Magistrale dann praktisch aufhört.
Kann man das sehen von weitem?
Nein, das ist die rechte hintere Ecke, bevor die Magistrale aufhört.
Wie erkenne ich das Bildungszentrum?
Das sieht praktisch aus wie flache Schulen.

Die während solcher Interviews geäußerten Orientierungshinweise (kursiv hervorgehoben) wurden aus den Texten herausgefiltert und in einer Übersicht zu Gruppen zusammengefasst. Das Ergebnis lässt einige Aussagen zu.

Man kann davon ausgehen, dass diejenigen Umweltmerkmale am häufigsten genannt werden, die mindestens drei Kriterien erfüllen: Form- und Funktionsprägnanz (ihre Abhebung vom Hintergrund), Seltenheit ihres Auftretens und sprachliche Benennbarkeit.

Die große Menge unspezifischer Richtungsangaben könnte nur im Vergleich mit Untersuchungen in anderen Städten richtig gedeutet werden. Ganz hinten, da drüben usw. sind einerseits bequeme und kurze Ausdrücke, die – meist in Verbindung mit gestischen Zeichen – durchaus ausreichend informativ sind. Andererseits kann sich dahinter auch eine mangelhafte Identität des zu beschreibenden Ortes verbergen, also eine geringe visuelle Prägnanz und semantische Eindeutigkeit.

Die Verkehrswege spielen die erwartet große Rolle im Orientierungsgeschehen, ihre Struktur wird aber nicht durch die Bebauungsstruktur gestützt, weil die traditionellen Kodes von Straße und Hofraum gestört sind. Die unbebauten Flächen signalisieren nicht mehr verlässlich die Richtung der Straße. Außer der eindeutig dominierenden Magistrale werden die Straßen und Plätze nicht individualisiert, aus der Masse der Verkehrswege werden jeweils die abzählbaren Knotenpunkte zur Verständigung zitiert.

An Gestalteigenschaften werden vorwiegend Höhe und Größe genannt (24 von 35). Das entspricht der Dimension, in der Vielfalt relativ häufig auftritt. Farbe wird selten angegeben, und an eine akzentuierte Form haben sich die Befragten gar nur zweimal erinnert. Hier zeigen sich die größten Lücken im Angebot von Orientierungsmerkmalen. Ebenso sind nicht-bauliche Erscheinungen sehr unterrepräsentiert, relativ häufig werden nur Verkehrszeichen als Merkzeichen benutzt. Die bildende Kunst spielt – vom Springbrunnen abgesehen – keine große Rolle. Überhaupt nicht sind Designprodukte genannt. Weder technische Objekte (Leuchten usw.) noch Straßenmöbel haben in Halle-Neustadt Eigenschaften, die sie zu Orientierungsmerkmalen werden lassen.

Die Gebäudetypen, die spezifische Nutzungsbereiche markieren, stellen sehr brauchbare Orientierungsppunkte dar (Gaststätten, Schwimmhallen usw.). Ihre punktuelle Verteilung im Stadtgebiet und ihre häufige Frequentierung erzeugen die Kombination von Prägnanz und Bekanntheit, die für Orientierung wichtig ist. Der seltene Gebrauch von Namen als Orientierungshilfe resultiert aus dem völlig mangelhaften Benennungssystem von Straßen, Blöcken, Quartieren usw.. Lediglich einige Straßen und Gaststätten besitzen Namen. Namen sind aber sehr wichtige Identifikationsgeber. Eine bauliche Einheit erhält durch Namensgebung eine sprachliche Prägnanz, sie kann fehlende bauliche Prägnanz teilweise ersetzen. Was man benennen kann, wird erst ideell, dann praktisch „handhabbar“.
Insgesamt zeigt sich, dass die praktisch verfügbare und kommunizierbare Orientierungsvorstellung der Bewohner von Halle-Neustadt zu wenig durch den Formenaspekt der Umwelt gespeist wird, so dass die Nutzer sich hauptsächlich durch Gewöhnung an Funktionsabläufen orientieren. Diese Art der Orientierung reduziert das sinnliche Erleben auf die Identifikation von Nutzungstypen. Ortsunkundigen versagt sie sich. Diesem Verlust muss und kann mit architektonischen Mitteln begegnet werden.

Es kommt in Zukunft verstärkt darauf an, neben der Einbeziehung von Farbe, grafischen Symbolen und anderen Informationsträgern vor allem durch eine einprägsame Stadtgestalt die Orientierung zu fördern.

Wegbeschreibung: Elemente der Stadtgestalt, die die Befragten zur verbalen Mitteilung benutzten. Die Zahlen geben an, wie häufig die einzelnen Elemente genannt wurden.

Unspezifische Richtungsangaben: 61
(rechts, links, geradeaus, da drüben, dahinter,
die Straße lang, ganz hinten…)

Verkehrswege: 45
Magistrale: 9
Fußgängerbrücke: 10
Fußgängertunnel: 2
Eisenbahnbrücke: 5
Straße, Platz: 8
Straßenecke, Kreuzung: 8
Bus: 3

Gestalteigenschaften: 35
Höhe
(Flachbau): 5
(Hochhaus): 14
Größe
(großer Komplex, langer Block): 5
Weite
(sehr weit, 10 Minuten …): 4
Farbe
(rote Balkons, gelber Block,
blaues, weißes Haus): 5
Form
(rund, Straße mach Bogen…): 2

Spezielle Nutzungsbereiche: 28
Gaststätten: 7
Kaufhaus (-halle): 3
Weitere Nutzungstypen
(Schwimmhalle, Wohnhaus, Turnhalle,
Tankstellen, Poliklinik, Blumenladen,
Rathaus, Bahnhof): 18

Nichtbauliche Merkmale: 11
Bildende Kunst (Lenindenkmal): 1
Werbung, Beschriftung: 3
Verkehrszeichen, Ampel: 4
Springbrunnen: 3

Aktuelle Ergebnisse: 1
(„wo eben der B 1000 reinfuhr“)

Namen: 5
(F-Linie, Thälmannstraße, Block 395…)

Olaf Weber, Gerd Zimmermann: Orientieren in der Stadt.
– In: Form und Zweck. – Berlin 12/1980. 4.
S. 20-24.

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