Informationelle Qualität oder Schönheit? (1976)

Informationelle Qualität oder Schönheit?
Olaf Weber, Referat auf dem Theorieseminar des BDA/DDR und der Bauakademie Berlin 1976
(Fragment)

1.Informationelle Qualität oder Schönheit?
1.1.Die architektonische Erscheinung

In unseren Architekturdiskussionen tritt erfreulicherweise das Problem der architektonischen Erscheinung mehr und mehr in sehr nüchterner, sachlicher Form auf. Die Sachlichkeit bezieht sich einerseits auf die Relativierung unserer Wünsche und Forderungen an unseren realen technisch-ökonomischen Möglichkeiten; zum anderen aber zeigt sich diese Sachlichkeit darin, daß sich Architekten in Formfragen immer weniger allein auf ihr „innerstes“ künstlerisches Gefühl berufen, welches sie hinter einer unkontrollierten Individualität verstecken, sondern nach objektiveren Kriterien suchen, um sich zu entscheiden und sich gegenüber anderen zu erklären.

Solche objektiven Kriterien –sollte es uns gelingen, diese mehr und mehr ins Spiel zu bringen- werden uns auch befähigen, ein ungetrübtes Verhältnis von Aufwand und Nutzen gestalterischer Entscheidungen zu finden. Was aber der „Nutzen“ der Erscheinung, des Ästhetischen oder der Schönheit sei, steht bei Architekten höchstens als Frage zu Buche. Angesichts dieser Situation ist es sehr verwunderlich, daß vor allem die Frage nach der „Schönheit“ und dem vertretbaren gesellschaftlichen Arbeitsaufwand zu ihrer Realisierung der unterschwellige Mittelpunkt jeder Architekturdiskussion über Formfragen zu sein scheint. Ist doch die Frage nach der Schönheit und ihrem Nutzen – konkret gestellt – nicht dazu geeignet, die Wertigkeit der architektonischen Erscheinung im Gesamtsystem der Planungs-und Gestaltungskomponenten zu bestimmen. Tatsächlich sind die Fragen nach der Farbe eines Hausgiebels, dem Muster der Pflasterung, der Höhe des Hauses, der Form des Hauseinganges usw. angesichts der anstehenden Aufgaben im Wohnungsbau relativ unerheblich, wenn man sie nur aus der Sicht des „Schön“ oder „nicht Schön“ sieht. Sie erhalten aber erhebliche Bedeutung, wenn sie zu den realen Nutzungsformen der Bewohner in Beziehung gesetzt werden. Die schließen nämlich aus der Form des Hauseinganges auf den Grad der Öffentlichkeit des Gebäudes, lassen sich durch die Farbe des Giebels zu weiterer Wahrnehmung aktivieren, nutzen die Höhe des Bauwerkes als Orientierungshilfe, lassen sich durch die Pflasterung unbewußt –persuasiv- über den Platz führen usw..

Das alles sind Eigenschaften der Architektur, deren ideelle Relevanz jedem Architekten einsichtig ist, aber sie lassen sich nur sehr unvollständig auf den Begriff des „Schönen“ projizieren. Es gibt eine Fülle geistiger Beziehungen des Menschen zur Architektur, die sich in ihrer Art, ihrem Inhalt und ihrer Wirkung unterscheiden. Um diese Fülle anzudeuten, wollen wir ein ganz gewöhnliches Wohngebäude nach seinem Ausdruck befragen. Das nebenstehende Foto einer Fassade vermittelt uns z.B. etwas über

