Probleme der Zeichenbedeutung in der gegenwärtigen Architekturpraxis
Olaf Weber
Es gibt eine volkstümliche Methapher, die besagt, dass Steine reden können. Sie verdient unter dem Aspekt der ideellen Aneignung von Architektur eine erhöhte Aufmerksamkeit; denn sie verweist auf die Rolle, die dem Themenkreis von Zeichen, Bedeutung, Sprache und Information in der Architektur zukommt.
Die Anwendung der Semiotik, also der Theorie der Zeichen, auf die spezifisch architektonische Bezugsebene, macht international große Fortschritte, obwohl diese Anwendung auf architektonisches Terrain erst seit eineinhalb Jahrzehnten systematisch betrieben wird.
Die Anwendung der Zeichentheorie auf den Bereich der Architektur möchte ich bewusst auch als einen Beitrag von Architekten zur Überwindung ihrer Selbstisolation im Planungskollektiv verstehen. Viele Architekten gefallen sich immer noch in ihrer Rolle als Zaungast der Wissenschaftsentwicklung, indem sie auf dem Anspruch beharren, in Fragen der Form subjektivistisch urteilen zu können, während sie sich auf ihr künstlerisches Gefühl berufen. Dieses Zurückziehen in Sphären unkontrollierter Individualität zieht nicht nur ein eigentümliches Spannungsverhältnis zu den Vergesellschaftungsprozessen der Bauproduktion und zur Rationalisierung nichtkünstlerischer Aspekte des Gestaltens nach sich, sonders es reduziert vor allem die Effektivität gestalterischer Entscheidungen, und zwar auf zweierlei Weise:
Erstens: Die Architekten tun sich schwer darin, ihre Gestaltungsvorschläge sowohl gegenüber anderen am Planungsprozess beteiligten Kollegen als auch gegenüber dem Auftraggeber begrifflich, also rational zu verteidigen.
Zweitens: Ihre Entscheidungen sind selbst meist nicht die bestmöglichen, weil wissenschaftliche Erkenntnisse nicht als Entscheidungshilfen genutzt werden.
Dabei sollten wir aber im Auge behalten, dass die Wissenschaft nicht das praktische Gestalten ersetzen kann. Aber wenn es uns um Emotionen gehen sollte, das Wissen verhindert diese nicht nur nicht, sondern es ermöglicht es sogar, die emotionalen Momente der Gestaltung qualitativ zu entwickeln.
Das auch zur Diskussion über Ehrenburg, Kunst und Architektur.
Von manchen wird noch bestritten, dass die Semiotik in diesem Sinne echte Entscheidungshilfen anzubieten hat und es wird gefragt, ob sie uns nicht von unseren eigentlichen Problemen ablenkt, ob sie nicht bürgerlichen Theorien den Weg ebnet, zur Entideologisierung der Architektur beiträgt usw. Diese Gefahren bestehen dort, wo:
- der architektonischen Semiotik bürgerliche Ziele gesetzt sind und
- die innere Logik der Semiotik verletzt wird.
Wir gehen vom Grundgesetz des Sozialismus aus, der immer besseren allseitigen Befriedigung der vielschichtigen Bedürfnisse der Werktätigen. Bei der Entwicklung und Erfüllung eines gewissen Standes der materiellen Bedürfnisse steigen besonders die geistig-kulturellen Bedürfnisse, und wir haben dafür Sorge zu tragen, dass die Mittel zu ihrer Erfüllung im baulichen Bereich bereitgestellt werden. Unser Blick ist also auf bewusste Selbstgestaltung der Gesellschaft in ihrer baulichen Umwelt und der Persönlichkeitsentwicklung ihrer Mitglieder gerichtet und damit eben nicht auf bürgerliche Manipulation durch Zeichen im Interesse der Profitmaximierung. Das eine schließt das andere aus.
Die Rolle der Semiotik für unsere sozialistische Architektur verkennt auch M. Pietz in einem Aufsatz in der „Deutschen Architektur“ (2/1974, S. 116). „Nichts gegen gute Detaillösungen, im Gegenteil, nur steht der Aufwand an persönlichem Einsatz für diese Dinge im richtigen Verhältnis zu dem Aufwand zur Klärung der großen, entscheidenden Fragen der städtebaulichen Entwicklung unserer Wohngebiete? Ist die Flucht in die ästhetisierenden Beschäftigungen mit Farbsystemen und semiotischen Theorien, die bisher nur zu ziemlich brutalen geometrischen Dekorationen in aufdringlichen Farben führten, nicht eine Vergeudung unserer offensichtlich doch nicht reichenden Kräfte in der Projektierung?“
Die Methoden und Ergebnisse der Semiotik sind gerade nicht ästhetisierend; sie hält sich gerade nicht beim irrelevanten Detail auf, und wo es zu ziemlich brutalen geometrischen Dekorationen in aufdringlichen Farben kommt, hat man sie – im Gegensatz zu Pietz – gerade vergessen anzuwenden. Was hier M. Pietz als semiotische Theorie verkauft, ist höchstens die mechanische Anwendung einiger zeichentheoretischer Erkenntnisse auf ein spezielles Gebiet, das im Grenzbereich von Architektur und Gebrauchsgrafik liegt.
