Konzeption für eine Bauformenlehre – Grundlagen (1979)

Olaf Weber
Konzeption für eine Bauformenlehre – Grundlagen

1.Kurzbeschreibung und Einordnung in die Lehrkonzeption der Sektion Architektur

Die Bauformenlehre übernimmt die Rolle des „baugebundenen Gestaltens“ als Bindeglied zwischen dem „elementaren Gestalten“ einerseits und dem Entwerfen andererseits.
Gegenüber dem „elementaren Gestalten“ unterscheidet sich die Bauformenlehre dadurch, daß sie die bauliche Form als spezifisch architektonischen Ausdrucksträger behandelt, während die elementare Gestaltungslehre die allen Kunstgattungen gemeinsamen Gestaltungsmittel und –verfahren (wie Rhythmus, Symmetrie, Motiv –Struktur usw.) zum Gegenstand hat.

Die Bauformenlehre ist die Lehre von der Form in der Architektur unter dem Aspekt ihrer Ausdrucks- und Mitteilungsfähigkeit, deshalb wird die architektonische Ganzheit (u.a. die praktische und die konstruktive Seite von Architektur) nur insoweit betrachtet, wie diese Seiten in der Form zur Repräsentation kommen. Auf diese Weise unterscheidet sich die Bauformenlehre von der Entwurfslehre, die das methodische Konzept für die Lösung der komplexen Bauaufgabe liefert.

2. Lehrinhalt

Theoretische Basis der Bauformenlehre ist das Konzept von der architektonischen Form als Träger von architektonischen Bedeutungen. Die Bedeutungen der Formen sind aber nur partiell in einer kulturellen Interpretation festgeschrieben. Durch die Kombination unterschiedlicher Formenelemente zu einem architektonischen Gebilde werden diese auf die Ebene der architektonischen Aussage gehoben. Aussagen mittels Architektur (über spezifisch architektonische Sachverhalte) sind weder bereits bekannt noch völlig neu, sie entsprechen den „Sätzen“ in unserer Verbalsprache, die ebenfalls als etwas Neues aus relativ stabilen, bekannten Grundbausteinen (den Wörtern) gebildet wurden. Sie sind in ihrem Grundmuster den anderen Medien sozialer Kommunikation, den Sprachen, verwandt. Das System von Ausdrucksträgern in der Architektur kann deshalb als spezifischer gegenständlicher Sprachtyp verstanden werden, insofern es bestimmten, sozial-kulturell determinierten Formierungs- und Interpretationsregeln unterliegt. Die Bauformenlehre behandelt:

a) Grundlagen, nach denen sich Bedeutungen mit baulichen Formen verbinden
b) Regeln für die Kombination von bedeutungstragenden Elementen unter dem Aspekt der Kommunikation
c) Kontinuität und Wandel der Interpretationsnormen von Architekturformen, ihre soziale, kulturelle und politische Determination
d) Inhalte der architektonischen Aussage, vor allem die Repräsentation der konstruktiven und nutzertechnologischen Seite der Architektur und ihrer Faktoren.

3. Didaktische Zielstellung

Die Bauformenlehre soll das Gefühl und das Wissen über die Aussage- und Bedeutungsfähigkeit der Architektur verstärken. Sie soll die Empfindsamkeit gegenüber dem architektonischen Ausdruck vermitteln und gleichzeitig dazu verhelfen, daß die Studenten ein aktives Verhältnis zu Ausdrucks- und Aussagefunktion der Architektur gewinnen. Die Gestaltungsfähigkeit soll verstanden werden als das Formulieren von architektonischen Aussagen mit baulichen Mitteln, wobei bewußt werden soll, daß das Gestaltungsergebnis praktisch-funktionelle, kulturelle, ästhetische usw. Konsequenzen hat.
Das Ausbildungsziel wird auf drei Wegen erreicht: durch Kenntnisvermittlung, durch Analysen und durch praktische Gestaltungstätigkeit.
Kenntnisvermittlung: (vgl. Lehrinhalte)

  • Grundlagen der Kommunikationstheorie und Semiotik
  • Typik der Bauformen
  • Architekturspezifische Bedeutungen und Aussagen
  • Struktur der bedeutungstragenden Elemente
  • Kulturhistorische Entwicklung
  • Formale Bildungsgesetze der architektonischen Aussagen

Analyse von gebauter (historischer und zeitgenössischer) und geplanter Architektur hinsichtlich der Struktur der Ausdrucksträger, Untersuchung des historisch bedingten Interpretationswandels.

Gestaltung konkreter Architektur unter einer kommunikativen Zielstellung, Verständigungsspiel mittels Architektur, Entwicklung von
Gestaltungsvarianten bei fixierter, funktioneller und konstruktiver Bedingungsstruktur.

4. Organisatorische Eingliederung

Es ist möglich, die Bauformenlehre dem künstlerischen Bereich, dem WB Entwerfen und Projektieren oder der Architekturtheorie zuzuordnen. Aufgrund der übergeordneten Bedeutung der Bauformenlehre hat m.E. die Zuordnung zur Architekturtheorie Vorrang.
19.11.79

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