  • das Alter des Bauwerkes
  • die Technologie seiner Herstellung (Plattenbau), Stand der Produktivkraftentwicklung
  • die vorwiegende Nutzungsweise (Wohnhaus)
  • den gesellschaftlichen Kontext seiner Herstellung
  • den gesellschaftlichen Kontext seiner Nutzung
  • die innere Gliederung (Geschossigkeit, Verkehrszonen, Treppenhäuser)
  • die Erschließung (Spänner)
  • die Wohnungsgröße
  • der Stand der Dienstleistungen (Wäscheaufhängen, Müllbeseitigung)
  • die Heizungsart (Ofenheizung)
  • die Modalität des Zuganges (z.B. abgeschlossen, kein Pförtner)
  • den Grad der Vergesellschaftung des Lebens (rel. umfangreiche individuelle Mahlzeiten)
  • der Stil, die Formvorstellung der Architekten

Die Art der Aneignung kann sein:

  • kontemplativ – versenkend,
  • aktiv – forschend
  • oberflächlich
  • kurzfristig – langfristig
  • ganzheitlich – detailliert
  • in der Bewegung – in der Ruhe
  • bei verschiedenen Tätigkeiten

Die Wirkung kann erfolgen in individuellen Strukturen auf:

  • kognitive Abbilder
  • Emotionen, Werte
  • Handlungen …
  • in gesellschaftlichen Strukturen auf:
  • Kultur
  • Ideologie – gesellschtliches Bewußtsein
  • Lebensweise …

Wir haben hier die verschiedenen Formen der architektonischen Aussagen, ihrer Aneignung und Wirkung nur unvollständig und ungeordnet aufgezählt. Wenn man in der angedeuteten Weise die Rolle des Ideellen in Architektur weit über die Frage des Schönen ausdehnt, so muß man feststellen, daß Architektur ohne diesen ideellen Aspekt kein räumliches Medium menschlichen Lebens sein kann. Das ist eine Feststellung, die bereits auf elementaren Wahrnehmungsebenen zu belegen ist: Wir müssen die uns umgebenden Raumformen wahrnehmen, um uns in ihnen zu bewegen. Jede Zwischenwand steuert die Raumbewegung der dort tätigen Menschen natürlich aufgrund ihrer materiellen Existenz, aber nicht durch die Wirkung ihrer stofflichen Undurchdringlichkeit sondern indem sie diese ausdrückt. Die Nutzer erproben nicht ständig diese Eigenschaften (im Sinne des kybernetischen trial and error –indem sie gegen die Wand laufen), sondern sie eignen sich die Architektur ideell an, während sie praktisch tätig sind und um in ihr praktisch tätig sein zu können. Sie verknüpfen ideell die Anschauung mit ihrer Erfahrung. Das ist, wie wir unter 6.2. erfahren werden, ein Zeichenprozeß. In diesem, noch „naiven“ Beispiel deutet sich bereits die für die architektonische Nutzung so wichtige Beziehung von Ideellem und praktischen Verhalten an, die Gegenstand des Abschnittes 9 sein wird. Die Formen verbinden sich mit Bedeutungen, die den Nutzer für seinen Umgang mit Bauwerken befähigen. Eine Kaufhalle muß als Kaufhalle erlebt werden, eine Eingang als Eingang, eine wichtige Tür als wichtig, etwas Neues als Bedürfnis, eine Stadt als funktionierender Organismus usw.. Im alltäglichen Fall menschlichen Verhaltens in gebauter Umwelt entwickeln sich vielfältige Beziehungen zwischen Bauwerk und Bewußtsein. Wir wollen sie als „informationell“ charakterisieren. Wir verwenden hier den Begriff „informationell“ wie „ideell“, nur verweist er stärker auf den funktionellen Aspekt der Wechselwirkung von Realität und Bewußtsein. Mit dem Informationsbegriff lassen sich sowohl objektive als auch subjektive Strukturen theoretisch fassen, er eignet sich deshalb gut zur Beschreibung von Erkenntnis- und Kommunikationsprozessen.