Um das Zitat auf seinen rationellen Kern zu bringen: Derartige Zeichen gehören einer Gruppe von Zeichenträgern an, die einen funktionell-räumlichen Bezug zur Architektur besitzen, dieser aber nicht als unmittelbarer Teil angehören. Wir nennen sie„ architektonische Hilfszeichen“. Dazu gehören zum Beispiel: Hausnummern an Hauseingängen, Hinweisschilder, Straßenschilder, Reklameflächen, Verkehrszeichen usw., also grafische Darstellungen oder verbalsprachliche Ausdrücke, die im Dienste einer architektonischen Funktion stehen.
So wichtig es auch ist, im additiven Montagebau durch optisch evidente Hausnummernschilder die eigene Wohnung wiederzufinden, durch Straßenschilder eine Orientierungshilfe in einer unbekannten Stadt zu gewinnen oder mittels Leuchtreklame die Kaufhalle von der Turnhalle unterscheiden zu lernen – die spezifisch architektonische Anwendung der Zeichentheorie beginnt erst dort, wo die Besonderheit des eigenen Hauseinganges nicht durch eine Zahl, sondern durch bauliche Mittel markiert wird, wo neben Straßennamen usw. die Bauwerke selbst die Orientierungsmittel darstellen, wo die Erscheinungsweise der Kaufhalle selbst ihre funktionelle Bestimmung sinnlich wahrnehmbar repräsenentiert, und um die Aufzählung wenigstens auf die Willkür der eben genannten Beispiele zu bringen – architektonische Zeichen beginnen dort, wo nicht das Wort „Rundgang“, sondern die Form der Dekoration selbst die Bewegungsrichtung von Ausstellungsbesuchern anzeigt. Und während dem Autofahrer das gelbe Viereck die Bedeutung „Hauptsraße“ signalisiert, ist dem ortsfremden Fußgänger kein ähnliches Symbol gegeben, um die Fußgängermagistrale zu identifizieren. Hier muss die urbane Umwelt schon selbst zum Zeichen werden, indem sie äquivalente Funktionen ausdrückt. Die Zeichentheorie ist auch dort falsch verstanden, wo abstrakte grafische Gestalten für bedeutungslosen Fassadenformalismus herhalten müssen.
Neben den architektonischen Hilfszeichen und dem architektonischen Formalismus, die wir hier beide nicht behandeln wollen, werden von eigentlichen Architekturzeichen meist nur die Gruppe symbolhafter Hochbauten als Zeichenträger akzeptiert, wie wir sie zum Beispiel aus Leipzig (Karl-Marx-Universität), aus Oberhof („Panorama-Hotel“ und das Gewerkschaftshotel „Rennsteig“) oder, um noch ein Beispiel zu wählen, aus Rostock kennen. (4 Skizzen)
Aber es geht uns über die Problematik symbolhafter Hochhäuser hinaus vor allem um eine Ausweitung des semiotischen Problembewusstseins in der Architektur. Das heißt, wir behaupten, dass eine viel größere Anzahl – ja eigentlich alle baulichen Strukturen – zeichenrelevant sind.
Ich werde nun aus der großen Anzahl semiotischer Probleme in der Architektur einige zu Bedeutungsfragen auswählen. Ich werde nicht zur Syntax, Grammatik, Genese der Zeichen usw. sprechen, sondern einige semantische Probleme aufwerfen. Ich werde zunächst einige architekturtheoretische, anschließend einige semiotische Grundlagen zu unseren Problemen vortragen.
Ein Problem, das schon immer zentrale Bedeutung in der Architekturtheorie besaß, ist das der komplexen Einheit des Bauwerkes. Die vielen Aufgaben, die ein Bauwerk zu erfüllen hat, haben sich seit Vitruv zu drei Säulen verfestigt. Es muss nützlich sein, es muss schön sein, es muss dauerhaft, stabil sein. Wir sind der Auffassung, dass dieses Konzept und seine Modifikationen historisch überholungsbedürftig sind. Es ist unbefriedigend vor allem unter drei Aspekten:
- Der vielschichtige Komplex des Ideellen in der Architektur wird auf das Problem des Schönen reduziert.
