Vortrag auf dem architekturtheoretischen Seminar des BDA (1974)

Dieser Vortragstext ist eine erste Anwendung der Kommunikationstheorie und Semiotik auf die Architekturpraxis der DDR. Der Versuch, das theoretische Modell verständlich zu machen, führt sofort zu kritischen Auseinandersetzungen mit einem ökonomischen Pragmatismus und der realen Baupraxis.

Vortrag auf dem architekturtheoretischen Seminar des BDA
Olaf Weber, 4. Und 5. April 1974 in Rostock

Es gibt eine volkstümliche Metapher, die besagt, daß Steine reden können. Sie verdient unter dem Aspekt der ideellen Aneignung von Architektur eine erhöhte Aufmerksamkeit; denn sie verweist auf die Rolle, die dem Themenkreis von Zeichen, Bedeutung, Sprache und Information in der Architektur zukommt.

Die Anwendung der Semiotik, also der Theorie der Zeichen auf die spezifisch architektonische Bezugsebene macht international große Fortschritte, obwohl diese Anwendung auf architektonisches Terrain erst seit eineinhalb Jahrzehnten systematisch betrieben wird.

Die Anwendung der Zeichentheorie auf den Bereich der Architektur möchte ich bewußt auch als einen Beitrag von Architekten zur Überwindung ihrer Selbstisolation im Planungskollektiv verstehen. Viele Architekten gefallen sich immer noch in ihrer Rolle als Zaungast der Wissenschaftsentwicklung, indem sie auf dem Anspruch beharren in Fragen der Form subjektivistisch urteilen zu können, während sie sich auf ihr künstlerisches Gefühl berufen. Dieses Zurückziehen in die Sphären unkontrollierter Individualität zieht nicht nur ein eigentümliches Spannungsverhältnis zu den Vergesellschaftungsprozessen der Bauproduktion und zur Rationalisierung nichtkünstlerischer Aspekte des Gestaltens nach sich, sondern es reduziert vor allem die Effektivität gestalterischer Entscheidungen und zwar in zweierlei Weise:

Erstens: Die Architekten tun sich schwer darin, ihre Gestaltungsvorschläge sowohl gegenüber anderen, am Planungsprozess beteiligten Kollegen als auch gegenüber dem Auftraggeber begrifflich, also rational zu verteidigen.
Zweitens: Ihre Entscheidungen sind selbst meist nicht die bestmöglichen, weil wissenschaftliche Erkenntnisse nicht als Entscheidungshilfen genutzt werden. Dabei sollten wir aber im Auge behalten, daß die Wissenschaft nicht das praktische Gestalten ersetzen kann. Aber wenn es uns um Emotionen gehen sollte: das Wissen verhindert diese nicht nur nicht, sondern es ermöglicht es sogar, die emotionalen Momente der Gestaltung qualitativ zu entwickeln. Das auch zur gestrigen Diskussion zu Ehrenberg: „Kunst und Architektur“.

Von Manchem wird noch bestritten, daß die Semiotik in diesem Sinne echte Entscheidungshilfen zu bieten hat und es wird gefragt, ob sie uns nicht von unseren eigentlichen Problemen ablenkt, ob sie nicht bürgerlichen Theorien den Weg ebnet, zur Entideologisierung der Architektur beiträgt usw.. Diese Gefahren bestehen dort, wo:

  1. der architektonischen Semiotik bürgerliche Ziele gesteckt sind und
  2. die innere Logik der Semiotik verletzt wird.

Wir gehen vom Grundgesetz des Sozialismus aus, der immer besseren Befriedigung der vielschichtigen Bedürfnisse der Werktätigen. Bei Entwicklung und Erfüllung eines gewissen Standes der materiellen Bedürfnisse steigen besonders die geistig- kulturellen Bedürfnisse und wir haben dafür Sorge zu tragen, daß die Mittel zu ihrer Erfüllung im baulichen Bereich bereit gestellt werden. Unser Blick ist also auf bewußte Selbstgestaltung der Gesellschaft in ihrer baulichen Umwelt und der Persönlichkeitsentwicklung ihrer Mitglieder gerichtet und damit eben nicht auf bürgerliche Manipulation durch Zeichen im Sinne von Profitmaximierung. Das eine schließt das andere aus.