Die Aufnahme architektonischer Information durch den Nutzer ist eine unbedingte Voraussetzung für den Gebrauch, die zweckentsprechende Nutzung der gebauten Umwelt und damit für soziales Leben in der Stadt. Somit sind ideelle Ansprüche an Architektur, zumal sie nicht allein ästhetisch begründet sind, nicht zweit- oder drittrangiger, sondern wesentlicher Natur. Architektonische Information ist keine Luxus- sondern eine Gebrauchswerteigenschaft.

Sie ist nicht etwas, was an die Reihe kommt, wenn andere Bedürfnisse abgedeckt sind, denn sie ist Bestandteil jeder Art architektonischer Bedürfnisbefriedigung. Sie ist keine Zutat, aber auch kein mechanischer Reflex auf Technologie, Ökonomie, Konstruktion usw.. Sie ist da Ergebnis bewußter informationeller Gestaltung.

Die informationelle Gestaltung darf sich nicht in der baulichen Formulierung eines allgemeinen Zeitgeschmackes erschöpfen. In diesem Sinne verstehen aber meist Architekten das „Gestalten“: Als konformes Angleichen der Form an die Norm. Wir werden später noch darstellen, das eine Norm, die als Kode funktioniert, eine unbedingte Voraussetzung für das „Verstehen“ von Architektur darstellt, aber die Erscheinung eines Bauwerkes hat nicht so sehr einen Zeitstil zu propagieren, als vielmehr ihre Funktion im Rahmen der komplexen Bauaufgabe auszufüllen. Der Terminus „informationelle Gestaltung“ impliziert damit nicht eine normative, sondern eine betont funktionelle Betrachtungsweise der Erscheinung: Sie hat bestimmte Zwecke zu erfüllen.

1.2. Erscheinung, Information, Schönheit

Es bleibt uns nicht erspart, die Begriffe, mit denen wir es zu tun haben, exakter zu fassen, wollen wir es nicht bei einer Feststellung einer verschwommenen „ideell-ästhetischen Seite“ belassen. Wir wollen deshalb einige Begriffe operational definieren:

Information: Aspekt aller objektiv-realen und aller subjektiven Erscheinungen, der die
Widerspiegelung und Übertragung der Vielfalt (vgl. Ursul) der Systeme untereinander beinhaltet.
Von allen Randelementen des Systems „Architektur“ bilden per definitionem diejenigen, die vom Menschen wahrnehmbar sind (über alle Sinne), das System der informationellen Randelemente Ai.

Erscheinung: visuell präsente Form- und Farbeigenschaften; System der informationellen
Randelemente visuellen Typs. Aiv.

Gestalt: Struktur von Aiv (Erscheinung)
wesentlicher Farb- und Formenaufbau

Form: durch Konturen bestimmte Elementedistribution, farbunspezifisch, von der Farbdimension abstrahiertes System Aiv.

Ideelles, Geistiges:
a) in Architektur vergegenständlichtes Bewußtsein
b) im Bewußtsein widergespiegelte Architektur ( subjektivierte Aiv)

Zu diesen Begriffen gehören noch einige Erläuterungen:
a) zu Information und Erscheinung:
Form, Erscheinung, Gestalt und Information sind objektive Eigenschaften oder Seiten der Architektur, die wahrgenommen und rezipiert werden können und sich damit in subjektive Zustände verwandeln. Aber nur der Begriff der Information deckt den Konsens der über das Bewußtsein vermittelten Beziehung von Architektur und menschlichem Verhalten ab. Von diesem Gesichtspunkt aus bezeichnen die Begriffe „Erscheinung“, „Form“ und „Gestalt“ jeweils reduzierte Informationsmengen.

Der Mensch empfängt architektonische Information nicht nur aus dem Wahrnehmungsbild seiner Optik, sondern über alle seine äußeren und inneren Sinne (z.B. akustische, kinästhetische) und nicht nur über direkte, sondern auch über vermittelte Wege, so daß eine ganz neue Qualität seines „Bewußtseins“ von diesem Stück baulicher Umwelt entsteht, dergegenüber die Vorstellung des Architekten von der Wirkung seiner Fassadengestaltung kümmerlich ist.