- Dieses Schöne wird dem Nützlichen antipodisch gegenübergestellt. Durch die Nichtnützlichkeit des Schönen wird die ideelle Seite der Architektur begrifflich diskreditiert.
- Die Hierarchie der Zweck-Mittel-Implikationen wird dadurch verunklärt, dass die konstruktive Festigkeit, die nicht Selbstzweck, sondern Mittel zum menschlichen Zweck ist, den beiden anderen Komponenten Nützlichkeit und Schönheit gleichberechtigt zugeordnet wird.
Wir schlagen ein Konzept vor, das dem den Menschen in den Mittelpunkt stellenden Grundprinzip des Sozialismus und der Ganzheitlichkeit des architektonischen Gegenstandes gleichermaßen verpflichtet ist. Wir wollen den Funktionsbegriff der allgemeinen Systemtheorie auf die Architektur anwenden. Danach sind alle subjektrelevanten Eigenschaften der Architektur, ob sie nun materieller oder ideeller, also ästhetischer Natur sind, architektonische Funktionen. Sie drücken deren potentielles Wirkungsverhalten aus. Bezieht sich diese Wirkung aber direkt auf den Menschen (sei es ein Individuum, eine soziale Gruppe oder die Gesellschaft), so bezeichnen wir die entsprechende Funktion als Primärfunktion. Primärfunktionen erfüllen unmittelbar materielle oder ideelle Bedürfnisse des Menschen. Auf sie richten sich die Optimierungskriterien des Entwurfes direkt. Dagegen sind die Festigkeit, die Wärmedämmung usw. des Bauwerkes aus diesen Funktionen abgeleitete Eigenschaften, also Sekundärfunktionen. Die Unterscheidung von Primär- und Sekundärfunktionen ist keine Wertung hinsichtlich der Relevanz, also Wichtigkeit dieser Funktionen; denn ein Wohnhaus z.B., das im Winter nicht beheizt werden kann, verliert damit fast alle anderen Wohnqualitäten.
Durch die Translation des Ästhetischen zum Ideellen und dessen Eingliederung in den funktionellen Zustand des Bauwerkes werden auch solche Begriffe, wie Optimierung, Nutzen, Gebrauchswert, in eine architektonische Gestaltungslehre – allerdings kritisch! – inventarisiert.
Es ist nicht möglich, die ausgeweitete Gesamtmenge der vielschichtigen Funktionen von Architektur in ihrer Wirkung auf die Menschen als ungegliedertes Ganzes zu untersuchen. Wir müssen ihre innere Struktur aufdecken. Die Frage ihrer Klassifizierung wollen wir an den Objekten ihrer Wirkung entscheiden. Unter dem Aspekt der ideellen Aneignung baulicher Umwelt ist die Wirkung der Architektur auf das biosoziale Subjekt „Individuum“ von besonderem Interesse. Wir wollen deshalb die Wirkungsebenen dieses – immer nur historisch-konkreten – individuellen Subjektes zum Klassifikationskriterium der architektonischen Funktionen erheben. (Schema 1)
Die Architektur wirkt damit auf physische Strukturen und Prozesse, also auf die Körperlichkeit des Nutzers, und übt damit eine physische Funktion aus. Sie wirkt auf das Bewusstsein ein, also die gesamte Psyche der Nutzer, und erfüllt damit seine ideelle oder besser gesagt psychische oder informationelle Funktion.
Sie hat letztlich Einfluss auf das praktische Verhalten der Menschen, das sich in motorischen Aktionen äußert. Wir wollen von der praktischen oder Verhaltensfunktion der Architektur sprechen, wobei die Architektur durch ihr Raumangebot einen besonderen Einfluss auf deren ortsveränderten Aspekt, also die lokomotorischen Aktivitäten, besitzt.
Alle drei Funktionen weisen enge Strukturverflechtungen auf. Besonders basiert menschliches Verhalten immer auf geistiger Antizipation, und umgekehrt kommen wir ohne Analyse der praktischen Lebenstätigkeit der Nutzer nicht aus, wenn wir den Bedeutungsgehalt, also die informationelle Funktion, erforschen wollen.
Jede ganzheitlich bauliche Struktur, die solche Tätigkeitskomplexe ermöglicht und partiell determiniert und welche Architekten gern als „Funktionen“ bezeichnen, wie Kaufen, Essen, Erschließen, Montieren – also Kaufhalle, Speisesaal, Verkehrsfläche, Montagehalle – setzt sich aus jeweils spezifisch ausgeprägten physischen, informationellen und praktischen Elementarfunktionen zusammen. Sie sind also bereits Funktionskomplexe.