Die Rolle der Semiotik für unsere sozialistische Architektur verkennt auch Dr. Pietz in einem Aufsatz in der „Deutschen Architektur“ (2/1974, S. 116) Ich zitiere:
„Nichts gegen gute Detaillösungen, im Gegenteil, nur steht der Aufwand an persönlichem Einsatz für diese Dinge in richtigem Verhältnis zu dem Aufwand der Klärung der großen entscheidenden Fragen der städtebaulichen Entwicklung unserer Wohngebiete? Ist die Flucht in die ästhetisierenden Beschäftigungen mit Farbsystemen und semiotischen Theorien, die bisher nur zu ziemlich brutalen, geometrischen Dekorationen in aufdringlichen Farben führten, nicht eine Vergeudung unser offensichtlich noch nicht reichenden Kräfte in der Projektierung?“

Liebe Kollegen! Die Methoden und Ergebnisse der Semiotik sind gerade nicht ästhetisierend, sie hält sich gerade nicht beim irrelevanten Detail auf und wo es zu ziemlich brutalen geometrischen Dekorationen in aufdringlichen Farben kommt, hat man sie – im Gegensatz zu Pietz – gerade vergessen anzuwenden. Was hier Dr. Pietz als semiotische Theorie verkauft ist höchstens die mechanische Anwendung einiger zeichentheoretischer Erkenntnisse auf ein spezielles Gebiet, das im Grenzbereich von Architektur und Gebrauchsgrafik liegt.

Um das Zitat auf seinen rationellen Kern zu bringen: Derartige Zeichen gehören einer Gruppe von Zeichenträgern an, die einen funktionell-räumlichen Bezug zur Architektur besitzen, dieser aber nicht als unmittelbarer Teil angehören. Wir nennen sie „architektonische Hilfszeichen“. Dazu gehören zum Beispiel: Dia (die Hausnummern an Hauseingängen, Hinweisschilder, Straßenschilder, Reklameflächen, Verkehrszeichen usw.)

Also grafische Darstellungen oder verbalsprachliche Ausdrücke, die im Dienste einer architektonischen Funktion stehen.

So wichtig es auch ist, im additiven Montagebau durch optisch evidente Hausnummernschilder die eigene Wohnung wieder zu finden, durch Straßenschilder eine Orientierungshilfe in einer unbekannten Stadt zu gewinnen oder mittels Leuchtreklame die Kaufhalle von der Turnhalle unterscheiden zu lernen – die spezifisch architektonische Anwendung der Zeichentheorie beginnt erst dort, wo die Besonderheit des eigenen Hauseingangs nicht durch eine Zahl, sondern durch bauliche Mittel markiert wird, wo neben Straßennamen usw. die Bauwerke selbst die Orientierungshilfe darstellen, wo die Erscheinungsweise der Kaufhalle selbst ihre funktionelle Bestimmung sinnlich wahrnehmbar repräsentiert und – um die Aufzählung wenigstens auf die Willkür der eben genannten Beispiele zu bringen – architektonische Zeichen beginnen dort, wo nicht das Wort „Rundgang“ sondern die Form der Dekoration selbst die Bewegungsrichtung von Ausstellungsbesuchern anzeigt. Und während dem Autofahrer das gelbe Viereck die Bedeutung „Hauptstraße“ signalisiert, ist dem ortsfremden Fußgänger kein ähnliches Symbol gegeben, um die Fußgängermagistrale zu identifizieren.

Hier muss die urbane Welt selbst zum Zeichen werden, indem sie äquivalente Funktionen ausdrückt.

Die Zeichentheorie ist auch dort falsch verstanden, wo abstrakte grafische Gestalten für bedeutungslosen Fassadenformalismus herhalten müssen.

Neben den architektonischen Hilfszeichen und dem architektonischen Formalismus, die wir beide nicht behandeln wollen, werden von den eigentlichen Architekturzeichen meist nur die Gruppe symbolhafter Hochbauten als Zeichenträger akzeptiert, wie wir sie zum Beispiel (Dia) aus Leipzig (Karl-Marx-Universität), (Dia) aus Oberhof(Panorama-Hotel) und (Dia) das „Gewerkschaftshotel Rennsteig“ oder – um noch ein Beispiel zu wählen, (Dia) aus Rostock kennen.

Aber es geht uns über die Problematik symbolhafter Hochbauten hinaus vor allem um eine Ausweitung des semiotischen Problembewusstseins in der Architektur. Das heißt, wir behaupten, dass eine viel größere Anzahl – ja eigentlich alle baulichen Strukturen – zeichenrelevant sind.
Ich werde nun aus der großen Zahl semiotischer Probleme in der Architektur einige zu Bedeutungsfragen auswählen. Ich werde nicht zur Syntax, Grammatik, Genese der Zeichen usw. sprechen, sondern einige semantische Probleme aufwerfen. Ich werde zunächst einige architekturtheoretische, anschließend einige semiotische Grundlagen zu unseren Problemen vortragen.

