Einführung zur Ausstellung von Michael Lehnhardt, Erfurt (1976)

Olaf Weber
Einführung zur Ausstellung von Michael Lehnhardt, Erfurt, Sept. 1976

Liebe Freunde, verehrte Gäste!
Kunst braucht keine Erklärung und so bedürfen auch die Bilder von Michael Lehnhardt nicht meines Kommentars. Lassen sie mich trotzdem einige Worte sagen. Das Sprechen über Kunst ist gerade in unserer spezifischen künstlerischen und kulturpolitischen Situation notwendig, die uns veranlaßt, klar und begründet zu argumentieren. Lassen wir die Zweifel darüber, das Sprechen etwas mit Rationalisierung des Wahrgenommenen zu tun hat. Sprechen wir nicht über unsere subjektive Deutung der Bilder und versuchen wir auch nicht die vermeintlichen Gedanken, die Tiefenpsychologie des Malers zu ergründen oder preiszugeben. Kunst wird ohnehin nur künstlerisch rezipiert, wenn im Wirken das Werden reproduziert wird, wenn wir nicht nur das Werk, sondern auch den Künstler in unser Bewußtsein einlassen. Dabei nehmen wir die Bilder ganzheitlich auf und wir argumentieren literarisch, d.h. in einer künstlerischen Metasprache. Ich will hier der anderen, der rationalistischen Abstraktion das Wort reden, die es an sich hat, das Kunstwerk bis zum theoretischen Gerüst auszumagern. Dabei geht es nicht darum, ein Dogma als Elle anzulegen und nicht einmal darum, ein Werk sozial- oder naturwissenschaftlich oder philosophisch zu billigen. „Billigen“ oder „Zurückweisen“ hieße, Kunst überhaupt zurückzuweisen, ihre Eigenentwicklung zu leugnen. Aber die künstlerische Selbstbewegung weist der Ästhetik ihren Platz an: nämlich der realen Kunst nachzulaufen, sie hat ihr nichts vorzuschreiben.

Es gilt vielmehr, durch eine der Sensibilität des Werkes angemessene Theorie deren konzeptionelle Bestandteile abzuheben. Kunst ist nämlich durch Wahrnehmung allein nicht erreichbar. Worte aber, neben Bildern ausgesprochen, werden zu immanenten Bestandteilen der künstlerischen Aussage. Man mag das bedauern, besonders dort, wo nicht genügend bedacht wird, daß jedes Wort, das wir für ein Bild setzen, zu einer Vergewaltigung des Bildes führt, die nur schwer zurückzunehmen ist.

Aber Kunst verlangt nach Analysen, vor allem moderne. Moderne Kunst ist rationalistisch. Ich sage das provokativ und angesichts der gewaltigen emotionalen Potenzen gerade der hier ausgestellten Bilder und eingedenk der vorwiegend gefühlsmäßigen Zuganges den viele Menschen zur Kunst besitzen. Aber ein modernes Kunstwerk ist Stückwerk, wenn es nicht auch massive rationale Momente ins Spiel bringt. Den Grund für diese unerläßliche Bedingung sehe ich in dem konzeptionellen Charakter der modernen Kunst. Jedes Kunstwerk schleppt gleich ein ganzes Programm mit sich herum. Moderne Kunst ist eigentlich immer Programmkunst.

Jedes gemalte Bild steht für viele ungemalte. Ein Kunstwerk drückt (u.a.) das methodische Konzept seiner Erzeugung und Aneignung aus. Das ist erst heutzutage bemerkbar, da es eine wichtige Funktion von Kunst geworden ist, ihre eigenen Grenzen auszuloten und ungeheuerlich auszudehnen. So erweist sich jede Grenze, die man zu sehen glaubt, als ein Aspekt von Kunst. Ich sehe mindestens hierin das räsonierende Moment bestätigt und spare mir die Mühe, die konventionellen Verstandessymbole aufzuzählen, mit denen viele Lehnhardtsche Bildwerke angefüllt sind.

Daneben entdeckt man leicht den Metaphysiker Lehnhardt, einen, der etwas Dunkles, Unklares zur klaren Form bringt, etwas, was nur so ausgedrückt werden kann. Das sind Widersprüche, die ästhetisch bewältigt werden, ja die Sinnlichkeit der Widersprüche wird zum Lustbarkeitsprinzip der Wahrnehmung und darüber hinaus zum ästhetischen Faktor Nr. 1. So entwickeln sich die Gegensätze im Prozeß der Rezeption zu neuen Einheiten, regen an und befriedigen zugleich –wie in den Verhältnissen von Ausdruck und Harmonie, von Saturation und Erschrecken, von Anziehendem und Abstoßendem, von Geist und Handwerk, von Wirklichem und Phantastischem usw..