Die ästhetische Seite geht zum großen Teil in die informationellen Funktionen der Architektur auf. – Und doch umfasst der Begriff der Information, eine andere, aber unseres Erachtens wesentlichere Seite der Architektur. Wir empfinden Architektur nicht nur nach „Schönheit“ oder „Hässlichkeit“ oder ähnlichen Kategorien, sondern wir orientieren uns mittels baulicher Information in einer Stadt oder in einem Gebäude; sie wirkt auf unsere Einstellung, auf die Motivation und auf die Werte; wir gewinnen durch Architektur Informationen für unser praktisches Verhalten und so weiter.
Wenn wir sagen, dass Architektur nicht als Kunstwerk, sondern als organisierende bauliche Hülle unserer Lebenstätigkeit gebaut wird, so heißt das auch, dass ihre informationelle Struktur kein davon losgelöstes künstlerisches Dasein zu führen und nicht nur langfristige ästhetische und kulturelle Werte zu vermitteln hat, sondern dass sie direkt praxiswirksam wird, indem sie motorischen Aufforderungscharakter besitzt.
Mit dieser Betonung der informationellen Prozesse, die alle psychischen Ebenen des Nutzers durchdringen, lenken wir die Aufmerksamkeit auf die Wissenschaft von der Kommunikation. Der Kommunikationsprozess ist dabei ein Aspekt oder eine Form der Dialektik von Produktion und Konsumtion, die den Gegenstand als Objekt der Teilprozesse und als Mittel des Gesamtprozesses einschließt und der baulichen Spezifikation dieses Prozesses, in dem das Bauwerk in einem Herstellungsprozess entsteht und in einem Nutzerprozess wirkt (Schema 2 und 3). Die jeweils konsumtive Seite bestimmt den Vorgang der Produktion inhaltlich als Ziel und Zweck, wie wir es von Marx wissen. Deshalb müssen Gesetze der Nutzung ergründet werden, die wesentliche Optimierungskriterien der Gestaltung stellen.
Das gleiche gilt für den kommunikativen Produktions- und Konsumtionsprozess, der die Phasen des Sendens und des Empfangens umschließt, die durch ein Kommunikationsmittel verbunden sind (Schema 4). Die Behauptung ist nun, dass auch Architektur als solches Kommunikationsmittel unabhängig davon wirkt, ob es, aber um so besser, wenn es als solches konzipiert wurde (Schema 5).
Der architektonische Gesamtprozess ist also unter dem ideell- ästhetischen Aspekt ein spezifischer Kommunikationsprozess, bei dem der Architekt als gesellschaftlicher Expedient (Sender) ein multifunktionales Kommunikationsmittel formiert (das Bauwerk), das in einem informationellen Konsumtionsprozess (der Rezeption) vom Nutzer ideell angeeignet wird.
Den Nutzer können wir uns als Wissenschaftler vorstellen, wenn er aus städtischen Grundrissen etwa politische oder ökonomische Verhältnisse abliest, als Tourist, der von der Schönheit eines Gebäudes verzückt ist, oder als Normalnutzer, der in seiner täglichen Lebenspraxis eine Vielzahl unterschiedlicher baulicher Informationen verbindet, viele davon unbewusst. Diesem sogenannten „Normalnutzer“ ist unsere besondere Aufmerksamkeit gewidmet. Er verarbeitet ständig und immer bauliche Informationen.
Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass die Glasschmuckwand im Foyer des Universitätsneubaues in Leipzig als eine ideologische Aussage konzipiert war. Sie sollte nämlich rote Fahnen darstellen. Das ist aber wohl den Künstlern danebengegangen, so dass sie jetzt nur noch als Pfeile wirken, die nach rechts und links zeigen, wo sich die Aufzüge befinden. Die ideologische Bedeutung hat sich also unfreiwillig in eine praktische mit Aufforderungscharakter verwandelt. (Skizze S. 98)
Wir sind schon wieder nahe am Bedeutungsproblem angelangt. Vorher muss ich aber noch eine Bemerkung zum Verhältnis der Architektur zur Kommunikation machen. (Schema 6)
Zum einen ist die Architektur Gegenstand der Kommunikation. Es wird über sie gesprochen. Sie wird in Form von verbal sprachlichen Ausdrücken, Zeichen, Modellen, Zahlen usw. mitgeteilt. In ihrer Existenz als gegenständliches Phänomen ist sie Mittel der Kommunikation. Sie ist selbst Nachricht, Träger von Bedeutung. Von diesem Aspekt ist hier die Rede. Drittens wirkt die Architektur in der Phase der Konsumtion als Kommunikationsvermittler. Das ist vor allen Dingen ein soziologisches Problem. Skizze – Glasschmuckwand im Foyer des Universitätshochhauses in Leipzig
Wenn Sie mir bis hier ohne allzu großen Widerspruch gefolgt sind, wäre eigentlich die Anerkennung der Zeichenhaftigkeit der Architektur und der Rolle der Semiotik in der Architekturtheorie nur noch ein akademisches Problem.