Ein Problem, dass schon immer zentrale Bedeutung in der Architekturtheorie besaß, ist das der komplexen Einheit des Bauwerkes. Die vielen Aufgaben, die ein Bauwerk zu erfüllen hat, haben sich seit Vitruv zu drei Säulen verfestigt. Es muss nützlich, es muss schön und es muß dauerhaft stabil sein. Wir sind der Auffassung, daß dieses Konzept und seine Modifikationen historisch überholungsbedürftig sind. Es ist unbefriedigend vor allem unter drei Aspekten:

  1. Der vielschichtige Komplex des Ideellen in der Architektur wird auf das Problem des Schönen reduziert.
  2. Dieses Schöne wird dem Nützlichen antipodisch gegenübergestellt. Durch die Nichtnützlichkeit des Schönen wird die ideelle Seite der Architektur begrifflich diskreditiert.
  3. Die Hierarchie der Zweck-Mittel-Implikationen wird dadurch verunklärt, daß die konstruktive Festigkeit, die nicht Selbstzweck, sondern Mittel zum menschlichen Zweck ist, den beiden anderen Komponenten Nützlichkeit und Schönheit gleichberechtigt zugeordnet wird.

Wir schlagen ein Konzept vor, das dem den Menschen in den Mittelpunkt stellenden Grundprinzip des Sozialismus und der Ganzheitlichkeit des architektonischen Gegenstandes gleichermaßen verpflichtet ist. Wir wollen den Funktionsbegriff der allgemeinen Systemtheorie auf die Architektur anwenden. Danach sind alle subjektrelevanten Eigenschaften der Architektur, ob sie nun materieller oder ideeller, also ästhetischer Natur sind, architektonische Funktionen. Sie drücken deren potentielles Wirkungsverhalten aus. Bezieht sich diese Wirkung aber direkt auf den Menschen (sei es ein Individuum, eine soziale Gruppe oder die Gesellschaft), so bezeichnen wir die entsprechende Funktion als Primärfunktion.

Primärfunktionen erfüllen unmittelbar materielle oder ideelle Bedürfnisse des Menschen. Auf sie richten sich die Optimierungskriterien des Entwurfes direkt. Dagegen sind die Festigkeit, Wärmedämmung usw. des Bauwerkes aus diesen Funktionen abgeleitete Eigenschaften, also Sekundärfunktionen. Die Unterscheidung von Primär- und Sekundärfunktionen ist keine Wertung hinsichtlich der Relevanz, also Wichtigkeit dieser Funktionen; denn ein Wohnhaus z.B., das im Winter nicht beheizt werden kann, verliert damit fast alle anderen Wohnqualitäten.

Durch die Translation des Ästhetischen zum Ideellen und dessen Eingliederung in den funktionellen Zustand des Bauwerkes werden auch solche Begriffe, wie Optimierung, Nutzen, Gebrauchswert, in eine architektonische Gestaltungslehre – allerdings kritisch – inventarisiert.

Es ist nicht möglich, die ausgeweitete Gesamtmenge der vielschichtigen Funktionen von Architektur und ihrer Wirkung auf die Menschen als ungegliedertes Ganzes zu untersuchen. Wir müssen ihre innere Struktur aufdecken. Die Frage ihrer Klassifizierung wollen wir an den Objekten ihrer Wirkung entscheiden. Unter dem Aspekt der ideellen Aneignung baulicher Umwelt ist die Wirkung der Architektur auf das biosoziale Subjekt „Individuum“ von besonderem Interesse. Wir wollen deshalb die Wirkungsebenen dieses – immer nur historisch konkreten – individuellen Subjektes zum Klassifikationskriterium der architektonischen Funktionen erheben. (Schema 1 )

Schema1

Schema1

Die Architektur wirkt damit auf physische Strukturen und Prozesse, also auf die Körperlichkeit des Nutzers und übt damit eine physische Funktion aus. Sie wirkt damit auf das Bewusstsein, also die gesamte Psyche der Nutzer ein und erfüllt damit seine ideelle oder besser gesagt psychische oder informationelle Funktion. Sie hat letztlich Einfluss auf das praktische Verhalten der Menschen, das sich in motorischen Aktionen äußert. Wir wollen von der praktischen oder Verhaltensfunktion der Architektur sprechen, wobei die Architektur durch ihr Raumangebot einen besonderen Einfluss auf deren ortsveränderten Aspekt, also die lokomomotorischen Aktivitäten, besitzt.