Der Mensch empfängt also architektonische Informationen nicht nur über seinen Gesichtssinn. Aber auch auf der „objektiven“ Seite müssen wir die Grenzen dessen unbedingt ausweiten, was allgemein als Träger der Aussage angesehen wird. Es geht darum, daß nicht nur die äußere Fassade und nicht nur Farbe, Textur, Bebilderung und andere Oberflächenparameter als Träger von Ausdruckswerten angesehen werden, sondern vor allem die räumliche Struktur, die Massengliederung, die Formen und Proportionen, also nicht nur die „frei verfügbaren“, sondern auch die „vordeterminierten“ Dimensionen. Das ist die Ebene des dialektischen Gestaltens, auf der Dichotomie von Schönem und Nützlichem aufgelöst werden kann. Gestaltungsfragen sind nicht formale Fragen der Dekoration, sondern Realisationsprobleme der komplexen Bauaufgabe.

Es geht nicht um ein Verschönern der äußeren Hülle, nicht um Dekoration und Formierung, nicht um mechanische Applikation des Ideellen auf das Nützliche des Rohkörpers. Es geht nicht um das „Hinzufügen“ und um das „Nachhinein“, es geht hier nicht um Stuck und Farbe, nicht um Verkleidungssymbolik (wie im 19. Jahrhundert) und bildende Kunst, sondern es geht um den Ausdruck der architektonischen Mittel unserer Umwelt. Und dazu gehört Stuck und Farbe auch, aber nur immanent und funktionell bezogen.

b) zum „Ideellen“
In der Architektur ist Ideelles in Form von individuellen und gesellschaftlichen Bedürfnissen, Anschauungen und Werten mannigfaltig vergegenständlicht. Diese Bedürfnisse usw. beziehen sich natürlich auf alle Ebenen, Eigenschaften und Aspekte der Architektur, die für den Menschen bedeutungsvoll sind. Alle Gegebenheiten am Objekt sind Inkarnationen und Resultate von Ideellem, sofern ihnen eine Intention der Produzenten zugrunde lag. Dabei ist es hier gleichgültig, ob diese Intention im engeren Sinne bewußt (als Absicht und Vorhaben) oder unbewußt (als Ziel, Tendenz) vorhanden war.

Ein Teil dieses „produktiven“ Bewußtseins (als geistige Vorwegnahme des zu Bauenden) richtet sich auf solche Aspekte des Bauwerks, die wiederum auf ein Bewußtsein bezogen sind und dort Bedürfnisse erfüllen. Wir werden diese Aspekte unter dem Thema der ideellen Funktionen der Architektur (vgl. Punkt 2) behandeln. Der Wechselwirkungsprozeß der Ideen in der produktiven und konsumtiven Phase des architektonischen Gesamtprozesses spielt sich vor dem Hintergrund ihrer materiellen Determination im gesamtgesellschaftlichen Stoffwechselprozeß von Natur und Gesellschaft ab. In der Architektur ist diese Ideenvermittlung besonders tief in die praktische Sphäre eingetaucht:

Ideen wurden auf der einen Seite in einem relativ aufwendigen praktischen Prozeß vergegenständlicht, werden andererseits im Rahmen einer praktischen Tätigkeit angeeignet und dienen zu einem großen Teil selbst dem praktischen Verhalten der Nutzer. Die Befriedigung von Bedürfnissen durch die ideelle Seite der Architektur findet in zwei aufeinander bezogenen Prozessen statt: Dem unvermittelten Erleben der in die Ebene des praktischen Handelns transportierten Ideen (des informationell gesteuerten Verhaltens in Architektur durch Architektur).

c) zum „Schönen“
Die Architektur muß auch schön sein. In diesem Satz steckt sowohl die Anerkennung des
Kriterium „Schönheit“ als auch die Negation des Totalitätsanspruchs dieses Schönen als
Kriterium für Erscheinung, Information, Ideelles usw.. Im Empfinden des Schönen
komplettieren sich alle Einzelerfahrungen zum Urteil über die innere und äußere
Angemessenheit des Objektes, das auf spezifischer Ebene bewußt wird. In dieser
Überlagerung des inhärenten Maßes des Gegenstandes und des Subjektes gibt es auch
keine Alternative von Information und Genuß.