Die Menschen tauschen ihre Informationen durch Zeichen aus, seien es Worte, Gesten, Grafiken und so weiter. Jede soziale Kommunikation ist Zeichenkommunikation, also ist auch Architektur ein System von Zeichen. (Schema 7)
Die kommunikativen Gemeinsamkeiten von Sender und Empfänger – der gemeinsame Zeichenvorrat und der Kode – sind durch die gesellschaftliche Praxis gegeben und damit historisch determiniert. Der Kode gibt an, welche baulichen Einheiten mit welchen Bedeutungen verbunden sind. Die Feststellung über die Dialektik von Kommunikationen und gesellschaftlicher Praxis ist für die architektonische Kommunikation besonders bedeutsam, weil die Architektur sowohl zur Praxis als auch zur sozialen Kommunikation eine enge Beziehung besitzt und sich soweit in der besonderen Lage befindet, den Kodeschlüssel zum Verständnis ihrer Nachricht nicht vorher vereinbaren zu müssen, sondern ihn als Teil der Information gleich mitzuliefern.
Zeichen und Bedeutung – das ist die These der Semiotik – sind unlösbar miteinander verbunden. Das heißt, es gibt keine Zeichen ohne Bedeutung, keine sich selbst repräsentierenden Zeichen, keine Reduktion des Zeichenthemas auf syntaktische formale Fragen. Es gibt aber auch keine Bedeutung ohne Zeichen, also keinen Widerspruch zwischen der Expressivität und der Zeichenhaftigkeit; der Ausdruck eines Dingens entspricht der Menge der subjektivierten Informationen, den das Ding als Zeichenträger bevorratet. Das heißt, alle Probleme des Ausdrucks, der psychischen Wirkung, des Ästhetischen liegen auch auf der semiotischen Ebene. Wir wollen die Frage erhellen, was Bedeutungen sind und wie sie entstehen. (Schema 8)
Das Feld mit dem großen „Z“ ist zunächst einmal ein materieller Gegenstand, z.B. ein Bauwerk, der wie jeder andere Gegenstand in einem ideellen Aneignungsprozess abgebildet wird. Er wird wahrgenommen, ideell angeeignet. Es entsteht das subjektive Abbild des Gegenstandes.
Die Spezifik des menschlichen Rezeptionsprozesses besteht nun darin, dass dieses Abbild dieses Gegenstandes nicht isoliert bleibt in der Gesamtmenge der gespeicherten Abbilder, sondern sofort assoziiert wird mit anderen Bewusstseinszuständen. Diese assoziierten Abbilder sind die Bedeutung des Zeichens. Sie besitzen ihr Pendant in der objektiven Realität, das durch den Bedeutungszusammenhang zum Gegenstand der Bezeichnung geworden ist. Das Schema deutet an, welch enge Beziehungen zwischen der Abbild- und der Zeichenproblematik bestehen; sie sind noch weitgehend unerforscht. Eine Untersuchung wir die unsere, die sich weder semiotisch noch psychologisch, sondern als Wirkungsforschung versteht, muss aber sowohl beide Gegenstandsklassen wie auch beide Abbilder in ihr Untersuchungsfeld einbeziehen – wenn es auch oftmals praktisch sehr schwer oder unmöglich ist, den Gegenstandsbereich (d.h. die Verursachung) bestimmter assoziierter Abbilder zu bestimmen. Das ist besonders dann der Fall, wenn es sich um komplexe psychische Zustände (z.B. Emotionen) handelt.
Es ist ersichtlich, dass die reine Abbildung eines Gegenstandes eigentlich ungleich ärmer ist als eine bezeichnende Abbildung, also eine Abbildung, wo ständig die Assoziationen erfolgen, die mit der Bedeutung gekoppelt sind. Es besteht also einmal eine Präsentation des Zeichens in dem Abbild und eine Repräsentation eines anderen Objektes durch das Zeichen. Das entspricht der Definition des Zeichens durch Leibniz, dass ein Zeichen etwas Wahrgenommenes ist, das etwas Nicht-Wahrgenommenes vermittelt.