Alle drei Funktionen weisen enge Strukturverflechtungen auf. Besonders basiert menschliches Verhalten immer auf geistiger Antizipation und umgekehrt kommen wir ohne Analyse der praktischen Lebenstätigkeit der Nutzer nicht aus. Wenn wir den Bedeutungsgehalt, also die informationelle Funktion erforschen wollen. Jede ganzheitliche bauliche Struktur, die solche Tätigkeitskomplexe ermöglicht und partiell determiniert und welche Architekten gern als „Funktionen“ bezeichnen, wie Kaufen, Essen, Erschliessen, Montieren – also Kaufhalle, Speisesaal, Verkehrsfläche, Montagehalle – setzt sich aus jeweils spezifisch ausgeprägten physischen, informationellen und praktischen Elementarfunktionen zusammen. Sie sind also bereits Funktionskomplexe.

Die ästhetische Seite geht zum großen Teil in die informationellen Funktionen der Architektur auf. – Und doch umfasst der Begriff der Information eine andere, aber unseres Erachtens wesentlichere Seite der Architektur. Wir empfinden Architektur nicht nur nach „Schönheit“ oder „Hässlichkeit“ oder ähnlichen Kategorien, sondern wir orientieren und mittels baulicher Information in einer anderen Stadt oder in einem Gebäude; sie wirkt auf unsere Einstellung, auf die Motivation, auf die Werte; wir gewinnen durch Architektur Informationen für unser praktisches Verhalten usw..

Wenn wir sagen, dass Architektur nicht als Kunstwerk, sondern als organisierende bauliche Hülle unserer Lebenstätigkeit gebaut wird, so heißt das auch, dass ihre informationelle Struktur kein davon los gelöstes künstlerisches Dasein zu führen und nicht nur langfristige ästhetische und kulturelle Werte zu vermitteln hat, sondern dass sie direkt praxiswirksam wird in dem sie motorischen Aufforderungscharakter besitzt.

Mit dieser Betonung der informationellen Prozesse, die alle psychischen Ebenen des Nutzers durchdringen, lenken wir die Aufmerksamkeit auf die Wissenschaft von der Kommunikation.

Der Kommunikationsprozess ist dabei ein Aspekt oder eine Form der Dialektik von Produktion und Konsumtion, (Schema 2),die den Gegenstand als Objekt der Teilprozesse und als Mittel des Gesamtprozesses einschließt und (Schema3) der baulichen Spezifikation dieses Prozesses, in dem das Bauwerk in einem Herstellungsprozess entsteht und in einem Nutzerprozess wirkt (s. Schema 2 und 3).

Schema2

Schema2

Schema3

Schema3

Die jeweils konsumtive Seite bestimmt den Vorgang der Produktion inhaltlich als Ziel und Zweck, wie wir es von Marx wissen. Deshalb müssen Gesetze der Nutzung ergründet werden, die wesentliche Optimierungskriterien der Gestaltung stellen.
Das Gleiche gilt für den kommunikativen Produktions- und Konsumtionsprozess, (Schema4) der die Phasen des Sendens und Empfangens umschließt, die durch ein Kommunikationsmittel verbunden sind (siehe Schema 4) Die Behauptung ist nun, dass auch Architektur als solches Kommunikationsmittel unabhängig davon wirkt, ob es, aber um so besser, wenn es als solches konzipiert wurde. (siehe Schema 5)

Schema4

Schema4

Schema5

Schema5

Der architektonische Gesamtprozess ist also unter dem ideell-ästhetischen Aspekt ein spezifischer Kommunikationsprozess, bei dem der Architekt als gesellschaftlicher Expedient (Sender) ein multifunktionales Kommunikationsmittel formiert (das Bauwerk) das in einem informationellen Kommunikationsprozess (der Rezeption) vom Nutzer ideell angeeignet wird.

Den Nutzer können wir uns als einen Wissenschaftler vorstellen, wenn er aus städtischen Grundrissen etwa politische oder ökonomische Verhältnisse abliest, als Tourist, der von der Schönheit eines Gebäudes verzückt ist oder als Normalnutzer, der in seiner täglichen Lebenspraxis eine Vielzahl unterschiedlicher baulicher Informationen verbindet, viele davon unbewusst.

Diesen so genannten „Normalnutzer“ ist unsere besondere Aufmerksamkeit gewidmet. Er verarbeitet ständig und immer bauliche Informationen. Nehmen wir selbst den banalen Tatbestand, dass niemand hier im Saal, wenn wir uns für einen Augenblick als Normalnutzer begreifen, hier an der Stirnwand versucht den Saal zu verlassen.

Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass die Glasschmuckwand im Foyer des Universität-Neubaues in Leipzig als eine ideologische Aussage konzipiert war. Sie sollte nämlich rote Fahnen darstellen. Das ist aber wohl den Künstlern daneben gegangen, so daß sie nur noch als Pfeile wirken, die nach rechts und links zeigen, wo sich die Aufzüge befinden. Die ideologische Bedeutung hat sich also unfreiwillig in eine praktische mit Aufforderungscharakter verwandelt. (Skizze)

Wir sind schon wieder nahe am Bedeutungsproblem angelangt. Vorher muss ich aber noch eine Bemerkung zum Verhältnis der Architektur zur Kommunikation machen. (Schema 6)
Zum einen ist die Architektur Gegenstand der Kommunikation. Es wird über sie gesprochen. Sie wird in Form von verbal- sprachlichen Ausdrücken, Zeichen, Modellen, Zahlen usw. mitgeteilt. In ihrer Existenz als gegenständliches Phänomen ist sie Mittel der Kommunikation. Sie ist selbst Nachricht, Träger von Bedeutung. Von diesem Aspekt ist hier die Rede.

Schema6

Schema6

Drittens wirkt die Architektur in der Phase der Konsumtion als Kommunikationsvermittler. Das ist vor allem ein soziologisches Problem.

Wenn sie mir bis hier ohne allzu großen Widerstand gefolgt sind wäre eigentlich die Anerkennung der Zeichenhaftigkeit der Architektur und die Rolle der Semiotik in der Architekturtheorie nur noch ein akademisches Problem.
Die Menschen tauschen ihre Informationen durch Zeichen aus, seien es Worte, Gesten, Grafiken usw.. Jede soziale Kommunikation ist Zeichenkommunikation, also ist auch Architektur ein System von Zeichen. (Schema 7)

Schema7

Schema7

Die kommunikativen Gemeinsamkeiten von Sender und Empfänger, der gemeinsame Zeichenvorrat und der Kode sind durch die gesellschaftliche Praxis gegeben und damit historisch determiniert. Der Kode gibt an, welche bauliche Einheiten mit welchen Bedeutungen verbunden sind. Die Feststellung der Dialektik von Kommunikation und gesellschaftlicher Praxis ist für die architektonische Kommunikation besonders bedeutsam, weil die Architektur sowohl zur Praxis als auch zur sozialen Kommunikation eine enge Beziehung besitzt und sich soweit in der besonderen Lage befindet, den Kodeschlüssel zum Verständnis ihrer Nachricht nicht vorher vereinbaren zu müssen, sondern ihn als Teil der Information gleich mitzuliefern.

Zeichen und Bedeutung –das ist die These der Semiotik- sind unlöslich miteinander verbunden. Das heißt, es gibt eben keine Zeichen, ohne Bedeutung, keine sich selbst repräsentierenden Zeichen, keine Reduktion des Zeichenthemas auf syntaktische, formale Fragen. Es gibt aber auch keine Bedeutung ohne Zeichen, also keinen Widerspruch zwischen der Expressivität und der Zeichenhaftigkeit; der Ausdruck eines Dinges entspricht der Menge der subjektivierten Informationen, den das Ding als Zeichenträger bevorratet. Das heißt, alle Dinge des Ausdrucks, der psychischen Wirkung, des Ästhetischen liegen auch auf der semiotischen Ebene.
Wir wollen die Frage erhellen, was Bedeutungen sind und wie sie entstehen. (Schema 8)

Schema8

Schema8

Das Feld mit dem großen „Z“ ist zunächst einmal ein materieller Gegenstand, z.B. ein Bauwerk, der wie jeder andere Gegenstand in einem ideellen Aneignungsprozess abgebildet wird. Er wird wahrgenommen, ideell angeeignet. Es entsteht das subjektive Abbild eines Gegenstandes.

Die Spezifik des menschlichen Rezeptionsprozesses besteht nun darin, dass dieses Abbild dieses Gegenstandes nicht isoliert bleibt in der Gesamtmenge der gespeicherten Abbilder, sondern sofort assoziiert wird mit anderen Bewusstseinszuständen. Diese assoziierten Abbilder sind die Bedeutung des Zeichens, sie besitzen ihr Pendant in der objektiven Realität.

Ich habe das so erklärt, weil es schwierig ist, diese Zeichenrelation festzustellen, zumal dann, wenn man die Gesamtheit der psychischen Prozesse unter diese Thematik fassen will. Dann ist es oftmals schwer, das objektive Pendant eines bestimmten Gefühlszustandes zu bestimmen bzw. festzustellen, was die Verursachung dieses Gefühlszustandes gewesen sein muss. Aber wir stellen fest, dass dieser materielle Gegenstand der Bezeichnung in dieser Zeichenthematik dazugehört.