Irgendwo Einheit, irgendwo Widerspruch. Und Widerspruch der Malweise zum provisorischen Charakter unserer Umwelt, die sich mehr ändert, als sie verändert wird. Die planimetrische Malweise Lehnhardts hat nichts von dieser Flüchtigkeit, sie ist mehr für die Ewigkeit als für die Gegenwart.

Die Hand hat sittsam den Pinsel geführt, keine gespannten Fäden, bewegliche Teile, Holzpostkarten, gerissene Dekollagen, keine neue Materie, Objekte sind zur Kunst hinübergezogen. Ich weiß, das ist hier kein Versäumnis, ich glaube vielmehr, daß für diese Malweise eine individuelle Interpretation der Auffassung von der Kunst als spezifischem Kommunikationsmittel verantwortlich zeichnet. Kunst ist keine ruhende Wesenheit und kein Genieprodukt, sondern eine spezifische Nachricht. Das ist ein Hauptsatz moderner Kunsttheorie. Also will der Künstler etwas kommunizieren, er braucht einen Betrachter, um etwas loszuwerden. Keine elitäre Theorie mehr. Kommuniziert werden kann vieles: eine Idee, ein Sujet, ein Gefühl, eine Weltanschauung, eine Formauffassung, eine Sehweise usw.. Aber Kommunizieren heißt, die Empfangskapazitäten des Rezipienten auslasten und nicht überlasten. Ein Kunstwerk kann nicht auf all diesen Ebenen gleichzeitig neu, innovativ sein.

Wer verstanden werden will, muß die Neuheit, die Information dosieren. Ein Anliegen, eine Anregung, eine Information, das ist die entscheidende Kategorie –erst einmal gleichgültig, ob sie mehr auf inhaltlicher oder formaler Ebene realisiert ist. Lehnhardt beschränkt sich in seiner Neuheit der Verständlichkeit wegen, aber weit davon entfernt, ein Parasit der Form zu sein, der sich auf den Formerfindungen anderer ausruht. Inhalt und Form als eine solche Einheit zu sehen, wie er es (dort drüben) schriftlich geäußert hat –mit einem Humor übrigens, der in seinen Bildern nur etwas komplizierter verschlüsselt ist – das kann man nur, wenn man vielleicht unbewußt den Informationsbegriff darübergesetzt hat. Und dann lösen wir theoretisch nicht wieder in Inhalt und Form auf, sondern in Wahrgenommenes und Assoziiertes, in Bezeichnendes und Bezeichnetes, in Vorder- und Hintergründiges, in Oberfläche und Tiefe.

Und Schönheit tritt nicht nur in der Oberfläche, sondern auch in der Tiefe auf, nicht nur realisiert, sondern auch codiert, nicht nur im Material, sondern auch in der „Bedeutung“. Daß die Form „an sich“, ohne Objekte zu kopieren, einen Wert, eine Information besitzt, wäre ohne die gegenstandslose Kunst schwerlich verständlich geworden. Wenn wir jetzt wieder Formen malen, die mit Objekten ikonografische Ähnlichkeiten besitzen, dann nicht, um die Objekte, sondern um Assoziationen ins Spiel zu bringen. Wir verlassen, umgehen deshalb nicht das Problem der Sprache, der Malerei, wenn wir bedeutungstragende Formen realisieren, die durch Ähnlichkeiten, durch logische Gedankenverknüpfungen oder durch konventionelle Assoziationen einen sublimen geistigen Bildhintergrund erzeugen, auf dem dieses Repräsentierte mit den präsentierten Farben und Formen zum Bilderlebnis verschmilzt. Ikone, Symbole, Ähnlichkeiten, visuelle Metaphern bilden im optischen Kontext das grammatische Gerüst der Malerei.

Liebe Gäste, der Zustand der bildnerischen Mittel erlaubt heute weniger Beeinflussung, aber erfordert mehr Experiment. Der Zustand der Gesellschaft hingegen, der politischen, sozialen, kulturellen Situation dieser Welt erfordert Management und den Willen zur Kommunikation. Diesen Widerspruch muß heute jede Kunst bestehen, eine didaktische Herausforderung auch an die Bilder Lehnhardts.

Vielen Dank fürs Zuhören.

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