Alles, was der Mensch von einem Gegenstand, einer Relation, einem Prozess usw. weiß, in einer konkreten Zeichensituation aber nicht wahrnimmt, ist dann Bedeutung des Zeichens, wenn diese Reaktivierung einen gewissen normativen Charakter trägt. Letztlich trägt jede Gestalterkennung ihr semantisches Problem; denn eine Gestalt erkennen heißt, sie in einen subjektiven Gestaltfundus einzuordnen, also mit einem bedeutenden Abbild in Beziehung zu setzen. Bereits jede Wahrnehmung ist mit Bedeutungsprozessen verbunden.
Die Bedeutung eines Bauwerkes besteht meist nicht aus einem einzigen Bedeutungselement, sondern aus einem Feld von Bedeutungen. Es wurden von uns bisher noch keine statistischen Erhebungen oder Experimente unternommen, um nachzuweisen, welche Bauwerke, Teile, Eigenschaften oder Relationen zwischen ihnen für wen welche Bedeutung tatsächlich besitzen.
Diese müssen unbedingt bald erfolgen, wenn wir durch Gesetzeskraft über die Feststellung hinausgehen wollen, dass prinzipiell jeder Gegenstand alles bedeuten kann. Die Bedeutungen bilden also Ketten und in sich widersprüchliche Bedeutungsfelder. Das Aufdecken ihrer inneren Struktur wird sicherlich helfen, viele Probleme der architektonischen Wirkung zu klären. Ich bin auch davon überzeugt, dass sich viel Fragen der Ästhetik unter dem Aspekt semantischer Strukturen deutlicher stellen.
Die Assoziation von Zeichenbild und Bedeutung kann sich auf verschiedenen Ebenen der subjektiven Informationsverarbeitung vollziehen. Auf bildhafter Ebene nennen wir das Zeichen Ikon. Die Assoziation kann aber auch völlig einsichtige, logisch evidente Bahnen als Index verfolgen. Und sie kann kulturell vereinbart sein durch vorgeordnete Kommunikation. Solcherart Zeichen sind Symbole.
Wir nehmen an, ein Hochhaus soll ausdrücken, dass es eine Universität beherbergt. Das Bauwerk kann z.B. eine Ähnlichkeit mit einem Buch besitzen, vorausgesetzt, dass dieses wiederum eine Bedeutungsrelation zu „Studieren“ und „Universität“ besitzt. Es kann also Ikon sein.
Das Bauwerk kann aber auch die inneren Bewegungsabläufe, die Hörsäle usw. als Teile des Ganzen indexikalisch vermitteln, und diese Tätigkeiten sind wiederum einsichtig mit der Institution „Universität“ verbunden.
Schließlich könnten wir ein Symbol vereinbaren, etwa eine goldene Kugel auf dem Dach jedes Universitätsneubaues. Dann hätte das Bauwerk indexikalische Beziehung zur Kugel, und diese wäre als Symbol für die Nutzungsspezifik „Universität“ vereinbart.
Ich glaube, es ist auch einsichtig, dass es zweckmäßig ist, verschiedene Assoziationsebenen, also Zeichentypen zu verwenden, wenn man die informationelle Kapazität der Nutzer nicht überlasten will.
Die Typen der Bedeutungen, die möglichst vielfältig und abwechselnd eingesetzt werden sollten, beziehen sich auf:
- Enge und Weite des assoziierten Abbildes (die Zahl der notwendigen Glieder innerhalb der Bedeutungsketten)
- Art der Assoziation (ikonisch, indexikalische und symbolische Zeichen)
- Art des Abbildes (kognitive Abbilder, Motive, Ziele, Emotionen, Handlungsvorbereitungen usw.)
- Art des widergespiegelten Seins (Gegenstände, Eigenschaften, Relationen, Prozesse usw.)
Man kann das sicher noch weiter klassifizieren.
Eine größere Vielfalt unserer Neubaugebiete und damit einen Abbau der Monotonie erreichen wir nicht so sehr durch besonders auffällige und obstruse Formen, sondern durch den wechselseitigen Einsatz verschiedener Bedeutungen und Bedeutungstypen.
Ich möchte behaupten, dass die zentrale Lage des Universitätsneubaues in Leipzig weder die Vertragsforschung und die Partnerschaft der Universität mit den materiellen Produktionsbereichen fördert, wie das H. Ullmann in seinem Artikel in der „Deutschen Architektur“ 2/1974, S. 72 behauptet, noch dass es diese behindere. Aber sie ist ein Symbol dieser Partnerschaft; denn eine lokal-räumliche Nachbarschaft wirkt als Zeichen für eine funktionelle Kooperation. Sie drückt diese aus, ebenso wie die Bedeutung der „stadtoffenen Universität“. Inwieweit das Bauwerk diese „Stadtoffenheit“ aber nicht nur ideell proklamiert, sondern auch verwirklicht, bleibt abzuwarten.