Es ist ersichtlich, dass die reine Abbildung dieses Gegenstandes eigentlich ungleich ärmer ist als eine bezeichnende Abbildung, also eine Abbildung, wo ständig die Assoziationen erfolgen, die mit der Bedeutung gekoppelt sind. Es besteht also einmal eine Präsentation des Zeichens in dem Abbild und eine Repräsentation eines anderen Objektes durch das Zeichen. Das entspricht der Definition des Zeichens durch Leibnitz, dass ein Zeichen etwas Wahrgenommenes ist und etwas Nichtwahrgenommenes vermittelt.

Alles, was der Mensch von einem Gegenstand, einer Relation, einem Prozess usw. weiß, in einer konkreten Zeichensituation aber nicht wahrnimmt, ist dann Bedeutung des Zeichens wenn diese Reaktivierung einen gewissen normativen Charakter trägt. Letztlich trägt jede Gestalterkennung ihr semantisches Problem; denn eine Gestalt erkennen heißt, sie in einem subjektiven Gestaltfundus einzuordnen, also mit einem bedeutenden Abbild in Beziehung zu setzen. Bereits jede Wahrnehmung ist mit Bedeutungsprozessen verbunden.

Die Bedeutung eines Bauwerkes besteht meist nicht aus einem einzigen Bedeutungselement, sondern aus einem Feld von Bedeutungen. Es wurden von uns bisher keine statistischen Erhebungen oder Experimente unternommen um nachzuweisen, welche Bauwerke, Teile, Eigenschaften oder Relationen zwischen ihnen für wen welche Bedeutung tatsächlich besitzen. Diese müssen aber unbedingt bald erfolgen, wenn wir durch Gesetzeskraft über die Feststellung hinausgehen wollen, dass prinzipiell jeder Gegenstand alles bedeuten kann.

Das „Haus des Reisens“ am Alexanderplatz in Berlin zeigt nun beispielhaft verschiedene semantische Assoziationskatten. (Dia)
Diese Ketten verzweigen sich verschiedentlich, so daß eine einheitliche und widersprüchliche Struktur entsteht.
Solcherart semantischer Strukturanalyse geht über das Messen von Bedeutungsbestandteilen wie der semantischen Mengenbestimmung durch die Konstituentenanalyse hinaus.
Wir sind überzeugt, dass die widersprüchliche Natur dieser Bedeutungstruktur auch den Schlüssel zum Aufdecken eines ästhetischen Elementes im Bedeutungsfeld liefert. Im angeführten Beispiel ist an den „Endpunkten“ der semantischen Ketten „Dunkelheit“,“Sommer“ und „Formalspiegelung“ eine solche Widersprüchlichkeit angedeutet, die unter Umständen einen ästhetischen Reiz erzeugen kann.

Die Assoziation von Zeichenabbild und Bedeutung kann sich auf verschiedenen Ebenen der subjektiven Informationsverarbeitung vollziehen. Auf bildhafter Ebene nennen wir das Zeichen Ikon. Die Assoziation kann aber auch völlig einsichtige, logisch evidente Bahnen verfolgen, als Index. Und sie kann kulturell vereinbart sein durch vorgeordnete Kommunikation. Solcherart Zeichen sind Symbole.

Wir nehmen an, ein Hochhaus soll ausdrücken, daß es eine Universität beherbergt. Das Bauwerk kann z.B. eine Ähnlichkeit mit einem Buch besitzen, vorausgesetzt, daß dieses wiederum eine Bedeutungsrelation zu „Studieren“ und „Universität“ besitzt. Es kann also ein Ikon sein.

Das Bauwerk kann aber auch die inneren Bewegungsabläufe, die Hörsäle usw. als Teile des Ganzen indexikalisch vermitteln und diese Tätigkeiten sind wiederum einsichtig mit der Institution „Universität“ verbunden.

Schließlich könnten wir ein Symbol vereinbaren, etwa eine goldene Kugel auf dem Dach jedes Universitätsneubaues, dann hätte das Bauwerk indexikalische Beziehung zur Kugel und diese wäre als Symbol für die Nutzungsspezifik „Universität“ vereinbart.

Ich glaube, es ist auch einsichtig, daßs es zweckmäßig ist, verschiedene Assoziationsebenen, also Zeichentypen zu verwenden, wenn man die informationelle Kapazität der Nutzer nicht überlasten will.

Die Typen von Bedeutungen, die möglichst vielfältig und abwechselnd eingesetzt werden sollen, beziehen sich auf:

  • Enge und Weite zum Zeichenabbild, also was mit diesen Ketten hier dargestellt ist
  • Art der Assoziationen (ikonische, indexikalische und symbolische Zeichen)
  • Art des Abbildes (kognitive Abbilder, Motive, Ziele, Emotionen, Handlungsvorbereitung usw.)
  • Art des widergespiegelten Seins (Gegenstände, Eigenschaften, Relationen, Prozesse usw.)