1.3. Das Ideelle und das Ästhetische

Mancher Leser wird meinen, alle Probleme des Ideellen, Informationellen usw. würden von der ästhetischen Seite abgedeckt werden, wir sollten uns nur an die Ästhetik halten. Das Problem liegt aber im „Ästhetischen“ selbst. In dem derzeitlichen begrifflichen Chaos ist es zwar unverfänglich, an allen erdenklichen Stellen das Attribut „Ästhetisch“ einzufügen –so spricht beispielsweise Kiemle (…) immerfort von ästhetischen Zeichen, ästhetischer Information usw., aber dieses Verfahren ist unfruchtbar, solange nicht wenigstens in etwa geklärt ist, worin sich die ästhetischen von den nichtästhetischen Zeichen, Informationen usw. unterscheiden.

Aufgrund der Tatsache, daß immer mehr Wissenschaften in die Domäne der Ästhetik einbrechen und sich deren Gegenstand annehmen (vgl. Semiotik, Informationstheorie, Kunstsoziologie u.a.), wird es immer dringlicher, den Gegenstandsbereich der Ästhetik neu zu bestimmen. Sie kann nicht gleichzeitig Kunsttheorie, Theorie der empirischen Erkenntnis, Theorie des Emotionalen, Theorie der Erscheinungsweise, des Schönen, der gegenständlichen Aneignung usw. sein. In solchen Mischungen, in denen Architekten die Ästhetik aufgrund deren eigener Selbstdarstellung sehen, ist es schwer, den Begriff „ästhetisch“ nicht nur literarisch, sondern wissenschaftlich zu gebrauchen. Wir verwenden ihn deshalb nicht als Oberbegriff für das Ideelle in der Architektur, dagegen wollen wir uns nicht scheuen, den umgangsfachsprachlichen Sinn des Wortes, wie ihn Architekten verwenden, auch zur fachtheoretischen Begriffsbedeutung zu machen: Das Ästhetische ist das Schöne und die Ästhetik die Lehre vom Schönen. Damit haben wir nur eine notwendige operationale Bestimmung des Ästhetischen für den folgenden Text getroffen.

Ein solches Vorgehen bewahrt in sich das methodische Prinzip der Erkenntnis vom Einfachen zum Komplexen und Komplizierten. Es erlaubt uns, die Gesamtbeziehung der Architektur zum menschlichen Bewußtsein als Komplex zu erfassen, der durch die Begriffe „Ideell“ und „Informationell“ theoretisch adäquat abgedeckt wird, dessen ästhetischer Aspekt bei Kenntnis dieser Zusammenhänge zwar nicht definitorisch isoliert, so doch zeitweilig suspendiert werden kann, so daß zunächst ganz einfache informationelle Zusammenhänge von Architektur und Mensch untersucht werden können, die der relativen Unentwickeltheit der angewandten Wissenschaften entsprechen. Aber die Aspekte, die nun in den Vordergrund rücken, werden nicht deshalb so bedeutsam, weil sie die zu Rate gezogenen Wissenschaften so bedeutsam machen, sondern weil sie in der spezifischen Relation von Architektur und Mensch tatsächlich wesentlich sind. Das sind nämlich Aspekte des informationell vermittelten praktischen Verhaltens des Menschen in seiner baulichen Umwelt.