Bisher wurde der Innenhof nur zur Eröffnung genutzt. Sicherlich liegt das auch daran, dass die Gestaltung des Innenhofes noch nicht abgeschlossen ist. Es bleibt aber zu befürchten, dass die Innenhofpassagen von außen her nicht genug einladende Zeichne sind für dies Stadtoffenheit. Das sind aber die Detailfragen der Zeichengebung in der Durcharbeitung des Projektes.
Welche Entwicklung nimmt gegenwärtig die architektonische Zeichengebung? Es sind grundlegend zwei gegenläufige Tendenzen zu beobachten. Einerseits gibt es den Versuch, Bedeutungen in der Architektur zu leugnen. Der aus der informationsästhetischen Schule von Max Bense hervorgegangene M. Kiemle spricht von Verlust an Bedeutungshaftigkeit und von der Ausschließlichkeit der syntaktischen, also formalen Aspekte.
Auf der anderen Seite steht die erklärte Absicht zur Resemantisation der Architektur. Natürlich hat die Architektur immer Bedeutungen gehabt. Aber diese sind in der spätbürgerlichen Phase auf die Interessen, das Repräsentationsbedürfnis und das Verständnisvermögen der Kapitaleigner zugeschnitten oder sie dienen in deren Interesse der Massenmanipulation. Resementisation heißt deshalb weder Hervorkehrung der alten Bedeutungen noch das „Aufpfropfen“ von semantischen Strukturen auf bedeutungsentleerte Baukörper, sondern ein Verständlichmachen der nutzungsadäquaten Bedeutung in Massenprozessen. Das betrifft sowohl den Inhalt als auch die Form.
Die Forderungen nach Bedeutungsfähigkeit der Architektur hat übrigens Professor Henselmann bereits im Jahre 1966 auf einem Entwurfskolloquium der Deutschen Bauakademie in Leipzig ganz eindeutig vorgetragen. Professor Henselmann verband sie dort mit einer anderen Forderung, nämlich der nach Einprägsamkeit.
Diese Forderung hat neben anderen Ansprüchen an die informationelle Kapazität der Architektur nach wie vor volle Gültigkeit, Unser Problem ist es aber, mit welchen Mitteln diese Einprägsamkeit am besten erzeugt werden kann. Wir haben zum einen die ikonischen Zeichen. Als ikonische Zeichen könnten wir unter Umständen auch die Neubauten in Oberhof interpretieren.
Über die Gestaltähnlichkeit sollen aber weniger Bedeutungen konzipiert werden, sondern es soll die historische Bausubstanz und die landschaftliche Umgebung reflektiert werden. Es ist deshalb stärker eine formale (sprachliche) Angleichung als eine semantische Repräsentation. (Skizzen, Seite 102)
Vergleichen wir das „Panorama-Hotel“, den „Rennsteig“ („R“ ist übrigens eine Anleihe aus der Sprache der Mode. Dort würde es „Renate“ oder „Rosi“ bezeichnen), den „Oberen Hof“, den Wohnungsbau in Oberhof, das entstehende Reisebüro und die Tankstelle, so stellen wir auf der Ebene der sprachlichen Syntax eine Regelhaftigkeit fest, die mit der umgebenden Landschaft ikonisch korreliert, zugleich aber der Forderung nach Ungewöhnlichkeit der Urlaubsumgebung entspricht.
Die auftretenden Ähnlichkeiten führen nicht zwingend zu weiteren Bedeutungen. Unter diesem Aspekt sind die Bauwerke also eigentlich gar keine Zeichen. Dazu kommt allerdings, dass die Interpretation des „Panorama-Hotels“ als Sprungschanze von den Architekten ebenso wenig zu verhindern sein wird, wie die Propagierung des Gewerkschaftshotels „Rennsteig“ als überdimensionaler Markierungsstein durchzusetzen sein wird. (Heiterkeit) Jedenfalls ist ein Hinweis dazu in den Prospekten notwendig, also eine verbalsprachliche Hilfskommunikation, um diese Ähnlichkeit ins Bewusstsein zu rufen. Der Zeichencharakter der Form wird also leider nicht erlebt, sondern erklärt.