Man kann das sicher noch weiter klassifizieren.

Eine größere Vielfalt unserer Neubaugebiete und dabei ein Abbau an Monotonie erreichen wir nicht so sehr durch besonders auffällige und obstruse Formen, sondern durch den wechselseitigen Einsatz verschiedener Bedeutungen und Bedeutungstypen.

Ich möchte behaupten, dass die zentrale Lage des Universitätsneubaues in Leipzig weder die Vertragsforschung und die Partnerschaft der Universität mit den materiellen Produktionsbereichen fördert, wie das Kollege Ullmann in seinem Artikel … behauptet, noch dass es diese behindere. Aber sie ist ein Symbol dieser Partnerschaft; denn eine lokal-räumliche Nachbarschaft wirkt als Zeichen für eine funktionelle Kooperation. Sie drückt diese aus, ebenso wie die Bedeutung der „stadtoffenen Universität“. Inwieweit das Bauwerk diese „Stadtoffenheit“ aber nicht nur ideell proklamiert sondern auch verwirklicht, bleibt abzuwarten.

Bisher wurde Der Innenhof nur zur Eröffnung genutzt. Sicherlich liegt das auch daran, dass die Gestaltung des Innenhofes noch nicht abgeschlossen ist. Es bleibt aber zu befürchten, dass die Innenhofpassagen von außen her nicht genug einladende Zeichen sind für diese Stadtoffenheit. Das sind aber die Detailfragen der Zeichengebung in der Durcharbeitung des Projektes.

Welche Entwicklung nimmt gegenwärtig die architektonische Zeichengebung? Es sind grundlegend zwei gegenläufige Tendenzen zu beobachten. Einerseits gibt es den Versuch, Bedeutungen in der Architektur zu leugnen. Der aus der informationsästhetischen Schule von Max Bense hervorgegangene M. Kiemle spricht von Verlust an Bedeutungshaftigkeit und von der Ausschließlichkeit der syntaktischen, also formalen Aspekte. Auf der anderen Seite steht die erklärte Absicht zur Resemantisation der Architektur. Natürlich hat die Architektur immer Bedeutungen gehabt. Aber diese sind in der spätbürgerlichen Phase auf die Interessen des Repräsentationsbedürfnis und das Verständnisvermögen des Spätbürgers zugeschnitten.

„Resemantisation“ heißt deshalb weder Hervorkehrung der alten Bedeutungen noch das Aufpfropfen von semantischen Strukturen auf bedeutungsentleerte Baukörper, sondern ein Verständlichmachen der nutzungsadäquaten Bedeutung in Inhalt und Form.

Die Forderung der Bedeutungshaftigkeit der Architektur hat übrigens Prof. Henselmann bereits im Jahre 1966 auf einem Entwurfskolloquium der Deutschen Bauakademie in Leipzig ganz eindeutig vorgetragen. Henselmann verband sie dort mit einer anderen Forderung, nämlich der nach Einprägsamkeit.

Diese Forderung hat neben anderen Ansprüchen an die informationelle Kapazität der Architektur nach wie vor wolle Gültigkeit. Unser Problem ist es aber, mit welchen Mitteln diese Einprägsamkeit am besten erzeugt werden kann. Wir haben zum einen die ikonischen Zeichen. Als ikonische Zeichen könnten wir unter Umständen auch die Neubauten in Oberhof interpretieren.
Über die Gestaltähnlichkeit sollen dort aber weniger Bedeutungen konzipiert werden, sondern es soll die historische Bausubstanz und die landschaftliche Umgebung reflektiert werden. Es ist deshalb stärker eine formale (sprachliche) Angleichung als eine semantische
Repräsentation.
(Skizze)

Vergleichen wir das Panorama-Hotel, den Rennsteig („R“ ist übrigens eine Anleihe aus der Sprache der Mode. Dort würde es „Renate“ oder „Rosi“ bezeichnen, hier aber „Rennsteig“, (Dia)
den oberen Hof, den Wohnungsbau in Oberhof (Skizze)
das entstehende Reisebüro (Dia)
die Tankstelle, so stellen wir auf der Ebene der sprachlichen Syntax eine Regelhaftigkeit fest, die mit der umgebenden Landschaft ikonisch korreliert, zugleich aber der Forderung nach Ungewöhnlichkeit der Urlaubsumgebung entspricht.