1.4. Architektur als Kunst?

In letzter Zeit wird in architekturtheoretischen Diskussionen die mit unserem Problem des Ästhetischen und Informationellen zusammenhängende Fragen diskutiert, ob man weiterhin (oder wieder) Architektur als „Baukunst“ betrachten könne.

Neben die weitgehend unreflektierte Auffassung der Architektur als „Kunst“ wird das Konzept der Architektur als „baulich-räumliche Umwelt“ gesetzt2, und es ist zu begrüßen, daß auf diese Weise drei wichtige Momente wieder in den Blickpunkt gerückt werden:
a) Bauwerke sind keine Denkmale, sondern die bauliche Form und Umformung der menschlichen Praxis.
b) Die Baugestaltung ist Teil der gegenständlichen Umweltgestaltung (die Werbung, bildende Kunst, Design, Beleuchtung …einschließt) und
c) die Architektur besitzt gegenüber den reinen „Kommunikationskünsten“ (Malerei usw.) einen eigenen Wertraum3.

Dieses Konzept wird aber jetzt manchmal ungerechtfertigt der „Kunstkonzeption“ entgegengesetzt und zwar nicht aus verständlicher pragmatischer Disposition (z.B. um die soziale Funktion der Architektur hervorzuheben), sondern aus einer theoretischen Haltung, die wir nicht teilen. Wir wollen also in Frage stellen, daß das Begreifen der Architektur als baulich-räumliche Umwelt ihr Verständnis als Kunst ausschließt.

Architektur ist dann keine Kunst, wenn wir Kunst als „reines Bewußtsein“ auffassen, dessen Vergegenständlichung in Trägermaterial und dessen direkter praktischer Bezug zum menschlichen Leben irrelevant, ja störend sind. In der realen Kunstentwicklung wird aber das „Trägermaterial“ der Kunst selbst immer bewußter informativ eingesetzt und es erweitern sich ihre praktischen Funktionen (z.B. in der Grafik bis zum Plakat und Flugblatt). Die Kunst ist vom Sockel heruntergetreten. Sie ist kein Luxusgegenstand mehr und nicht auf die „reine“ Nachricht zu reduzieren, die zwischen zwei subjektiven Bewußtseinszuständen vermittelt und kontemplativ angeeignet wird. Moderne Kunst ist auch nicht mehr etwas Starres, Unveränderliches, an dem nichts hinzuzufügen und nichts wegzunehmen ist (das wäre für eine Stadt allerdings unannehmbar), sondern relativ offen, veränderbar, sogar kinetisch.

Wir können hier nicht näher darauf eingehen.
Wir müssen aber die Funktionsverränderungen der Kunst in den letzten Jahrzehnten und ihre theoretischen Reflexionen ins Kalkül ziehen, denn es ist nicht möglich, die Architektur als Kunst zu negieren indem man eine neue Sicht der Architektur und eine alte der Kunst verbindet. In Frage steht also der Kunstbegriff innerhalb dieses Verhältnisses -vorausgesetzt unsere Einigung darüber, daß Architektur weder als Nachricht noch als Maschine oder Gebrauchsgegenstand oder als Synthese beider, sondern eben als eigenständiger Umweltbereich unseres Lebens zu bestimmen ist. Vielleicht können wir den Kunstbegriff wieder stärker an die künstlerische Wirklichkeit und an die Architektur annähern wenn wir ihn relativ offenlassen, d.h., wenn wir uns stärker an den sich verändernden Gebrauch des Wortes „Kunst“ halten anstatt theoretische Barrieren für ihn herzuleiten.4 Natürlich ist sinnliches Erleben eine unerläßliche Bedingung für Kunst, aber es schließt ein praktisches oder physi(kali)sches Verständnis des Menschen zum Kunstgegenstand nicht aus. Die Gegner der „Architektur als Kunst“ gehen eigentlich von einer Außen-Innen-Dissonanz aus. Sie kritisieren bestimmte Bauwerke nicht weil sie Kunstwerke sind, sondern eigentlich nur, weil sie nur von außen Kunstwerke sein wollen, während die innere Struktur unter diese „Kunstform“ gepreßt wurde. Was ist aber, wenn auch die Bewohner des Hauses in ihrer täglichen Nutzung des Gebäudeinneren dieses im besten Sinne des Wortes als Kunstwerk erleben? Dann können wir die Architektur getrost auch „Kunst“ nennen.5
Malerei, Film, Musik, Tanz usw., die wir als „Kommunikationskünste“ bezeichnen wollen, sind unter diesem Oberbegriff‚ „Kunst“ nicht der elitäre Gipfel über den „angewandten Künsten“, sondern eine spezifische Form von Kunst. „Kunst“ wird auf diese Weise von einem Wertbegriff zu einem Funktionsbegriff, wie es Bernhard Schneider (S.15/16) ausdrückt.