HOTEL „PANORAMA“ REISEBÜRO HOTEL „RENNSTEIG“
TANKSTELLE GASTSTÄTTE „OBERERHOF“ WOHNUNGSBAU
Skizzen
Aber Einprägsamkeit – das stelle ich hier zur Diskussion und will ich aus den vielen Problemen zur Zeichenbedeutung zum Abschluss noch herausgreifen – kann auf verschiedenen Wegen erzeugt werden. Wir nähern uns dabei einer zentralen Frage der architektonischen Semiotik. In Frage steht, inwieweit ein Bauwerk nicht andere Gegenstände oder andere Bauwerke bezeichnet, sondern wie es seine eigenen Besonderheiten ausdrückt, besonders die Spezifik seiner Funktion, also seine Gebrauchsmöglichkeit und seine technisch-konstruktiven Parameter.
Es handelt sich hierbei nicht um eine Selbstbezeichnung, sondern um die ideelle Repräsentation einer Seite der Architektur in einer anderen. Mit dieser wechselseitigen Repräsentation ist eine Verdopplung der Gesamtwirkung verbunden.
Wenn wir die eine Seite dieser Wechselwirkung betrachten, so haben wir die Frage vor uns, wie die praktische, die physische Funktion und die Sekundärfunktionen, darunter Konstruktion, auf die informationelle Funktion wirken und von dieser reflektiert werden.
In den meisten unserer Bauwerke wird die Funktionsspezifik peinlichst versteckt, die Technologie und der Kräfteverlauf werden kaschiert. Warum eigentlich? Wir „verbauen“ uns dadurch nicht nur die Möglichkeit, dem Nutzer wichtige Informationen für den Gebrauch von Architektur zu liefern, sondern wir verhindern auch das Entstehen einer organischen Vielfalt und Überwindung der Monotonie.
Die Schaustellung der Konstruktion ist ja keine Erfindung von Nervi, aber wir sollten etwas daraus lernen.
Wir verspielen uns eine große Wirkungsmöglichkeit unserer Bauwerke, wenn wir das große Interesse der Nutzer an technischen und konstruktiven Lösungen aller Art nicht dadurch befriedigen, dass wir die gefundenen technischen Lösungen, die enormen Leistungen, die zum Beispiel zur Errichtung eines 30geschossigen Hochhauses notwendig sind, auch zur Erscheinung bringen.
Der einzige Moment, in dem der Normalnutzer etwas von den technischen Leistungen der Bauarbeiter und Ingenieure zu spüren bekommt, ist meist nur der Bauzustand. Ist der Bau weiter fortgeschritten, übernimmt eine Vorhangfassade tatsächlich die Rolle des Vorhanges. Dahinter müssen sich die konstruktiven Elemente, Kräfteverlauf, besondere Nutzungszonen wie Treppenhäuser, Installationsgeschosse, Raumspezifika usw. verbergen.
Das Oberhofer “Panorama-Hotel“ ist unter diesem Gesichtspunkt sehr positiv, da es seine aufwendige Konstruktion wenigstens deutlich genug kommuniziert.
Die Nutzungsspezifik ist besonders gut am Raumgefüge abzulesen. Die wechselseitige informationelle Repräsentation von Innen und Außen in elementaren Raumqualitäten ist daher ein besonderes Element architektonischer Wirkung. Es schafft Vielfalt in der Erscheinung und informiert über die Nutzungsweisen. Das beginnt mit den Installationsgeschossen eines Hochhauses.
Ich möchte aber keinen neuen Funktionalismus oder Konstruktivismus predigen. Es geht uns nicht um eine mechanische Widerspieglung von Raumstrukturen, technologischen und konstruktiven Parametern in der Fassade, es geht nicht um „konstruktive“ Ehrlichkeit“, die zum Dogma erhoben wurde. Vielmehr ist es unsere Aufgabe, die informationelle Potenz der Architektur an einem höheren Zweck – der Gesamtmenge der Primärfunktion zu orientieren. Solche informationellen Qualitäten, wie Orientierungsmöglichkeit, Einprägsamkeit usw., sind nicht absolute Optimierungskriterien des architektonischen Ausdrucks und decken den Konsens der informationellen Funktionalität der Architektur nicht ab.
Die Optimierungskriterien der baulichen Information müssen im System untersucht werden. Wir stecken da noch am Anfang. Ihre Ziele besitzen gesellschaftspolitische Relevanz, ihre praktische Umsetzung, also ihre Realisierung als dialektische Einheit, unterliegt Bedingungen zur Erzeugung eines umfassenden, sozial bedingten Wohlbefindens – als einem ästhetischen Faktum. Auf dieses weite Feld bezieht sich das Thema der kommunikativen Optimierung.