Die auftretenden Ähnlichkeiten führen nicht zwingend zu weiteren Bedeutungen. Unter diesem Aspekt sind die Bauwerke also eigentlich gar keine Zeichen.
Dazu kommt allerdings, daß die Interpretation des Panorama-Hotels als Sprungschanze von den Architekten ebenso wenig zu verhindern sein wird wie die Propagierung des Gewerkschaftshotels „Rennsteig“ als überdimensionaler Markierungsstein durchzusetzen sein wird. Jedenfalls ist ein Hinweis dazu in den Prospekten notwendig, also eine verbalsprachliche Hilfskommunikation, um diese Ähnlichkeit ins Bewusstsein zu rufen.

Der Zeichencharakter der Form wird also leider nicht erlebt, sondern erklärt. Aber Einprägsamkeit – das stelle ich hier zur Diskussion und will ich aus den vielen Problemen zur Zeichenbedeutung zum Abschluss noch herausgreifen- kann auf verschiedenem Wege erzeugt werden. Wir nähern uns dabei einer zentralen Frage der architektonischen Semiotik. In Frage steht, inwieweit ein Bauwerk nicht andere Gegenstände oder andere Bauwerke bezeichnet, sondern wie es seine eigene Besonderheit ausdrückt, besonders die Spezifik seiner Funktion, also seine Gebrauchsmöglichkeit und seine technisch-konstruktiven Parameter.
Es handelt sich hierbei nicht um eine Selbstbezeichnung, sondern um die ideelle Repräsentation einer Seite in der Architektur in einer anderen. Mit dieser wechselseitigen Repräsentation ist eine Verdoppelung der Gesamtwirkung verbunden.

Wenn wir die eine Seite dieser Wechselwirkung betrachten, so haben wir die Frage vor uns, wie die praktische, die physische Funktion und die Sekundärfunktionen, darunter Konstruktion, auf die informationelle Funktion wirken und von dieser reflektiert werden.

In den meisten unserer Bauwerke wird die Funktionsspezifik peinlichst versteckt, die Technologie und der Kräfteverlauf werden kaschiert. Warum eigentlich?
Wir „verbauen“ uns dadurch nicht nur die Möglichkeit, dem Nutzer wichtige Informationen für den Gebrauch von Architektur zu liefern, sondern wir verhindern auch das Entstehen einer organischen Vielfalt und Überwindung der Monotonie.

Die Schaustellung von Konstruktion ist ja keine Erfindung von Nervi, aber wir sollten etwas daraus lernen.

Dieses Bild zeigt die Leipziger Universität noch im Bauzustand. Das war der einzige Zustand dieses Bauwerkes, in dem man etwas von der imposanten technischen Leistung dieses Bauwerkes zu verspüren bekam. Technologischer und Kräfteverlauf, die gewaltigen Anlagen, die notwendig sind, um so ein Hochhaus zu bauen, sind nach dem Bau im fertigen Zustand nicht zu erkennen und ablesbar. (Dia)

Wir verspielen uns eine große Wirkungsmöglichkeit unserer Bauwerke, wenn wir das große Interesse der Nutzer an technischen und konstruktiven Lösungen aller Art nicht dadurch befriedigen, dass wir die gefundenen technischen Lösungen, die enormen Leistungen die z.B. zu Errichtung eines 30-geschossigen Hochhauses notwendig sind, auch in Erscheinung zu bringen. Hier einige Bilder: …

Ich möchte jedoch keinen neuen Funktionalismus und Konstruktivismus predigen; denn es geht einerseits darum, die Innenräumlichkeit nicht mechanisch in der Erscheinung widerzuspiegeln, sondern die Funktionsspezifik bewusst auszudrücken. Das schließt ein, dass dieser Ausdruck von Fall zu Fall unterdrückt wird oder über eine menschliche Reflexion hinaus mit den Mitteln der Zeichengebung überhöht wird. Das ist mehr als Funktionalismus – das ist seine dialektische Negation.

Zum anderen darf sich der Ausdruck eines Bauwerkes nicht auf die Nutzungsspezifik beschränken. Die informationelle Repräsentanz der Architektur muss an den ganzheitlichen Nutzungsprozessen orientiert werden. Das heißt, weder die Forderung nach diesem oder jenem Ausdruck noch nach dieser oder jener Wirkung –etwa maximale Orientierung oder Einprägsamkeit- deckt den Konsens der kommunikativen Optimierung in der Architektur ab.

Die Optimierungskriterien der baulichen Information müssen im System untersucht werden. Wir stehen da noch am Anfang. Das kann nicht nur von Architekten geleistet werden, ich denke an Soziologen, Gesellschaftswissenschaftler usw..

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