Unter einem solchen Aspekt wäre der komplexe Gegenstand Architektur, der in seiner Natur die Möglichkeit einer universellen Nutzung und Aneignung erschließt, tatsächlich eine Art „Mutter der Künste“, allerdings nicht auf der Basis des Zusammentreffens der Einzelkünste am Bau (vgl. Bauhausprogramm), sondern auf Grund ihrer Multifunktionalität, gerade deretwegen sie von den Anhängern der „Reinen Kunst“ als abartig diskreditiert wurde, was folgerichtig zur Absage der Architektur als Kunst führen mußte. Gerade aber die Forderung nach Lebensnähe von Kunst rückt die Architektur in deren Zentrum, denn in ihr überlagern sich semantisch vermittelte mit direkten Bezügen zum praktischen Leben der Menschen. Der aus der praktischen Aktion des Menschen erwachsenen Aneignung von Architektur nähert sich in gewissem Maße die sich seit dem Ende des 19. Jahrhunderts verändernde Aneignungsweise von Kommunikationskunst. Wir sehen die Annäherung der Architektur an die Kunst als einen historischen Prozeß, der die mittelalterliche Identität von Architektur, Kunst und Technik einschließt, der über ihre Auflösung im bürgerlichen Verfallsprozeß führt und in der ausschließlichen Anerkennung der Malerei, Musik, Tanz usw. als „reine“ Künste einer Elite einen Kulminationspunkt erreichte. Um die Jahrhundertwende setzte eine partielle Umkehrung ein. Marchlewski beschreibt (S.5) daß damals eine Kunstausstellung ohne Kunstgewerbe plötzlich als unvollkommen erschien. In der Folgezeit wurden immer mehr Kommunikationsmedien einerseits und Gebrauchsgegenstände andererseits wieder zu potentiellen Kunstgegenständen. Auf den nächsten Schritt müssen wir leider noch warten: Die Eingliederung der Architektur in die sich neu entwickelnde Qualität „Kunst“.

1) Wir sind hier vom architektonischen Gebrauch der Begriffe ausgegangen, die philosophischen Begriffe der Erscheinung (als dialektisches Pendant zu Wesen), der Form (zu Inhalt) usw. besitzen dazu nur Verwandtschaften.
2) von B. Flierl 1967 geprägt
3) diesen Aspekt betont L.Kühne in „über das Verhältnis von Architektur und Kunst“, da 2/68
4) El Lissitzky betont z.B. den Zusammenhang von Architektur und Kunst durchaus progressiv: Jedes „…organisierte Werk –sei es nun ein Haus, eine Dichtung, ein Gemälde- ist ein zweckmäßiger Gegenstand, nicht dazu angetan, die Menschen dem Leben zu entfremden sondern berufen, zu dessen Organisierung beizutragen.“ (S.341)
5) Eine ganz andere, hier aber nicht gestellte Frage ist die nach dem Kunstbegriff überhaupt, der erstmal von seinem verkitscht-elitären Beigeschmack gereinigt werden muß.

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